Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1. Die Kindheit des Josef Stalin
2.2. Stalin bildet sich zum Revolutionar
2.3. Stalin wahrend der Revolutionen
3. Schlussbetrachtung
4. Literatur- und Quellenverzeichnis
4.1 Literatur
4.2 Quellen
1. Einleitung
Stalin - er war ein Mann gefurchtet von Vielen, er wurde als kaltblutig beschrieben und mit Dichtung verehrt. Um ihn wurde eine Ara der Mystik erstellt, die bis in die heutigen Tage nachschwingt. Um kaum einen anderen Diktator ranken sich mehr Mythen, Geschichten, Heldenerzahlung und Schauermarchen wie um die Person des Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili- kurz Josef Stalin.
Er selbst war es, der die Geschichtsschreibung seiner Person betreffend regulierte und beeinflusste. Nur wenig wurde uber seine Jugend und Kindheit bekannt. Er hielt die Hand uber die Zeit, in der er als Raufbold die StraBen der kleinen georgischen Stadt Gori unsicher machte, wie als bewahre er eines der groBten Staatsgeheimnisse. Durch Erzahlungen und Augenzeugenberichte konnten sich Historiker einen Weg zu der Person des jungen Soso[1] bahnen. Diese Berichte stammten aber zumeist von Freunden und Wegbegleitern, die von der Interpretationsfahigkeit der Erzahlungen wussten und dies gezielt nutzen, um Stalin mitunter verfalscht zu portratieren. Erst Quellen, entstanden durch langjahrige Jugendfreunde, wie unter anderem Joseph Davrichewy und Joseph Iremaschwili, konnten ein genaueres Bild der Anfange des sowjetischen Diktators liefern.
Die von Stalin selbst autorisierte Biographie sollte an dieser Stelle nur mit Vorsicht erwahnt werden, denn sie ist, wie seine Jugend selbst, ein propagandistisches Werk zur Eigenpopularisierung.
Nur selten lieB der stahlerne Diktator auch in spateren Jahren Einblicke in die Welt hinter der Machtfassade zu. Lediglich drei Anlasse ermunterten ihn uber seine Heimat Georgien und seine Herkunft zu sprechen. Dies geschah 1937 anlasslich einer in Moskau veranstalteten Kunstausstellung, 1939 durch eine Veroffentlichung in der Zeitschrift „Die junge Garde“ und 1946 anlasslich der Publikation seiner ersten Bande der von ihm gesammelten Werke, die auch eine grundlegende Quelle der nachfolgenden Arbeit bildeten.[2]
Es gab durchaus gute Grunde, warum der spatere Revolutionar und Schuler Lenins darauf bedacht war seine Jugend zu verstecken. Denn nichts hatte so wenig zum glanzvollen Bild des Josef Stalins gepasst, wie seine Untergrundaktivitaten und hinterhaltigen Geschafte, die notig waren, um sich einen Platz an der Parteispitze zu erarbeiten. Als im Oktober 1917 die revolutionaren Aktionen in Sankt Petersburg keinen Abriss mehr fanden, war Josef Stalin nicht in der ersten Reihe der aktiven Akteure zu finden. Er handelte aus dem Hintergrund. Er hatte als Redakteur der Prawda die Seile in der Hand und wusste, dass der Moment - die Geburtsstunde, seiner Glanzzeit - erst nach der Revolution kommen wurde.
Um die Hauptthese „Josef Stalin: Ein Kind der Revolution“ bearbeiten zu konnen, befasst sich die hier vorliegende Arbeit mit dem Leben des Josef Stalin von seiner Kindheit in Georgien bis zur Oktoberrevolution 1917. Sie uberpruft Aspekte die dazu fuhrten, dass sich der junge Kaukasier zu einem russischen Revolutions entwickelte. Dazu ist die Betrachtung bereits fruhkindlicher Pragungen unumganglich, ebenso wird ein Licht auf die Radikalisierung wahrend seiner Zeit im Tifilis Priesterseminar geworfen und seine Personlichkeitsentwicklung bis hin zur Oktoberrevolution dokumentiert. Zusatzlich werden die naheren Umstande betrachtet, die dazu fuhrten, dass der Marxismus, die Parteiarbeit und die revolutionare Bewegung fur Stalin nicht nur Politik waren, sondern auch zu einem Religions- und Familienersatz wurden.
