Die Sozialstruktur des Konsums


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

29 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1. Problemstellung und Aufbau der Arbeit

Die Bundesrepublik Deutschland sowie viele andere westliche Industriestaaten erhalten oft das Attribut „Konsumgesellschaften“. Den Anlass dazu gibt die Tatsache, dass das Ausmaß des Konsums größer und die Art des Konsums in diesen Gesellschaften bedeutungsvoller ist als in anderen. Dem Konsumsektor kommt demnach eine wichtige Rolle zu. Er ist ein Eckpfeiler der Industriegesellschaft, da er Wachstum und Beschäftigung sichert und somit grundlegend für die Aufrechterhaltung des markwirtschaftlichen Systems ist. Diese Erkenntnisse lassen es sinnvoll erscheinen, die Gesellschaft anhand ihres Konsumverhaltens zu analysieren (vgl. Schneider, 2000).

Aus soziologischer Perspektive betrachtet ist Konsum soziales Handeln mit umfassenden sozialen und individuellen Funktionen. Ihm fällt eine Bedeutung bei Prozessen sozialer Anerkennung und gesellschaftlichen Auszeichnungen zu. Hierarchien können mittels Konsumgütern manifestiert und soziale Ungleichheit repräsentiert werden. Es stellt sich die Frage, wie tief greifend das Konsumverhalten in soziale Bezüge eingebettet ist. Diese Arbeit erörtert, inwiefern über die Art und das Ausmaß des Konsums die Sozialstruktur der Gesellschaft analysiert werden kann. Dabei soll zwischen einer Sozialstrukturanalyse im engeren und weiteren Sinne unterschieden werden. In Anlehnung an Müller (1992) wird in dieser Arbeit ersteres als eine „Analyse sozialer Schichtung und sozialer Ungleichheit“ definiert und letzteres als eine Betrachtung der gesamtgesellschaftlichen Bevölkerungsstruktur, in welche Bildung, Lebenszyklen und Altersstrukturen sowie Kultur und Werte mit eingehen.

Eine grundlegende Voraussetzung für den Konsum ist über die notwendigen Mittel zu verfügen - sprich Geld zu haben. Die Bedeutung des Geldes wird deshalb in der Analyse der Sozialstruktur berücksichtigt. Außerdem wird erläutert, welche Analogien zwischen Geld und Konsumgüter existieren.

Für die einzelnen Gesellschaftsmitglieder erweist sich der Konsum als integraler Bestandteil der individuellen Lebensführung. Den einzelnen Lebenskonzepten, sprich Lebensstilen, wird in der vorliegenden Arbeit besondere Aufmerksamkeit zuteil. Es wird geklärt, welche Rolle dem Konsum im Lebensstilansatz zukommt und inwiefern über diesen Ansatz Rückschlüsse auf eine Sozialstruktur des Konsums gezogen werden können.

Diese Arbeit beginnt mit einem kurzen Abriss der Forschungstradition der Konsumsoziologie (Kapitel 2). Anschließend werden die Begriffe Konsum und Lebensstile definiert und ihre Funktionen erläutert (Kapitel 3 und 4). In Kapitel 3 werden außerdem Ähnlichkeiten zwischen Geld und Konsumgütern ausgemacht. Damit kann die Frage geklärt werden, ob Geld lediglich finanzielle Vorraussetzung für den Konsum ist oder ob es ebenfalls als Konsumgut dienen kann. In Kapitel 5 wird die Beziehung zwischen Konsum und Lebensstil anhand von drei verschiedenen Modellen erläutert. Durch diese Modelle wird das Verhältnis der beiden konkretisiert und Einflussgrößen auf die Lebensstilwahl werden ausgemacht. Mittels zweier empirischer Demonstrationen werden in Kapitel 6 die Probleme des Lebensstilansatzes in der empirischen Forschung und seine Möglichkeiten und Grenzen zur Erklärung des Konsumverhaltens aufgezeigt. Die sozialen Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Lebensstilgruppen werden herausgearbeitet und in eine Beziehung zum Konsumverhalten gesetzt. Außerdem wird anhand der empirischen Beispiele erörtert, welche Merkmale der sozialen Lage einen starken Einfluss auf die Wahl des Lebensstils haben. Im letzten Kapitel wird ein Fazit verfasst.

2. Forschungstradition

Konsum und Konsumentenverhalten sind klassischerweise Bereiche der Wirtschaftsforschung. Die Soziologie hat sich diesem Gebiet erst relativ spät zugewandt.

