Die Agenda 2010 und der wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel der Bundesrepublik Deutschland


Hausarbeit, 2016

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Agenda 2010
1.2 Vorgehensweise

2 Deutschland vor der Agenda 2010

3 Die Agenda 2010
3.1 Ursprung der Agenda 2010
3.2 Inhalte der Agenda 2010
3.2.1 Arbeitsmarktpolitik
3.2.2 Bildung und Kinderbetreuung
3.2.3 Steuerpolitik
3.2.4 Gesetzliche Rentenversicherung und Gesundheitsreform
3.3 Durchsetzung der Agenda 2010 - Der politische Prozess

4 Paradigmenwechsel der BRD

5 Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 : Entwicklung der Steuersätze für Einkommensteuer

Abbildung 2: Entwicklung der Arbeitslosenquote in den Jahren 2003-2012

Abbildung 3: Erwerbstätige (1000) und Arbeitsvolumen (Millionen Stunden)

Abbildung 4: Entwicklung der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen und Einkommen der Beitragszahler

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Agenda 2010

"Entweder wir modernisieren, und zwar als Soziale Marktwirtschaft. Oder wir werden modernisiert, und zwar von den ungebremsten Kräften des Marktes, die das Soziale bei­seite drängen."[1] Mit diesen Worten stellte Gerhard Schröder am 14. März 2003 sein Maßnahmenpaket „Agenda 2010“ dem Bundestag vor.[2] Mithilfe dieses Paketes ver­suchte er damals den Paradigmenwechsel der BRD einzuleiten und grundlegende Refor­men auf den Weg zu bringen. Es beinhaltete Reformen größerer Tragweite am Arbeits­markt, in der Steuerpolitik, sowie in der Sozialpolitik Deutschlands.[3] Ursache des Pa­ketes waren unter anderem der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit und die allgemein schlechte Lage der deutschen Wirtschaft in den Jahren 2001/2002. Ziel der Agenda 2010 war es, vor dem Hintergrund einer stagnierenden wirtschaftlichen Entwicklung und einer erheblichen Veränderung der Bevölkerungsstruktur, bei Wachstum und Be­schäftigung an Boden zu gewinnen und Deutschlands Position im internationalen Wett­bewerb zu verbessern.[4]

1.2 Vorgehensweise

Zu Beginn dieser Arbeit wird die wirtschaftliche und politische Situation, welche schluss­endlich zur Agenda 2010 geführt hat, analysiert. Daraufhin werden die Inhalte und Ziele des Reformpaketes dargestellt, sowie der anschließende Prozess der politischen Durch­setzung durch die rot-grüne Bundesregierung. Nachfolgend wird die Situation der BRD nach der Agenda 2010 und der damit verbundene Paradigmenwechsel Deutschlands dar­gelegt.