2. Hauptteil
2.1. Die Kindheit des Josef Stalin
„Was man als Kind geliebt hat, bleibt im Besitz des Herzens bis ins hohe Alter.“ Dieses Zitat des libanesischen Dichters Khalil Gibran gilt auf das Allgemeine genauso wie auf das Spezielle. Inwiefern Stalins Vorliebe fur Raufereien oder seine unbandige Liebe zur kaukasischen Heimat ihn bis ins Alter pragten, lasst sich nur schwer verankern. Jedoch kann sicher behauptet werden, dass um die sagenumwobene Gestalt des Josef Stalin zu verstehen, man nicht umhin kommt seine Wurzeln und Pragungen zu untersuchen.
Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili erblickte am 21. Dezember 1789 in Gori, Georgien, das Licht der Welt. Dort verbrachte der spatere Josef Stalin seine Kindheit und war somit konstant den Einflussen des kaukasischen Rebellentums ausgeliefert.[3] [4]
Zu dieser Zeit galt der Kaukasus als neue Eroberung des Russischen Reiches. Lange Zeit hatten sich die Bewohner der kaukasischen Regionen erfolgreich gegen auBere Feinde zur Wehr gesetzt. Jedoch unterlagen sie in den andauernden Auseinandersetzungen mit Russland und waren gezwungen, sich dem GroBreich zu unterwerfen. Durch die lange Kriegstradition war aus dem georgischen Volk ein Volk der Kampfer geworden, die uber die Landesgrenzen hinaus als mutige Soldaten bekannt waren. Helden und Manner lieBen die Georgier in ihrer Tradition hochleben und ehrten sie mit Liedern und Erzahlungen. Vor allem die Romanfigur Koba, ein moderner Robin Hood, der im Zusammenhang mit dieser Tradition entstand, beeinflusste den jungen Stalin. Wie ein Jugendfreund berichtete, wurde die Figur des Koba zu Soso‘s Ideal und Bild seiner Traume. Koba wurde von Stalin als Gott verehrt und zu seinem Lebensinhalt. Er wollte der zweite Koba sein, ein Kampfer und ein Held, und wie er mit Ruhm und Ehre uberschuttet werden.[5]
Er machte den Namen Koba zu seinem Decknamen wahrend er im Untergrund tatig war. Dieses Heldenbewusstsein starkte das Selbstbewusstsein der Bewohner des Kaukasusgebietes und forderte ihre Selbstbestimmtheit, welche es ihnen ermoglichte trotz Unterwerfung ein Gefuhl der Abgrenzung und Uberlegenheit zu entwickeln.[6]
In der durch einen Mannlichkeitskult gepragten Gesellschaft waren Gewalt und Blutrache ein zulassiges und kaum kritisiertes Mittel der Konfliktlosung. Taglich standen offen ausgetragene Konflikte auf der Tagesordnung. Nicht zuletzt wurden diese durch die ethnischen und multikulturellen Gegensatze innerhalb der Gesellschaft herbeigefuhrt, die der grenznahen Lage geschuldet waren.[7]
Neben den kulturellen Problemen und den damit zusammenhangenden Gewaltexzessen, hatte die Region rund um den Kaukasus, viele Kilometer entfernt von Moskau, auch mit Armut und Ruckstandigkeit zu kampfen. Die bereits in den 1860iger Jahren in Russland abgeschaffte Leibeigenschaft blieb in den Regionen des Kaukasus erhalten und fuhrte zu einer allgemeinen ruckstandigen Situation im Sozialwesen. Auch im Bildungssystem herrschte eine, in den russischen GroBstadten unbekannte, Ruckstandigkeit. Viele Kaukasier waren Analphabeten und weiterfuhrende Bildungseinrichtungen gab es nur vereinzelt. Georgische Studenten besuchten daher russische Universitaten in Sankt Petersburg und Moskau und brachten auf diesem Wege westliches Gedankengut mit in die Heimat. Dort entstanden nun Kulturkonflikte, denn die bisher asiatisch gepragte Kultur stieB nun auf ein bislang fremdes westlich gepragtes Gedankengut. Weiterhin wurde dieser Konflikt durch die beginnende Russifizierung angefeuert. Mit ihr kamen neue Unruhen in das ohnehin schon problemgeladene Gebiet. Die steigende Zahl russischer Beamter, die dafur zustandig waren das Bildungssystem und die Sprache zu russifizieren, stieBen auf Widerstand. Die Zwangsumstellungen nach allgemeinrussischem Vorbild waren Nahrboden fur weitere Konflikte und Ausschreitungen, da das durch Nationalstolz gepragte Volk nicht bereit war mit dem Rest des Russischen Reiches konform zu laufen.[8]
