Die politische und wirtschaftliche Modernisierung in Asien

Das Kaiserreich Japan zum Ende des 19. und die Volksrepublik China zum Ende des 20. Jahrhunderts. Analogien und Differenzen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

30 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Historischer Hintergrund im 19. Jahrhundert

3. Rekonstruktion der Modernisierung Japans Ende des 19. Jahrhunderts
3.1 Die Öffnung Japans
3.2 Japans Weg zur Reformära
3.3 Reformära
3.4 Auswirkungen der Reformen

4. Rekonstruktion der Modernisierung Chinas Ende des 20. Jahrhunderts
4.1 Die Öffnung Chinas
4.2 Chinas Weg zur Reformära
4.3 Reformära
4.4 Auswirkungen der Reformen

5. Analogien und Differenzen zwischen der Modernisierung Chinas und Japans

6. Schlussbetrachtung

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die wirtschaftlichen und politischen Aufstiege Japans Ende des 19. Jahrhunderts sowie Chi- nas Ende des 20. Jahrhunderts haben die globalen machtpolitischen Verhältnisse in ihrer Zeit verändert. Um ein grundlegendes Verständnis von den Modernisierungsprozessen in China und Japan zu haben, ist es notwendig die internationalen Verhältnisse sowie die jeweiligen innen- und außenpolitischen Hintergründe zu kennen. Dabei stellt sich zunächst die Frage, wie es zur Öffnung und Modernisierung der beiden Länder kam? Zudem werfen die zeitlich und inhaltlich asynchronen Verläufe der Modernisierungen Japans und Chinas die Frage auf, welche Gründe dafür verantwortlich sind? Darüber hinaus stellen sich die Fragen, welche inneren sowie äußeren Faktoren diese Länder dazu bewogen, ihre Isolationspolitik aufzuge- ben, welche politischen und personellen Akteure dabei eine wichtige Rolle spielten und wel- che unterschiedlichen Interessen sie verfolgten? Wie entwickelten sich die jeweiligen Umbrü- che, die sich in Reformen, innenpolitischen Machtkämpfen und Bürgerkriegen widerspiegel- ten? Auch hierbei stellen sich die Fragen, welche Akteure eine wichtige Rolle spielten und welche unterschiedlichen Interessen verfolgt wurden? Außerdem ist es wichtig zu untersu- chen, auf welchen Ebenen in China und Japan Reformen umgesetzt wurden und welche Aus- wirkungen sie auf die innen- und außenpolitischen Verhältnisse hatten? Abschließend stellt sich die Frage, in welchen Bereichen sich die historischen Hintergründe, Verläufe, Inhalte und Auswirkungen der Reformpolitik Chinas und Japans ähneln und in welchen sie sich von- einander unterscheiden.

Um diese Fragen zu klären, wird die vorliegende Arbeit in einem ersten Schritt den globalen historischen Hintergrund im 19. Jahrhundert darlegen. In einem zweiten Schritt wird Japans Entwicklung zum modernen Industriestaat rekonstruiert. Dabei fällt der Fokus zunächst auf die Öffnung des Landes sowie die internationalen Verhältnisse. Anschließend werden ent- scheidende Ereignisse und Entwicklungen beschrieben, die die Öffnung Japans bewirkten. Auf dieser Grundlage werden konkrete Folgen der Öffnung geschildert, zu denen bürger- kriegsähnliche Machtkämpfe und die anschließende Reformära gehörten. Die Arbeit wird dabei der Frage nachgehen, welche konkreten Reformen in Japan umgesetzt wurden. Im An- schluss daran werden die Auswirkungen der Reformen auf den Staat, die Gesellschaft sowie Wirtschaft in Japan skizziert. In einem dritten Schritt wird in ähnlicher Weise mit Chinas Entwicklung zum modernen Industriestaat verfahren. In einem vierten Schritt werden die Analogien und Differenzen zwischen den Entwicklungen Japans und Chinas aufgezeigt.

