Das (sozial-)politische Engagement und seine Widerspiegelung in den Texten der Kölner Musikgruppe BAP

Musikhistorische Analyse unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Hintergrunds


Hausarbeit, 2016

41 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Gesellschaftlicher Nährboden und musikalische Wurzeln
2.1 Musik als Ausdruck von Protest und Haltung nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1950er Jahre
2.2 Folk Music – Bob Dylan und die Wurzeln der Politisierung in der populären Musik der 1960er Jahre
2.3 Die sozialpolitische Situation der späten 1970er Jahre
2.4 Der popmusikalische Mainstream der späten 1970er und frühen 1980er Jahre: Punk und die Neue Deutsche Welle

3 BAP – eine politische Bandbiographie
3.1 Gesellschaftspolitisches Engagement auf regionaler Ebene (1976-1981)
3.1.1 Wegweisende Songs der 1. Phase in Bezug auf (sozial)politische Themen – eine Auswahl
3.2 Gesellschaftspolitisches Engagement auf überregionaler Ebene (1982-1986)
3.2.1 Wegweisende Songs der 2. Phase in Bezug auf (sozial)politische Themen – eine Auswahl
3.3 Gesellschaftspolitisches Engagement auf globaler Ebene (1987-1999)
3.3.1 Wegweisende Songs der 3. Phase in Bezug auf (sozial)politische Themen – eine Auswahl
3.4 Gesellschaftspolitisches Engagement auf globaler Ebene (2000-2017)
3.4.1 Wegweisende Songs der 4. Phase in Bezug auf (sozial)politische Themen – eine Auswahl

4 Schlussbemerkungen

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Entwicklung von BAP als eine Kölner Mundartgruppe, die regionale Bekanntheit erlangte hin zu einer bundesweit anerkannten Rockband, die auch im deutschsprachigen Ausland Erfolge verzeichnen konnte sowie schließlich ihre musikalische Botschaft in weit entlegene Teile der Welt transportierte, lässt sich anhand bandinterner Entwicklungen in drei (bzw. vier) Phasen einteilen, die – zeitlich betrachtet – eine Parallele zu dem sich zunehmend entwickelnden Bekanntheitsgrad der Gruppe BAP von einer aus der Provinz aufsteigenden Garagen-Band hin zu einer festen Institution mit politischer Aussagekraft in der deutschsprachigen Musikszene und der zeitgleich dazu verlaufenden autobiographischen Genese ihres Sängers, der Person Wolfgang Niedecken (*1951), als einem politisch aktiven Menschen aufweisen.

Die erste Phase von BAP würde ich dabei als die Zeit der Erlangung eines regionalen Bekanntheitsgrades (also vor dem überregionalen Durchbruch) bezeichnen, die im Prinzip von der Gründung der Band 1976 bis zu ihrem Wechsel vom lokalen Kölner Plattenlabel „Eigelstein Musikproduktion“ zu „EMI-Electrola“ 1981 andauerte[1]. Die zweite Phase würde ich als die Phase des Durchbruchs auf überregionaler Ebene bezeichnen, die mit der Massenwirksamkeit ihres ersten musikalischen Hits „Verdamp lang her“ (produziert 1981, als Single aber erst 1982 ausgekoppelt) begann und bis zum ersten bandinternen Bruch und einer persönlichen Krise des Sängers 1985/86 andauerte, aus der dann gleichzeitig die kommerzielle Solokarriere von Wolfgang Niedecken hervorging. Die dritte Phase begann mit der ersten Solo-LP Wolfgang Niedeckens 1987 und dem daraufhin produzierten Comeback-Album seitens BAP mit dem Titel „Da Capo“ aus dem Jahr 1988 und dauerte bis 1999 an, als auch die letzten drei Mitglieder (Klaus Heuser (*1957), Alexander Büchel (*1957) und Hans Wollrath (*1957)) der ursprünglichen Kernbesetzung der Band (die von 1981 bis 1995 durchgehend bestand und innerhalb dieser Zeit lediglich am Schlagzeug personelle Veränderungen erfuhr[2] ) dieselbe verließen, was man als den zweiten großen Bruch bei BAP bezeichnen kann. Seitdem wird BAP eigentlich hauptsächlich nur noch mit Wolfgang Niedecken assoziiert, der sich fortan in einer quasi vierten Phase mit – in kürzeren Zeitabständen als zuvor – wechselnden Bandbesetzungen umgibt. Diese drei bzw. vier Phasen gehen auch einher mit der tendenziell jeweils stärkeren Gewichtung politischer Themen auf regionaler, überregionaler und globaler Ebene, wie an der zusammenfassenden Aufstellung der Phasen zu sehen ist:

