„Lebendige Menschen“ als „tote Registraturnummern..." - Eine Bürokratie-Kritik nach Franz Kafka


Wissenschaftlicher Aufsatz, 1989

14 Seiten, Note: - entfällt -


Leseprobe


ÜBERSICHT

1. BÜROKRATIE, BÜROKRATIE

2. LEGITIME ORGANISATIONSHERRSCHAFT

3. ENTBÜROKRATISIERUNG

4. HISTORISCH-KRITISCHES ZUM ´GANZEN HAUS´

5. HOHEITSGEWERBE

6. SCHLEICHENDE VERSTAATLICHUNG

7. GEWISSENLOSE GEWISSENHAFTIGKEIT

„Lebendige Menschen“ als „tote Registraturnummern...“

Eine Bürokratie-Kritik nach Franz Kafka*)

SWF-Radiovortrag

(12. Februar 1989, SWF II / Die Aula)

Richard Albrecht

´Living human beings´ as ´pure numbers of registration´

Franz Kafka´s look on the bureaucratic apparatus.

[A historical lecture, as broadcasted

by German South-West-Radio, February 12th, 1989]

In this scholarly piece, the author, a German scholar with strong interest in human action(s) and acting human, follows the well-know writer Franz Kafka who had, above all in his novel "Der Prozess", visioned a terrible bureaucratic world basically forming a specific policy of “taking lives”. Giving this setting, Richard Albrecht goes the way from early fictional warnings according to bureaucratic totalitarism and totalitarian bureaucracy as fictionalised by Franz Kafka within his literary work to that most effective bureaucracy mass-destruction -meanwhile named genocide-, and personally represented by a subaltern officer within the Nazi system at work like Adolf Eichmann when organising the ´final solution´ of the ´Jewish Question´ in Europe under the umbrella of the Word War II in occupied Eastern Europe empirically. In contrary to any well-functioning bureaucratic system and naive myth according its justness (as coined our by the prominent German sociologist Max Weber) in general, and that specific one as organised by the German fascists which Hannah Arendt in her report on "the banality of evil" named the permanent ´rule by decrets´, Richard Albrecht gives a critique of that Weberian ´theory´ of bureaucracy as one of the legitim forms of rule which the author characterizes as at least (sociological) naive if not, in the very last instance, as a matter of scholarly obscurity to be characterised as rubbish talk. - Richard Albrecht tries to pick up reflections of Franz Kafka productively when looking upon bureaucracy and its specific rules transforming living human beings into dead numbers of registration whenever bureaucracy is working empirically as an effective ´huge organisation´ which, above all, persecutes innocent people to be accused within a juridical trial without making any sense at all but dominated by a huge organisation ´which occupies not only corrupt wardens, controllers, and coroners, but also affords a caste of high and highest ranked judges followed by a numerous inevitable tail of servants, butlers, clerks, plotters, typist, constables, cops, confidents, and perhaps even hangmen´ (Franz Kafka). - Following this very perspective the authors view can be characterised with what Irving Louis Horowitz (1980) named a policy of "saving lives".

BÜROKRATIE, BÜROKRATIE

Bürokratie ... wer wollte sie nicht kritisieren ... scheint es doch so, als sei unser Leben von einer allgegenwärtigen und besonderen Form regelgebundener, monotoner, routinisierter Verwaltung und Versorgung bestimmt; der Bürokratie, die zunehmend alle menschlichen Lebensbereiche durchdringt und unseren Alltag bestimmt. Und je mehr wir der Bürokratie bedürfen, auf sie angewiesen sind - desto ärgerlicher wird Bürokratie für uns, werden wir bürokratieverdrossen und nicht selten auch: bürokratiegeschädigt und bürokratiefeindlich. Grad so, als wäre Bürokratie - nach einem Wort des französischen Romanciers Honore de Balzac - tatsächlich ein gigantischer Mechanismus, den Zwerge beherrschten - Angehörige eines besonderen Geschlechts von Organisationen mit Mitgliedern, die zu allem bereit scheinen: Bürokraten eben, Organisationsmenschen -„organisational men“-, die ihre Überlegenheit, Macht und Einfluß gegen den Rest der Welt einsetzten und jene unter ihre Knute brachten, die ihr nicht angehören, vielmehr von ihr abhängig, auf sie angewiesen und nicht selten auch: verworfen sind.

