Dieser Beitrag setzt sich mit der Identitätsthematik in dem Buch "Wir neuen Deutschen. wer wir sind. was wir wollen" von drei deutschen Autorinnen mit Migrationshintergrund nämlich Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu auseinander. Es wird dargestellt, wie sich die Autorinnen mit der Frage ihrer Identität in dem heutigen veränderten Deutschland beschäftigen, die zum großen Teil mit ihrer Integration zu tun hat und ob sie die Antworten auf die Fragen ‚Wer wir sind‘ und ‚was wir wollen‘ finden. Hier wird auch erzielt, die im Buch dargestellte Identitätsthematik anhand einiger sozialwissenschaftlichen Ansätze zu analysieren.
Die Identität der ‚neuen Deutschen‘ im ‚neuen‘ Deutschland: Auseinandersetzung mit der Identitätsthematik der Eingewanderten in „ Wir neuen Deutschen. Wer wir sind, was wir wollen “von Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu[1]
Die modernen Gesellschaften sind durch die Globalisierung und Pluralisierung geprägt und vorwiegend durch Migration, moderne Kommunikationstechnologie und Internetverwendung ausgezeichnet. Das hat dazu geführt, dass die Individuen vor diversen gesellschaftlichen Optionen stehen, indem ihnen auch die Freiräume erweitert worden sind.[2] Solche Individuen stehen vor der Aufgabe, eigene Identität aus den verschiedenen Möglichkeiten selbst zu bilden. Das hat den Sinn der Identität auch erheblich beeinflußt und so hat der Identitätsbegriff einen Schwung erlebt. Als Folge dessen sind neue Konzeptionen wie Facebook Identität oder neue Dimensionen des Identitätsbegriffs wie, Patchwork Identität, Multiple Identitäten, hybride Identitäten, Shifting Identities, usw. zustande gekommen.
Im Gegensatz zu diesen neuen modernen Identitäten waren die alten Identitäten stabil und zum großen Teil unveränderlich. Mit der alten Identität wurde das Individuum in der Gesellschaft fest verankert. In der traditionellen Gesellschaft wurde die Identität eines Individuums vorwiegend nur auf Grund der Klasse, Rasse, Religion, Nationalität schon bei der Geburt festgelegt. Aber so ist es nicht im Fall der modernen Identitäten. Wenn von der modernen oder postmodernen Identität die Rede ist, spricht man eher von ‚ Identitäten, also Plural. So sind die modernen Identitäten nicht stabil sondern ehe frgamentiert, nicht festgelegt und unveränderlich sondern stets verändernd und von den Individuen je nach ihren Lebenslagen selbst gebastelt oder konstruiert. In so fern scheint die Identitätsvorstellung von dem Kanad ischen Sozialphilosoph Charles Taylor relevant. Er meint,
“ Identität ist nicht, was uns von Natur gegeben wäre, oder zugesto β en ist, sondern was wir in
Auseinandersetzung mit anderen Individuuen und in Reflexion auf uns selbst gemacht haben und weiter
machen.”[3]
Nach Stuart Hall, (1934-2014) dem britischen Kulturtheoretikern und Soziologen :
“ Die völlig vereinheitlichte, vervollkommene, sicherte und kohärente Identität ist eine Illusion” [4]
In der Postmoderne scheint die Identitätsfindung selbst als etwas Unmögliches zu sein. Wenn heute überhaupt von Identität gesprochen wird, ist von Pathchwork Identitäten oder fragmentierten Identitäten die Rede.[5]
Nach Frey und Hauβer ist die moderne Gesellschaft dadurch gekennzeichnet worden, dass man auf die klassische Frage “ Wer bist du?” nicht mehr die Antwort gibt,
“Ich bin der Sohn meines Vaters” sondern “ Ich bin ich, ich verdanke alles mir selbst und schaffe mich durch
eigene Wahl und Tat.” [6]
In normalen Bedingungen würde das Individuum nicht unbedingt auf die Suche nach seiner Identität greifen. Nach Jörg Zirfas beschäftigt sich der Mensch mit seiner Identität besonders in Krisenzeiten oder Brüchen. Er betrachtet Identität als ein Krisensymptom.[7] Da die moderne Zeit durch Pluralität, Risikogesellschaft, Individualisierung, Virtualisierung, Unübersichtlichkeit und Enttraditionalisierung gekennzeichnet wird, wird die Frage der Identität in der Moderne augenfällig. Die moderne Identität wird nicht als etwas Selbstverständliches verstanden, etwas, was einem vorgegeben wird, sondern Identität in der Moderne ist etwas, was man selbst erarbeiten muss.[8] Zirfas meint:
„ Identität in der Moderne ist kein Geschenk sondern eine Aufgabe. Und die andauernde Debatte im Alltag
und in den Wissenschaften zeigt, dass diese Aufgabe nicht leicht zu bewältigen ist, denn Identität muss
immer noch aufgebaut, festgestellt, bewahrt, aufrechterhalten oder verteidigt werden.“[9]
In sofern lassen sich die Identitätsfragen nach Zirfas als Symptome für kulturelle Umbruchsituation verstehen.[10] Als so eine kulturelle Umbruchsituation lässt sich die Situation der Migrationserfahrung bezeichnen. Migration gilt als ein kennzeichnendes Phänomen der modernen Gesellschaft, bei der sich der Mensch durch die geographische Verortung an einem fremden Ort unter fremden Menschen befindet und wird mit der kulturellen, sozialen, nationalen und religösen Identitäten dieser Menschen konfrontiert. In diesem Prozess beschäftigen sich die Akteure bzw. die Migrierten viel intensiver mit der eigenen Identitätsthematik. Nach Zirfas stellen sie sich den vorgelegten Identitätsfragen nämlich,
„ Wer bin ich in meinen Augen oder in den Augen der anderer? Bin ich heute noch derjenige, der ich früher
war? Oder habe ich mein eigentliches Selbst überhaupt noch nicht gefunden?“ [11]
So eine kulturelle Umbruchssituation thematisiert das Buch „ Wir neuen Deutschen. Wer wir sind, was wir wollen “ von drei deutschen Autorinnen mit Migrationshintergrund nämlich Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu, die jeweils ursprünglich aus Polen, Vietnam und aus der Türkei stammen. Pham und Topçu sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Als Bota acht Jahre alt war, zog sie mit ihren Eltern aus Polen nach Deutschland.