1. Phase (von 1976-1981; vor dem Durchbruch auf überregionaler Ebene und dem Wechsel zu EMI-Electrola): als regional e Band stark kommunalpolitisch engagiert (s. Kap. 3.1)
2. Phase (von1982-1986; auf „Dauertour“ durch Deutschland, vor der persönlichen Krise von Wolfgang Niedecken und vor dem ersten Bruch bei BAP): als überregional e Band stark innenpolitisch engagiert (s. Kap. 3.2)
3. Phase (ab 1987 bis 1999; ab der ersten Solo-Platte von Wolfgang Niedecken und nach dem ersten Bruch bei BAP): zunehmend, trotz deutschsprachiger Texte, in Gestalt der Person Wolfgang Niedecken weltpolitisch engagiert (s. Kap. 3.3)
4. Phase (seit 2000, nach dem zweiten Bruch bei BAP; in oft wechselnder Besetzung mit Wolfgang Niedecken als Verkörperung der Band): weiterhin weltpolitisch engagiert (s. Kap. 3.4)

Die Grenzen der Phasen müssen als fließend betrachtet werden, wobei aber die Gewichtung der politischen Themen in diesen Phasen klar erkennbar ist und auch anhand von historischen Ereignissen belegt werden können.

Bevor im Folgenden auf die genannten Bandphasen einschließlich daran anschließender inhaltlicher Bewertung charakteristischer Songtexte der jeweiligen Phase eingegangen wird, erfolgt zunächst im zweiten Kapitel eine kurze Skizze zur gesellschaftspolitischen Wirksamkeit von Musik nach dem Zweiten Weltkrieg (s. Kap. 2.1). Danach wird auf die Bedeutung der Folk-Bewegung und mit ihr speziell auf diejenige Bob Dylans für die Entwicklung des Protestsongs und des daraus entstehenden Genres des Folk-Rocks eingegangen (s. Kap. 2.2). Die Voranstellung dieser Kapitel dient der Einbettung der Thematik in einen größeren musikhistorischen Kontext und zeigt sowohl die musikalischen wie auch ideologischen Wurzeln, auf die sich die Arbeit der Band BAP in ihrer eigenen Darstellung in musikalischer und textbezogener Hinsicht zurückführen lässt. Zum anderen weist die Entstehung der Folk-Bewegung in den 1960er Jahren in Amerika, gerade in den Anfängen der Karriere Bob Dylans in gesellschaftspolitischer Hinsicht, Parallelen zu gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Deutschland zu Zeiten der Gründungsphase und dem kommerziellen Durchbruch der Musikgruppe BAP auf, vornehmlich im Rahmen des zunehmenden Aufkommens von Bürger(rechts)bewegungen (s. Kap. 2.3). Schließlich wird, um das ganze abzurunden, kurz auf den popmusikalischen Status quo in Europa bzw. Deutschland kurz vor der Gründung der Band BAP eingegangen, den sie Ende der 1970er Jahre im Popmusik-Business vorfand (s. Kap. 3.4), wobei hier unter Pop die massenwirksame Unterhaltungsmusik verstanden wird, ganz unabhängig davon, ob ihre jeweiligen Vertreter diese Wirksamkeit beabsichtigten oder nicht.