2. Historischer Hintergrund im 19. Jahrhundert

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Japan von tiefgreifenden politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und staatlichen Veränderungen geprägt, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahr- hunderts weiterentwickelten. Auch in China kam es in dieser Zeit zu wirtschaftspolitischen Umbrü- chen, allerdings hemmten viele innen- und außenpolitische Probleme weitere Veränderungsprozesse, die schließlich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eintraten. Um die Gründe für die tief- greifenden Veränderungen verstehen zu können, ist es notwendig, sich der globalen Hintergründe bewusst zu werden, die das 19. Jahrhundert bestimmt haben. In England begann unter Einfluss kapita- listischer Mechanismen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Industrialisierung, die zunächst die Textilproduktion revolutionierte und sich später auf andere Wirtschaftsbereiche ausweitete. Die Industrialisierung evozierte neue technische Entwicklungen, wie die Erfindung und Weiterentwick- lung der Dampfmaschine, durch die die Eisenbahn und das Dampfschiff entwickelt werden konnten.1 Mit der Eisenbahn konnten nicht nur Rohstoffe und Güter, sondern auch Menschen in kürzerer Zeit und größerer Zahl transportiert werden. Der Erfolg der Industrialisierung fand bald Nachahmer in anderen europäischen Ländern sowie in den USA.2 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten sich weitere Industriezweige, wie die Chemie- und Elektroindustrie heraus. Weitere technische Erfin- dungen, wie die Glühlampe und die Telegraphie trugen zu dieser Entwicklung bei. Die zunehmende Industrialisierung und das Wirtschaftswachstum erforderten viel Kapital, sodass es zu einer Quantifi- zierung des monetären Dienstleistungsbereichs kam.3

Neben dieser Entwicklung war das 19. Jahrhundert auch durch andere Veränderungen gekennzeichnet, die zum Teil die Industrialisierung förderten bzw. selbst von ihr erzeugt wurden. Das Bevölkerungs- wachstum in Europa und den USA verzeichnete einen exponentiell wachsenden Anstieg, während es hingegen im vorindustriellen Japan eher stagnierte. Zwischen 1700 und 1850 wuchs die japanische Bevölkerung lediglich von rund 25 auf 30 Millionen Einwohner, während sich die Bevölkerung in einigen europäischen Ländern mehr als verdoppelte und in den USA sich die Bevölkerung zwischen 1800 und 1850 mehr als vervierfachte. Obwohl in China im 19. Jahrhundert keine umfassende Indust- rialisierung stattfand, wuchs seine Bevölkerung dennoch langfristig von etwa 277 Millionen im Jahr 1800 auf etwa 426 Millionen im Jahr 1900.4 Das Bevölkerungswachstum in Europa und den USA hängt zum einen mit einer besseren medizinischen Versorgung und Hygiene zusammen, die die Kin- der- und Säuglingssterblichkeit sinken und das Durchschnittsalter ansteigen ließ. Zum anderen hängt das Bevölkerungswachstum mit einer zunehmenden Intensivierung und Extensivierung der Landwirt- schaft zusammen, die eine vergleichsweise gesicherte Ernährung sicherstellte. Vor allem die USA, Kanada und Russland entwickelten sich zu Ländern des Agrarexportes, indem sie große Anbauflächen auf ihren Territorien erschlossen. Die Intensivierung der Landwirtschaft wurde mit Düngemitteln und Maschinen vorangetrieben.5 Insgesamt ist das 19. Jahrhundert vor allem durch technischen Fortschritt, die Kapitalisierung der Weltwirtschaft, ein enormes Bevölkerungswachstum, einhergehend mit ver- besserten Lebensbedingungen, eine Vernetzung der Welt durch eine Revolutionierung des Verkehrs- und Kommunikationswesens und durch eine Verlagerung des Produktionsfaktors Arbeit vom Primären Sektor, hin zum Sekundären und Tertiärem Sektor, dessen Folge die Urbanisierung war, gekennzeich- net.

3. Rekonstruktion der Modernisierung Japans Ende des 19. Jahrhunderts

Von diesen weitreichenden, weltweiten Veränderungen blieb Japan bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein unberührt. Während sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhält- nisse in den USA und in vielen Ländern Europas im Laufe des 19. Jahrhunderts drastisch veränderten und das Wirtschaftsvolumen exponentiell wuchs, stagnierte die Wirtschaft in Japan weitestgehend.6 Ein wesentlicher Grund, warum in Japan derartige moderne Entwicklungen ausblieben, lag in der von Japan seit dem 17. Jahrhundert betriebenen Außenpolitik der wirtschaftlichen und kulturellen Isolati- on.7 Die Auswirkungen der Abschottungspolitik spiegeln sich auch in der volkswirtschaftlichen Ent- wicklung wider. Dass eine umfassende Industrialisierung in Japan ausblieb, zeigt sich deutlich am prozentualen Anteil des Primären Sektors am Volkseinkommen. Im Jahr 1850 arbeiteten 74 % der Japaner in der Landwirtschaft, während dies zur selben Zeit in England nur noch bei 22 % der Fall war.8 Demnach verharrte Japans Wirtschaft in der vorindustriellen Zeit, die auch in Europa weitestge- hend durch eine Stagnation der Bevölkerungszahlen und des Wirtschaftsvolumens gekennzeichnet gewesen war. Ohne technischen Fortschritt konnte die Wirtschaft in Japan nicht derartig stark wach- sen, wie in weiten Teilen Europas und in den USA.