In diesem Buch gehen die drei Autorinnen auf die Suche nach ihrer Identität als ‚neue Deutsche‘ ein und versuchen herauszufinden, in wie fern ihre Identität mit ihrer Integration mit den Deutschstämmigen in dem heutigen veränderten Deutschland verbunden ist. Selbst die Titel einiger Kapitel oder einiger Essays in dem Buch beispielweise ‚ Meine Heimat, keine Heimat ‘, ‚ Nicht Ausländer, nicht Deutsche ‘ oder ‚ Wo kommst du wirlich her ?‘ deuten darauf hin, dass die Migranten in Deutschland oder die Deutschen mit Migrationshintergrund trotz ihrer dauerhaften Niederlassung in Deutschland oder trotz eines deutschen Passes oder extrem guter Deutschkenntnisse immer noch nicht ganz reibungslos als ‚deutsche‘ aufgenommen werden. Daher setzen sich diese Migranten oder Deutschen mit Migrationshintergrund mit Fragen wie ‚ Wer wir sind ?“ und ‚ Was wir wollen ?‘ auseinander, wie sie auch hier in dem Titel des Buches erscheinen.
Dieser Beitrag bezweckt zu schildern, wie die drei Autorinnen dieses Buches sich mit der Frage ihrer Identität in dem heutigen veränderten Deutschland beschäftigen, die zum großen Teil mit ihrer Integration zu tun hat und ob sie die Antworten auf die Fragen ‚ Wer wir sind ‘ und ‚ was wir wollen ‘ finden. Hier wird auch erzielt, die im Buch dargestellte Identitätsthematik anhand einiger sozialwissenschaftlichen Ansätze zu analysieren. Dabei werden die Ansätze von Hans Peter Frey und Karl Haußer (Innen- und Außenperspektiven der Identität), Stuart Hall (Fragmentierte Identität), Heiner Keupp (Patchworkidentität) und von Lothar Krappmann (Balancierende Identität) berüchsichtigt.
Bevor man intensiv auf die Identitätsthematik der nicht deutschstämmigen Einwanderer eingeht, lässt sich der Begriff ‚neues‘ Deutschland, wie es in dem Titel dieses Beitrags erscheint, kurz erklären. Mit ‚neuem‘ Deutschland ist das gegenwärtige Deutschland gemeint, das sich durch die massive Migration erheblich verändert hat. Hier an dieser Stelle lohnt sich ein kurzer Überblick, wie Deutschland in den letzten Jahrzehnten allmählich zu einem beliebten Einwanderungsland geworden ist.
Besonders seit den 1990er Jahren, d.h. nach der Wiedervereinigung zeigt sich Deutschland ein neues Gesicht und hat sich dermaßen verändert, dass man heute in Deutschland viele Einheimische sagen hört,
„ Ich erkenne mein Land nicht wieder oder fühle mich in meinem eigenen Land fremd,”.[12]
So beschreibt Zafer Şenocak, ein deutsch-türkischer Autor in seinem Werk ‚Deutschsein‘.
Dieser raschen Veränderung liegen der demographische Wandel Deutschlands und die massive Einwanderung ausländischer Migranten in Deutschland zu Grunde. Eine der großen und bedeutenden Einwanderungswellen nach der Bundesrepublik verursachten die Gastarbeiter, die nach dem zweiten Weltkrieg aus dem Grund der mangelnden Arbeitskräfte aus Ländern wie Italien, Spanien, Jugoslawien, und später aus der Türkei und Portugal nach Deutschland geholt wurden.[13] Die türkischen Gastarbeiter bildeten eine entscheidende Minderheit in Deutschland. Das war der erste bedeutende Schritt in dem Verlauf Deutschlands, ein Einwanderungsland zu werden.
“Für Deutschland war es der Startschuss auf dem Weg in ein Einwanderungsland.“[14]
Ursprünglich war so gedacht, dass die Gastarbeiter eventuell Deutschland verlassen und in die eigene Heimat zurückkehren. Aber im Laufe der Zeit wollten immer mehr und mehr Gastarbeiter sich in Deutschland ansäßig machen. Nicht nur die Arbeit, sondern auch die besseren Lebensbedingungen in Deutschland, die Gewöhnung an das Leben in Deutschland, bessere Bildungschancen lockten sie an. Das resultierte in einem beträchtlichen Stieg in der Zahl der Einwanderer.[15]
An die Tatsache, dass die erheblich gestiegene Zahl der sich in der Bundesrepublik ansässig gemachten Gastarbeiter eventuell zur Integrationsprobleme führen könnte, hat man damals gar nicht gedacht.[16] Darauf wird auch in dem hier behandelten Buch hingedeutet. Die drei Autorinnen schreiben, :
„ Als unsere Eltern nach Deutschland kamen, gab es Ausländer, aber keine Diskussion über Integration. Es
war nicht einmal klar, was das sein sollte. Auch die Deutschen konnten sich nicht vorstellen, dass diese
fremden Menschen hier bleiben und ihr Land prägen würden.“ [17]
Bei diesen Gastarbeitern, die für eine relativ lange Zeit in Deutschland lebten, ist im Laufe der Zeit ein enges Verhältnis, eine emotionale Beziehung zu dem Land zustande gekommen. Dies findet Resonanz in dem berühmten Satz von Max Frisch “Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen.”[18]
Die Begründung dessen, warum die Migranten bzw. Türken in Deutschland geblieben sind, legt Zafer Şenocak so vor,
“ Sie bleiben nicht, weil sie Deutsche werden wollten oder an einen sozialen Aufstieg in Deutschland
dachten. Sie blieben auch, weil sich Deutschland in ihrem Lebensumfeld leicht in eine Kopie der fernen
Heimat verwandeln ließ, ein Straßenzug hier, ein Hinterhof dort. Die Gegend, in der sich Ausländer
angesiedelt hatten, wurde nach und nach von Deutschen verlassen. Es blieben jene Menschen zurück, die es
sich nicht leisten konnten wegzuziehen. An manchen Orten verwandelte sich Fremdheit in Heimat, doch diese
Heimat der Anderen war und blieb den Deutschen fremd.”[19]
Zafer Şenocak äuβert sich, dass in den 90er Jahren als Folge der Einwanderung in Deutschland ein ‚inneres Ausland‘ entstanden sei.[20] Damit begannen die Integrationsdebatten zwischen den Einheimischen und den Migranten bzw. Türken. Stefan Amling zitiert Şenocak.
