Modalität im Sprachwandel. Grammatikalisierung der Modalverben im Deutschen unter besonderer Berücksichtigung des Verbpaares "müssen/sollen"


Hausarbeit, 2016

19 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. „Modalität“, „Grammatikalisierung“ und Deixis - Begriffsbestimmung

3. Die Modalverben als Klasse der modalen Ausdrucksmittel
3.1 Die Gebrauchsweisen
3.2 Oppositionen des erweiterten Modussystems im Deutschen

4. Entwicklung des deiktischen Gebrauchs von Modalverben
4.1 Parameter der Grammatikalisierung
4.2 Ablaufphasen der Grammatikalisierung
4.3 Grammatikalisierung von m ü ssen und sollen
4.3.1 m ü ssen
4.3.2 sollen

5. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Die Sprache als das Hauptmittel der menschlichen Kommunikation befindet sich immer unter dem Einfluss aller Innen- und Außenfaktoren eines Landes und bringt infolgedessen unbegrenzte Neuheiten hervor. Die deutsche Sprache ist in Bezug darauf keine Ausnahme und hat eine reiche Entwicklungsgeschichte auf allen Ebenen des Sprachwandels, die sich immer weiter fortsetzt (Nübling 2013: 5). Schon seit 200 Jahren werden die Sprachwandelprobleme des Deutschen in der Sprachwissenschaft aktiv erforscht. Besonders aktuell ist dabei das Phänomen der Grammatikalisierung, bei dem lexikalische Zeichen neue grammatische Bedeutungen bekommen (Szczepaniak 2009: 5). Unter solchen Phänomenen sind neue Interpretationen im verbalen Bereich sehr beachtenswert, weil bereits vorhandene verbale Informationen stark modifiziert wurden (ebd.: 111). Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Grammatikalisierungsprozess der Modalverben.

Die Verbalmodi und die Modalverben spielen eine zentrale Rolle in der deutschen Grammatik und weitgehend auch im Rahmen der Modalitätsdiskussion, da sie „als die zentralen Ausdrucksmittel der grammatisch enkodierten Modalität im Deutschen [gelten]“ (Diewald 2013: 77). Durch den Gebrauch von Modalverben ist es dem Sprecher möglich, seine „Wissensbestände, [sein] Wertesystem, [seinen] Willen u.Ä.“ (Szczepaniak 2009: 158) auszudrücken. Aufgrund dieser großen Bedeutungsvielfalt werden das Modalverbsystem und seine Besonderheiten immer weiter untersucht (Milan 2001: 4). Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Klarheit über die aktuellen Gebrauchsweisen der Modalverben zu schaffen und Einblick in den Grammatikalisierungsprozess allgemein und seinen Verlauf bei den Modalverben m ü ssen und sollen zu erhalten.

Zu Beginn der Arbeit werden die Begriffe „Modalität“, „Grammatikalisierung“ und „Deixis“ aufgrund der besonderen Relation zwischen den Phänomenen erläutert, wobei besonders auf das Verhältnis von Grundmodalität und epistemischer Modalität eingegangen wird. Anschließend erfolgt eine Beschreibung der Gebrauchsweisen der Modalverben und der Oppositionen des Modussystems. Des Weiteren werden die grundlegenden Inhalte des Grammatikalisierungsprozesses, und zwar seine Parameter und Phasen beschrieben. Danach wird die Theorie zur Grammatikalisierung in Hinblick auf die Modalverben m ü ssen und sollen konkretisiert. Abschließend folgt eine Zusammenfassung der vorliegenden Arbeit mit einem knappen Ausblick.

2. „Modalität“, „Grammatikalisierung“ und „Deixis“ - Begriffsbestimmung

Der Begriff „Modalität“ ist sehr komplex und schwer zu definieren. Außerhalb der Linguistik war die Modalität auch für andere Disziplinen (z. B. Philosophie, Logik, Semiotik) ein wichtiges Untersuchungsobjekt. In allen Bereichen stießen Definitionsversuche von Modalität auf Schwierigkeiten. Es steht jedoch fest, dass die Modalität je nach Sprache und deren Struktur durch spezifische Ausdrucksmittel realisiert wird, so im Deutschen durch Modus und Verbaladjektiv sowie durch Verblexeme (Milan 2001: 15f.). Trotz vieler unterschiedlicher Modalitätskonzepte ist es Brinkmann (1975: 357) gelungen, eine allgemeine Definition von Modalität zu formulieren: „[Modalität ist] die Geltung, die einer Äußerung sprachlich zuerkannt wird“. In der vorliegenden Arbeit werden die Modalverben als Ausdrucksmittel von Modalität in den Mittelpunkt gestellt. Nach Abraham (2009: 253) sollen in diesem Zusammenhang die Grundmodalität der Modalverben und epistemische Modalität als zwei verschiedene Begriffsfelder voneinander abgegrenzt werden. An der Stelle entsteht die Frage, wie Modalität aus der Perspektive der Modalverben charakterisiert wird und welche Unterscheidungsmerkmale es zwischen den beiden Interpretationen von Modalität gibt.

