Die Etablierung der Soziologie als "Wissenschaft von den Institutionen" durch Emile Durkheim


Essay, 2005

11 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Zum Inhalt

1. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile >– Die Gesellschaft als Realität sui generis

2. Der Soziologische Tatbestand als Gegenstandsbereich der Soziologie

3. Die Methoden zur Erfassung des Gegenstandsbereichs

4. Etablierung der Soziologie durch die Abgrenzung von anderen Wissenschaften

5. Abschließender Gedanke

Literaturverzeichnis

Es ist gänzlich unmöglich, im Rahmen einer solch knapp bemessenen Arbeit die Bedeutung Durkheims für die Soziologie auch nur annähernd herauszuarbeiten. Dennoch soll – anhand der Betrachtung seines Werkes „Die Regeln der soziologischen Methode – versucht werden, seine Leistungen hinsichtlich der Etablierung der Soziologie als eigenständige Wissenschaft zumindest ansatzweise darzustellen: In seinen Ausführungen kritisiert Durkheim die bisherigen „soziologischen“ Arbeiten – vor allem diejenigen von Comte und Spencer – grundlegend. Er wirft ihnen eine praxisferne[1], methodisch unzureichende[2], ja sogar teils willkürliche[3] Forschung vor, deren rein individualistische Betrachtungsweise[4] keine soziologischen, sondern ausschließlich biologische[5] und psychologische[6] – und daher falsche – Erklärungen liefert. Parallel zur Kritik definiert er den – in seinen Augen – einzig wahren Gegenstandsbereich der Soziologie und erarbeitet zu dessen Erfassung ein eigenes Methodenwerk. Anhand der gewonnenen Erkenntnisse versucht Durkheim weiterhin, die Soziologie als autonome Disziplin zu etablieren, indem er sie von anderen Wissenschaften abgrenzt.

Kapitel 1 widmet sich der grundlegenden Annahme Durkheims, dass die Gesellschaft eine Realität sui generis darstellt. Der daraus abgeleitete Gegenstandsbereich der Soziologie – der soziologische Tatbestand – wird in Kapitel 2 präzisiert. Die Methode für die Betrachtung des soziologischen Tatbestandes wird sodann in Kapitel 3 dargestellt. Sie soll verdeutlichen, warum die Soziologie von anderen Wissenschaften – etwa der Psychologie, der Philosophie und der Ökonomie – abzugrenzen ist (Kap. 4).

1. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile – Die Gesellschaft als Realität sui generis

Kupfer, Zinn und Blei sind allesamt äußerst weiche und biegsame Metalle. Werden sie jedoch legiert, so entsteht Bronze – ein gänzlich neues Metall, das weitaus härter ist als die Elemente, aus denen es sich zusammensetzt. Eine lebende Zelle besteht aus chemischen Elementen, die allesamt die grundlegenden Kriterien des Lebens/des Lebendigseins nicht erfüllen. (Durkheim 1984, S. 93). Durch die Kombination einzelner Elemente ergibt sich also ein völlig neues Element, das sich durch Eigenschaften auszeichnet, die seinen Bestandteilen nicht zueigen sind.

Ein Ganzes ist eben nicht mit der Summe seiner Teile identisch; es ist ein Ding anderer Art, dessen Eigenschaften von denen der Teile, aus denen es zusammengesetzt ist, verschieden sind.“ (Ebd. 187)

Ebenso verhält es sich mit der Gesellschaft. Die grundlegenden Bestandteile der Gesellschaft sind zwar Individuen, aber die Gesellschaft ist mehr als die bloße Summe der individuellen Psychen: sie entsteht aus der Assoziation, Kombination, Durchdringung und Verschmelzung derselbigen, wodurch sich eine völlig neue „Psyche“ – das Kollektivbewusstsein der Gesellschaft – ergibt (Ebd., S. 187). Kollektivbewusstsein und Gesellschaft sind von den einzelnen Individuen losgelöst[7], weil sie nicht in ihnen, sondern zwischen Ihnen – genauer gesagt: zwischen den individuellen Psychen (Ebd., S. 111) – existieren; sie entstehen durch die Wechselwirkungen der Gesellschaftsmitglieder und bilden einen „Zusammenhang von Phänomenen sui generis“ (Ebd., S. 88), die ihrerseits in der Lage sind, massiv auf das Handeln des Einzelnen einzuwirken (vgl. Kap. 2). Letzteres wäre nicht möglich, wenn die Gesellschaft lediglich die Summe seiner Teile wäre, weil sich dann das Individuum dem unliebsamen Einfluss von außen entziehen würde. Um also die Gesellschaft verstehen zu können, genügt es nicht, sich – etwa wie Comte oder Spencer – den individuellen Psychen zuzuwenden, sondern man muss die Natur der Gesellschaft beleuchten, man muss also die Phänomene untersuchen, die der Gesellschaft entstammen . Diese Phänomene bezeichnet Durkheim als „soziale Phänomene“ oder „soziologische Tatbestände“[8].