2 Gesellschaftlicher Nährboden und musikalische Wurzeln

2.1 Musik als Ausdruck von Protest und Haltung nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1950er Jahre

Gerade nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich moderne Formen der Musik (Popularmusik), ausgehend vom angelsächsischen Sprachraum in den USA und Großbritannien, zu einem immer stärker werdenden Faktor, der in die Gesellschaft hineinwirkte. Dies hatte zwei Ursachen: das Phänomen Jugend begann, sich zunehmend von der jeweils herrschenden Kultur, die durch die Erwachsenenwelt geprägt war, abzugrenzen, was durchaus mit dem generellen Konflikt zwischen Kriegs- und Nachkriegsgeneration zu tun hat – einem Begriffspaar, das wesentlich durch die Folgen des Zweiten Weltkriegs definiert ist. Musik schien in diesem Abnabelungsprozess, der einen Neuanfang – quasi für die Menschheit – bedeutete, ein Ventil zu sein, um einen neuen, eigenen Weg zu gehen. Gepaart mit der zweiten Ursache in Gestalt technischer Neuerungen, die es ermöglichten, Musik noch besser konservieren und häufiger konsumieren zu können, führte dies zu unbegrenzten Möglichkeiten eines kollektiven und global herzustellenden Gemeinschaftsgefühl, mit dem man sich identifizieren konnte. Auf diese Weise bot Musik auch die Möglichkeit, beispielsweise die von einer ideologisch homogenen Gruppe gemeinsam vertretene und getragene Botschaft global zu vermitteln. Sinngemäß bringt dies der deutsche Musikwissenschaftler Peter Wicke (*1951) auf den Punkt: „Als Medium der Vermittlung von Öffentlichkeit und Privatheit, Individualität und Gesellschaftlichkeit in einer Entwicklungsphase, in der sich die sozial relevanten Züge des Selbst formen, erhielt die Musik nach dem Zweiten Weltkrieg einen Stellenwert, der sie, unterstützt von Rundfunk und Fernsehen, zu einer der wirkmächtigsten Sozialisierungsinstanzen werden ließ. Da diese Instanz kommerziell organisiert ist, bleibt sie dem Zugriff von Elternhaus und Schule weitgehend entzogen (…).“ [3] Darin liegt die gesellschaftspolitische Sprengkraft bzw. Potenz von Musik, vor allem, wenn sie mit der Vermittlung gesellschaftspolitischer Inhalte in Texten einhergeht. So gesehen hatte, wie Wicke feststellt, „(…) die populäre Musik (bereits, Anm. d. Verf.) in den 1950er Jahren ihre gesellschaftspolitische Unschuld für immer verloren, sofern sie die denn je besaß.“ [4]