In den 60er Jahren findet man in den Lehrbüchern zur Konsumentenforschung erstmals die Rubrik „soziokulturelle Determinanten des Konsumverhaltens“ (vgl. Engel et al., 1968). Die dort vorgestellten Berichte sind jedoch weitgehend auf anwendungsbezogene Thematiken des Marketings bezogen und somit ebenfalls in den Forschungsbereich der Ökonomie einzuordnen.

Ansätze zu einer Konsumsoziologie entstanden in Deutschland erstmalig zu Beginn der 70er Jahre. Die damals erschienen Arbeiten von Hörnig (1970), Hillmann (1971) und Wiswede (1972) blieben jedoch ohne Nachfolge, der neue Forschungszweig der Soziologie entwickelte sich zunächst nicht weiter.

Ende der 80er Jahre und in den 90er Jahren wurde die Disziplin im Zusammenhang mit der Lebensstilforschung (Lüdtke, 1989) wieder aufgegriffen. Hier wird das Lebensstilkonzept in starkem Maße über Konsumstile definiert und kann somit als Annährung an eine Konsumsoziologie aufgefasst werden (vgl. Wiswede, 2000). Daher wird in dieser Arbeit ebenfalls der Lebensstilansatz gewählt um einen Zugang zur Konsumsoziologie zu finden.

3. Geld und Konsum

In diesem Kapitel wird der Begriff des Konsums definiert und seine Funktionen werden erläutert. Die Beutung des Geldes für den Konsum und dessen sozialpsychologischen Funktionen werden dargelegt. Durch letztere kann die Frage geklärt werden, welche Analogien zwischen Geld und Konsumgut bestehen.

3.1 Begriff und Funktionen des Konsums

Der Begriff Konsum wird in der einschlägigen Literatur als eine Verhaltenweise verstanden, „die auf die Erlangung und private Nutzung wirtschaftlicher Güter und Dienstleistungen gerichtet ist“ (Wiswede, 2002, S. 289). Der Konsum umfasst einen dynamischen, mehrphasigen Prozess. Dieser beginnt mit der psychisch und sozial determinierten Entstehung der Bedürfnisse, umfasst weiterhin Aktivitäten der Informationsbeschaffung und Entscheidungsfindung und endet beim Erwerb. Da Konsum auf die Art und Weise der Güterverwendung vorgreift, können Freizeitaktivitäten häufig in das Konsumverhalten einbezogen werden. Hier ist meist der Gebrauch von extern erstandenen Gütern und Dienstleistungen Vorraussetzung (vgl. Lüdtke, 1989b; Wiswede, 2002).

Aufgrund des sich ausbreitenden Wohlstands der Industriestaaten weist Konsum nicht mehr bloß existenzsichernden Charakter auf. Stattdessen spielen bei der Kaufentscheidung andere Faktoren wie Prestige, Individualität, Erlebnisintensität und Kompensation innerer Defizite eine zentrale Rolle (vgl. Stihler, 2000). Konsum erfüllt folglich eine soziale bzw. psychologische Funktion. Der Erwerb von Gütern und Dienstleistungen ist somit auch durch die Aussicht auf einen symbolischen Zusatznutzen begründet (vgl. Reisch, 2002).

Symbolischer Konsum sichert einer Person eine Position innerhalb einer sozialen Gruppe oder Schicht. Die Zugehörigkeit wird hier durch Ähnlichkeiten im Konsum verkörpert. Andersherum können deutliche Unterschiede im Konsumverhalten nicht konsumkonforme Personen ausgrenzen. Konsum dient daher zur Distinktion nach außen und erzeugt Stabilität nach innen. Da diese Art des Konsums der Gruppe als Ganzes und dem Einzelnen einen Status sichert, wird er als „Statuskonsum“ bezeichnet und gezielt der sozialen Umwelt präsentiert. Knappe Positionsgüter, welche nur einer begrenzten Anzahl von Personen, sei es aus finanziellen oder Gründen der sozialen Kontakte, zugänglich sind, eignen sich besonders gut als Positionssymbole (vgl. ebd., 2002).

Zusätzlich kann der gesellschaftliche Status durch die Kompetenzfunktion des Konsums gesichert werden. Die hohe Wertigkeit eines bestimmten Gutes ist hier nur einigen Mitgliedern der Gesellschaft bekannt. Durch den Erwerb ebendieses wird der Käufer als kompetent erlebt und erfährt sich selbst auch so. Damit erwirbt er die Mitgliedschaft in einer kleinen, elitären und wissenden Gruppe. Der expressive Charakter, den sowohl der Status- als auch der Kompetenzkonsum aufweist, sichert bei einer Person nach innen gerichtet ihr Selbstkonzept und ihre Identität und nach außen kann er Gruppenzugehörigkeit demonstrieren (vgl. ebd., 2002).

