Italienische und deutsche Wissenschaftssprache. Zwei ebenbürtige Varietäten?


Hausarbeit, 2016

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Multilinguale Wissenschaft - Möglichkeit oder Utopie?

2. Definition Wissenschaftssprache

3. Desiderate der Wissenschaftssprachkomparatistik

4. Italienische und deutsche Wissenschaftssprache - zwei ebenbürtige Varietäten?
4.1. Deiktische Mittel
4.1.1 Die deiktischen Mittel ,hier' und ,nun'
4.1.2 Anadeixis und Katadeixis
4.2 Syntaktische Besonderheiten
4.2.1 Subordinierende und Koordinierende Satzverknüpfungen
4.2.2 Konnektoren
4.3 Explikative Mittel
4. 4 Tempusgebrauch in wissenschaftlichen Texten

5. Analyse zweier Ausschnitte

6. Fazit und Beantwortung der Fragestellung

1. Multilinguale Wissenschaft - Möglichkeit oder Utopie?

„Ich habe keine Abneigung gegen die englische Sprache. Sie ist zweifellos ein notwendiges Instrument, ohne das wir uns in der Wissenschaftslandschaft wohl nicht mehr verständigen könnten. [...] Doch möchte ich betonen, dass die Sprachenvielfalt gerade auch für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess ein kostbares Gut ist, das wir unbedingt bewahren und pflegen sollten.“[1]

Peter Funke, Vizepräsident der deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), plädiert für eine multilinguale Wissenschaft. Die englische Sprache drängt sich mehr und mehr in den Mittelpunkt der Wissenschaft weltweit. Jedoch liegt es eindeutig auf der Hand, dass auch andere Wissenschaftssprachen den selben Stellenwert wie den des Englischen verdienen. Wie Peter Funke im Eingangszitat zu verstehen gibt, ist Sprachenvielfalt ein kostbares Gut für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess. Betreibt man wissenschaftliche Forschung, spielt die Sprache ,in welcher man ihr nachgeht, eine nicht unerhebliche Rolle für den Denk- und schlussendlich auch für den Erkenntnisprozess. Ein Mensch, der in seiner Muttersprache nachdenkt und schreibt, wird die Inhalte seines Denkens anders miteinander verknüpfen als wenn er dies in einer anderen Sprache täte. Diese These steht im Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung, dass das Wissen der Welt ein Einheitswissen darstelle, welches lediglich unterschiedlich sprachlich verhüllt ist. Auch Konrad Ehlich bemängelt an dieser Auffassung, dass sie zentral verkennt, „was in den sprachlichen Strukturen immer schon vorgegeben ist, nämlich Bahnen, wie wir unser Denken strukturieren, Bahnungen für unser Erkennen und für unsere Wahrnehmung, die eben nicht sozusagen sprachfrei geschehen, und die Entwicklung je spezifischer Filter für das, was in unser Wissen und damit in unser Denken überhaupt eingehen kann.“[2]

Das Erkennen dieser Bahnen und Filter ist eine der Aufgaben, welcher sich die Wissenschaftssprachkomparatistik widmet.

Die vorliegende Arbeit soll anhand des Sprachenpaares Deutsch-Italienisch einen ersten Einblick in die Wissenschaftssprachkomparatistik geben und die Unterschiede der Wissenschaftssprachen des Deutschen und Italienischen aufzeigen. In einem ersten Annäherungsversuch wird zunächst der Begriff Wissenschaftssprache definiert. Im darauffolgenden Abschnitt werden die Desiderate der Wissenschaftssprachkomparatistik kurz umrissen, um im Hauptteil der Arbeit die unterschiedlichen Parameter, anhand derer das Sprachenpaar verglichen wird, darzulegen. Im darauffolgenden Arbeitsschritt werden die Erkenntnisse des theoretischen Hauptteils in einer eigenen Analyse von zwei wissenschaftlichen Texten des deutschen und italienischen angewandt und geprüft. Im darauffolgenden Schritt werden die Ergebnisse der Analyse zusammengefasst und es wird versucht eine Antwort auf die Fragestellung „Italienische und deutsche Wissenschaftssprache, zwei ebenbürtige Varietäten?“ zu finden.