2.2 Folk Music – Bob Dylan und die Wurzeln der Politisierung in der populären Musik der 1960er Jahre

Noch bedeutender und entscheidend vorangetrieben wurde das sozialpolitische Potenzial von Musik in den 1960er Jahren mit dem Revival der Folkbewegung[5], die sich vor allem unter Studenten einer geistigen Verbundenheit erfreute. Die Musikwissenschaftler Reinhard Flender (*1953) und Hermann Rauhe (*1930) sehen die Studentenschaft eines Staates in erster Linie als „eine Gesellschaft in der Gesellschaft“, die aufgrund des Experimentierfeldes Universität die Möglichkeit hat, die „Gesellschaft von morgen“ vorauszudenken[6]. In dieser Rolle, die ihr in einem Freiraum der quasi verlängerten Adoleszenz gewährt wird, trägt gerade die Studentenschaft aufgrund des in ihr herrschenden, unbefleckt wirkenden Geistes zu revolutionären Erkenntnissen und Bewegungen bei. „So nahm auch die amerikanische Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre ihren Ausgang in den amerikanischen Universitäten.“ [7] Ein gewisser Robert Allen Zimmerman (*1941) sollte im weiteren Zeitverlauf hierbei eine große Rolle spielen. In Duluth, Minnesota – aufgrund seiner jüdischen Herkunft – mit dem hebräischen Namen Shabtai Zisel ben Avraham geboren[8], nahm er aus Verehrung für den wallisischen Lyriker Dylan Thomas (1914-1953) den Künstlernamen Bob Dylan an, den er ab 1959 öffentlich als Musiker trug. Da er in dem Jahr kurze Zeit an der Universität Minneapolis studierte, verwundert es insofern nicht, dass er dort bereits 1959 das Studentencafé „Ten O‘Clock Scolar“ aufsuchte[9], um sich als Folk-Sänger, in der Tradition Woody Guthries (1912-1967) und Pete Seegers (1919-2014) stehend, zu empfehlen. Woody Guthrie hatte die Folk Music durch Mischung mit Blues in Anlehnung an Christopher Allen Bouchillon (1893-1968) und dessen Talking Blues weiter kultiviert und dabei in Zusammenarbeit mit Pete Seeger auf der Basis von Arbeiter- und Gewerkschaftsliedern sowie Songs mit Themen beispielsweise zur Weltwirtschaftskrise der 1920er/30er Jahre Gesellschaftskritik geübt. Robert Zimmerman sah sich in dieser Musikertradition. Nach einem kurzen Ausflug ins Studentenleben konzentrierte er sich nun ganz auf die Musikerkarriere. Um diese zu ebnen, machte er sich auf den Weg nach New York: „(…) 1961 tauchte Robert Zimmerman als Alleinunterhalter in den Straßencafes des New Yorker Künstlerviertels Greenwich Village auf“ [10], einer Gegend, die neben einem künstlerischen auch von einem studentischen Geist geprägt war und in der der „Nährboden für die amerikanische Version einer Bohème“ steckte, wie man sie aus dem Paris des 19. Jahrhunderts kennt[11]. Gerade die 1960er Jahre brachten nun viele Ereignisse in der amerikanischen Geschichte hervor, die die Bürger auf die Straße trieben, wie etwa den Amtsantritt John F. Kennedys (1917-1963) am 20.01.1961 zum Präsidenten der USA und damit einhergehende Erwartungen seitens der Bevölkerung, die letztlich nicht zufriedenstellend erfüllt wurden: „Die Wahl John F. Kennedys zum amerikanischen Präsidenten war ein Markstein in der Geschichte der USA. Sie führte zu einer bis dahin ungekannten Politisierung der amerikanischen Jugend und Studentenschaft. John F. Kennedy hatte den Farbigen Gleichberechtigung versprochen und den Linken Aktionsfreiheit. Eine positive Aufbruchsstimmung war dadurch in der Jugend entstanden (…). Diese positive Entwicklung wurde durch die Ermordung Kennedys im Jahre 1963 abrupt unterbrochen, und als 1965 Amerika in den Vietnam-Krieg eintritt, löste dies einen tiefen Schock in der Bürgerrechtsbewegung aus.“ [12] Etwa zeitgleich zu diesen Ereignissen nahm im August 1962 Robert Zimmerman ganz offiziell – also auch privat – den Namen Bob Dylan an[13], nachdem bereits im März 1962 seine gleichnamige Debüt-LP veröffentlicht worden war. Zusammen mit Dylan bzw. in dessen Gefolge standen weitere Folk-Musiker, wie etwa Leonard Cohen (1934-2016) oder Joan Baez (*1941) – insbesondere seit dem von 1959 an jährlich ausgetragenen Newport Folk Festival im kleinsten US-Bundesstaat Rhode Island – im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, wobei vor allem Joan Baez mit Dylan gemeinsam soziale Misstände in den USA auf musikalische Weise anprangerte. Der von ihr neu interpretierte Song „We shall overcome“ (dt.: „Wir werden es überwinden“) wurde dabei zum zentralen Folksong, der als Hymne von Bürgerrechtsbewegungen bereits der 50er und dann der 60er Jahre angesehen wird, sei es bei Demonstrationen zu atomarer Wettrüstung, gegen koloniale Ausbeutung oder gegen Rassendiskriminierung[14]. Dylan hob sich allerdings immer etwas von seinen Kolleginnen und Kollegen ab und war radikaler in seiner Kritik. Seine Texte sind „(…) zynische Songs über Politik, soziale Mißverhältnisse und Umwelt, bittersüße Liebeslieder“[15] und brachten ihm einige Male die Nominierung zum Literaturnobelpreis ein[16], wobei er ihm schließlich dann auch am 13.10.2016 als erstem Liedtexter der Geschichte tatsächlich verliehen wurde. „1970 erhielt Bob Dylan von der Princeton Universität die Ehrendoktorwürde.“ [17] Mehrmals änderte er sein Image und versuchte, sich einer Kategorisierung immer wieder zu entziehen, indem er unterschiedliche Schwerpunkte inhaltlicher oder rein musikbezogener Art setzte. Dies gipfelte in einem radikalen Wandel beim besagten Newport Folk Festival und zwar im Jahre 1965, also etwa zu der Zeit, da die USA gerade in den Vietnamkrieg eingetreten waren, als Dylan den elektrischen Verstärker auspackte, ein Affront gegen Folk-Puristen. Als Dylan am 25.07.1965 „(…) beim Folk-Festival in Newport den „ghost of electricity“ losließ, die elektrische Gitarre in die Hand nahm und mit einer laut hämmernden Rockband auftrat, war der Bruch mit den Hütern der Folk-Tradition besiegelt.“ [18]