Konsum kann nach Reisch (2002) auch eine hedonistische Funktion erfüllen. Diese Art des Konsums ist jedoch nicht, wie die beiden oben genannten, nach außen gerichtet sondern nach innen geleitet. Durch Werbung und Medien symbolisch aufgeladene Produkte bieten hier eine Projektionsfläche für in der Realität unerfüllte Träume. Der Güterkauf wird nicht von dem Wunsch der Vermehrung des Besitzes geleitet, stattdessen wird er durch die Vorstellung einer gewünschten Befriedigung zur eigentlichen Befriedigung gemacht.

Starke Überschneidungen mit dieser Aufgabe hat die Kompensationsfunktion des Konsums. Hier sollen mittels Konsum Mängel ausgeglichen werden, welche aus ungelösten Problemen in anderen Lebensbereichen entstanden sind. Der Güter- und Dienstleistungserwerb dient nicht der Bedarfsdeckung sondern dem Ausgleich und der Stabilisierung innerer Defizite (vgl. Reisch, 2002).

Konsum jenseits der grundlegenden Existenzsicherung erfüllt gesellschaftliche und psychologische Funktionen und impliziert Informationen über soziale Beziehungen (vgl. Lüdtke, 1989b).

3.2 Die Bedeutung des Geldes beim Konsum

Geld beeinflusst das Ausmaß und auch die Art des Konsums. So haben bestimmte Güter, so genannte Luxusgüter, hohe Preise um ausgewählten Personenkreisen eine elitäre Auszeichnung zu ermöglichen.

Historisch gesehen liegt der Ursprung der Geldentstehung nicht in der Suche nach einem allgemein anerkannten Tauschmittel sondern in der Verwendung von Geld als Rangzeichen oder Schmuck (vgl. Gerloff, 1947; Issing, 2003). Die Entstehung des Geldes kam dem Bedürfnis des Menschen nach Auszeichnung, Rang und Macht nach (vgl. Raab, 1998).

Auch heute ist Geld einerseits Voraussetzung für (symbolischen) Konsum, andererseits weist es selbst einen gewissen Symbolcharakter auf. Ein Beispiel dafür ist die „goldene Kreditkarte“. Sie erfüllt nicht nur die Zahlungsfunktion, sondern verschafft ihrem Inhaber auch Prestige, Status, Zugang zu elitären sozialen Gruppen und vielleicht sogar Zuneigung. Infolgedessen ist Geld in einer materialistischen Welt Teil der Identität einer Person, gleichzeitig ist es eine Voraussetzung zum Erwerb von Gütern oder Dienstleistungen, welche die Persönlichkeit reflektieren und definieren. Die sozialpsychologischen Funktionen von Geld und Konsum sind sich demnach sehr ähnlich (vgl. Reisch, 2002). Infolgedessen kann Geld als Positionsgut bezeichnet werden, es besitzt Eigenschaften von Konsumgütern und ist in gewisser Weise konsumierbar.

Eine Studie aus dem Jahr 1998 von Gerhard Raab zu „Kartengeschützten Zahlungssystemen und Konsumentenverhalten“ scheint die Symbolfunktion des Geldes zu bestätigen. Bei der Frage nach „Eignung von Objekten zur Selbstdarstellung“ landeten Bargeld und Kreditkarten nach Kleidung und Automobil auf Rang 3 und 4 (siehe Tabelle 1) bei insgesamt acht zu beurteilenden Objekten (vgl. Raab, 1998).

Tabelle 1: Beurteilung der Eignung von Objekten zur Selbstdarstellung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Raab (1998, S.156)

Die Likertskala der zu beurteilenden Objekte reichte von 1 = „völlig ungeeignet“ bis hin zu 6 = „völlig geeignet“. Die genaue Fragestellung der Studie lautete: „In welchem Ausmaß sind die folgenden Dinge dazu geeignet, den Eindruck, den sich andere von einer Person machen, zu beeinflussen“ (Raab, 1998, S.156).

