Die Verfahrensrüge

Strafprozessuale Rechtsbehelfe im Rahmen der strafrechtlichen Revision


Hausarbeit, 2004

32 Seiten, Note: vollbefriedigend, 12 Punkte


Leseprobe


Gliederung

A. Standortbestimmung der Verfahrensrüge in der Revision

B. Begriff der Verfahrensrüge

C. Zulässige Erhebung der Verfahrensrüge
I. Allgemeine Verfahrensrüge, § 344 II 2
II. Anforderungen an die Begründung einer Verfahrensrüge
1. Angabe der Tatsachen, 344 II 2
a. Tatsachenvortrag
b. Angabe von Negativtatsachen
aa. Erforderlichkeit des Vortrages von Negativtatsachen
bb. Entbehrlichkeit des Vortrages von Negativtatsachen
cc. Streitentscheidung
2. Bestimmte Behauptung des Verfahrensverstoßes
a. Behauptung des Verfahrensverstoßes
b. Bestimmtheit der Behauptung
III. Beschwer

D. Begründetheit
I. Verfahrensverstoß
1. Vorliegen eines Verfahrensfehlers
2. Heilung des Verfahrensfehlers
3. Verlust des Rügerechtes
a. Zeitablauf
b. Unterlassene Beanstandung
c. Verzicht
d. Verwirkung
II. Beweisführung
1. Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls
a. Begriff der wesentlichen Förmlichkeiten i.S.d. § 273 I
b. Umfang der Beweiskraft des Protokolls
c. Rügeverkümmerung
2. Freibeweisverfahren
III. Beruhen des Urteils auf der Gesetzesverletzung
1. Beruhensvermutung, § 337 I
a. Absolute Revisionsgründe
aa. Grundlagen
bb. Arten von Verfahrensrügen
(I). Vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts, § 338 Nr. 1
(II). Mitwirkung eines ausgeschlossenen/ abgelehnten Richters, § 338 Nr. 2, 3
(IV). Vorschriftswidrige Abwesenheit, § 338 Nr. 5
(V). Vorschriftswidrige Einschränkung der Öffentlichkeit, § 338 Nr. 6
(VI). Fehlen und verspätete Fertigstellung von Urteilsgründen, § 338 Nr. 7
(VII). Unzulässige Beschränkung der Verteidigung, § 338 Nr. 8
bb. Einschränkungen
b. Relative Revisionsgründe
aa. Grundlagen
bb. Arten der Verfahrensrügen
I. Rüge der Verletzung des § 244 II (Aufklärungsrüge)
II. Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts, §§ 244 III – VI
III. Rüge der Verletzung des § 261
IV. Rüge der Verletzung des § 267
V. Sonstige Verfahrensrügen

„Die Verfahrensrüge“

A. Standortbestimmung der Verfahrensrüge in der Revision

Gem. § 333 StPO[1] ist gegen die Urteile der Strafkammern und der Schwurgerichte sowie gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Urteile der Oberlandesgerichte die Revision zulässig. Im Rahmen der Revision überprüft das Gericht, ob das Gericht der Tatsacheninstanz mit dem angegriffene Urteil das Recht verletzt hat, während der zugrundegelegte Sachverhalt als feststehend behandelt wird.[2] Bezüglich des zugrundeliegenden Sachverhaltes kommt nur eine Überprüfung dahingehend in Betracht, ob dessen Feststellung rechtlich einwandfrei zustande gekommen und die Beweiswürdigung rechtsfehlerfrei erfolgte.[3]

Die Revision muss gemäß § 334 I a.E. vom Revisionsführer begründet werden. Die möglichen Revisionsgründe ergeben sich aus § 337 I. Demnach kann eine Revision nur damit begründet werden, dass das angegriffene Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruht. Wann eine solche Gesetzesverletzung gegeben ist, bestimmt § 337 II. Demzufolge ist ein Gesetz verletzt, wenn eine Rechtsnorm entweder gar nicht oder zumindest nicht richtig angewendet worden ist. Gesetz im Sinne des § 337 ist gem. § 7 EGStPO jede Rechtsnorm. Der Begriff der Rechtsnorm ist weit zu verstehen. Er umfasst sowohl formelle und materielle Gesetze des Bundes und der Länder sowie Gewohnheitsrecht, allgemeine Regeln des Völkerrechts und Staatsverträge, sofern sie innerstaatliches Recht geworden sind.[4]