2. Der soziologische Tatbestand als Gegenstand der Soziologie

Ein soziologischer Tatbestand hat zunächst normativen Charakter. Er schreibt eine bestimmte Art des Handelns, Denkens oder Fühlens vor (vgl. Ebd., 106). Die entsprechenden Normen werden dem Individuum qua Sozialisation durch seine Mitmenschen (Eltern, Verwandte, Lehrer, Kollegen, ...) auferlegt. Diese Mitmenschen sind aber nicht die Urheber der vermittelten Normen, sondern lediglich Mittler der Gesellschaft (Ebd., S. 105, 109) – und auch sie wurden durch die Gesellschaft sozialisiert und haben Normen angenommen, die vor ihrer Geburt existiert haben und im Idealfall auch nach ihrem Tode weiterexistieren werden.[9] Normen werden zwar von den Menschen internalisiert und somit zum inneren Bestandteil eines Jeden, sie sind aber unabhängig von der Existenz des einzelnen Individuums, weil sie der Gesellschaft entstammen und an den Menschen von außen herangetragen werden. Dass den Normen und somit den sozialen Phänomenen das Kriterium der Äußerlichkeit[10] zugesprochen werden kann, zeigt sich auch in der Tatsache, dass sie nicht durch den individuellen Willen verändert werden können:

„Der Einzelne findet sie vollständig fertig vor und kann nichts dazu tun, dass sie nicht seien oder dass sie anders seien, als sie sind; er muss ihnen Rechnung tragen...“ (Ebd., S. 99)

[...]


[1] vgl. Durkheim 1984, S. 220

[2] Ebd., S. 92, 103, 120, 184f., 199f, 205

[3] Ebd., S. 199, 120, 200

[4] Ebd., S. 176, 176, 192

[5] Ebd., S. 103, 183

[6] Ebd., S. 183, 184f („Immer ist es also die Psychologie, die das letzte Wort führt“),

[7] Wie bereits gesagt, kann eine Gesellschaft nicht ohne Individuen existieren, aber die Gesellschaft, die von den Individuen gebildet wird, besitzt ein Eigenleben, das unabhängig von den Individuen existiert und sich dem Einfluss der einzelnen Gesellschaftsmitglieder entzieht. Dies wird in Kapitel 2 präzisiert.

[8] Durkheim begreift die Gesellschaft somit als ein zusammenhängendes System von soziologischen Tatbeständen. Da er „soziologische Tatbestände“ mit „Institutionen“ gleichsetzt (Durkheim 1984, S. 100), kann die Gesellschaft auch als zusammenhängendes System von Institutionen aufgefasst werden.

[9] Es genügt auch, wenn die Norm vor und nach der individuellen Handlung existiert (vgl. Münch 2002, S. 61)

[10] vgl. Durkheim 1984, S. 86f, 89ff, 94, 99, 105f, 111f.

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Die Etablierung der Soziologie als "Wissenschaft von den Institutionen" durch Emile Durkheim
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
11
Katalognummer
V38250
ISBN (eBook)
9783638373708
ISBN (Buch)
9783638848473
Dateigröße
486 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Etablierung, Soziologie, Wissenschaft, Institutionen, Emile, Durkheim
Arbeit zitieren
Sebastian Wiesnet (Autor:in), 2005, Die Etablierung der Soziologie als "Wissenschaft von den Institutionen" durch Emile Durkheim, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38250

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