2 Deutschland vor der Agenda 2010

Nach der Ablösung der Bundesregierung von Union und FDP unter Kanzler Helmut Kohl durch die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 1998, hatte diese sich Korrekturen der zuvor von Union und FDP umgesetzten Reformmaßnamen vorgenommen. Unter anderem die vollständige Wiederherstellung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, die Begren­zung der Krankenversicherungsbeiträge, sowie die Anwendung des Kündigungsschutzes für Kleinstbetriebe mit weniger als fünf Beschäftigten. Weitere Reformen schienen da­mals nicht notwendig zu sein, da Deutschland sich in den Jahren 1999 und 2000 in einer günstigen konjunkturellen Lage befand. Jedoch drehte sich Ende 2001 das Blatt, da die Konjunktur in Deutschland deutlich abschwächte. Dadurch geriet die Bundesregierung mit ihrer „Politik der ruhigen Hand“ in die Kritik. Die rot-grüne Regierung musste nun ihre Handlungsfähigkeit und Stärke in wirtschaftspolitischen Themen demonstrieren, da im Herbst 2002 die nächsten Bundestagswahlen anstanden. Dabei legte sie den Schwer­punkt auf die Arbeitsmarktpolitik. Den „Vermittlungsskandal“ bei der Bundesanstalt für Arbeit, bei dem nur eine äußerst geringe Vermittlungsquote festgestellt wurde, nahm die Regierung zum Anlass, die Struktur der Arbeitsmarkpolitik in Angriff zu nehmen. Da­raufhin reagierte Schröder mit dem Umbau der Bundesanstalt für Arbeit und führte den Vermittlungsgutschein ein. Er setzte außerdem eine Kommission ein, unter der Führung von Peter Hartz, zu seiner Zeit Personalvorstand bei Volkswagen, welche im August 2012 den Bericht zur Arbeitsmarktpolitik vorlag.[5] Dieser regte Maßnahmen an, mit welchen die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland reformiert werden und die Anzahl der Arbeitslo­sen sich bis zum Jahr 2005 fast halbieren sollte.[6] Durch die Ankündigung, die von der Hartz-Kommission erarbeiteten Maßnahmen umzusetzen und somit der steigenden Ar­beitslosigkeit entgegenzuwirken, konnte die rot-grüne Regierung im Herbst 2002 einen erneuten, jedoch knappen Wahlsieg, erlangen. In ihrem neuen Koalitionsvertrag „Erneu­erung - Gerechtigkeit - Nachhaltigkeit“ beschrieb die rot-grüne Bundesregierung die Lage der Bundesrepublik wie folgt: „Das wirtschaftliche Wachstum hat sich 2001 und 2002 erheblich abgeschwächt und die Beschäftigungsentwicklung belastet. Diese Kon­junkturschwäche drückt deutlich auf die Steuer- und Beitragseinnahmen und hebt gleich­zeitig die Ausgaben spürbar an. Daraus ergibt sich ein zusätzlicher Konsolidierungsbe­darf, den wir jetzt und in den kommenden Jahren schultern müssen.“[7] Diese Beschrei­bung wird jedoch der dramatischen Situation, in welcher sich Deutschland damals befand, nicht gerecht. Denn Ende des Jahres 2002 stand Deutschland mit dem Rücken zur Wand. Dies wurde nach einer fünfseitigen Zusammenstellung des Kanzleramts zur Haushalts­lage 2002/2003, welche für die Koalitionsverhandlungen mit dem „Bündnis 90/Die Grü­nen“ erstellt wurde, auch dem Letzten klar. Darin wurde die dramatische Lage Deutsch­lands verdeutlicht. Dort wurde unter anderem von einem drastischen Einbruch bei den Steuereinnahmen, sowie von enormen Mehrausgaben durch den Arbeitsmarkt berichtet. Die Ursachen dieser Situation, in welcher sich Deutschland befand, werden schnell klar, wenn man sich die Zahlen der damaligen Zeit anschaut. Das Haushaltsdefizit lag 2002, mit 3,6 Prozent des Bruttoinlandprodukts, über den erlaubten drei Prozent des EU Stabi­litätspakts. Zudem wurden die gesetzlichen Rentenversicherungsbeiträge um 0,3 % er­höht, es gab ein Rekordhoch der Arbeitslosigkeit mit über 4,8 Millionen Arbeitslosen, ein marginales Wachstum des Bruttoinlandprodukts 2002 von 0,2 Prozent und seit dem Jahr 2000 hat der Deutsche Aktien Index über 60 Prozent verloren.[8] Deutschland hatte mas­sive strukturelle Probleme im Inneren, welche nicht alleine auf die schlechte konjunktu­relle Lage zurückzuführen waren und die nur durch einen umfassenden Katalog an tief­gehenden Reformen behoben werden konnten.