“ Da man an das Selbstverständnis der deutschen Identität nicht rühren wollte, die Ausländer aber keine
Anstalten machten, Deutschland nach ein paar Jahren wieder zu verlassen,... klammerte man sich an den
Begriff der Integration” [21]
Besonders in den 90er Jahren plädierte man in Deutschland für den Multikulturalismus, der aber nicht lange Zeit galt. Das harmonische Nebeneinander diverser Kulturen in Deutschland erlaubte die deutsche Leitkultur nicht. Folglich scheiterte der Multikulti. Das brachte der bayerischer Ministerpräsident Horst Seehofer deutlich zum Wort. Er sagte
„ Wir als Union treten für die deutsche Leitkultur und gegen Multikulti ein – Multikulti ist tot.”[22]
Neben den Gastarbeitern und den Einwanderern bildet die Flüchtlingswelle, die seit Herbst 2015 in Deutschland zog, eine weitere Migrationswelle in Deutschland. Diese erschwert die ganze Integrationsdebatte nicht nur auf der politischen und wirtschaftlichen aber auch auf der sozialen, kulturellen und religösen Ebene. In so fern ist Deutschland für die europäischen und nicht-europäischen Migranten ein beliebtes Zuwanderungsland geworden.[23]
Wie sieht das ‚neue‘ Deutschland aus? Die religöse, sprachliche und kulturelle Vielfalt wird kennzeichnend für die heutige deutsche Gesellschaft.
“Dass Menschen gleichzeitig mit und in verschiedenen Kulturen, Loyalitäten, Identitäten und Sprachen
leben können, scheint in Deutschland immer noch Staunen hervorzurufen. “[24]
So beschreibt der deutsch-iranischer Autor Navid Kermani das aktuelle Bild Deutschlands in seinem Buch ‚ Wer ist wir? Deutschland und seine Muslime ‘.
Deutschland heute besteht nicht mehr nur aus ethnischen Deutschen, die hellhäutig, blauäugig und blond sind und typisch deutsche Namen haben. Es sind auch Deutsche, die eine andere Haut- und Haarfarbe und keine typisch deutsche Namen haben sondern Namen, die u.a. einen türkischen, polnischen oder russischen Ursprung haben. Es sind auch Deutsche, die keine Deutschmuttersprachler sind. Es sind Deutsche, die wahrscheinlich nur in ihrem beruflichen und sozialen Umfeld Deutsch sprechen, aber in ihrem Familienkreis lieber auf ihre Muttersprache kommunizieren. Es sind auch Deutsche, die keine fanatischen Reisende sind und keine großen Bewunderer der Autos und Liebhaber der Hunde sind. Es sind auch Deutsche, die nicht nur Weihnachten und Fasching feiern sondern auch muslimische Feste, da sie dem Islam folgen und Muslime sind. Es sind auch weibliche Deutsche, die einen Kopftuch tragen. In sofern hat sich Deutschland enorm verändert und ein neues Gesicht bekommen.
Ali Sirin, Sozialwissenschaftler, beschreibt die aktuelle Lage Deutschlands, in dem er sagt,
“ Ein Land, das pluralistischer geworden ist, erschrickt vor der neuen, ihr nicht angenehmen, sich
veränderten Realität.” [25]
Wie sich die Migranten oder Deutsche mit Migrationshintergrund sich in diesem veränderten Deutschland fühlen, wie sie sich den Problemen ihrer Identität und Integration stellen, wird mittels des Buches von Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu zur Schau gestellt.
In dem Kapitel ‚ Wer wir sind ‘ drücken sich die Autorinnen ihre Identitätsfrage aus. Khuê Pham, die deutsche Autorin, eine in Deutschland geborene Tochter der Vietnamesischen Eltern erzählt, wie die Leute es nicht gleich akzeptieren, wenn sie auf die Frage nach ihrer Herkunft einfach so antwortet, „Aus Berlin.“[26] Auf Grund ihres asiatischen Aussehens scheint diese Antwort ihnen nicht zufriedenstellend zu sein. Ihre Irritation in diesem Zusammenhang drückt sie aus, als sie von dem Fahrradkurier erzählt, der ihr auf der Straße begegnet und mit einem Small talk beginnt. Mit der Antwort „ aus Berlin “ auf seine Frage nach ihrer Herkunft scheint er nicht einverstanden zu sein und sagt,
“Nein, nein, wo kommst du wirklich her? [...] Du weißt schon was ich meine, wo sind deine Wurzeln? “[27]
Als Pham wiederholt betonte, dass sie in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und daher eine Deutsche ist, reagiert er darauf so,
“Na, dann hast du ein Problem mit deiner Identität, deswegen willst du nicht darüber reden.“ [28]
Pham meint, dass sie oft mit solchen Fragen konfrontiert wird. Sie ist eine gebürtige Deutsche, die in Deutschland groß geworden ist, in Deutschland studiert hat, gut Deutsch und schlecht Vietnamesisch spricht, obwohl es ihre Muttersprache ist, wird sie nicht als eine ‚normale‘ Deutsche angesehen. Sie beweist ihr Deutschsein, in dem sie sagt,
„ Im Wohnzimmer stand ein Klavier, auf dem ich täglich üben sollte. Ich spielte auch Cello und lernte
Ballett, außerdem war ich Schwimmerin, Klassensprecherin und Nachhilfelehrerin. Schon als Schülerin
hatte ich einen Terminkalender und Stress.“ [29]
Sie identifiziert sich selbst als eine Deutsche, die eigentlich wie andere deutsche Bürger in Deutschland lebt. Sie will, dass sie von den anderen Deutschen auch so anerkannt wird, aber so ist nicht der Fall. In den Augen der anderen Deutschen ist sie zwar nicht eine ‚Fremde‘ wie ihre Eltern, aber eine ‚Einheimische‘ ist sie auch nicht. Sie ist eine seltsame Kombination von beides. Das ist eigentlich das Bindeglied zwischen den drei Autorinnen dieses Buches. Sie sind Deutsche mit Migrationshintergrund. Daher setzen sie sich mit der Frage ihrer Identität auseinander. Sie sagen,
„ Die Deutschen fühlen mit ihrem Herzen, dass sie von hierher kommen und hierhergehören. Wir wissen es
nur mit unserem Verstand.[...] Wir sind zwar anders als unsere Eltern.[...] Sie sind die Ausländer, nicht
wir. Aber Deutsche sind wir deshalb noch lange nicht. Was sind wir eigentlich, was wollen wir sein? „[30]
Auf der Suche nach der Identität merken die Autorinnen, dass sie einerseits doch so sind wie ihre deutschen Freunde und Kollegen und haben sich dem Lebensstil der deutschen völlig angepasst. Jedoch sind sie anders und bleiben immer anders, weil sie sich von ihrer Herkunft nicht völlig loslösen können.