2. Definition Wissenschaftssprache

Wissenschaftliche Theorien müssen sprachlich ausgedrückt werden. Dies könnte prinzipiell mithilfe der Alltagssprache geschehen. Damit ist jedoch eine Reihe von Schwierigkeiten verbunden, die dazu geführt hat, dass zur Formulierung von wissenschaftlichen Theorien eine eigene Wissenschaftssprache entwickelt worden ist. Laut Georg Klaus und Manfred Buhr, welche gemeinsam das Philosophische Wörterbuch herausgaben, versteht man unter Wissenschaftssprache die „Gesamtheit der sprachlichen Mittel einer Wissenschaft mit den Regeln für deren Gebrauch“[3]. Die Definition nach Klaus/Buhr macht bereits deutlich, dass es sich bei Wissenschaftssprache um eine eigene sprachliche Form handelt. Konrad Ehlich unterstreicht dieses Kriterium zur Abgrenzung der Alltagssprache von Wissenschaftssprache mit dem Ausdruck Varietät und formuliert seine Definition wie folgt:

„Wissenschaftssprache ist in sich keine eigene Sprache, sondern eine spezifische Varietät innerhalb einer jeweiligen ausgearbeiteten Sprache. Der Ausdruck ,Sprache’ wird also metonymisch verwendet. Diese Varietät entsteht in der Wissenschaftskommunikation und für sie.“ [4]

Ergänzend zum Kriterium der spezifischen Varietät betont Ehlich, dass der Begriff Sprache in diesem Zusammenhang nicht in seiner eigentlichen Bedeutung zu verstehen ist, da Wissenschaftssprache ja keine eigenständige, ausgearbeitete Sprache darstellt, sondern wie bereits erwähnt lediglich eine Form einer ausgearbeiteten Sprache bezeichnet. So haben sich die Wissenschaftssprachen unterschiedlicher Sprachen erst im Laufe der Zeit aus den jeweiligen Volkssprachen entwickelt, da die Eigenschaft der Flexibilität der Alltagssprache diese als Wissenschaftssprache zunehmend ungeeignet machte. Viele Lexeme sind ambivalent, ihre Semantik oft unscharf. Die Wissenschaftssprache versucht diese Nachteile der Alltagssprache zu überwinden, indem sie eine spezielle Terminologie verwendet, die für die jeweilige Wissenschaft genau definierte Begriffe bezeichnet. Durch eine solche Terminologie wird neben der Prägnanz auch eine kürzere und damit übersichtlichere Ausdrucksweise möglich.

3. Desiderate der Wissenschaftssprachkomparatistik

Der Frage nach der Funktion von Sprache für das menschliche Denken wurde bisher weder in der Linguistik noch in der Philosophie ausreichend nachgegangen. So stellt das eingangs erwähnte Desiderat der genaueren Ermittlung der sprachlichen Bahnen und Filter eines der wichtigsten Ziele der Wissenschaftssprachkomparatistik dar. Die Entwicklung der Wissenschaftssprachen aus den dialetti volgari, den Volkssprachen, bedarf einer Rekonstruktion, die zweifelsohne eines der wichtigsten Desiderate der Wissenschaftssprachkomparatistik ist.[5]

Einer Betrachtung wert ist darüber hinaus das Bindeglied zwischen den Alltags- und Wissenschaftssprachen. Den wissenschaftlichen Alltagssprachen kommt „eine Grundlagenqualität für die Funktionsfähigkeit der Wissenschaftssprachen zu“[6], deren Zusammenhänge es zu untersuchen gilt und die somit ein weiteres Desiderat konstituiert. Nicht nur die Funktionsfähigkeit der Wissenschaftssprache ist von besonderem Interesse, sondern auch ihre Leistungsfähigkeit. Auf der Basis von empirischer Forschung, durch das Erfassen ihrer Leistungen und Grenzen wird es möglich, wissenschaftssprachliche Strukturen zu durchschauen.

Zu guter Letzt geht die Wissenschaftssprachkomparatistik der Frage nach, inwiefern Sprache Einfluss auf unser Denken hat. Die Frage nach der Leistungsfähigkeit der verschiedenen Sprachen für spezifische Aufgaben des Denkens, bildet das abschließende Desiderat dieser Disziplin.