3 Die Agenda 2010

3.1 Ursprung der Agenda 2010

Ende 2002 wurde man sich im Kanzleramt klar, dass der geschlossene Koalitionsvertrag zwischen der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen nicht umfassend genug ist, um Deutschland aus dieser prekären Lage zu befreien.[9] Der Kanzler soll, laut Fritz Kuhn, aus Furcht vor der damals anstehenden Kanzlerwahl, bei den Verhandlungen alles durch­gewunken haben, da die Koalition nur über eine knappe Mehrheit von vier Stimmen ver­fügte.[10] Daraufhin entwickelte Heiko Geue, Vorstand der Planung im Kanzleramt, ein

Thesenpapier mit dem Titel „Auf dem Weg zu mehr Wachstum, Beschäftigung und Ge­rechtigkeit“.[11] Zunächst stellt dieser fest, dass man sich in einer Zeit tiefer weltweiter ökonomischer Verunsicherung befindet, das Problem Deutschlands jedoch nicht die in­ternationale Wettbewerbsfähigkeit sei, sondern die geringe Binnennachfrage und feh­lende Investitionen. Die Sozialsysteme an sich seien hervorragend, müssten jedoch grundlegend reformiert werden. Die Herausforderung sei „...gleichzeitig Abgaben- und Steuersenkungen mit Haushaltskonsolidierung und mehr Investitionen in die Zukunfts­bereiche - Bildung, Forschung, Familien und Infrastruktur - zu verbinden.“[12] Dieses Thesenpapier vom 05.12.02 war die Grundlage der Agenda 2010.[13]

3.2 Inhalte der Agenda 2010

Die Agenda 2010 war ein Bündel von unzählige Einzelmaßnahmen, die nur zusammen­genommen den gewünschten Paradigmenwechsel in der BRD in die Wege leiten konnten. Man konnte diese Maßnahmen in die Bereiche Arbeitsmarkt-, Renten-, Gesundheits-, Steuer-, Familien- und Bildungspolitik unterteilen.[14]

3.2.1 Arbeitsmarktpolitik

3.2.1.1 Arbeitsrecht und Existenzgründung

Ein bedeutender Punkt der Agenda 2010 stellten die Änderungen im Arbeitsrecht und in der Existenzgründung dar. Als Mittel zur Erleichterung von Unternehmensgründungen, wurden die befristeten Beschäftigungen für Existenzgründer liberalisiert. Somit war es neuen Unternehmen erlaubt, Arbeitnehmer ohne sachlichen Grund für bis zu vier Jahren zu befristen. Damit versuchte die Agenda 2010 die Förderung von Existenzgründern zu unterstützten, welche bereits mit dem Programm „Kapital für Arbeit“ und der Ich-AG eingeleitet worden war. Zudem sollten weitere Marktöffnungen die Arbeitsmarktpolitik unterstützen. Dadurch war es zukünftig erfahrenen Gesellen im Handwerk erlaubt, auch ohne einen Meisterbrief selbstständige Arbeit auszuüben. Die Gesellen hatten nun nach zehn Jahren Berufstätigkeit einen Rechtsanspruch auf die selbstständige Ausübung ihres

Handwerks (im Laufe der Umsetzung wurde diese Frist auf 6 Jahre gekürzt). Des Wei­teren sollte eine Öffnungsklausel für mehr Flexibilität in den Flächentarifverträgen sor­gen.[15]

Die Agenda 2010 beinhaltete zwei Vorschläge zur Lockerung des Kündigungsschutzes in Kleinstbetrieben. Ein Vorschlag war, dass der erste Arbeitnehmer, welcher die Beleg­schaftsgröße von fünf Beschäftigten überschritt, in den Kündigungsschutz fallt.

Der zweite Vorschlag sollte die Leiharbeitnehmer und die befristeten Arbeitnehmer nicht in die Belegschaftsgröße, welche für den Kündigungsschutz relevant war, mit ein­rechnen. Schlussendlich wurde jedoch keiner dieser Vorschläge umgesetzt. Während der Umsetzungsphase einigte man sich auf eine Anhebung des Schwellenwerts von fünf auf zehn Arbeitnehmer je Betrieb. Weitere Inhalte im Bereich Arbeitsrecht waren die Wahlmöglichkeit zwischen einer Abfindung und einer Kündigungsschutzklage, sowie die Änderung der Kriterien für die Sozialauswahl auf Alter, Schwerbehinderung, Unter­haltsplichten und Betriebszugehörigkeit. Es fand ebenfalls eine Deregulierung der Leih­arbeit, sowie die Einführung der geringfügigen Beschäftigungen statt.[16]