3.1 Die Öffnung Japans

Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts versuchten amerikanische, europäische und russische Händler sowie Missionare mehrfach die japanischen Eliten von einer Abkehr ihrer Isolationspolitik zu über- zeugen und sie zu einer Öffnung für Handel und kulturellem Austausch zu bewegen.9 Im Jahr 1837 etwa scheiterte ein entsprechender Versuch protestantischer Missionare an Bord eines amerikanischen Segelschiffes, nachdem dieses durch Kanonen beschossen worden war.10 Dieses Vorgehen der Japaner leitete sich aus einer Bestimmung der Regierung aus dem Jahr 1825 ab, jedes fremdländische Schiff unter Beschuss zu nehmen. Weitere Versuche des Westens folgten und schlugen ebenfalls fehl.11 Eine Antwort auf die Frage, warum sich Japan öffnete, liegt in der Tatsache, dass sich der internationale Druck auf die ostasiatischen Länder durch die expansionistischen Mächte in Europa und den USA erhöhte. Ein Grund für das Expansionsstreben war die Notwendigkeit neue Handelspartner und Ab- satzmärkte zu finden, um die durch die erhöhte Produktivität geschaffenen Handelswaren, resultierend aus dem technischen Fortschritt im Rahmen der Industrialisierung, absetzen zu können. Weitere Grün- de für das Expansionsstreben waren die Erschließung neuer Rohstoffquellen sowie Machtpolitik.12 Dabei halfen ihnen die technischen Errungenschaften der Industrialisierung. Der handels- und macht- politische Expansionsdrang hatte sich auch im Ersten Opiumkrieg zwischen Großbritannien und dem Kaiserreich China gezeigt, wie im späteren Verlauf der Arbeit deutlich wird. Die wirksame Durchset- zungskraft mittels technischer Überlegenheit, die das Britische Empire zur Wahrung seiner Interessen gezeigt hatte, blieb der japanischen Elite nicht unbekannt und dürfte einen Beitrag dazu geleistet ha- ben, sie zum Überdenken ihrer Außenpolitik zu bewegen.13

Der zunehmende internationale Expansionsdruck manifestierte sich in Bezug auf Japan in dem erfolg- reichen Versuch der Ostindischen Flotte der USA unter dem Oberbefehl von Matthew Calbraith Perry die Öffnung der japanischen Häfen zu erzwingen. Mit einem Schreiben des US-Präsidenten an die japanische Bakufu-Regierung fuhr Perry am 26. Mai 1853 mit vier Kriegsdampfschiffen der US- Kriegsmarine zunächst zum Hafen der Stadt Naha, auf der japanischen Insel Okinawa, und anschlie- ßend am 8. Juli 1853 vor die Bucht von Edo und bestand unter Androhung von Gewalt darauf, dass Japan diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika auf- nehmen solle. Am 14. Juli überreichte Perry den Japanern den Brief des Präsidenten und kündigte an, im kommenden Frühjahr zurückzukehren, um die Entscheidung der Regierung zu erfahren.14

Die Folge war eine innenpolitische Kontroverse innerhalb der japanischen Elite sowie eine Führungs- krise. Nachdem der Shogun Ieyoshi gestorben war, übernahm zunächst der Fürst Abe Masahiro die Führung und forderte die anderen Fürsten des Landes sowie den Kaiser auf, zur weiteren politischen Entwicklung Stellung zu beziehen. Unter den Gegnern der Öffnung war der Altfürst von Mito, To- kugawa Nariaki. Ihre Haltung speiste sich vor allem aus der Befürchtung, dass Japans wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit gefährdet sei und ein Abfluss japanischer Güter drohe, auf die Japans Wirtschaft und Gesellschaft angewiesen seien. Nariaki befürwortete zudem die Intensivierung der Verteidigung an den Küsten, um die Abschottungspolitik aufrechterhalten zu können. Im Dezember 1853 folgte das Regierungsorgan Bakufu den Gegnern einer Öffnung des Landes und ordnete den Aufbau einer Kriegsmarine an. Eine ertragsarme Ernte sowie die sich ausbreitende Sorge vor einem bevorstehenden Krieg führten zu einer Erhöhung der Lebensmittelpreise und schließlich zu innenpoli- tischen Spannungen, die nach Stabilität verlangten. Die Gegner einer Öffnung konnten sich daher zu- nächst durchsetzen.15