4. Italienische und deutsche Wissenschaftssprache - zwei ebenbürtige Varietäten ?

Im Folgenden werden die italienische und die deutsche Wissenschaftssprache anhand unterschiedlicher Parameter miteinander verglichen.[7] Zunächst wird das deiktische Ausdrucksinventar der beiden Sprachen betrachtet. Im darauffolgenden Schritt wird die Syntax der beiden Sprachen analysiert, mit besonderem Augenmerk auf subordinierende und koordinierende Satzverknüpfungen. Als letzter Aspekt werden die explikativen Mittel der zwei Sprachen beschrieben und der Tempusgebrauch näher betrachtet.

4.1. Deiktische Mittel

4.1.1 Die deiktischen Mittel ,hier’ und ,nun’

Deiktische Mittel verweisen in bestimmten Sprech- und Handlungssituationen auf Personen, Gegenstände, Räume oder Zeit. Mit Hilfe solcher deiktischen Prozeduren „macht S [der Sprecher] seine Fokussierung für H [den Hörer] nachvollziehbar. Eine solche Orientierung unterstützt die Rezeption. Sie kann temporal, spatial/lokal, personen- ,objekt- oder aspektgebunden sein [...].“[8] Dabei können die Verweisräume von S variieren. Sie sind insbesondere in der wissenschaftlichen Kommunikation unverzichtbar und werden vor allem in deutschsprachigen Aufsätzen „bemerkenswert häufig in Anspruch genommen.“[9] Obwohl sie unentbehrlicher Bestandteil im wissenschaftlichen Dialog sind, fällt ihre Präsenz dem unkundigen Leser nicht unbedingt sofort auf und so dringen sie erst dann ins Bewusstsein, wenn bei der Rezeption eine sprachliche Analyse erforderlich oder eine Übersetzung des Textes notwendig ist.

Die europäischen Sprachen unterscheiden sich in ihrem deiktischen Ausdrucksinventar enorm. So scheint die englische Sprache arm an deiktischen Mitteln, Deutsch reich und Französisch noch reicher: „English seems to be poor in deixis, German rich, and French even richer.“[10] Dorothee Heller ist als Linguistin im Gebiet deutsch-italienischer Sprachkomparatistik sehr aktiv und publizierte vielzählige Beiträge. Im ersten Abschnitt wird nun Bezug auf einige Beispiele aus einem Teil ihrer Publikation genommen, der sich mit den deiktischen Mitteln ,hier’ und ,nun’ befasst. Die Analyse basiert auf dem Paralleltextkorpus des Soziologischen Jahrbuches, Annali di Sociologia, kurz Annali.

Die erste Feststellung, die sich hinsichtlich der zwei deiktischen Mittel ,hier’ und ,nun’ machen lässt, ist die Tatsache, dass es zwei äquivalente Pendants im Italienisch gibt. Nämlich qui und ora. Eine Übersetzung des deutschen Originals scheint also auf den ersten Blick recht unproblematisch. Befasst man sich jedoch näher mit einigen Textauszügen, so wird schnell deutlich, dass sich das Italienische durchaus anderer Ausdrücke bedient, um das deutsche ,hier’ und ,nun’ auszudrücken. Im ersten Beispiel, welches sich im Anhang unter (1a) in Tabelle 1 findet, wird das deutsche deiktische Mittel ,hier’ mit der italienischen Mehrworteinheit in tale sede ,an dieser Stelle’ übersetzt. Der Autor erklärt, dass er sich nicht mit den Ursachen des Defizits befassen kann und gibt folglich eine Verzichtserklärung hinsichtlich der Behandlung des Gegenstands ab.[11] Betrachtet man das Verweisobjekt, auf welches der Autor Bezug nehmen will, kommt nur der Gesamttext an sich in Frage. Laut Dorothee Heller werden im Italienischen solche Mehrworteinheiten für ,hier’ mit Bezug zum Gesamttext und vor allem in Zusammenhang mit Verzichtserklärungen oder bei der „Explizierung von Schwerpunktsetzungen“[12] häufig verwendet.