„ Es ist wie mit dem Haarfärben : Du blondierst dich ständig aber die Ansätze wollen nicht einfach blond
bleiben. Das schwarze Haar wächst immer wieder nach. Wir waren anders als die deutschen Kinder und
wurden auch zu anderen Erwachsenen . Irgendwann kam der Punkt, an dem wir merkten, dass wir das
nachwachsende schwarze Haar einfach nicht loswerden würden. Und irgendwann fanden wir es auch ganz
schön.“[31]
Die Identität der Autorinnen ist eine multiple, faccentenreiche, die ihnen mehrere Möglichkeiten anbietet als sonst jemanden. Wenn sie einen Namen dafür suchen, stoßen sie auf die Bezeichnung ‚neue Deutsche‘.
„ Wir, Kinder von Ausländern, groß geworden in einem republikanischen Leben, herumgekommen in einem
geeinten Europa nach 1989, suchen Worte für ein Selbstverständnis, das nicht ganz einfach zu finden ist.
Uns fällt die Bezeichnung ’neue Deutsche‘ ein. “[32]
Diese Bezeichnung kommt einerseits aus Wut andererseits aus Stolz.[33]
Die Abgrenzung dieser Deutschen von den ethnischen Deutschen resultiert in der Wut. Sie fühlen sich dem deutschen ‚Wir‘ nicht geborgen, sondern aus dem deutschen ‚ Wir ‘ ausgegrenzt. Navid Kermani erläutert in seinem Werk ‚ Wer ist wir? Deutschland und seine Muslime ‘ das Konzept von dem deutschen ‚Wir‘ , zu dem sich die muslimischen Deutschen nicht geborgen fühlen. Er meint,
“wenn man in Westeuropa ein Wir schaffen möchte, reicht das Christentum als Identitätskitt nicht aus.” [34]
In der neuen Bezeichnung ‘neue Deutsche’ spüren die Autorinnen auch Stolz, denn sie damit eine neue Identität gewinnen. Sie finden diese Identität viel besser als die Bezeichnung ‚Deutsche mit Migrationshintergrund. Mit dieser Bezeichnung wollen sie ihre Identität einbringen und auf sie betonen.[35]
Alice Bota, die in Polen geborene und mit acht Jahren nach Deutschland gezogenen Autorin dieses Buches bringt die Dimension ihrer multiplen Identitäten in dem Kapitel ‚ Ein Polenkind wird Deutsch ‘ zum Wort. Sie beschreibt, wie das Polnische in ihr langsam nach dem Umzug in Deutschland verschwommen wurde und das Deutsche immer mehr und mehr bemerkbarer. Obwohl ihre Eltern zu Hause mit ihr auf Polnisch sprechen wollten, bevorzugte sie damals mit ihnen nur auf Deutsch zu kommunizieren. Sie schreibt,
„ Wir haben uns selbst verleugnet, wir haben versucht, eindeutig zu sein, deutsch zu sein, denn die
Alternative wäre gewesen, ewig der Pole, ewig der Fremde zu bleiben. Wir haben das getan, was viele
Politiker fordern: Wir haben uns angepasst.“ [36]
Es zeigt sich, dass diese Anpassung aus einem gewissen Zwang oder Druck kommt, die eigene (polnische) Identität aufzugeben und die deutsche anzunehmen. Als Alice für einige Zeit nach Polen fährt, um dort zu studieren, merkt sie, dass bei ihr ein Kampf der Identitäten beginnt. Ihr fällt auf, wie sie den polnischen Teil ihrer Identität bisher vergraben hat und dass sie sich ohne diesen Teil unvollständig fühlt. Die selbe Alice, die sich früher in Deutschland weigerte, mit ihren Eltern auf Polnisch zu kommunizieren, bittet jetzt ihre Eltern auf Polnisch zu sprechen, aber vergeblich.
„ Doch es klappte nicht. Sie konnten es nicht mehr. Untereinander sprachen sie noch immer gelegentlich
Polnisch. Aber ich war ihr Deutschkind geworden. „[37]
Sie fühlt sich sowohl polnisch als auch Deutsch. Obwohl sie in der Anfangsphase in Deutschland ihre polnische Identität irgendwie vergraben hatte, fühlt sie sich jetzt ohne diesen Teil der Identität unvollständig. Dass das Polnische auch gewiss ein Teil ihrer Identität ist und immer bleibt, wird ihr während ihres Studienaufenthalts in Polen bewusst. Dieser Kampf um multiple Identitäten scheint bei ihr gewollt zu sein.
„ Ich will beide Anteile in meinem Leben haben, das Deutsche und das Polnische. So kann ich mich
vollständig fühlen.“ [38]
Auch Khuê Pham wird von dem Zwiespalt der Identitäten besonders bewusst, wenn sie die Famile und Verwandte in Vietnam besucht. Da fühlt sie sich als eine Fremde, da sie mit den Familienmitgliedern und Verwandten kaum was Gemeinsames hat. Aber gerade zu dieser Zeit kommt ihr die andere Dimension ihrer Identität vor, die sich in Deutschland nicht so bermerkbar macht. So ergeben sich bei ihr zwei Ichs. Besonders wenn sie Vietnam verlässt und wieder in Deutschland landet, merkt sie, dass ein zweites ‚Ich‘ in ihr geweckt worden ist und dass dieses Ich sich von dem in Vietnam agierneden Ich unterscheidet.
„ Du spürst eine Wehmut, als das Flugzeug abhebt und Vietnam verlässt und sich ein Teil von dir
verabschiedet bis zum nächsten Mal. Du hast viele Stunden Zeit, um nachzudenken, was du von dieser Reise
mitnimmst. Warum du dich von dir selbst entfremdet fühlst, weil du dich deiner Familie gegenüber fremd
fühlst. Ob du eine andere wirst, wenn du in das andere Land reist. Was das bedeutet, mehr als eine Person
zu sein.“[39]
Auch der Vater von Alice Bota, der aus Polen nach Deutschland auf der Suche nach der Arbeit gezogen ist, ist Zeuge seiner hybriden Identität. Wenn Alice ihn fragt,
„ Papa, bist du Deutscher?“
lautet seine Antwort
„ Ja, na ja, zu 70 Prozent. “
Und ihre Mutter antwortet so,
„ Ich bin 50:50.“
Alice meint,
„ An schlechteren Tagen sagt sie, sie sei weder das eine noch das andere, das sei nun mal so.“[40]
Özlem Topçu, die deutsche Tochter der türkischen Eltern kommt ihren multiplen Identitäten entgegen, indem sie ihre Staatsbürgerschaft wechselt. Sie gibt ihren türkischen Pass ab und beantragt die deutsche Staatsbürgerschaft, da ihr der türkische Pass als eine Oftreisende immer wieder Schwierigkeiten bereitet. Als Besitzerin eines deutschen Passes kann sie diese Schwierigkeiten ein für alle mal loswerden. Aber der Besizt des deutschen Passes bereitet ihr keine große Freude. Sie merkt, was für einen Wert ein Pass hat.
