Jacob und Wilhelm Grimm publizierten im Jahr 1812 die bekannte Märchensammlung genannt Kinder- und Hausmärchen, während der Epoche, die heutzutage die Romantik genannt wird. Die erste niederländische Übersetzung davon ließ einige Jahrzehnte auf sich warten, weil die Märchensammlung im Nachbarland anfangs als unsinnig und pädagogisch unwichtig galt. Außerdem empfand man die blutigen Details in den Originalfassungen als ungeeignet für Kinder; nicht umsonst verwendet man heutzutage im Deutschen und Niederländischen das Wort "grimmig".
Erst 50 Jahre später erkannte man den Mehrwert der Grimmschen Märchen, als J.J.A. Goeverneur die Kinder- und Hausmärchen mit wesentlichen Unterschieden und Änderungen übersetzte. In seiner Fassung von "Schneewittchen" sind deutlich die persönlichen Einflüsse des Übersetzers auf den Text zu sehen. Nicht nur findet eine Verharmlosung statt, wobei grauenhafte Details, die Goeverneur als ungeeignet für Kinder sieht, entschärft oder weggelassen werden, das Kind als Zuhörer wird noch mehr als bei den Brüdern Grimm in den Mittelpunkt gestellt. Einerseits wird dies deutlich in der Moralität und in der Darstellung der Charaktere, anderseits betont Goeverneur in seiner Fassung die religiöse Erziehung der Kinder. Für einen niederländischen Übersetzer im 19. Jahrhundert ist dies nicht verwunderlich: die Niederlande kennen eine calvinistische Glaubenstradition, wovon auch heute noch in der Mentalität und Kultur Elemente und Motive zu sehen sind. Die Hauptfrage, die in dieser Arbeit gestellt wird, lautet: Wie hat Goeverneur das Märchen "Schneewittchen" in didaktischer und pädagogischer Hinsicht geändert und welche Bedeutung haben seine ideologischen Änderungen im Hinblick auf Ethik, Religion und Geschlechterrollen im Allgemeinen?
Die Arbeit gliedert sich in einen Allgemeinüberblick zu Märchen, vor allem hinsichtlich Eigenschaften und Struktur. Es folgt die Phaseneinteilung des Märchens von W. Propp, woraus sich für "Schneewittchen" interessante Schlüsse ziehen lassen. Anschließend wird die Originalfassung von Grimm mit der Fassung von Goeverneur auf Sprach-, Charakter- und Strukturebene verglichen.
Inhaltsverzeichnis
- Einführung
- Zur Herkunft von „Schneewittchen“
- Erzählstruktur des Märchens
- Die Methodologie von Wladimir Propp und deren Bedeutung für die Literaturwissenschaft
- Folgerungen aus Propps Methode
- Vergleich der Fassungen
- Stilistische und sprachliche Unterschiede
- Charaktere
- Tod der bösen Königin
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der didaktischen und pädagogischen Veränderung von Schneewittchen in der niederländischen Übersetzung von J.J.A. Goeverneur im Vergleich zur Originalfassung der Brüder Grimm. Der Fokus liegt auf der Analyse der ideologischen Veränderungen, die Goeverneur in Bezug auf Ethik, Religion und Geschlechterrollen vorgenommen hat. Die Arbeit will herausfinden, welche Bedeutung diese Veränderungen für die Interpretation des Märchens haben.
- Vergleich der didaktischen und pädagogischen Ansätze in beiden Versionen von Schneewittchen.
- Analyse der ideologischen Veränderungen, die Goeverneur in Bezug auf Ethik, Religion und Geschlechterrollen vorgenommen hat.
- Die Rolle von Folklore und Märchen in der Gesellschaft und deren Bedeutung für die kulturelle Bildung.
- Untersuchung der Strukturen von Märchen anhand der Methode von Wladimir Propp.
- Die Bedeutung der Übersetzung für die Interpretation von Literatur.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung liefert einen Überblick über die Bedeutung von Märchen und ihre pädagogische Rolle. Sie stellt die Hauptfrage der Arbeit und die Methode des Vergleichs der beiden Fassungen vor. Kapitel 1 beleuchtet die Herkunft des Märchens „Schneewittchen“ und untersucht verschiedene Versionen und Einflüsse auf die Grimmsche Fassung. Kapitel 2 analysiert die Erzählstruktur von „Schneewittchen“ unter Anwendung der Methodologie von Wladimir Propp. Kapitel 3 setzt sich mit dem Vergleich der Originalfassung der Brüder Grimm und der Übersetzung von Goeverneur auseinander. Es analysiert stilistische und sprachliche Unterschiede, die Charakterdarstellungen und die Darstellung des Todes der bösen Königin.
Schlüsselwörter
Märchen, „Schneewittchen“, Brüder Grimm, J.J.A. Goeverneur, Übersetzung, Didaktik, Pädagogik, Ethik, Religion, Geschlechterrollen, Wladimir Propp, Folklore, Kultur, Literaturwissenschaft, Vergleich, Analyse.
- Arbeit zitieren
- Rachel Raetzer (Autor:in), 2017, Didaktische und pädagogische Änderungen in der niederländischen Übersetzung von "Schneewittchen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/380560