In Beispiel (1b) wird wie in Beispiel (1a) mit dem Ausdruck ,hier’ Bezug auf den Gesamttext genommen, der deiktische Begriff ,nun’ bereitet H auf die im Textverlauf folgende Argumentation von S vor und hat somit Signal- bzw. Gliederungsfunktion. An dieser Stelle zeigt sich eine der Funktionen, die deiktische Mittel unteranderem innehaben. Nämlich ihre unterstützende Aufgabe hinsichtlich der Wissensaneignung von H, die den Leser durch den Textverlauf begleitet und die Beweisführung von S nachvollziehbar macht. Betrachtet man nun die italienische Übersetzung, fällt zunächst auf, dass nur einer der zwei deiktischen Begriffe aufgegriffen wird. Das deutsche ,nun’ wird durch den Konnektor ma ersetzt und lediglich das deutsche ,hier’ wird durch das Deiktikon ora ausgedrückt. Der Konnektor ma bringt in diesem Fall eine „Perspektivenverlagerung mit sich, und zwar in Hinblick darauf, dass der noch darzustellende Zusammenhang als ein nicht unbedingt offensichtlicher charakterisiert

wird.“[13] Wird man sich der Tatsache bewusst, dass ein Text sowohl mentaler Raum, als auch chronologisch geordneter Prozess sein kann, so wird in Beispiel (1b) deutlich, dass der italienische Übersetzer diesen eher als Chronologie betrachtet, da er ja schließlich das Temporaldeiktikon ora verwendet.

Das dritte und letzte Beispiel erinnert wieder an Beispiel (1a). Der italienische Übersetzer greift das deutsche ,hier’ wieder einmal mit einer Mehrworteinheit in questi due campi auf und grenzt somit leserfreundlich das Verweisobjekt, in diesem Falle die zwei vorangegangenen Begriffe Soziologie und Ethnologie ein. An dieser Stelle lässt sich bereits festhalten, dass, auch wenn es in der italienischen Sprache analoge Ausdrücke zu den in den deutschen Originaltexten verwendeten deiktischen Mitteln gäbe, oftmals andere Ausdrücke verwendet werden.

Betrachtet man die Ergebnisse aus Tabelle 2 (sh. Anhang Tabelle 2), so zeigt sich die entschiedene Dominanz der deutschen hier-Belege gegenüber den italienischen qui- Belegen. Die Annalibände aus den Jahren 1991 und 2002 weisen 527 hier-Verweise auf. Im Gegensatz dazu lassen sich nur 401 qui-Verweise in den italienischen Originaltexten finden. Nach der Analyse der deiktischen Mittel in ihrem Gesamtvorkommen lässt sich eine eindeutige Tendenz dahingehend feststellen, dass das deutsche Ausdrucksinventar an deiktischen Mitteln mehr in Anspruch genommen wird, als das des Italienischen und sich die Übersetzer nicht immer der jeweiligen analogen Ausdrücke bedienen.[14]

4.1.2 Anadeixis und Katadeixis

Im folgenden Abschnitt werden die zwei sprachlichen Phänomene der Anadeixis und Katadeixis betrachtet. Zunächst werden jedoch die Begriffe Anapher und Katapher näher beleuchtet.

Nach Helmut Glück wird als anaphorisch "die satz- und satzfolgenübergreifende, nach links (rückwärts-, hinauf-) verweisende und verknüpfende Relation zwischen dem im Text ersten Auftreten eines Sprachzeichens und einer im Textverlauf späteren Wiederaufnahme bezeichnet, wobei das originäre Sprachzeichen (Substituendum) und das wiederaufnehmende Zeichen (Substituens) referenzidentisch sind."[15]

Dagegen wird als kataphorisch

„eine rechts oder vorwärts gerichtete Verweis- und Verknüpfungsfunktion von Pro-Formen (Katapher, Kataphora) bezeichnet, die im Text vor dem koreferenten Sprachzeichen, das als vollwertiger Referenzträger gelten kann, auftreten"[16]

Es gibt eine Reihe typischer Verben im Deutschen und Italienischen, welche häufig im Zusammenhang einer Anapher bzw. Katapher verwendet werden. Im Deutschen sind solche Verben zum Beispiel beleuchten, skizzieren, beschreiben, andeuten, bemerken. Im Italienischen finden sich vermehrt die Ausdrücke mettere in luce, passare a delineare, descrivere, notare oder osservare. Dorothee Heller hat die Textkommentierungen der Annalibände näher betrachtet und ist zu bemerkenswerten Ergebnissen gelangt, die im Folgenden näher betrachtet werden.