Somit zelebrierte er „(…) den Übergang zwischen – oder doch die Vereinbarkeit von? – elektrischem Rock ‘n‘ Roll auf der ersten und akustischen Folk-Klängen auf der zweiten Seite.“ [19] Folk und Rock (‘n‘ Roll) verschmolzen zu einer Einheit. Folkrock war geboren. „Der jugendrelevante Teil der Popmusik stand 1965 in einem politisch aufgeladenen Kontext, der diese Musik von Grund auf veränderte. Nicht zuletzt unter dem Einfluss von Dylans nachdenklichen Texten wurde die Popmusik nun reflektierter, ernster und politischer.“ [20] Das Besondere, wodurch sich Bob Dylan von anderen Folk-Sängern seiner Zeit unterschied, war, dass er keine Traditionals neu interpretierte, sondern eigene Stücke mit eigenen Texten schrieb. Aus seiner Vorarbeit resultierte das Anfang der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts seitens der Musikindustrie entwickelte Etikett des „Singer-Songwriters“[21]. Er war somit ein neuzeitlicher Vertreter des Talking Blues, wie ihn zuvor bereits Woody Guthrie darbot, der seines Zeichens ein musikalisches und geistiges Vorbild für Dylan darstellte. Dylan „(…) verkörperte das Bedürfnis vieler Jugendlicher, sich selbst zu erfinden und neu zu definieren, um sich zu unterscheiden von einer Elterngeneration, die moralisch versagt hatte. Ob Rock-‘n‘-Roll-Exzeß oder militanter Protest, ein erheblicher Teil der jungen Generation in den Industriegesellschaften des Westens war entschlossen, das Wertesystem der Elterngeneration zu überwinden. (…) Dylan war auch zur Stelle, als eine rebellische Generation von Jugendlichen – seine Generation – versuchte, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Er brachte die Steine ins Rollen.“ [22] Passend zu – aber sicher nicht nur aufgrund – der Tatsache, dass BAP den Dylan-Klassiker „Like a rolling stone“ (der im Juni 1965 von ihm geschrieben wurde) auf dem 1982er Erfolgsalbum „Vun drinne noch drusse“ als Cover-Version unter dem Titel „Wie ‘ne Stein“[23] veröffentlicht hatte, kann man die Bandmitglieder von BAP und vornehmlich ihren Frontmann Wolfgang Niedecken somit bis zu einem gewissen Zeitpunkt in Deutschland als die Apologeten bzw. Adepten der von Bob Dylan transportierten Ideologie bezeichnen.