Am 13. Februar 1854 kehrte Perry mit acht Kriegsschiffen zur Bucht von Edo zurück. Nachdem das Bakufu Perry zunächst mit einer wagen Antwort auf das Drängen der Amerikaner auf einen Freund- schafts- und Handelsvertrag zu befriedigen versuchte, formulierte Perry die klare Drohung, mit einer riesigen Flotte gegen Japan vorzugehen, falls Japan nicht einwillige. Mit dieser Beharrlichkeit unter- schied sich Perrys Vorgehen von den vielen anderen Versuchen des Westens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, die Öffnung Japans zu bewirken. Japan gab dieser Drohung schließlich nach, sodass es am 31. März 1854 zum Abschluss des Friedens- und Freundschaftsvertrages in Kanagawa zwischen Japan und den USA kam. Der Vertrag sah insbesondere die Öffnung zweier japanischer Häfen, die Einrichtung eines amerikanischen Konsulates sowie die entgeltliche Versorgung amerikanischer Schiffe mit Kohle und Proviant vor.16 Innerhalb der nächsten Monate folgten weitere derartige Verträ- ge mit Großbritannien, Frankreich, Russland und den Niederlanden. Im Jahr 1858 handelte der ameri- kanische Gesandte Townsend Harris im Japanisch-Amerikanischen Vertrag über Freundschaft und Handel die Öffnung weiterer japanischer Häfen, einen Konventionaltarif für den Handel sowie eine Konsulargerichtsbarkeit für amerikanische Bürger auf japanischen Boden aus. Obwohl sich der Kaiser und einige Fürsten, wie Nariaki, gegen die Unterzeichnung aussprachen, gab der Shogun nach und ließ seinen ersten Minister der Bakufu-Regierung, Ii Naosuki, den Vertrag unterzeichnen. In diesen soge- nannten ungleichen Verträgen verlor Japan Teile seiner nationalen Souveränität.17

Die ungleichen Verträge verstärkten die Legitimitäts- und Führungskrise der Tokugawa-Regierung, die bereits vor einigen Jahrzehnten begonnen hatte. Diese Krise setzte sich aus verschiedenen Faktoren zusammen. Zum einen waren die Steuerlasten für die Landbevölkerung angestiegen, während Natur- katastrophen und Missernten zu Hungersnöten, Bauernaufständen sowie zur Inflation und damit zu inneren Spannungen geführt hatten.18 Zudem erschwerten strukturelle Defizite der Tokugawa- Regierung, die Krise wirksam zu bewältigen. Neben einer starken Misswirtschaft, die die Staatschul- den erhöhte, verfügte Japan über kein einheitliches Münzwesen. Jedes Fürstentum unterhielt seine eigene Währung. Zudem wurde ein Großteil der Steuern in Naturalien gezahlt. Politisch und staatsphi- losophisch setzte sich die Staatsideologie durch, dass der Kaiser und nicht der Shogun der oberste Souverän sei. Sozioökonomisch erlebte Japans Gesellschaft ähnliche Veränderungen wie in vielen europäischen Ländern. Es war eine bürgerliche Schicht an Großgrundbesitzern entstanden, die das bestehende Feudalsystem untergruben.19 Reformversuche der Tokugawa, die Herrschaftsgebiete der Fürstentümer neu zu ordnen und die Verwaltung wirksamer zu gestalten, blieben erfolglos.20

3.2 Japans Weg zur Reformära

Die Öffnung Japans steht demnach im Zusammenhang mit dem zunehmenden Expansionsdruck des Westens, der militärischen, technischen, wirtschaftlichen und machtpolitischen Unterlegenheit Japans gegenüber den Westmächten, einem geschwächten Herrschaftssystem in Verbindung mit strukturellen innenpolitischen und wirtschaftlichen Defiziten. Japan war unterlegen und die ungleichen Verträge verdeutlichten dieses Missverhältnis. In der Folge setzte sich in Japan sukzessive die Erkenntnis durch, dass tiefgreifende Reformen in verschiedenen Bereichen notwendig waren, um einen weiteren Souveränitätsverlust und eine drohende Fremdherrschaft zu vermeiden. Es begann die sogenannte Meiji-Zeit, in der es zu einer Reihe von Reformen kam, die die wirtschaftlichen, politischen, gesell- schaftlichen sowie staatlichen Verhältnisse stark veränderten. Diese Umwälzungen führten zwangsläu- fig zu innenpolitischen Spannungen, die sich teilweise in bürgerkriegsähnlichen Zuständen entluden.