3.2.1.2 Arbeitsmarktpolitik: Arbeitslosengeld und Grundsicherung

Im Bereich von Arbeitslosengeld und Grundsicherung standen tiefgehende Veränderun­gen an, welche die Sozialausgaben erheblich entlasten sollten. Die Agenda 2010 legte neue Regelungen über die Zumutbarkeit von Arbeitsangeboten für Arbeitslose fest. So­mit sollte grundsätzlich jede nicht sittenwidrige Arbeit zumutbar sein, selbst wenn die Qualifikation des Arbeitslosen formal wesentlich höher liegt, als die für die Stelle not­wendige. Bei der Nichtannahme von zumutbaren Arbeitsstellen sollten die Sozialleis­tungen gekürzt werden.

Eine weitere tiefgreifende Änderung in der Arbeitsmarktpolitik stellte die Kürzung der Bezugsdauer des einkommensbezogenen Arbeitslosengeldes I auf 12 Monate (Arbeits­lose ab 55 Jahre 18 Monate), sowie die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeits­losenhilfe für erwerbsfähige Personen im Leistungsrecht und in der Verwaltung. Somit

wurde der Anspruch für Langzeitarbeitslose, deren Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I ausgelaufen ist, auf die daraufhin folgende einkommensbezogene Arbeitslosenhilfe ab­geschafft. Diese Personen sollten nun das Arbeitslosengeld II erhalten, welches dem niedrigeren Niveau der Sozialhilfe entspricht.[17] Ein Langzeitarbeitsloser Single sollte unterm Strich 651 € (im Westen) erhalten.[18] Durch die Senkung der Sozialleistung sollte der Arbeitsanreiz für Langzeitarbeitslose gestärkt werden. Mit der Zusammenle­gung der Sozial- und Arbeitslosenhilfe wurden zudem Sozialhilfeempfänger, welche aus den Vermittlungssystemen der Ämter herausgefallen waren und erwerbsfähig sind, wieder in das Vermittlungssystem der Bundesagenturen aufgenommen. Dies ließ kurz­fristig die Zahl der Arbeitslosen in der Bundesrepublik drastisch ansteigen.[19]

3.2.2 Bildung und Kinderbetreuung

Im Bereich der Bildung sollte zunächst das Angebot an Ausbildungsplätzen erhöht wer­den. Um dies zu erreichen wurde die Ausbildereignungsverordnung befristet ausgesetzt, damit auch erfahrene Fachkräfte ohne Ausbilderschein ausbilden können. Um auf die PISA-Studie von 2001 zu reagieren, wurden 4 Milliarden Euro in den Ausbau der schu­lischen Ganztagesbetreuung, sowie 1,5 Milliarden Euro jährlich für die Kommunen, zur Betreuung von Kindern unter drei Jahren bereitgestellt. Weiterhin wurde der Etat zur Förderung der großen Forschungsinstitutionen in den folgenden Jahren um jeweils 3 % angehoben.[20]

3.2.3 Steuerpolitik

Die Agenda 2010 hatte große Auswirkungen auf die Steuerpolitik der Bundesrepublik, da diese eine Entlastung der Steuerzahl von 7 Milliarden Euro ab 2004 und weitere 18 Milliarden Euro ab 2005 vorsah. Um dies zu erreichen, wurde die letzte Stufe der bereits vorher verabschiedeten Steuerreform vorgezogen und der Eingangssteuersatz in mehre­ren Stufen von 25,9 % auf 15 %, der Spitzensteuersatz von 53 % auf 42 % gesenkt. Gleichzeitig wurde der Grundfreibetrag für Steuern auf 7.664 Euro angehoben (vorher 6322 Euro) und die Abgeltungssteuer eingefügt.[21] Diese Änderungen hatten das Ziel, die erwerbstätigen Personen zu entlasten und somit eine Steigerung der Binnennachfrage zu erreichen. Weiter wurde die Körperschaftssteuer auf 25 % gesenkt, um den deutschen Mittelstand zu stärken und die Verlagerung der Arbeitsplätze ins Ausland zu stoppen.[22] [23]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.2.4 Gesetzliche Rentenversicherung und Gesundheitsreform