2.3 Die sozialpolitische Situation der späten 1970er Jahre

Der Aufstieg der Kölner Musikgruppe BAP fiel innerhalb der zweiten Hälfte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts in eine Zeit sozialpolitischer Umbrüche und Unruhen nicht nur in Deutschland. Außenpolitisch begannen sich die Fronten zwischen West- (Nato-Pakt-Staaten) und Ostmächten (Warschauer-Pakt-Staaten) zunehmend im Kalten Krieg zu verhärten, was im sogenannten atomaren Wettrüsten gipfelte und massenhaft Demonstrationen seitens der Bevölkerung nach sich zog. Der seinerzeit von Kritikern als eher konservativ bezeichnete sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918-2015) hatte in seiner Amtszeit von 1974 bis 1982 innenpolitisch zudem mit den Ausläufern von Studentenunruhen der späten 60er Jahre und der in diesem Zusammenhang eskalierenden Aktionen der linksgerichteten Rote Armee Fraktion zu tun. Im Dunstkreis dieser linksradikalen Bewegung wurde ferner immer auch die so bezeichnete alternative Szene verortet, die ihrerseits die Forderungen der 68er-Generation fortführte und die sich beispielsweise in der Hausbesetzerszene engagierte. Umweltpolitisch gab es Diskussionen überwiegend zu dem Umgang mit Atomkraft(werken) (z. B. Brokdorf), insbesondere Wiederaufbereitungsanlagen (z. B. Wackersdorf) oder auch größeren Bauprojekten, die Maßnahmen nach sich zogen, die die Umwelt unmittelbar in Mitleidenschaft zogen, wie beispielsweise der Bau der Startbahn West am Frankfurter Flughafen. Als Sammelbecken für politische Aktivisten, die sich der Umweltpolitik, der Anti-Atomkraft- und Friedensbewegung (etwa durch Beteiligung an den Ostermärschen) sowie allgemein Fragen der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit verschrieben, entstand Ende der 1970er Jahre eine Bürgerrechtsbewegung, die später in die Gründung der Partei „Die Grünen“ mündete. Noch unter dem Wahlkämpfer Rudi Dutschke (1940-1979), dem Studentenführer der 68er-Studentenbewegung, zog erstmals am 07.10.1979 die Bremer „Grüne Liste“ in ein Landesparlament in Deutschland ein. Gut sieben Wochen später präsentierten die Musiker von BAP ihre erste Langspielplatte am 28.11.1979 im Annosaal des Kölner Stollwercks[24], das seines Zeichens gerade in den Anfängen der Band zu einem Symbol ihrer Geschichte werden sollte. Da die Gruppe BAP in ihren Anfangstagen angesichts der geschilderten sozialpolitischen Situation und aufgrund der Tatsache, dass einige ihrer Band-Mitglieder aus der Kölner Südstadt stammten bzw. dort verkehrten (einem seinerzeitigen Kulminationspunkt der künstlerischen, studentischen und alternativen Szene in und um Köln herum), durch die öffentliche Wahrnehmung diesem Milieu zugeordnet wurde, führte dies dazu, dass sie oft für Veranstaltungen gebucht wurde, die mit Bürgerrechtsbewegungen in Zusammenhang gebracht wurden[25].