Gem. § 344 II 1 ist zwischen der Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren und einer sonstigen Rechtsnorm zu unterscheiden. Dementsprechend sind auch zwei Arten der Revisionsbegründung durch den Revisionsführer denkbar. Wendet sich der Revisionsführer dagegen, das materielle Recht sei nicht richtig angewendet worden, handelt es sich um eine Sachrüge. Trägt er hingegen als Grund für die von ihm eingelegte Revision vor, das Urteil sei auf prozessordnungswidrige Art und Weise zustande gekommen, handelt es sich um ein Verfahrensrüge.[5]

B. Begriff der Verfahrensrüge

Bei der Verfahrensrüge rügt also der Revisionsführer die Verletzung von Verfahrensrecht. Unter Verfahrensrecht in diesem Sinne sind alle Vorschriften zu verstehen, die festlegen, auf welchem Weg der Richter zu seinem Urteil zu gelangen hat. Dafür ist es unerheblich, wo diese Vorschriften normiert sind. Alle verbleibenden Vorschriften sind dem materiellen Recht zuzuordnen und nur im Wege der Sachrüge überprüfbar.[6]

C. Zulässige Erhebung der Verfahrensrüge

Um vom Revisionsgericht zugelassen zu werden muss die Verfahrensrüge zunächst in zulässiger Weise erhoben werden.

I. Allgemeine Verfahrensrüge, § 344 II 2

Zunächst lässt sich an die Erhebung einer allgemeinen Verfahrensrüge denken. Bei einer allgemeinen Verfahrensrüge handelt es sich um eine generelle Rüge das Verfahren sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, wobei eine genaue Begründung dieser Behauptung nicht vorgebracht wird.[7]

Wäre eine allgemeine Verfahrensrüge zulässig, müsste das Gericht aufgrund der einfachen Behauptung Verfahrensvorschriften seien verletzt worden, sämtliche Akten auf Verfahrensfehler hin überprüfen. Darüber hinaus ergeben sich nicht alle Verfahrensfehler aus den Akten, z.B. eine fehlerhafte Besetzung des Spruchkörpers. Insgesamt würde dies dazu führen, dass das Gericht übergebühr belastet werden würde.[8] Dem trägt § 344 II 2 Rechnung. Dieser Vorschrift lässt sich entnehmen, dass eine Verfahrensrüge erfordert, dass die den Mangel beinhaltenden Tatsachen angegeben werden. Daraus folgt, dass es eine allgemeine Verfahrensrüge, bei der gerade diese Angaben fehlen, nicht geben kann. Vielmehr setzt jede Verfahrensrüge voraus, dass sie hinreichend begründet wird.

II. Anforderungen an die Begründung einer Verfahrensrüge

Die Verfahrensrüge ist ausreichend begründet, wenn die den Mangel enthaltenden Tatsachen im Sinne des § 344 II 2 bestimmt behauptet werden.

1. Angabe der Tatsachen, 344 II 2

a. Tatsachenvortrag

Die Tatsachen, aus denen der Revisionsführer eine Verletzung des Verfahrensrechtes abließt, müssen dem Revisionsgericht in der Revisionsbegründung angegeben werden, § 344 II 2.

Es muss dem Revisionsgericht allein aufgrund der Revisionsschrift möglich sein, zu prüfen, ob das vorgetragene Begehren begründet ist, sofern die Richtigkeit der gemachten Angaben bewiesen werden kann, ob also ein Verfahrensverstoß gegeben ist, wenn sich die behaupteten Tatsachen als richtig herausstellen.[9]

Nur dann ist die Revisionsbegründung in ausreichendem Umfang, also vollständig, dargebracht. Ein Verweis auf Akten oder andere Schriftstücke kann damit allein nie ausreichend sein, um den Erfordernissen der Revisionsbegründung zu entsprechen.