Nach Beratung mit der Rürup-Kommission, wurde ein „Nachhaltigkeitsfaktor“ in die Rentenformel eingefügt, welcher eine verminderte Rentenanpassung aufgrund von Ver­schiebungen in der Relation von Rentnern zu Beitragszahlern gewährleisten soll. Durch diese Änderung in der Rentenformel und der zuvor eingeführten staatlichen Förderung von privater Altersvorsorge (Riester-Rente), sollte das Niveau der Rentenversicherungs­beiträge auf 19,5 % gehalten werden. Die Agenda 2010 beinhaltete weitere Gesund­heitsreformen, die vor allem zur Senkung der Lohnnebenkosten führen sollten. Hierzu wurden die Krankenversicherungsbeiträge nicht mehr paritätisch, sondern durch höhere Arbeitnehmerbeiträge von 0,9 % abgesichert. Im April 2004 wurde zudem die Praxisge­bühr für Besuche bei Hausärzten und Zahnärzten eingeiührt und die Zuzahlung bei Me­dikamenten erhöht. Das Mutterschaftsgeld sollte durch eine Erhöhung der Tabaksteuer finanziert werden.[24]

3.3 Durchsetzung der Agenda 2010 - Der politische Prozess

Das von Geue entworfene Thesenpapier vom Dezember 2002 diente damals dazu, die Reaktionen der anderen Parteien auszukundschaften. Dazu verschickte Bundeskanzler Schröder einen Brief an die Personen, bei denen er mit dem größten Widerstand gerechnet hat, und bat diese um eine Einschätzung ihrerseits zum Thesenpapier von Geue. Die Ein­schätzung von Angelica Schwall Düren von den Parlamentarischen Linken war, dass diese nicht grundsätzlich gegen das Memorandum seien, da Reformen im Sozialsystem notwendig wären. Die weiteren Reaktionen waren ebenfalls kaum mit Widerspruch ver­bunden, sodass Schröder diese Einschätzungen als Zustimmung der Reformpläne wer- tete.[25] Am 14. März 2003 um 9:00 Uhr trat Bundeskanzler Gerhard Schröder vor den Deutschen Bundestag und stellte in seiner 90-minütigen Regierungserklärung die Agenda 2010 vor. In seiner Rede sprach er von mehr Eigenleistung und Verantwortung von je­dem, sowie von gewaltigen gemeinsamen Anstrengungen, um das Ziel der Agenda 2010, Deutschland bis zum Ende des Jahrzehnts in eine wirtschaftliche Spitzenposition zu brin­gen, zu erreichen.[26] Auf den vier kurz darauf folgenden Regionalkonferenzen im April 2003 versuchte der Bundeskanzler die Zustimmung seiner Parteigenossen zur Agenda 2010 zu gewinnen. „Was wir Gutes tun wollen, tun wir auf dem Rücken der Beschäftig­ten, und deren Belastbarkeit hat längst eine Grenze überschritten, die wir nie hätten über­schreiten dürfen.“[27] Mit diesen Worten wollte er seine Genossen überzeugen, dass die Mittelschicht in Deutschland gefährdet und die Agenda 2010 die Lösung des Problems sei. Auf den Regionalkonferenzen gab es heftige Debatten zwischen den Befürwortern und den Gegnern der Agenda. Jedoch boten diese Konferenzen nicht den Platz für aus­giebige Debatten, da diese nur als Informationsveranstaltungen dienen sollten. Der Par­teispitze wurde vorgeworfen, dass die Agenda 2010 nichts mit dem Wahlprogramm der SPD 2002 gemein hat und diese nicht im Einvernehmen mit den sozialdemokratischen