„ Mir wurde klar, dass ein Pass mehr war, als ein Papier. Dass er etwas mit mir machte. Ich wußte nicht
genau, was, aber eine Deutsche war ich jetzt nicht geworden. Stattdessen wurde mir der Verlust bewusst.
Plötzlich als deutsche Staatsbürgerin, wurde mir die Türkin in mir wichtiger. [...] Ich hatte den türkischen
Teil meiner Identität abgegeben, ohne das Gefühl zu haben, dass mir der Deutsche anerkannt wurde.“ [41]
Diese Dimension der geteilten, fragmentierten Identitäten findet bei Staurt Hall Anklang. Seine Auseinandersetzung mit der Identitätsthematik ist in naher Anlehnung mit der Globalisierung und Migration. Besonders in der spätmodernen Zeit sind Identitäten niemals einheitlich sondern fragmentiert und zerstreut. Sie sind Konstrukt unterschiedlicher, ineinandergreifender Diskurse, Praktiken und Positionen. Transformation und Veränderung sind bei den Identitäten kennzeichnend..[42] Nach Hall ist die Identität kein von der Geburt an vorgegebener unveränderlicher Faktor. Identitäten werden im Hinblick auf die Lebengslage des Individuums gebildet, die von Faktoren wie Globalisierung, Migration und der veränderten Gesellschaft geprägt sind und unterlaufen daher stets einen Wandel .
„Identitäten stehen nicht, wie in einer Benetton-Werbekampagne, in einem bunten, gleichberechtigten
Nebeneinander, sondern sind vielmehr eine „Produktion“, welche sich im ständigen Wandel befindet“.[43]
In Anlehnung an diese Konzeption von Hall kann man die Identitäten der Autorinnen auch als fragmentiert und zerstreut betrachten, die auch durch einen ständigen Wandel geprägt sind.
Die Identitäten der Autorinnen lassen sich auch von Heiner Keupp’s Konzept der Patchwork Identität analysieren, da er von mehreren Facetten der selben Identität spricht. In seiner Sicht ist diese Identitätsarbeit ein dynamischer Prozess, der nicht innerhalb einer zeitlichen Frist vervollständigt wird sondern lebenslang andauert. Mit Identitätsarbeit meint Keupp
“die aktive dauerhafte Verknüpfungsarbeit von Erfahrungsfragmenten in einem sinnvollen
Zusammenhang”. [44]
So zitiert ihn Katarina Vojvoda-Bongartz. In der heutigen Gesllschaft ist es üblich, dass die Menschen gleichzeitig in unterschiedlichen Lebensbereichen tätig und aktiv werden. Sie sehen sich verpflichtet, Handlungsfähig zu sein. So entwickeln sich, je nach dem, in welcher Form die Handlungsfähigkeit vorkommt, ihre Teilidentitäten. Aber diese müssen im Gesamtbild der Person kohärent sein. Mit Kohärenz wird hier ein Konzept verstanden,
“in dem Kontingenz, Diffusion, Ambivalenzen und Widersprüche einen gleichberechtigten Platz
nebeneinander haben.” [45]
Das Ergebnis dieser Identitätsarbeit ist nach Keupp die Patchworkidentität. d.h. man ist zur gleichen Zeit so verschieden.
Die Teilidentitäten der drei Autorinnen, in dem sie das Gefühl haben, gleichzeitig verschieden zu sein drücken sie so aus,
„ Manchmal sind wir diszipliniert wie Deutsche, manchmal stolz wie Türken, melancholisch wie Polen oder
loyal wie Vietnamesen. Wie sind vieles auf einmal. Wir irritieren andere, aber wir interessieren sie auch.“[46]
Auch die anderen oben beschriebenen Alltgssituationen im Leben der drei Autorinnen, indem sie zwischen mehreren Identitäten schwanken, tragen dazu Rechnung, dass ihre Identitäten wie ein Patchwork sind.
Die Auseinandersetzung der drei Autorinnen mit ihrer jeweiligen Identitätsfrage lässt sich auch anhand der theoretischen Erläuterung von den Sozialwissenschsftlern Hans Peter Frey und Karl Hauβer analysieren. Sie assozieren mit der Identitätsthematik das Subjekt-Objekt Verhältnis und die damit verbundenen zwei Perspektiven: Auβenperspektive und Innenperspektive.[47] Die eine Identität ist die soziale, öffentliche und situierte Identität, die dem Individuum in einer bestimmten sozialen Umgebung zugeschrieben wird. Darunter versteht man die Merkmale und Rollenerwartungen von dem Individuum. Dies bildet die äußerliche Perspektive der Identität, die die Fremdidentifizierung veranschaulicht, d.h. Subjekt und Objekt der Identifizierung sind getrennt. Objekt der Identifizierung ist die Person und Subjekt sind die anderen Personen.[48]
Dementsprechend bildet sich die Identität der Autorinnen in Sicht der anderen nicht als ‚Deutsche‘ sondern hauptsächlich als ‚Deutsche mit Migrationshintergrund‘. Sie stehen als Objekt und die anderen bzw. die einheimischen Deutschen als Subjekt. In dieser ‚Außenperspektive‘ geht es darum, wie die Autorinnen von der Aufnahmegesellschaft identifiziert werden und in wie fern sie die Rollenerwartungen der Aufnahmegesellschaft befriedigen können. Dabei wird der Migrationshintergrund, die Andersheit, die Fremdheit bei ihrer Person illuminiert. Daher werden sie in Deutschland, obwohl sie ihr ‚Deutschsein’ mehrfach unter Beweis gestellt haben, nicht als ‚Deutsche‘ aufgenommen. Den Zwiespalt zweier Kulturen können sie nicht loswerden.
„ Es gibt keinen Ort, wo wir unseren Zwiespalt überbrücken können, denn er liegt im Niemandsland
zwischen deutscher und ausländischer Kultur. “ [49]
Die Außenperspektive der Identität kommt auch bei dem Vater von Alice Bota vor. Sie schreibt über ihren Vater,
„ Sein Leben lang hat mein Vater die Identitäten angenommen, die ihm andere vorsetzten. “[50]
Dabei ist zu merken, dass bei seiner Identitätsbildung nur die Außenperspektive im Vordergrund trat und nicht die Innenperspektive.