Betrachtet man Tabelle 3 (sh. Anhang Tabelle 3), zeigt sich eine eindeutige Tendenz der deutschen Wissenschaftssprache hin zu katadeiktischen Ausdrücken. Im Vergleich zwischen deutschen Originaltexten und deutschen Übersetzungen finden sich 185 Belege für eine Katadeixis in den Originalen, wohingegen sich lediglich 60 Belege in den deutschen Übersetzungen finden. Dieser Befund ist ein Hinweis darauf, dass sich einerseits grundsätzlich weniger katadeiktische Strukturen in den italienischen Originalen nachweisen lassen, und andererseits deutschsprachige Autoren mehr rechtsgerichtet formulieren. Diese These wird auch mit dem Vergleich zwischen italienischen Übersetzungen mit italienischen Originaltexten unterstützt. Hier finden sich 295 katadeiktische Strukturen in den italienischen Übersetzungen und 95 Belege in den italienischen Originalen. Das fast dreifach so häufige Auftreten der Katadeixis in den italienischen Übersetzungen zeigt eindeutig, dass sich die deutschen Autoren der deutschen Originaltexte auch hier wesentlich häufiger dieser Art der Textkommentierung bedient haben. Die letzte Spalte aus Tabelle 3 bezieht sich auf die Anadeiktischen Strukturen im Vergleich von deutschen Originaltexten mit deutschen Übersetzungen. Die festzustellende Tendenz ist in diesem Fall zwar nicht so markant wie in den vorangegangenen Vergleichspaaren, jedoch zeigt sich auch hier, dass sich die italienischen Übersetzer häufiger der Anapher bedienen.[17]

Abschließend lässt sich festhalten, dass die deutschsprachigen Autoren augenscheinlich mehr darauf bedacht sind, den Leser auf die im Text folgenden Inhalte vorzubereiten und sich deshalb häufiger der Katapher bedienen, als die italienischsprachigen Autoren der Annalibände. Durch „antizipierende Orientierungshilfen“[18] wird es dem Leser erleichtert, den darauffolgenden Text zu erfassen. Demgegenüber tendieren die italienischen Autoren dazu, „den Rezeptionsprozess des Adressaten dahingehend zu steuern, dass sie stärker refokussierend orientieren.“[19] Durch diese anaphorische Schreibweise werden dem Leser vorrausgegangene Inhalte wieder in Erinnerung gerufen und somit der kognitive Verarbeitungsprozess unterstützt.

4.2 Syntaktische Besonderheiten

Im Folgenden Teil dieser Arbeit werden einige syntaktische Besonderheiten der beiden untersuchten Wissenschaftssprachen beleuchtet. Zunächst werden die zwei Satzverknüpfungsarten, nämlich subordinierende und koordinierende Satzverknüpfungen betrachtet. In den zwei darauffolgenden Unterpunkten werden unterschiedliche Konnektoren und explikative Mittel betrachtet.

4.2.1 Subordinierende und Koordinierende Satzverknüpfungen

Antonella Nardi veröffentlichte eine interessante Studie über das Auftreten und die Komplexität von Haupt- und Nebensätzen in deutschen und italienischen Wissenschaftstexten. Auch sie verwendete Texte aus den Annalibänden und kam zu recht eindeutigen Ergebnissen.

In den untersuchten Auszügen der Annali kann man vorerst feststellen, dass sich italienische Autoren grundsätzlich häufiger der hypotaktischen Satzstruktur bedienen.[20] Die Verteilung von parataktischen und hypotaktischen Sätzen ist sowohl in den italienischen, als auch in den deutschen Texten unterschiedlich und lässt sich auf die Argumentationslinie der Autoren zurückführen. So konzentriert sich eine syntaktische Komplexität an bestimmten Stellen im Text, die den substantiellen Kern des Aufsatzes bilden.[21] Dabei ist nicht nur die Häufigkeit von hypotaktischen Sätzen interessant, sondern auch deren unterschiedliche Komplexitätsgrade. Nardi stuft die einzelnen Hypotaxe in fünf verschiedene Komplexitätsgrade ein. Auffällig zeigt sich bei der Einstufung, dass die „italienischen Texte weiter expandiert sind als die deutschen.“[22] Die deutschen Texte weisen einen sehr hohen prozentualen Anteil einfacher Sätze auf. In den drei untersuchten deutschen Texten sind im ersten 29 Prozent der syntaktischen Strukturen parataktisch, im zweiten 16 Prozent und im dritten Text 17, 5 Prozent. Im Vergleich dazu finden sich in den italienischen Texten lediglich 10,75 Prozent im ersten Aufsatz und 7,9 Prozent im zweiten. Im Ausgleich dazu weisen die beiden italienischen Aufsätze jeweils hypotaktische Satzstrukturen des Grades vier und fünf, den zwei höchsten Komplexitätsgraden der hypotaktischen Struktur, auf. Bemerkenswert ist, dass kein einziger der deutschen Texte Sätze beinhaltet, die sich in Grad vier und fünf einstufen lassen.[23]