Vielmehr müssen die wesentlichen Inhalte der Akten, der Urteilsgründe sowie anderer Unterlagen in der Revisionsbegründung dargestellt werden, damit das Revisionsgericht allein aufgrund der Revisionsschrift eine Überprüfung der Schlüssigkeit des Revisionsvortrages vornehmen kann.[10] Eine wörtliche Wiedergabe ist jedoch nicht erforderlich, eine sinngemäße Zusammenfassung reicht aus.[11]

Vor allem muss für das Revisionsgericht allein aufgrund der Revisionsschrift erkennbar sein, gegen welche Handlung oder welches Unterlassen des Gerichts der Vorwurf der Rechtsverletzung erhoben wird.[12] Wie der Revisionsführer diese Tatsachen bezeichnet ist dagegen nicht erheblich. Es schadet also nicht, wenn die nach der Ansicht des Revisionsführers verletzten Verfahrensvorschriften falsch bezeichnet sind.[13] Zudem ist eine Begründung, die über die Begründungspflichten hinausgeht, selbst dann unschädlich, wenn sie fehlerhaft ist, § 352 II.

b. Angabe von Negativtatsachen

Fraglich erscheint, ob der Revisionsführer auch Angaben machen muss, die der Rüge gegebenenfalls entgegenstehen. Dies hätte zur Folge, dass der Revisionsführer auch sogenannte gegenläufige oder rügevernichtenden Umstände benennen muss. Ob eine solche Darlegung aus dem Grundsatz, dass die Revisionsbegründung vollständig sein muss, folgt, wird unterschiedlich beantwortet.

aa. Erforderlichkeit des Vortrages von Negativtatsachen

Nach einer Auffassung liegt eine vollständige Revisionsbegründung nur vor, wenn der Revisionsführer auch gegenläufige bzw. Negativtatsachen vorträgt.[14] Das bedeute, dass der Revisionsführer sich nicht auf die Darstellung des Sachverhaltes beschränken dürfe, sondern vielmehr auch darlegen müsse, welche Prozesshandlungen nicht vorgenommen worden sind. Darüber hinaus müsse er auch zum Nichteingreifen von möglichen Ausnahmeregelungen eine Stellungnahme abgeben.[15] Dies folge zwingend aus dem Erfordernis, dass die Revisionsbegründung vollständig sein muss.[16]

Voraussetzung für dieses Erfordernis sei jedoch jedenfalls, dass eine, dem geltend gemachten Verfahrensfehler entgegenstehende Verfahrenslage, nach der konkreten Fallgestaltung ernsthaft in Betracht kommt.[17]

bb. Entbehrlichkeit des Vortrages von Negativtatsachen

Einer anderen Auffassung zufolge kann es nicht vom Revisionsführer verlangt werden, dass er auch die Negativtatsachen vorträgt.[18] Das Erfordernis auch Negativtatsachen vorzutragen lasse sich jedenfalls nicht aus dem § 344 II 2 entnehmen, der lediglich eine Klarstellung hinsichtlich des Umfangs in dem das Urteil angefochten werden soll verlange. Insbesondere sei ein Vortrag von Ausnahmeregelungen nicht in vollem Umfang möglich.[19]

Der Sinn und Zweck des § 344 II 2 liege darin, eine klare Begrenzung des Umfangs der Revision zu erreichen, damit das Gericht nicht generell nach möglichen Fehlern suchen müsse. Diesem Zweck werde jedoch schon dadurch entsprochen, dass der Revisionsführer eindeutig vorträgt, worin er die Gesetzesverletzung sieht, die er gerichtlich nachprüfen lassen möchte.[20]

Die Ansichten gelangen zu unterschiedlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung einer Verfahrensrüge, weshalb eine Streitentscheidung notwendig ist.

cc. Streitentscheidung

Gegen das Argument der Ansicht, die einen Vortrag von Negativtatsachen fordert, dass eine Belastung der Gerichte gering gehalten werden muss, greift nicht. Die Pflicht zum Vortrag von Negativtatsachen kann jedenfalls nicht allein auf den damit für den Richter verbundenen Mehraufwand gestützt werden.[21]

Zudem ist die Frage ob die Revisionsbegründung im Ergebnis durchgreift kein Problem der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der Rüge. Es ist also nicht ersichtlich, weshalb eine Rüge ohne Vortrag der Negativtatsachen schon unzulässig sein soll. Es handelt sich dabei um eine Aufgabe des Revisionsgegners, die der Revisionsführer nicht übernehmen muss.[22] Zudem ist nicht ersichtlich, wie weit dieses Erfordernis reichen soll. Grundsätzlich sind eine unüberschaubare Vielzahl von Möglichkeiten denkbar, die das Eingreifen von Ausnahmen begründen könnten. Es ist praktisch schon nicht möglich diese alle lückenlos anzuführen.[23]

Dem jedoch entgegenzuhalten, dass eine Prüfung von negativen Tatsachen durch den Verteidiger ohnehin erfolgen muss, um die Erfolgsaussichten des Verfahrens beurteilen zu können. Es entsteht somit für den Revisionsführer durch dieses Erfordernis kein Mehraufwand. Es kann vielmehr sichergestellt werden, dass die Erfolgsaussichten von vorneherein umfassend bewertet und verdeutlicht werden, und das Gericht demnach nicht mit aussichtslosen Anträgen unnötig belastet wird.