Die zweite Perspektive nach Frey und Haußer ist die Innenperspektive der Identität. Diese Perspektive betrachtet die Identität als ein selbstreflexiver Prozeβ eines Individuums. Diese Identität wird von der Person selbst auf Grund ihres Wissens, ihrer Erfahrungen hergestellt und weiter verarbeitet. Dies führt zur Selbstidentifizierung. In so fern ist diese Identität die persönliche, individuelle, subjektive Identität. Subjekt und Objekt der Identifizierung sind hier in der selben Person vereint.[51]
Auf Grund der Innenperspektive bilden die Autorinnen hier ihre Identität als ‚neue Deutsche‘. Auf der Suche nach ihrer Identität wird ihnen klar, dass sie in Deutschland weder Ausländer wie ihre Eltern sind, noch Einheimische wie die ethnischen Deutschen.
„ Wir sehen aus wie unsere Eltern, sind aber anders als sie. Wir sind allerdings anders als die, mit denen wir
zur Schule gingen, studierten oder arbeiten. Die Verbindung von Biographie und Geographie ist zerrissen[52]
So bilden sie ihre Identität als ‚neue Deutsche‘, in dem sie den Zwiespalt nicht als ein ‚weder-noch‘ betrachten sondern als ein ‚sowohl- alsauch’d.h. eine Bereicherung.
Von den Erfahrungen und Erlebnissen der Autorinnen lässt sich entnehmen, dass es zwischen der Innen- und Außenperspektiven ihrer Identitäten eine ziemlich große Kluft erscheint. D.h. wie sie sich selbst sehen und wie sie von den anderen gesehen werden. In solchen Situationen kommen Identitätskonflikte zustande, die den Akteuren in einer gewissen Existenzkrise führen könnten.
Fischer zitiert De Levita, indem über die Existenzkrise gesagt wird,
“So lange eine Gruppenidentität dazu in der Lage ist, die verschiedenen und widersprüchlichen Elemente
der Kultur zu ‘decken’, kann das Individuum seinem Leben durch seine Teilhabe an der Gruppenidentität
einen Sinn geben, durch die es geformt wird und die es formen hilft, die es von seinen Eltern empfangen hat
und seinen Kindern weitergeben wird. Wenn die Gegensätze und Widersprüche so groß werden, dass die
Identität, weil sie keine synthetische Funktion mehr hat, verkrümmen muss, folgt eine Existenzkrise mit
Abwendung von der Realität.” [53]
Eine Existenzkrise erlebte Özlem Topçu besonders in ihrer Schulzeit. Sie erzählt, dass sie eine der wenigen Türken in der Schule war, aber diese kleine Gruppe der türkischen Schüler wurde nie als ‚die Türken‘ angesehen. In den Diskussionen besonders im Geschichtsunterricht, wenn die anderen deutschen Kinder erzählten, was sie von ihren Großeltern erzähltbekommen haben, fiel es ihr auf, dass sie nur ein Beobachter ist.
„ Ich hatte keinen Opa, der Wehrmachtsoldat gewesen war. Es fragte mich keiner danach, wie bei uns zu
Hause über den zweiten Weltkrieg gedacht oder gesprochen wurde.“[54]
Sie wurde in der Schule kaum wahrgenommen, blieb immer unsichtbar. So beschreibt sie in ihrem Essay, den sie auch so betitelt “Wir unsichtbaren Türken “.
In so einer Existenzkrise befindet sich oft die Elterngeneration der Migranten. So wie es hier erwähnt wird, dass eine türkische Mutter wegen ihr gebrochenes Deutsch im Geschäft nicht bedient wurde oder dem polnischen Vater wird von seinem Kollegen vorgeworfen, dass die Ausländer den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen.[55] In solchen Fällen lässt sich sagen, wie De Levita meint, dass die Identität gar keine synthetische Funktion zu spielen hat sondern wird verkrümmt und damit befindet man sich in einer Existenzkrise. Über die Elterngeneration sagen die Autorinnen, dass sie sich an solcher Existenzkrise gewöhnt haben. Das war quasi der Preis, den sie zahlen mussten, um in einem fremden Land Fuß zu fassen.
„ Unsere Eltern hielten sich nicht lange mit solchen Bemerkungen auf, sie gaben sich unempfindlich. Wir
aber speicherten diese Beweise der Ausgrenzung in unseren Köpfen ab. In kleinen Mengen tropften sie über
die Jahre in unsere Leben und ließen ein Gefühl der Entfremdung wachsen. „[56]
Damit geraten die Autorinnen oft in den Identitätskonflikt. Der Konflikt entpuppt sich darin, dass die Aufnahmegesellschaft sie dazuzwingt, nur eine kulturelle Identität zu bewahren. Dass sie gleichzeitig ihre beiden kulturellen Identitäten genauso gut aufrechterhalten können, wird nicht akzeptiert.
Der Identitätskonflikt bzw. die Frage der kulturellen Identität ist laut Navid Kermani nicht in der Zugehörigkeit von mehreren Kulturen sondern er entsteht erst dann, wenn man gezwungen ist, eine der mehreren Kulturen zu wählen. Die Angelegenheit von der Auswahl der Staatsgehörigkeitsrecht der ausländischen deutschen Kinder bedauert Kermani, dass die deutschen ausländischen Kinder mit achtzehn Jahren gezwungen werden, eine von den beiden Staatsbürgerschaften zu wählen. Er schreibt
“ Wenn es einen Identitätskonflikt gibt, dann wird er exakt durch einen solchen Zwang erzeugt.” [57]
In dem gleichen Kontext der doppelten Staatsbürgerschaft sagt Amartya Sen,
“If a Japanese citizen resident in Britain is unwilling to take british citizenship because she does not want to
lose her Japanese national Identity, she may still have quite a substantial loyalty to her british attachments
and to other features of her british identity which no Japanese court can outlaw. [...] It is not so much that a
person has to deny one identity to give priority to another, but rather that a person with plural identities has
to decide, in case of a conflict, on the relative importance of the different identities for the particular
decision in question.” [58]
Der Identitätskonflikt der Autorinnen wird so geäußert,
„ Für uns bedeutet es, hier zu arbeiten, die Sprache zu sprechen, deutsche Freunde und Partner zu haben.
Doch es bedeutet eben auch, unseren Galuben zu leben, eines Tages vielleicht unsere Kinder in der Sprache
ihrer Großeltern zu erziehen und sich einem weiteren Land verbunden zu fühlen.[...] Auch wir wollen, dass
alle Eingewanderten und ihre Kinder Deutsch lernen, damit sie ein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben
führen können.[...] Aber warum müssen sie deutscher sein als mancher Deutscher?“[59]
Die neuen Deutschen wie die Autorinnen wollen diesen Konflikt gelöst sehen. Sie stellen sich in der Zukunft so ein Deutschland vor, in dem das Wort Migrationshintergrund keine Rolle spielt, weil solche Menschen auch einfach ‚Deutsche‘ genannt werden.