Ein Teil der Landesfürsten und Samurai erkannte die Notwendigkeit von Reformen und setzte sich für eine Stärkung der kaiserlichen Macht und für die Entmachtung des Shoguns ein. Im Zuge machtpoliti- scher Auseinandersetzungen traf der Shogun Yoshinobu in Kyoto mit 40 der wichtigsten Fürsten nach einer Beratung die Entscheidung, das Shogunat abzuschaffen und die Regierungsgewalt dem Kaiser zu übertragen, um einen drohenden Bürgerkrieg sowie eine damit zusammenhängende weitere Schwä- chung gegenüber den Westmächten zu vermeiden. Die Familie der Tokugawa erhoffte sich damit auch, ihre wirtschaftliche und politische Macht weitestgehend erhalten zu können. Das Bakufu sollte durch einen Nationalrat, bestehend aus verschiedenen Landesfürsten, ersetzt werden, dessen Führung der Shogun einzunehmen hoffte. Nachdem der 15-jährige Kaiser Mutsuhito den Vorschlag angenom- men und den Shogun Yoshinobu beauftragt hatte, die Amtsgeschäfte kommissarisch weiterzuführen, besetzten die politischen Gegner der Tokugawa am 3. Januar 1868 den Kaiserpalast. Dieser Staats- streich führte zum Ende der Shogunatsherrschaft und restaurierte formal die Kaiserherrschaft, markier- te jedoch auch den Beginn eines Bürgerkrieges.21

Da der Shogun und seine Anhänger ihre Entmachtung nicht zu akzeptieren bereit waren, bereiteten sie die Wiedererlangung der Regierungsgewalt vor. Die Kriegsvoraussetzungen begünstigten den Shogun und seine Anhänger. Sie verfügten über weite Teile der Ländereien, den Großteil der Steuereinnahmen sowie über ein deutlich überlegenes Heer. Der Kaiser besaß weder ein schlagkräftiges Heer noch einen derartigen Anteil an Land und war daher faktisch machtlos. Die Gegner des Shoguns, die vor allem aus dem Südwesten des Landes kamen, bildeten die tatsächlichen Kräfte im anstehenden Bürger- krieg.22 Es kam zu mehreren Schlachten (27. Januar bei Fushimi, 29. Januar bei Toba, 2. Februar bei Osaka), an deren Ende sich die Gegner des Shoguns, trotz numerischer Unterlegenheit, aufgrund einer wirkungsvolleren militärischen Organisation, Führung und Waffentechnik durchsetzten konnten. Der Grund dafür liegt in der Reformierung des Militärwesens, die in diesen Fürstentümern nach der Öff- nung des Landes ab 1854 durchgeführt worden war. Während der Shogun daraufhin kapitulierte, setz- ten einige den Widerstand fort. Auch diese konnten am 4. Juli 1868 militärisch besiegt werden. Nach diesem Sieg der reformorientierten Kräfte wurde Edo zunächst zum Hauptstützpunkt und am 3. Sep- tember schließlich in Tokio umbenannt und damit zur Hauptstadt des Landes. Nachdem der Wider- stand des Fürsten von Aizu am 6. November 1868 gebrochen werden konnte, war der Bürgerkrieg auf der Hauptinsel beendet. Der letzte Widerstand konnte am 27. Juni 1869 auf der Insel Hokkaido been- det werden.23