Überzeugungen sei.[28] Es entstand eine Kluft zwischen der Parteispitze und den SPD­Bezirken, da diese eine ausführliche und breite Debatte befürworteten, die Parteispitze jedoch dringend handeln wollte. Der Versuch eines Mitgliederbegehrens gegen die Re­formpläne der Parteispitze scheiterte jedoch, da gerade einmal 20.000 der 76.000 nötigen Stimmen aufgebracht wurden. Auf den anschließenden Sonderparteitagen der Regie­rungsparteien im Juni 2003 stimmten schließlich 90 % der SPD-Delegierten der Agenda 2010 als programmatische Festlegung zu.[29] [30] Auch die deutliche Mehrheit (90 Prozent) der Grünen stellte sich auf dem Sonderparteitag Mitte Juni 2003 hinter die Agenda 2010. 30 Im Herbst 2003 verabschiedete der Bundestag mithilfe der Stimmen der Regierungs­parteien mehrere Reformen aus dem Programm der Agenda 2010. Zunächst wurde der flexiblere Kündigungsschutz verabschiedet, sowie die Änderung in der Sozialauswahl. Anschließend begrenzte die Koalition den Bezug des Arbeitslosengeldes auf 12 bezie­hungsweise 18 Monate und beschloss die dritte Absenkungsstufe der Steuerreform vor­zuziehen. Auch die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Hartz IV), die Organisationsreform der Bundesanstalt für Arbeit (Hartz III) und die stufenweise Erhö­hung der Tabaksteuer wurde durch den Bundestag genehmigt. Da Rot-Grün jedoch nicht über eine Mehrheit im Bundesrat verfügte und viele der Gesetze das Einverständnis des Bundesrates benötigten, war eine Ablehnung vorprogrammiert. Die Opposition lehnte am 07. November 2003 die meisten Gesetze ab und rief den Vermittlungsausschuss an. Nach­dem es im Vermittlungsausschuss unter Henning Scherf (SPD) zu keinem Einvernehmen kam, gaben die Parteichefs bekannt, dass diese zu einem Gipfeltreffen in den Ausschuss kommen werden. Neben Guido Westerwelle, Franz Müntefering, Kanzler Schröder, Vi­zekanzler Fischer, den Ministern Eichel und Clement, waren auch Angelika Merkel und Edmund Stoiber vertreten. Diese einigten sich schließlich in der Nacht vom 14. Dezember auf den 15. Dezember 2003.[31] Das Ergebnis ging aus Sicht der Regierung in Ordnung.[32] Die Lockerung des Kündigungsschutzes fiel stärker aus als zuerst geplant, die restlichen Arbeitsmarktreformen trugen jedoch weiterhin die Handschrift der Bundesregierung. Der Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung, die Neuregelung der Sozialaus­wahl und die leichteren Befristungsregelungen für neu gegründete Unternehmen wurden genehmigt. Beim Arbeitszeitgesetz konnte die Opposition längere Übergangsfristen durchsetzen. Bei der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe konnten sich die Linken durchsetzen, denn das Arbeitslosengeld II sollte nach dem Auslaufen der Bezugs­dauer nicht sofort auf Sozialhilfeniveau sinken. Bei der Steuerreform konnte man sich auf einen Zwischenschritt einigen. Im Jahr 2004 sollte der Eingangssteuersatz zunächst auf 16 %, der Ausgangssteuersatz auf 45 % gesenkt werden und erst im darauf folgenden Jahr auf die geplanten 15 und 42 % sinken. Die Abgeltungssteuer wurde auf das Jahr 2005 verschoben und die Kürzungen bei der Eigenheimzulage und der Pendlerpauschale wurden vermindert.[33] In den nächsten Jahren nach der Agenda 2010 blieb der Paradig­menwechsel zunächst aus und die Bundesregierung geriet in ein zunehmendes Dilemma zwischen dem Verlust an Zustimmung, aufgrund des ausbleibenden Erfolgs auf dem Ar­beitsmarkt, und der Entfremdung von Gewerkschaften und der Parteibasis. Die ökonomi­sche Notwendigkeit alleine sorgte nicht für eine ausreichende Akzeptanz in der Bevölke­rung. Die Bevölkerung sah die Agenda 2010 mehr als Reformpaket zur Kürzung von Sozialleistungen, was schließlich der rot-grünen Regierung das Aus in der nächsten Bun­destagswahl bescherte.