„ ... so malen wir uns ein Deutschland der Zukunft aus. Darin gibt es keine Parallelwelten, sondern nur
eine Gesellschaft. Das Wort Migrationshintergrund ist aus dem Wortschatz gestrichen, denn die Kinder von
Einwanderern werden einfach Deutsche genannt. Manche von ihnen haben die Teilung erlebt, manche
hatten einen Großvater im Krieg, und manche haben eine Mutter, die aus Polen stammt. Der eine Deutsche
hat auch einen türkischen Pass, die andere Deutsche hat schwarze Haare und niemand wundert sich
darüber.“[60]
Diese Vorstellung der idealen Gesellschaft scheint in Anlehung der Erläuterung von Frey und Hauβer zu sein. Nach ihnen
“Überdauernde Interaktionsbeziehungen, und damit Gesellschaften, sind nur möglich, wenn der andere
wei β , wer ich bin und dazu soll ich dem anderen deutlich machen, wer ich bin, und das wiederum hängt
davon ab, was ich bislang aus meiner Umwelt über mich erfahren habe und wie ich diese Erfahrung über
mich selbst zu einem Bild über mich selbst zusammenfüge, von dem ich sage, “Das bin ich!”[61]
Die Identität der ‚neuen Deutschen‘ lässt sich auch als eine von Lothar Krappmann eingeführte ‚balancierende Identität‘ betrachten, die als eine Kombination von der sozialen und persönlichen Identität zu verstehen ist. Fischer erläutert dieses Konzept von Krappmann. Nach Krappmann kann die moderne Identität nicht ganz einzigartig, stabil, einheitlich und unveränderlich sein. Während sich die moderne Identität verändert, bleibt jedoch einen Teil der Identität stabil. Dieser modernen Identität wird einerseits einen dynamischen Charakter zugewiesen aber andererseits wird sie ein Teil des selbst stabilisierendes Gleichgewichtssystems. Solche Identität bezeichnet Krappmann als ‘balancierende Identität’.[62]
Bei dieser Identität wird eine Bilanz zwischen der nach Frey und Haußer vorgelegten Innen- und Außenperspektiven gezogen. Einerseits versucht das Individuum je nach den sozialen Erwartungen zu handeln und dadurch in der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Andererseits sieht er sich dazu verpflichtet, eigene Bedürfnisse eigenartig und authentisch zu befriedigen. Diese Bilanz zu ziehen ist für ein Individuum in der heutigen postmodernen Gesellschaft eine Herausforderung, da diese Gesellschaft durch ständige rapide Veränderung und Unstabilität gekennzeichnet wird. Folglich könnte das Individuum verwirren, in dem es sich an stets verändernden Erwartungen und Forderungen der Gesellschaft zu richten hat und entscheiden muss, welche Verhaltensoptionen die richtigen sind.[63]
Bei den Autorinnen kommt es auch vor, wie es eine Herausforderung ist, ihre balancierende Identität aufrechtzuerhalten. Oft wird von ihnen darüber erzählt, wie ernsthaft sie sich bemühen, sich in der deutschen Gesellschaft zu integrieren und der deutschen Kultur anzupassen. Aber trotzdem, wie es von ihnen hier deutlich bedauert wird, bleiben sie doch ‚fremd‘. Sie können ihre Bindestrichidentitäten nicht loswerden.[64] In dem Kapitel ‚ Wir wollen keine Fremde sein ‘ bringen sie dieses Leid zum Ausdruck. Sie wollen nicht auf Grund ihres Namens, der Hautfarbe oder des Familienhintergrunds anerkannt werden, sondern nur als Deutsche.[65]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei der Auseinandersetzung mit der Identitätsthematik in diesem Buch kommt es vor, dass die Identitäten der Autorinnen zwar Balancierende Identitäten sind aber zu der gleichen Zeit sind sie auch fragmentiert und zerstreut wie ein Patchwork. Der kulturelle Zwiespalt zwischen der Herkunftskultur und der Aufnahmekultur, der sich bei ihnen immer wieder bemerkbar macht, verursacht mal eine Existenzkrise und mal einen Identitätskonflikt für sie. Auf dem Weg nach der eigenen Identitätssuche fällt ihnen die neue Bezeichnung ein, nämlich ‚ Wir neuen Deutschen ‘, die ihnen teilweise aus dem Identitätskonflikt und der Existenzkrise rausholt. Die Identität, die sie haben wollen, ist nicht die der Migrantenkinder, wobei der Migrationshintergrund immer im Vordergrund steht. Stattdessen wollen Sie eine Identität, eine Anerkennung als Kinder Deutschlands. „ Wir sind die Kinder unserer Eltern, aber auch Kinder dieses Landes.“[66] In sofern scheinen sie auf die im Titel gestellte Fragen, ‚ wer wir sind ‘ und ‚ was wir wollen ‘ eine Antwort bekommen zu haben.
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Bibliographie
Primärliteratur:
- Bota Alice, Pham Khuê, Topçu Özlem : Die neuen Deutschen, wer wir sind, was wir wollen, Rowohlt Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg, 2012.
Sekundärliteratur:
Bücher:
- Abels, Heinz: Identität Lehrbuch, VS Verlag für Sozialwissenschaften,Wiesbaden, 2006.
- Kermani, Navid : Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime, München, C.H.Beck
- Verlag, 2009.
- Koivisto Juha, Merkens Andreas (Hrsg): Hall Stuart: Ideologie Identität Representation, Ausgewählte Schriften 4, Argument Verlag, Hamburg, 2004.
- Mehelm Ulrich, Bohle Dorothee u.a. (Hrsg.) : Hall Stuart Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2, Argument-Verlag, Hamburg, 2000.
- Sen, Amartya: Identity and Violence. The illusion of Destiny. Penguin Books, England, 2006.
- Şenocak, Zafer: Deutschsein Eine Aufklärungschrift, Hamburg, Edition Körberstiftung, 2011.
- Steffen, Amling: Grenzüberschreitungen. Dimensionen der Fremdheit in Emine Sevgi Özdamars „Die Brücke vom Goldenen Horn“ und Wolfgang Hilbigs „Das Provisorium“ Logos Berlin Verlag, Berlin, 2010.
Artikel:
- Fliethmann, Reinhild: Die Identitätssuche US Immigrantinnen am Beispiel von Amy Tans The Joy Luck Club 1989 und Bharti Mukharjees Jasmine (1989) : Der Beitarg von Literatur zu Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität. In : Fachverband Moderne Fremdsprachen FMF (Hrsg.) : Neusprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft und Praxis , Oldenbourg–Schulbuchverlag, München, Velhagen & Klasing, Berlin, Cornelsen, Bielefeld, 2006, S.219-227.