2.4 Der popmusikalische Mainstream der späten 1970er und frühen 1980er Jahre: Punk und die Neue Deutsche Welle

Zeitgleich gab es auch in den angelsächsischen Ländern westlicher Prägung (USA, Großbritannien) – was gerade in Bezug auf die moderne Rockmusik einen entscheidenden Einfluss hatte – politische Wechsel, die (sozial-)politische Umwälzungen mit sich brachten, da Margaret Thatcher (1925-2013) als Premierministerin von Großbritannien in den Jahren 1979 bis 1990 einen harten konservativen Kurs fuhr sowie auch ihr US-amerikanischer Kollege Ronald Reagan (1911-2004), der von 1981 bis 1989 Präsident der USA war. Deren konservative Haltung wurde ideologisch mit den wirtschaftspolitischen Begriffen Thatcherismus und Reaganomics beschrieben und wird noch heute wissenschaftlich diskutiert. Margaret Thatcher war bereits seit 1975 Vorsitzende ihrer konservativen Partei. Das Jahr 1975 stellte zeitgleich den Beginn der Punkbewegung dar, die in Großbritannien ihren Ausgangspunkt nahm – zumindest in ihrer Radikalität (wenn man von der eher softeren Variante des US-amerikanischen Punk der 1960er und frühen 1970er Jahre absieht, der sich in weiten Teilen im Übrigen inhaltlich bzw. ideologisch auch auf Woody Guthrie berief) – und sinnbildlich in der Gründung der Punkband Sex Pistols ihre Verkörperung fand. Innerhalb dieser bis heute fortlebenden Jugendbewegung reagierte man auf wirtschaftspolitische Repressionen, die die sozialen Verhältnisse in Großbritannien verschlechterten, woraus die „No-future-Mentalität“ resultierte, die Punk kennzeichnete. Die Punkwelle, die Ende der 1970er/ Anfang der 1980er Jahre in Großbritannien einem Wandel unterworfen war, löste sich allmählich in der New Wave-Bewegung auf, die ihrerseits später kaum noch Punkelemente enthielt. Das nebulöse Punk-/ New Wave-Gemisch schwappte daraufhin auch nach Deutschland über und fand hier ihre Adaption in der Neuen Deutschen Welle. Zur Entstehung des Begriffs heißt es, dass „(…) die Neue Deutsche Welle am 27.09.1979 als eine Erfindung von Alfred Hilsberg (*1947, einem deutschen Musikjournalisten, Anm. d. Verf.) geboren (wurde). An jenem Tag erschien die erste Folge seiner dreiteiligen Artikelserie über junge deutsche Bands, die im Gefolge des Punk-Bebens sich an einer eigenständigen deutschen Rockmusik versuchten.“ [26] Genau in diese Zeit fiel der regionale und später überregionale Durchbruch BAPs, aber BAP war alles andere als Punk oder New Wave und zählte daher auch nicht zur Neuen Deutschen Welle. Vielmehr war die Band orientiert am amerikanischen Folkrock der 1960er Jahre, somit also verwurzelt im Liedgut eines Bob Dylan (*1941) und der damit einhergehenden Protestbewegung, die in Deutschland ihr Äquivalent sowie musikalischen Ausdruck und Ausgangspunkt während der ersten Open-Air-Festivals auf der Burg Waldeck im Hunsrück zwischen 1964 und 1969 bei Liedermachern wie Franz Josef Degenhardt (1931-2011), Hannes Wader (*1942) sowie Reinhard Mey (*1942) fand. Auch Politrockbands, wie „Floh de Cologne“ oder „Schmetterlinge“ zählen zu geistigen Vorvätern von BAP[27]. Eine rockmusikalische Darstellungsform mit politischem Inhalt hatte Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts kaum eine Tradition in Deutschland vorzuweisen. Vielmehr vergnügte man sich bis dahin mit eingängiger Schlagermusik. Lediglich Udo Lindenberg (*1946), die Gruppe „Ton, Steine, Scherben“ mit ihrem Frontmann Rio Reiser (1950-1996) und ansatzweise Marius Müller-Westernhagen (*1948) hatten bereits Anfang der 1970er Jahre erste zaghafte Versuche im Bereich deutschsprachiger Rockmusik mit politischen Texten unternommen. Als Ende der 1970er Jahre die Neue Deutsche Welle mit Texten, die eher klamaukhaft aufwarteten, auf den Musikmarkt brandete, wurde einerseits die Schlagermusik verdrängt bzw. auf den Weg in ein neues Zeitalter gebracht, andererseits entwickelte sich der sogenannte Deutschrock[28], wie er bereits von Udo Lindenberg, „Ton, Steine, Scherben“ und Marius Müller-Westernhagen vorgeprägt worden war, weiter. Aus letzterem Zweig gingen Künstler hervor wie Wolf Maahn (*1955), Herbert Grönemeyer (*1956), Klaus Lage (*1950), Heinz-Rudolf Kunze (*1956) und die Gruppe BAP.

[...]


[1] vgl. Dewes, K. (1985): BAP op Tour. Facts – Fans – Freaks – Feelings, München, Wilhelm Heyne Verlag, S. 61ff

[2] vgl. Pionke, P. (1990): BAP jraaduss – Die Geschichte der erfolgreichen Rockband, Bergisch Gladbach, Bastei Lübbe Verlag, S. 37

[3] Wicke, P. (2011): Rock und Pop – Von Elvis Presley bis Lady Gaga, München, Verlag C. H. Beck, S. 9

[4] ebd., S. 8

[5] Die Folk Music der traditionellen Art entstand Anfang des 20. Jahrhunderts durch Auswanderer, vornehmlich irischer und englischer Herkunft, die in die USA immigrierten und nannte sich ursprünglich Country Music. Charakteristisch für diese Musik war die Verwendung von in erster Linie Saiten-Instrumenten wie der Gitarre, Mandoline, Fidel (Geige) sowie dem Banjo und Kontrabass. Ferner wurden auch Flöte, Dudelsack, Akkordeon, Klavier, Mundharmonika sowie in der modernen Adaption dieses Genres das Schlagzeug verwendet.