4 Paradigmenwechsel der BRD

In den Jahren nach der Umsetzung der Agenda hat sich die Position Deutschlands grundlegend verändert. Die Auswirkungen der Agenda 2010 auf den Arbeitsmarkt wa­ren deutlich zu erkennen. So stieg nach der Deregulierung der Zeitarbeit die Anzahl der Zeitarbeitnehmer von 300.00 auf 800.000. Nach einer Studie des Instituts für Arbeits­markt und Berufsforschung soll es sich dabei zu einem erheblichen Teil um zusätzliche Arbeitsplätze handeln, welche ohne die Zeitarbeit nicht entstanden wären.[34] Die Ar­beitslosenquote hat sich nach dem Rekordhoch im Jahr 2005 stetig verbessert und liegt im Jahr 2012 fast nur noch halb so hoch wie der Durchschnitt in der Europäischen Union.[35] Damit hat sich Deutschland hinsichtlich der Performance am Arbeitsmarkt vom „kranken Mann“ Europas zum Vorbild für andere entwickelt.

[...]


[1] Gerhard Schröder Bundestag 14.03.03

[2] Vgl. Deutscher Bundestag (2003)

[3] Vgl. Hüther, M., Scharnagel B. (2005)

[4] Vgl. Eichhorst, W., Zimmermann K. F. (2008)

[5] Vgl. Eichhorst, W., Zimmermann K. F. (2008)

[6] Vgl. Jann,W., Schmid, G.(2004)

[7] Vgl. Wolfrum, E. (2013)

[8] Vgl. Wolfrum, E. (2013)

[9] Vgl. Wolfrum, E. (2013)

[10] Vgl. Wolfrum, E. (2013)

[11] Vgl. Geue, H. (2002)

[12] Vgl. Geue, H. (2002)

[13] Vgl. Eichhorst, W., Zimmermann K. F. (2008)

[14] Vgl. Wolfrum, E. (2013)

[15] Vgl. Eichhorst, W., Zimmermann K. F. (2008)

[16] Vgl. Eichhorst, W., Zimmermann K. F. (2008)

[17] Vgl. Eichhorst, W., Zimmermann K. F. (2008)

[18] Vgl. Wolfrum, E. (2013)

[19] Vgl. Wolfrum, E. (2013)

[20] Vgl. Eichhorst, W., Zimmermann K. F. (2008)

[21] Vgl. Eichhorst, W., Zimmermann K. F. (2008)

[22] Vgl. Internetauftritt Gerhard Schröder (2015)

[23] Quelle: Internetauftritt Gerhard Schröder (2015)

[24] Vgl. Eichhorst, W., Zimmermann, K. F. (2008)

[25] Vgl. Wolfrum, E. (2013)

[26] Vgl. Wolfrum, E. (2013)

[27] Vgl. Wolfrum, E. (2013)

[28] Vgl. Wolfrum, E. (2013)

[29] Vgl. Eichhorst, W., Zimmermann K. F. (2008)

[30] Vgl. Fried, N. (2003)

[31] Vgl. Wolfrum, E. (2013)

[32] Vgl. Kurbjuweit, D., Nelles, R., Neukrich, R., Schult, C. (2003)

[33] Vgl. Wolfrum, E. (2013)

[34] Vgl. Jahn E., Weber E.(2013)

[35] Vgl. Abbildung 2

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Agenda 2010 und der wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel der Bundesrepublik Deutschland
Hochschule
FOM Essen, Hochschule für Oekonomie & Management gemeinnützige GmbH, Hochschulleitung Essen früher Fachhochschule
Note
1,7
Autor
Jahr
2016
Seiten
20
Katalognummer
V383603
ISBN (eBook)
9783668591844
Dateigröße
594 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Agenda 2010, Wirtschaft, Poltik, Wirtschaftspolitik, Paradigmenwechsel
Arbeit zitieren
Patrick Schmack (Autor:in), 2016, Die Agenda 2010 und der wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel der Bundesrepublik Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/383603

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