- Frey Hans Peter, Haußer Karl: Entwicklungslinien sozialwissenschaftlicher Identitätsforschung. In: Hans Peter Frey, Karl Haußer (Hrsg.) : Identität. Entwicklungen psychologischer und soziologischer Forschung, Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart, 1987 S.3-26.
- Sirin, Ali: Deutschland - immer noch ein Wintermärchen. In : Sezgin, Hilal (Hrsg.): Manifest der Vielen - Deutschland erfindet sich neu. Blumenbar Verlag, Berlin, 2011, S. 39-43.
- Zirfas, Jörg: Identität in der Moderne. Eine Einleitung. In : Jorisson Benjamin, Zirfas Jörg (Hrsg.): Schlüsselwerke der Identitätsforschung, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2010, S.9-17.
Internet Quellen:
- Elste, Nico : Von der Migration zur Integration. Literarische Konstruktionen von Kultur und Kulturkonflikte in der deutschtürkischen Literatur nach ’89 Diss. Martin Luther Universität, Halle, Wittenberg, Juni, 2012. http://d-nb.info/1025352297/34. Heruntergeladen am 24.6.2017.
- Fischer, Bernhard: Identität und Macht Eine theoretische Auseinandersetzung mit der Soziologie gesellschaftlichen Außenseitertums, Diss. Kultur- und Sozialwissenschaften der Fern Universität in Hagen https://d-nb.info/980937892/34. Heruntergeladen am 9.11.2017.
- Ludolf, Jasmin: Die Bedeutung des Anderen Identitätskonstruktion zur Zeit des Kolonialismus und im Zeitalter der Globalisierung im Vergleich file:///C:/Users/DELL/Downloads/9783640467785_leseprobe_01.pdf. Heruntergeladen am 9.11.2017.
- Vojvoda-Bongartz, Katarina: »Heimat ist (k)ein Ort. Heimat ist ein Gefühl« : Konstruktion eines transkulturellen Identitätsraumes in der systemischen Therapie und Beratung https://www.dgsf.org/service/wissensportal/Heimat%20ist%20-k-ein%20Ort.%20Heimat%20ist%20ein%20Gefuehl%20Konstruktion%20eines%20transkulturellen%20Identitaetsraumes%20in%20der%20Systemischen%20Therapie%20und%20Beratung%20-2012.pdf. Heruntergeladen am 22.6.2017.
- http://www.bpb.de/lernen/grafstat/projekt-integration/134770/chronik-migration-und-integration-in-deutschland?p=1. Heruntergeladen am 22.6.2017.
- http://www.kas.de/wf/de/71.7660. Heruntergeladen am 22.6.2017.
[1] Bota Alice, Pham Khuê, Topçu Özlem : Die neuen Deutschen, wer wir sind, was wir wollen, Rowohlt Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg, 2012 (Das Buch wird für die weiteren Anmerkungen mit der Abkürzung DnD bezeichnet.)
[2] Vgl. Fliethmann, S.219.
[3] Heinz, S.433.
[4] Mehelm/Bohle, S.182.
[5] Vgl. Fliethmann, S.219.
[6] Vgl. Frey/Haußer, S.11.
[7] Zirfas, S.11.
[8] Ebda. S15.
[9] Ebda.
[10] Ebda. S10.
[11] Ebda. S.11.
[12] Şenocak, S.32.
[13] http://www.bpb.de/lernen/grafstat/projekt-integration/134770/chronik-migration-und-integration-in-deutschland?p=1 gesehen am 22.6.2017.
[14] http://www.kas.de/wf/de/71.7660/ gesehen am 22.6.2017.
[15] Vgl. Elste Nico, Einleitung. http://d-nb.info/1025352297/34 heruntergeladen am 24.6.2017.
[16] http://www.kas.de/wf/de/71.7660 gesehen am 22.6.2017.
[17] DnD,S.96.
[18] https://www.waz.de/mediacampus/fuer-schueler/zeus-regional/castrop-rauxel-und-herne/wir-riefen- arbeitskraefte-und-es-kamen-menschen-id7958831.html. gesehen am 24.6.2017.
[19] Şenocak, S.152.
[20] Vgl. Amling, S.24.
[21] Zit.in: Amling, S.23.
[22] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/integration-seehofer-und-merkel-befeuern-leitkultur-debatte-a-723466.html gesehen am 24.6.2017.
[23] https://www.tagesschau.de/inland/zuwanderung134.html, gesehen am 17.6.17.
[24] Kermani, S.12.
[25] Sirin, S. 41.
[26] DnD, S.30.
[27] Ebda.
[28] Ebda. S.31.
[29] Ebda. S.32.
[30] Ebda. S.10.
[31] Ebda. S.114.
[32] Ebda. S.12.
[33] Vgl. Ebda.
[34] Kermani, S.35.
[35] Vgl.DnD, S.12.
[36] Ebda. S.26.
[37] Ebda. S.27.
[38] Ebda. S.28.
[39] Ebda.S.87.
[40] Ebda.S.108.
[41] Ebda.S.73.
[42] Vgl. Koivisto/Merkens, S.170.
[43] Ludolf, file:///C:/Users/DELL/Downloads/9783640467785_leseprobe_01.pdf gesehen am 9.11.2017.
[44] Zit.in: Bongratz, S.248.
[45] Ebda.
[46] DnD, S.59.
[47] Vgl.Frey/Haußer, S.3.
[48] Ebda. S.4.
[49] DnD, S.51.
[50] Ebda. S.108.
[51] Vgl. Frey/Haußer, S.4.
[52] DnD, S.51.
[53] Zit.in : Fischer S.21. https://d-nb.info/980937892/34 heruntergeladen am 9.11.2017.
[54] DnD, S.44.
[55] Vgl. Ebda. S.9.
[56] Ebda.
[57] Kermani, S.135.
[58] Sen, S.29.
[59] DnD, S.15,16.
[60] Ebda. S.18.
[61] Frey/Hauβer, S. 6.
[62] Zit.in: Fischer, S.13. https://d-nb.info/980937892/34 heruntergeladen am 9.11.2017.
[63] Ebda.
[64] Vgl.DnD, S.18.
[65] Vgl.Ebda. S.166.
[66] Ebda. S.167.
- Arbeit zitieren
- Amruta Kulkarni (Autor:in), 2017, Die Identität der "neuen Deutschen" im "neuen" Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/381191
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