Einen weiteren Unruhepol bildeten die Gebiete um Baku. Hier wurden die vorhandenen Erdolgebiete durch europaische Industrielle ausgebaut und die vorhandenen Arbeiter ausgebeutet. Bedingt durch das Aufeinandertreffen von Kaukasiern, Russen und anatolischen Gastarbeitern bildeten sich in den Produktionsstatten konfliktgeladene, multikulturelle Schmelztiegel. Neben dem Ausbau der Erdolforderung brachte jedoch die Industrialisierung dieser Gebiete auch Fortschritt. So entstanden unter anderem Eisenbahnlinien. Die neue industrielle Moderne traf auf die landlich kaukasische Tradition. Ein weiterer Konfliktpol entstand.[9]
Das konfliktgeladene Gebiet um den Kaukasus stellte den Nahrboden fur eine erfolgreiche revolutionare Arbeit dar. Das aufgekommene Unruhepotential, die Unzufriedenheit und die ethnisch-religiosen Probleme pragten Stalin, denn er konnte in spateren Jahren wie kein anderer die Menschen seiner Heimat verstehen und mit ihnen auf gleicher Ebene korrespondieren um sie so fur seine Ideen und die Ideen der Partei zu gewinnen. Gepragt von den Missstanden seiner Zeit wuchs der junge Stalin in Gori auf. Anders als oft behauptet, war Gori durch die Eisenbahn gut erschlossen und verfugte neben der durch Handwerk und Handel gestarkten heimischen Wirtschaft uber ein Theater. Dieses zog Schauspieler, Schriftsteller und Intellektuelle aus der Metropole Tiflis an und brachte politisch oppositionelle Zirkel in die Stadt, die durch illegale Lesegemeinschaften versuchten die Bauern der Umgebung zu bilden.[10]
In dieser Stadt lebte die Familie des Josef Stalins und in dieser Stadt verbrachte der spatere „stahlerne Diktator“ seine Kindheits- und Jugendtage. Er selbst legte groBten Wert darauf, dass seine Jugend mit Diskretion behandelt wurde. Bis heute gibt es umstrittene Fakten und Informationen uber die Zeit in Gori. Personliche Angaben uber seine Kindheit gab Stalin nur selten heraus, denn private Details hatten den von ihm verkorperten Fuhrerkult moglicherweise geschwacht. Beide Eltern, Vater und Mutter stammt aus Familien des Bauernstandes, wahrend sich die Seite des Vaters bereits aus der Leibeigenschaft befreit hatte, stand die Familie mutterlicherseits noch unter der Leibeigenschaft. Der Vater Wissarion Dschugaschwili war Schuhmacher und sorgte bis zu seinem sozialen Verfall fur den Unterhalt der Familie. Er heiratet im Jahr 1874 Jekaterina Geladse Dschugaschwili. Beide hatten vier Kinder, von denen nur eines uberlebte.[11]
Im Jahr 1883 anderte sich die Situation der Familie schlagartig. Nachdem der Vater immer mehr dem Alkohol verfiel und sich in Schlagereien wiederfand, ging es fur die Familie bergab. Wissarion begann damit seine Frau und den Sohn zu misshandeln. Der Junge wurde im Alter von vier Jahren nicht nur Zeuge hauslicher Gewalt, sondern fiel dieser auch regelmaBig zum Opfer. Die Trinksucht des Vaters fuhrte zum Verlust des Hauses und die kleine Familie musste in eine Mietwohnung umsiedeln.[12]
Wenn der Vater versagte, war die Mutter immer zur Stelle, auch wenn sie den Jungen nicht nur liebkoste sondern ihn auch schlug. Sie war es, die es Stalin ermoglichte, eine Schulbildung zu beginnen. Sie liebte ihren Sohn uber alles, wie sich ein Schulfreund Stalins erinnerte:
,,Kato (die Mutter) umgab Josef mit grofier Liebe und wie eine Wolfsmutter beschutze sie ihn vor allem und jedem. Sie arbeite wie eine Sklavin um ihren Sohn glucklich zu sehen. “[13]