[...]


[1] Alle folgenden Paragraphen sind, sofern nicht genauer bezeichnet, solche der StPO.

[2] HK (Temming), § 337 Rn. 1; KK (Kuckein), Vor § 333 Rn. 1; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 53 Rn. 1.

[3] HK (Temming), § 337 Rn. 1; Meyer-Goßner, Vor § 333 Rn. 2.

[4] Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 563; Fezer, Strafprozessrecht, Nr. 20 Rn. 4; HK (Temming), § 337 Rn. 4.

[5] Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 564.

[6] BGHSt 19, 273, 275; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 564; Fezer, Strafprozessrecht, Nr. 20 Rn. 14; Meyer-Goßner, Strafprozessrecht, § 337 Rn. 8.

[7] Fezer, Strafprozessrecht, Nr. 20 Rn. 15.

[8] Fezer, Strafprozessrecht, Nr. 20 Rn. 15; HK-StPO (Temming), § 344 Rn. 8; Meyer-Goßner, § 344, Rn. 20; Ranft, Strafprozessrecht, Rn. 2126; Volk, Strafprozessrecht, § 36 Rn. 23.

[9] BGHSt 3, 213, 214; 21, 334, 340; Fezer, Strafprozessrecht, Nr. 20 Rn. 16; Meyer-Goßner, § 344 Rn. 21, 24; Sander, NStZ-RR 2004, 1, 2.

[10] BGH StV 1995, 176; KMR (Paulus), § 344 Rn. 10; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1068; Meyer-Goßner, § 344 Rn. 21; Ranft, Strafprozessrecht, Rn. 2126; Sander, NStZ-RR 2004, 1, 2.

[11] Sander, NStZ-RR 2004, 1, 2.

[12] BGHSt 2, 168; Fezer, Strafprozessrecht, Nr. 20 Rn. 16.

[13] BGHSt 19, 273, 276; Fezer, Strafprozessrecht, Nr. 20 Rn. 16;.

[14] BGHSt 40, 218, 240; Sander, NStZ-RR 2004, 1, 2; BGH, NStZ-RR 2003, 71, 72; Schäfer, Strafverfahren, Rn. 1765.

[15] BGH NStZ 2000, 49, 50; BGH StV 1996, 530, 531.

[16] KK (Kuckein), § 344 Rn. 38.

[17] BGH NStZ 2000, 49, 50; Meyer-Goßner, § 344 Rn. 24; Sander, NStZ-RR 2004, 1, 2.

[18] Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1070.

[19] Dahs, Aspeckte, S. 217, 227; Eisenberg/Kopatsch, NStZ 1997, 297, 299; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1070; Kutzer, StraFo 2000, 325, 326; Weiler, Substantiierungserfordernisse, S. 571, 585.

[20] Kutzer, StraFo 2000, 325, 327.

[21] Kutzer, StraFo 2000, 325, 327.

[22] Eisenberg/Kopatsch, NStZ 1997, 297, 299; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1070.

[23] Eisenberg/Kopatsch, NStZ 1997, 297, 299; Kutzer, StraFo 2000, 325, 327; Weiler, Substantiierungserfordernisse, S. 571, 593.

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Die Verfahrensrüge
Untertitel
Strafprozessuale Rechtsbehelfe im Rahmen der strafrechtlichen Revision
Hochschule
Universität Osnabrück
Veranstaltung
Strafprozessuale Rechtsbehelfe
Note
vollbefriedigend, 12 Punkte
Autor
Jahr
2004
Seiten
32
Katalognummer
V38089
ISBN (eBook)
9783638372671
ISBN (Buch)
9783638654296
Dateigröße
470 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verfahrensrüge, Strafprozessuale, Rechtsbehelfe
Arbeit zitieren
Jasmin Fischer (Autor:in), 2004, Die Verfahrensrüge, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38089

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