4. Begriff und Funktion des Lebensstils

Durch Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse der modernen Gesellschaft lösen sich ihre Mitglieder in immer höherem Maße von den spezifischen Schichten, Klassen oder Gruppen und befinden sich nun in einer Schnittmenge verschiedener sozialer Kreise. Diese Schnittmenge wird als Lebensstil bezeichnet (vgl. Hradil, 1992).

Ein Mensch ist jeden Tag vor eine unzählige Wahl von verschiedenen Handlungsalternativen gestellt. Um möglichst zeit- und energiesparend die für ihn passende Handlungsalternative zu finden, braucht der Akteur ein System, an welchem er sich orientieren kann. Damit kann er einen immensen Informationsaufwand umgehen. Das Konzept des Lebensstils stellt ein solches System dar.

Ein Lebensstil erfüllt für seinen Inhaber drei Funktionen(vgl. Lüdtke, 1999):

1. Sicherung der Verhaltensroutinen im Alltag
2. Langfristige Strategie der Lebensführung, welche zum einen die persön- liche Identität bestärkt und zum anderen die Überzeugungen, Normen und Werte bereithält, welche seine Handlungen oder Neigungen bestimmen
3. Darstellung sozialer Ähnlichkeiten bzw. Ungleichheiten. Hier wird die Verknüpfung von personaler und sozialer Identität vollzogen.

Der Lebensstil ergibt nach Meinung der Lebensstilforschung ein Zusammenspiel von der Performanz, welche das konkrete Verhalten und Interaktionen hervorbringt, der Mentalität, die die Einstellung und Wertorientierungen umfasst und schließlich den sozialen Lagemerkmalen, wie Ressourcen und Restriktionen der Lebensführung (vgl. Hradil, 1992; Müller, 1992; Lüdtke, 2000).

5. Beziehung zwischen Konsum und Lebensstilen

Da die Entstehung der Konsumbedürfnisse immer auch sozial determiniert ist und die Art und Weise der Güterverwendung unweigerlich eine gewisse Lebensart aufzeigt, berührt der Konsum „wesentliche Aspekte des Lebensstils einzelner Individuen bzw. bestimmter Personenkreise oder ganzer Gesellschaften“ (vgl. Wiswede, 2002, S.289) .

In den meisten Fällen sind zur Auslebung des Lebensstils Konsumgüter im Ge- und Verbrauch notwendig wie beispielsweise Kleidung, Wohngegenstände, Freizeitartikel, Medien und Dienstleistungen. Lebensstile formen und steuern den Konsum, sie weisen eine Erklärungskraft von Konsumverhalten auf. Andersherum können Konsummuster als Kriteriumsvariable von Lebensstilen herangezogen werden (vgl. Lüdtke, 2000).

Ein Lebensstil ist für den Akteur eine Grundlage zur Vorbereitung seiner Konsumentscheidungen. Das Vergleichen und Bewerten von bestimmten Artikeln und das Selektieren von Alternativen wird durch ihn determiniert und erleichtert.

Andererseits orientiert und bildet sich ein Lebensstil über Konsumakte und kann durch die Verarbeitung der Konsumerlebnisse partiell bestätigt, ergänzt und verändert werden. Diese Annahme wird das erste der drei folgenden Modelle, welche die Beziehung zwischen Konsum und Lebensstil beleuchten, näher erläutern.

5.1 Subjektive Perspektive

Thomas Banning (1987) veranschaulicht die dynamischen Prozesse zwischen Konsumentscheidung und Lebensstilorientierung aus der subjektiven Perspektive der einzelnen Akteure. Letztere dient in diesem Konzept als Moderator der Konsumentscheidung. Nach Banning bilden Lebensstile kein statisches Konstrukt, sondern tragen die Akteure den Wunsch nach fortwährender Verbesserung und Veränderung desselben in sich. Es werden drei Phasen der Lebensstilgenese unterschieden. Zum einen gibt es die realisierte Lebensart, also den aktuell gelebten Lebensstil. Unmittelbar auf die Zukunft gerichtet existiert ein angestrebter Lebensstil, der quasi als mittelfristiges Ziel dient. Das eigentliche Ideal stellt der erwünschte Lebensstil dar. Dieser kann erst langfristig erreicht werden, besitzt aber gegenüber den beiden ersteren eine eindeutige Präferenz.

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Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Die Sozialstruktur des Konsums
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
29
Katalognummer
V381443
ISBN (eBook)
9783668583566
ISBN (Buch)
9783668583573
Dateigröße
555 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sozialstruktur, konsums
Arbeit zitieren
Ina Berninger (Autor:in), 2006, Die Sozialstruktur des Konsums, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/381443

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