Nardi stellt ausgehend von den oben genannten Erkenntnissen die These auf, dass „sich die Hypotaxe in den deutschen und italienischen Texten nach dem Komplexitätsgrad unterscheidet, insofern die italienischen Texte eine höhere Expansion in der Mehrstufigkeit der Perioden zeigen, als die deutschen.“[24]

4.2.2 Konnektoren

In diesem Abschnitt werden Konnektoren in der deutschen und italienischen Wissenschaftssprache betrachtet. Zunächst wird versucht eine Definition zu geben, um im Anschluss ihren Gebrauch näher zu erörtern.

Laut Duden ist ein Konnektor ein für den Textzusammenhang wichtiges Verknüpfungselement.[25] Diese Definition ist jedoch keineswegs ausreichend, da sie außer Acht lässt, dass Konnektoren die von ihnen verbundenen Sätze in eine bestimmte semantische Relation setzten: „[...] Klasse expliziter semantischer Satzverknüpfer [...], deren Bedeutung im Normalfall mindestens die Bedeutungen zweier Sätze zueinander in eine spezifische Relation setzt.“[26] Giancarmine Bongo hat sich mit dem Konnektorgebrauch in Einleitungen wissenschaftlicher Zeitungsartikel befasst und ist bei seiner Analyse zu interessanten Ergebnissen gekommen.

Der untersuchte Korpus umfasste jeweils 20 deutsche und italienische Texte, die aus den zehn folgenden Disziplinen stammten: Geschichte, Linguistik, Literaturwissenschaft, Medizin, Musikwissenschaft, Philosophie, Politikwissenschaft, Recht, Soziologie und Wirtschaft. Nach der Auswertung lässt sich eine leicht erhöhte Frequenz von Konnektoren in den deutschen Texten feststellen.[27] Und zwar wies der Korpus 711 Konnektoren für den deutschen Teil und 663 ihr den italienischen auf. Dieser Befund lässt sich jedoch nicht unerheblich auf die Gerundvorkommen im Italienischen zurückführen und so ließen sich 26 gerundi im Korpus ermitteln.[28] Wie bereits im ersten Abschnitt der Arbeit deutlich wurde, werden deutsche Deiktika im Italienischen häufig mit sogenannten Mehrworteinheiten, wie zum Beispiel in tale sede ,hier’, übersetzt. Auch in diesem Fall weist der analysierte Konnektorbestand des italienischen Subkorpus einen höheren Anteil an mehrteiligen Konnektoren, wie beispielsweise tranne nel caso in cui ,außer’, auf.

In einem nächsten Schritt müssen die gefundenen Konnektoren der beiden Wissenschaftssprachen miteinander verglichen werden. Dieser Vergleich geschieht zunächst auf der Basis einer Konnektorklassifikation, welche sich in sechs unterschiedliche Hauptkategorien unterteilen lässt. Man unterscheidet die Kategorien Kopulativ, Kontrast, Kausal, Temporal, Spezifizierend und Vergleichend. In beiden Subkorpora ist ein eindeutiges Übergewicht der Kopulativkonnektoren festzustellen. 65,68 Prozent für das Deutsche und 68,33 Prozent für das Italienische. Den markantesten Unterschied in der Verteilung der Konnektoren kann man anhand der Kategorie Spezifizierung festmachen. Die italienische Wissenschaftssprache weist hier fast fünfmal so häufig Konnektoren dieser Klasse auf: 4,68 Prozent für das Italienische und 0,84 Prozent für das Deutsche. Auch die Vielfalt an spezifizierenden Konnektoren der beiden Sprachen unterscheidet sich erheblich. So sind cioè, in breve, infatti, ovvero, solo, tranne nel caso in cui alle in den untersuchten Texten zu vermerken, wobei der deutsche Subkorpus lediglich die drei spezifizierenden Konnektoren insofern, insoweit und und zwar aufweist. Um eine genauere Analyse zu ermöglichen, reicht die bloße Einordnung der Konnektoren in die einzelnen Kategorien jedoch nicht aus. Eine weitere Kategorisierung hinsichtlich der semantischen Relationen wird daher erforderlich.[29]