Die Idee bürokratischer Herrschaft finden wir schon in einer der ältesten Quellen der Menschheit - im Alten Testament, So heißt es im Zweiten Buch Mose im achtzehnten Kapitel in einem Ratschlag des Jethro an Moses:

"Siehe dich um unter allem Volk nach redlichen Leuten, die Gott fürchten, wahrhaftig und dem Geiz feind sind; die setze über sie, etliche über tausend, über hundert, über fünfzig und über zehn, - daß sie das Volk allzeit richten; wo aber eine große Sache ist, daß sie dieselbe an dich bringen, und sie alle geringeren Sachen richten. So wird dir´s leichter werden, und sie werden mit dir tragen."

Und so alt wie die Bürokratie selbst ist auch die Kritik an ihr. Wie bekannt, war´n die schlimmsten Kritiker der Elche - meistens früher selber welche; und die Todfeinde der Molche, war´n auch früher selber solche [Strolche]. Und so sind denn wohl auch gerade die radikalsten Kritiker der Bürokratie und ihrer Leistungs- und Herrschaftsseiten heute typischerweise selbst ehemalige Organisationsmitglieder, frühere regelgebundene Sachwalter in administrativen Einrichtungen, ausgestiegene Bürokraten - Leute also, die sich in angesonnenen Funktionsweisen und wirklichen Funktionen von Verwaltungsapparaten auskennen müßten.

Bürokratie im modernen demokratischen Sozialstaat also - allgegenwärtig spürbarer und fundierter Ausdruck einer verwalteten Welt -, wer wollte sie nicht kritisieren in einer Zeit, in der ohne Staat und Bürokratie so gar nichts mehr zu gehn scheint: aber auch Auschwitz - bis heute unwiderrufliche Chiffre für das rational so schwer Faßliche einer "fabrikmäßig betriebenen Vernichtung von Menschen" und - so Hannah Arendt - "staatlich organisiertem Völkermord“ während des Zweiten Weltkriegs war ein bürokratischer Vorgang gigantischen Ausmaßes, von der Erfassung bis zum Trausport derer, die ein Staat mithilfe seiner bürokratischen Apparate ins Gas und damit in den Tod schickte - ein Gesichtspunkt, den H.G. Adler, selbst tschechischer Jude und nach Theresienstadt ´verbracht´, später in seinen "Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland" unter dem bezeichnenden Titel „Der verwaltete Mensch“ (1974) aufgearbeitet hat. So gesehen, vollzog sich in Auschwitz und in den anderen Menschenvernichtungslagern in der Tat ein Prozeß, den der Prager Jude und deutschsprachige Schriftsteller Franz Kafka schon viele Jahre vorher einmal in einem Gespräch über Beamte so gekennzeichnet haben soll:

"Ein Henker ist heute ein ehrsamer, nach der Dienstpragmatik wohlbezahlter Beamtenberuf. Warum sollte also nicht in jedem ehrsamen Beamten ein Henker stecken ? - Die Beamten bringen doch keine Menschen um ! - Und ob sie es tun ! - entgegnete Kafka: Sie machen aus den lebendigen, wandlungsfähigen Menschen tote, jeder Wandlung unfähige Registraturnummern.“

[...]

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
„Lebendige Menschen“ als „tote Registraturnummern..." - Eine Bürokratie-Kritik nach Franz Kafka
Note
- entfällt -
Autor
Jahr
1989
Seiten
14
Katalognummer
V38287
ISBN (eBook)
9783638373975
Dateigröße
474 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Bei diesem Aufsatz handelt es sich um einen SWF-Radiobeitrag aus dem Jahr 1989. Das Vorwort ist in englischer Sprache gehalten. Richard Albrecht ist Sozialwissenschaftler (Dr.phil., Dr.rer.pol.habil.) und lebt als Sozialpsychologe, Autor und Ed. von rechtskultur.de in Bad Münstereifel.
Schlagworte
Menschen“, Registraturnummern, Eine, Bürokratie-Kritik, Franz, Kafka
Arbeit zitieren
Dr. Richard Albrecht (Autor:in), 1989, „Lebendige Menschen“ als „tote Registraturnummern..." - Eine Bürokratie-Kritik nach Franz Kafka, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38287

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