Die neuen Eliten standen nach dem Bürgerkrieg vor der Herausforderung, die alten Machtstrukturen in der Weise zu verändern, dass sie ihre eigenen Machtpositionen langfristig sichern konnten. Gleichzei- tig standen sie vor der Notwendigkeit, Japans gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen den Strukturen der industrialisierten Gesellschaften des Westens anzugleichen, um sich langfristig wirt- schaftlich und machtpolitisch behaupten und einen zunehmenden Souveränitätsverlust sowie eine dro- hende Fremdherrschaft vermeiden zu können. Eine konkrete Triebkraft bildeten sicherlich auch die mit den Westmächten geschlossenen ungleichen Verträge, deren Revision bald zielstrebig angestrebt wurde. Japans Eliten mussten demnach innenpolitisch wirkungsvolle Reformen in allen volkswirt- schaftlich relevanten Bereichen, wie Wirtschaft, Gesellschaft, Administration, Wissenschaft und Bil- dung umsetzen. Das Ende des Bürgerkrieges und die Gründung des Kaiserreichs markierte lediglich den Beginn der Reformära.24

3.3 Reformära

Eine zeitliche Eingrenzung der Reformära ist nicht eindeutig feststellbar, jedoch wurden wesentliche Reformen zwischen 1870 und 1890 umgesetzt. Das größte Interesse an Reformen und an der Abschaf- fung des in Japan existierenden Feudalsystems hatten die Bauern sowie das Bürgertum. Dass die Bau- ern eine politische Kraft darstellen können, zeigte sich bei den zahlreichen Bauernerhebungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Außerdem hatte sich das Bürgertum sukzessive eine ökonomische Machtposition gesichert, allerdings war es bislang noch nicht in Form politischer Organisationen auf- getreten. Die Triebkraft für die Reformära bildete dennoch nicht die große gesellschaftliche Mehrheit der Bürger und Bauern, sondern die japanische Aristokratie, insbesondere die Samurai.25 Im Gegen- satz zur Französischen Revolution stellt die japanische Reformära der zweiten Hälfte des 19.

[...]


1 Vgl. Schulz, Matthias: Das 19. Jahrhundert (1789-1914). Stuttgart 2011. S .16-17.

2 Vgl. Ebd. S. 16-17.

3 Vgl. Ebd. S. 17-18.

4 Vgl. Ebd. S. 14.

5 Vgl. Schulz, Das 19. Jahrhundert, S. 13-16.

6 Vgl. Ebd. S. 14.

7 Vgl. Pohl, Manfred: Geschichte Japans. München, 5. Aufl. 2014. S. 51-52; Hartmann, Rudolf: Geschichte des modernen Japan. Von Meiji bis Heisei. Berlin 1996. S. 17-20.

8 Vgl. Schulz, Das 19. Jahrhundert, S. 18.

9 Vgl. Hartmann, Geschichte des modernen Japan, S. 21; Zöllner, Reinhard: Geschichte Japans. Von 1800 bis zur Gegenwart. Paderborn [u. a.] 2006. S. 135.

10 Vgl. Zöllner, Geschichte Japans, S. 123-124.

11 Vgl. Hartmann, Geschichte des modernen Japan, S. 21.

12 Vgl. Ebd. S. 21

13 Vgl. Ebd. S. 23.

14 Vgl. Ebd. S. 21; Zöllner, Geschichte Japans, S. 140-141.

15 Vgl. Zöllner, Geschichte Japans, S. 141-142.

16 Vgl. Hartmann, Geschichte des modernen Japan, S. 23; Zöllner, Geschichte Japans, S. 142-143.

17 Vgl. Hartmann, Geschichte des modernen Japan, S. 23-24; Zöllner, Geschichte Japans, S. 145.

18 Vgl. Hartmann, Geschichte des modernen Japan, S. 19-20; Pohl, Geschichte Japans, S. 59.

19 Vgl. Hartmann, Geschichte des modernen Japan, S. 19-20.

20 Vgl. Zöllner, Geschichte Japans, S. 125-126.

21 Vgl. Hartmann, Geschichte des modernen Japan, S. 25-26.

22 Vgl. Hartmann, Geschichte des modernen Japan, S. 26.

23 Vgl. Ebd. S. 27-28.

24 Vgl. Ebd. S. 28-29.

25 Vgl. Ebd. S. 29-30.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Die politische und wirtschaftliche Modernisierung in Asien
Untertitel
Das Kaiserreich Japan zum Ende des 19. und die Volksrepublik China zum Ende des 20. Jahrhunderts. Analogien und Differenzen
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
2,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
30
Katalognummer
V380405
ISBN (eBook)
9783668569713
ISBN (Buch)
9783668569720
Dateigröße
655 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
China, Japan, Öffnung, Reformära, Modernisierung in Asien, Geschichte Chinas, Geschichte Japans
Arbeit zitieren
Christoph Wünnemann (Autor:in), 2017, Die politische und wirtschaftliche Modernisierung in Asien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/380405

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