Unter semantischer Relation versteht man zunächst einfach ausgedrückt die Beziehung zwischen Wörtern. Der hier untersuchte Konnektorbestand wies überwiegend symmetrische Relationen auf. Als symmetrische Relation wird „die Möglichkeit verstanden, die lautlich realisierten Konnekte über Kreuz den semantischen Rollen zuzuordnen, die den Konnekten als relationale Bedeutungen durch die Konnektorbedeutungen zugewiesen werden.“[30] So wies der deutsche Subkorpus insgesamt 532 symmetrische und 179 asymmetrische, der italienische 510 symmetrische und 153 asymmetrische Relationen auf. Der ähnliche Befund gibt Aufschluss darüber, in wie fern sich deutsche und italienische Verfasser wissenschaftlicher Texte hinsichtlich des Konnektorgebrauchs verhalten. Die Tatsache, dass überwiegend symmetrische Relationen vorliegen, ist darauf zurück zu führen, dass in Einleitungen wissenschaftlicher Abhandlungen Autoren meist auf die folgenden Inhalte und deren Gliederung im Textverlauf vorbereiten. Daher sind asymmetrische Relationen von Grund, Folge, Ursache an dieser Stelle nur bedingt notwendig.

Als vorläufiges Fazit lässt sich also festhalten, dass sich deutsche und italienische Texte betreffend der semantischen Relationen der Konnektoren nicht erheblich unterscheiden. Was die Verteilung hinsichtlich der Konnektorkategorie anbelangt, kann man im Italienischen ein größeres Vorkommen an spezifizierenden Konnektoren feststellen. Eine besondere Rolle nimmt hier unter anderem infatti ,nämlich’ ein, dessen Rolle im nächsten Abschnitt noch einmal genauer betrachtet wird. Das Übergewicht an kopulativen Konnektoren ist sowohl in der deutschen, als auch in der italienischen Wissenschaftssprache zu konstatieren und somit unterscheiden sich die beiden Sprachen auch hinsichtlich der semantischen Hauptkategorien nur gering. [31]

4.3 Explikative Mittel

Wie bereits im letzten Unterpunkt angekündigt, werden in diesem Abschnitt die explikativen Mittel infatti und ,nämlich’ noch einmal näher beleuchtet. Die Analyse stützt sich, wie auch die eingangs beleuchteten Aspekte aus 4.1.1, 4.1.2 und 4.2.1, auf den Annalikorpus. Zur allgemeinen weitgefassten Funktion, die die beiden Ausdrücke innehaben, lässt sich sagen, dass sie die „sprecherseitige Verbalisierung und die hörerseitige Rezeption unterstützen, indem sie den propositionalen Gehalt der Interaktion und das darin enthaltene Wissen strukturell organisieren.“[32] Laut Antonella Nardi sind nämlich und infatti zwei „verstehensbearbeitendende Operativa, durch die das Wissen von H strukturiert bzw. umstrukturiert wird.“[33]

Im untersuchten Korpus fällt zunächst auf, dass das Vorkommen von infatti mehr als doppelt so hoch ist, wie jenes von nämlich. Insgesamt erscheint ,nämlich’ 12 Mal, infatti ganze 27 Mal. Dabei ist zu unterstreichen, dass nämlich nur in vier von acht untersuchten Texten vorkommt, wohingegen infatti in allen analysierten Texten auftritt. Die Funktionen der beiden explikativen Mittel ist nach dem Ermitteln von deren Häufigkeit von besonderem Interesse und so werden diese im Folgenden kurz beschrieben und mit Beispielsätzen aus Tabelle 4 des Anhangs belegt.