[6] vgl. Flender, R./ Rauhe, H. (1989): Popmusik – Geschichte, Funktion, Wirkung und Ästhetik, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 99

[7] ebd., S. 99

[8] vgl. Wicke, P. (2011), a. a. O., S. 40

[9] vgl. Markworth, T. (2011): Bob Dylan – Monographie, Reinbek bei Hamburg, Rowohl Verlag, S. 7

[10] Edenhofer, J. (1991): Rock & Pop von A bis Z – Lexikon, Bergisch Gladbach, Bastei Lübbe Verlag, S. 208

[11] vgl. Flender, R./ Rauhe, H. (1989), a. a. O., S. 100

[12] ebd., S. 103f

[13] vgl. Markworth, T. (2011), S. 7

[14] vgl. Kemper, P./ Langhoff, Th./ Sonnenschein, U. (Hg) (2002): Alles so schön bunt hier – Die Geschichte der Popkultur von den Fünfzigern bis heute, Leipzig, Reclam Verlag, S. 102

[15] Edenhofer, J. (1991), a. a. O., S. 209

[16] vgl. Schütte, U. (2008): Basis-Diskothek Rock und Pop, Stuttgart, Reclam Verlag, S. 63

[17] Edenhofer, J. (1991), a. a. O., S. 210

[18] Kemper, P./ Langhoff, Th./ Sonnenschein, U. (Hg) (2002), a. a. O., S. 106

[19] Kemper, P. (Hg.) (2003): Rock-Klassiker in drei Bänden – Band 1 AC/DC – Free, Stuttgart, Philipp Reclam Verlag, S. 475

[20] Wicke, P. (2011), a. a. O., S. 41

[21] vgl. Kemper, P./ Langhoff, Th./ Sonnenschein, U. (Hg) (2002), a. a. O., S. 105

[22] ebd., S. 111

[23] Quelle: Text unter http://www.bap.de/start/musik/songtexte/titel/wie-ne-stein, abgerufen am 01.05.2016

[24] vgl. Temme, B. (u. a.) (1983): BAP övver BAP, Bornheim-Merten, Lamuv Verlag, S. 11

[25] vgl. Kemper, P. (Hg.) (2003), a. a. O., S. 41

[26] Terhag, J. (1989): Populäre Musik und Jugendkulturen, Regensburg, Gustav Bosse Verlag, S. 138

[27] Quelle: vgl. http://www.zeithistorische-forschungen.de/1-2012/id%3D4589, abgefragt am 03.04.2016

[28] Quelle: vgl. http://www.spiegel.de/einestages/popmusik-a-949347.html, abgefragt am 04.04.2016

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Details

Titel
Das (sozial-)politische Engagement und seine Widerspiegelung in den Texten der Kölner Musikgruppe BAP
Untertitel
Musikhistorische Analyse unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Hintergrunds
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg  (Institut für Kunst, Musik und ihre Vermittlung)
Veranstaltung
Musikgeschichte
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
41
Katalognummer
V383842
ISBN (eBook)
9783668596139
ISBN (Buch)
9783668596146
Dateigröße
745 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit wurde geringfügig aktualisiert (das Jahr 2017 also noch berücksichtigt).
Schlagworte
BAP, Bob Dylan, Deutschrock der 80er, Folkrock, Kultur, Sozialpolitik, Songtexte
Arbeit zitieren
M. A., B. A. Frank Findeiß (Autor:in), 2016, Das (sozial-)politische Engagement und seine Widerspiegelung in den Texten der Kölner Musikgruppe BAP, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/383842

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