Keke, so wurde die Mutter genannt, war eine gebildete junge Frau. Anders als viele Andere ihrer Zeit konnte sie lesen und schreiben. Sie war sehr religios und als Naherin im Umkreis geschatzt. Sie war eine wohlerzogene und fleiBige Person. Wie es die Tradition der Georgierinnen war trug sie die landestypische Tracht, eine traditionelle Kopfbedeckung und ein blaues Kleid, welches den Himmel Georgiens symbolisierte. Gepeinigt von ihrem Mann und aus einer Familie Leibeigener stammend, beschloss Keke, die Zukunft ihres Sohnes sollte besser verlaufen: sie wollte ihn zu einem georgisch-orthodoxen Priester erziehen lassen. Nach langem Drangen und Auseinandersetzungen mit dem Josefs Vater gelang es ihr schlieBlich im Jahre 1888 den zehnjahrigen Jungen an der kirchlichen Schule in Gori anzumelden.[14] Stalin schatze die Moglichkeit eine Schule zu besuchen sehr, zahlte er nun zu den wenigen, denen eine Schulbildung zu Teil wurde. Er zeichnete sich durch FleiB aus. Keiner hatte ihm die russische Sprache gelehrt, die von ihm aber nun gefordert wurde. Die ersten zwei Jahre seiner Schulbildung verbrachte der Junge damit, sich elementare Sprachkenntnisse anzueignen. Wahrend seine Mutter ihm unterstutzend zur Seite stand, ubte sein Vater Kritik an der Ausbildung seines Sohnes. Er ging soweit, dass er seinen Sohn aus der Schule nahm und nach Tiflis brachte, wo er ihn in einer Schuhfabrik arbeiten lieB. Stalin konnte hier die fruhkapitalistische Ausbeutung der Arbeiterklasse authentisch am eigenen Leib erfahren. Die Zeit in Tiflis mit dem Vater pragte den Junge, sodass er nach seiner gelungen Ruckkehr nach Gori den Schulbesuch und seine Bildung zur Prioritat werden lieB. Kurz nach seiner Ruckkehr ereignete sich ein Unfall, bei dem der Junge schwer verletzt wurde. Obwohl er sich schnell wieder erholte blieb sein linker Arm in der Bewegung eingeschrankt. Neben dem ohnehin schwer konfliktgeladenen Umfeld in dem Stalin aufwuchs und der hauslichen Gewalt, der er taglich ausgesetzt war, kam nun eine korperliche Behinderung hinzu, die nach Ansicht einiger Stalin Biographen den Jungen ebenfalls stark psychisch belastete.[15]
Als die Mutter das Schulgeld nicht mehr tragen konnte, bekam Josef als fleiBiger und hervorragender Schuler ein Stipendium zugesprochen, welches ihm eine Fortfuhrung seiner Bildung ermoglichte.
[...]
[1] Spitzname Stalins wahrend seiner fruhen Jugend.
[2] Vgl. Creuzberger, Stefan: Stalin. Machtpolitiker und Ideologe, Stuttgart 2009. S. 49ff.
[3] Zitat aus: Krumeich Manfred: Schatten der Zeit: Krumreichs eingemachte Werke, Norderstedt 2010. S. 74.
[4] Vgl. Hilger, Gustav: Stalin. Aufstieg der UdSSR zur Weltmacht, Gottingen 1957. S.7f.
[5] Vgl. Iremaschwili, Joseph: Stalin und die Tragodie Georgiens. Erinnerungen, Berlin 1932. S. 18.
[6] Vgl. Creuzberger 2009. S. 52.
[7] Vgl. ebd. S. 53ff.
[8] Vgl. Hartmann 2007.S. 231.
[9] Vgl. ebd. S. 229ff.
[10] Vgl. Creuzberger 2009. S. 55f.
[11] Vgl. Von Thadden, Adolf: Josef Stalin. Verwandler der Welt, Rosenheim 1991. S. 13.
[12] Vgl. Montefiore, Simon Sebag: Der junge Stalin, Frankfurt am Main 2007. S. 67ff.
[13] Zitat aus Davrichewy, Joseph: Ah! Ce qu’on rigolait bien avec mon copain Staline, Paris 1979. S. 34. (“Karo OKpy^ana Hocn^a npe3MepHon MarepnHCKon nmboBbro n, nogobHo booths, 3amnmana ero ot Bcex n bcu. OHa H3MaTbmana ce6a paboron go H3HeMo*eHna, hto6m cgenaTb cnacrgnBbiM CBoero 6agoBna“)
[14] Vgl. Ardnassak, Ralph: Geburt bis Jeschowtschina in Ardnassak Ralph: Vaterchen Misstrauen. Die Welt des Josef Stalin, Bd. 1, Hannover 2014. Abschnitt 488 (Kindle Ebook)
[15] Vgl. Service Robert: Stalin. A biography, London 2004. S. 25ff.
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