Das Beispiel (1) aus der oben genannten Tabelle zeigt eine eher seltene Anwendungsweise von ,nämlich’ und infatti. Der Autor macht zunächst eine Aussage, indem er zu verstehen gibt, dass er der Meinung Becks etwas entgegenzusetzen hat. Im anschließenden Satz gibt er seinen Standpunkt preis, welcher durch infatti bzw. ,nämlich’ gestützt wird. Die Funktion besteht also in diesem Beispiel in der Überleitung zu einem zusätzlichen Argument, das die angekündigte Einwendung des Autors unterstützen soll.[34] Hinsichtlich der Absicht des Autors lässt sich sagen, dass er seine Meinung kund tun wollte. Infatti und nämlich dienen hier also als Mittel „einer polyphonen Perspektive zur argumentativen Gegenüberstellung von zwei verschiedenen Interpretationen einer Theorie.“[35]

[...]


[1] Funke, Peter. http://www.goethe.de/lhr/prj/diw/dos/de8161556.htm (abgerufen am 15.8.16)

[2] Ehlich, Konrad. Desiderate der Wissenschaftssprachkomparatistik. In: Heller, Dorothee, Deutsch, Italienisch und andere Wissenschaftssprachen Schnittstellen ihrer Analyse, Frankfurt am Main u.a., Lang,

[3] Klaus, Georg; Buhr, Manfred (Hrsg.). Philosophisches Wörterbuch. Anton Hain Verlag. Meisen 1971. Sv. Wissenschaftssprache.

[4] Vgl. Ehlich 2010: 15

[5] vgl. Ehlich 2010: 23

[6] vgl. Ehlich 2010: 25

[7] Der Begriff Varietät wird in diesem Zusammenhang in der Bedeutung von Konrad Ehlichs Definition verwendet.

[8] vgl. Heller. 2010: 44

[9] vgl. Heller 2010: 43

[10] vgl. Heller. 2010: 43

[11] vgl. Heller 2010: 45

[12] vgl. Heller 2010: 46

[13] vgl. Heller 2010: 47

[14] vgl. Heller 2010: 52

[15] Glück, Helmut (Hrsg.). Metzler Lexikon Sprache. Metzler Verlag. Stuttgart/ Weimar 2005. Sv. Anapher

[16] vgl. Glück 2005: sv. Katapher

[17] vgl. Heller 2010: 133

[18] vgl. Heller 2010: 133

[19] vgl. Heller 2010: 134

[20] Nardi, Antonella. Subordinierende und koordinierende Satzverknüpfung in sozialwissenschaftlichen Texten. Eine Pilotstudie. In: Heller, Dorothee, Formulierungsmuster in deutscher und italienischer Fachkommunikation: intra- und interlinguale Perspektiven, Bern u.a., Lang, 2008. S. 185

[21] vgl. Nardi 2008: 187

[22] vgl. Nardi 2008: 188

[23] vgl. Nardi 2008: 189

[24] vgl. Nardi 2008: 189

[25] http://www.duden.de/rechtschreibung/Konnektor (abgerufen am 24.08.16)

[26] Bongo, Giancarmine. Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache (am Beispiel der Einleitungen zu wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen). In: Ferraresi, Gisella (Hrsg.),

[27] Konnektoren im Deutschen und im Sprachvergleich. Beschreibung und grammatische Analyse. Narr Verlag. Mannheim. 2011. S. 251

[28] vgl. Bongo 2011:271

[29] vgl. Bongo 2011:271

[30] vgl. Bongo 2011:279

[31] vgl. Bongo 2011:279

[32] Nardi, Antonella. Explikative Verfahren in sozialwissenschaftlichen Texten. Eine handlungstheoretische Perspektive am Beispiel von infatti und nämlich. In: Heller, Dorothee, Deutsch, Italienisch und andere Wissenschaftssprachen Schnittstellen ihrer Analyse, Frankfurt am Main u.a., Lang, 2010. S. 72.

[33] Vgl. Nardi 2010: 72

[34] Vgl. Nardi 2010: 73

[35] vgl. Nardi 2010: 74

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Italienische und deutsche Wissenschaftssprache. Zwei ebenbürtige Varietäten?
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Romanistik)
Note
2,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
22
Katalognummer
V383573
ISBN (eBook)
9783668591004
ISBN (Buch)
9783668591011
Dateigröße
470 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sprachkomparatistik
Arbeit zitieren
Theresa Flammersberger (Autor:in), 2016, Italienische und deutsche Wissenschaftssprache. Zwei ebenbürtige Varietäten?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/383573

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