Zunächst ist zu erwähnen, dass die Grundmodalität, auch als deontisch oder nicht-epistemisch bezeichnet, „[sich] aus der Weltenperspektivität inbezug auf die Proposition [...]: einer Musswelt, einer Möglichkeitswelt, einer Dürfewelt usw. [entwickelt]“ (Abraham/ Leiss 2013: 5). Bei epistemischer Modalität geht es um die sprecherorientierte Einstellung zur Proposition, d.h. sie „liefert [...] den Grad, zu dem sich der Sprecher zur Gültigkeit eine eingebetteten Proposition bekennt und sich zur Aussage damit verpflichtet fühlt“ (ebd.: 5f.). Der Unterschied wird anhand folgender Beispiele deutlich gemacht:

(1) Die R ö mer gegen die Gallier k ä mpfen.

‚Die Römer stehen unter dem Zwang gegen die Gallier zu kämpfen.‘ →subjektorientiert

(2) Die R ö mer m ü ssen irre sein.

‚Ich gehe davon aus, dass die Römer irre sind.‘ →sprecherorientiert

(Abraham/Leiss 2013: 6)

Die epistemische Modalität unterscheidet sich von der Grundmodalität auch dadurch, dass sie außer dem Satzinhalt auch das sprechaktliche Potential bewertet und somit inhaltsextern ist, wobei die Grundmodalität nur den Situationsinhalt modifiziert. So kann der Satz „ Er muss schrecklich alleine sein “ verschiedene Bewertungsgegenstände in sich haben. Einerseits wird gefragt, ob er allein ist oder nicht, andererseits, - was gesagt wird, d.h. die Wahrheitsbewertung bezieht sich auf die Proposition. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal liegt in dem Zeitzusammenfall von Sprechaktzeit und Beurteilungszeit der epistemischen Modalität (Abraham/Leiss: 6f.): „nicht ein Ereignis erscheint in Zeit lokalisiert, sondern vielmehr der Zeitpunkt des Sprechaktes, der mit dem des Propositionsereignisses zusammenfällt” (ebd.: 7). Es ist schwierig, eines der genannten Merkmale der Modalitätsdefinition zugrunde zu legen, weil keines außer Acht gelassen werden kann. Um die Eigenschaften der Grundmodalität und epistemischer Modalität zu veranschaulichen, wurden sie folgendermaßen schematisiert (ebd.: 7f.):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Unterscheidung zwischen Grundmodalität und subjektiv-epistemischer Modalität (Abraham/Leiss 2013: 8)

Neben dem Modalitätsbegriff an sich soll in der Arbeit von Modalität im Sprachwandel bzw. Grammatikalisierung die Rede sein. Um genügend Klarheit über die Phänomene des Sprachwandels zu schaffen, stützt sich Wolff (2009: 28) auf die Definition von Lewandowski (1990: 1077), demzufolge der Sprachwandel „die schon geordnete Vielfalt der ständig verlaufenden Prozesse der Umgestaltung, des Verlusts und der Neubildung sprachlicher Elemente“ (ebd.: 1077) bezeichnet. Da im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit die Entwicklungsgeschichte der Modalverben liegt, ist dafür der Sprachwandel im Bereich der Grammatik, und somit Grammatikalisierung besonders relevant. Nach Diewald (2008: 2) ist der Grammatikalisierungsprozess „ein Prozess, in dessen Verlauf eine linguistische Einheit grammatische Funktion(en) hinzugewinnt und zugleich lexikalische Funktion(en) abbaut. Anders fomuliert: Grammatikalisierung bedeutet das ‚Grammatik-Werden‘ von linguistischen Einheiten.“

Diese Definition ist wie die von Lehmann (1982) oder Traugott (2001) und anderer Sprachwissenschaftler, stark verallgemeinert (Levin-Steinmann 2010: 22). Da der Grammatikalisierungsprozess sehr komplex ist und in Bezug auf die Modalverben je nach Gebrauchsweise unterschiedlich verläuft, ist hier die Erläuterung des Begriffs „ Deixis “ nötig, der im Rahmen der Diskussion über Funktionsbereiche der epistemischen Modalität eine wesentliche Rolle spielt.

„Deixis - sprachliches Zeigen - ist eine unverzichtbare semiotische Operation, durch die ein sprachlich enkodierter Sachverhalt an den Sprecher, die deiktische Origo, gebunden wird. [...]. Die Rückbindung an die deiktische Origo ist das wesentliche Instrument für den Prozess, den Herbert Clark „establishing common ground“ nennt.“ (Diewald 2013: 78).

Den von Clark (1996) eingeführten Terminus „ common ground “ beschreibt Diewald (2013: 78f.) als das Vorhandensein eines gemeinsamen Wissensbestands der Kommunikationspartner innerhalb einer Kommunikationssituation, womit neben den gespeicherten Inhalten auch die aktuelle Situierung gemeint ist. Dieser deiktische Charakter ist in der Struktur jedes sprachlichen Zeichens enthalten, d.h., dass jedes grammatische Zeichen deiktisch sei. Diewald (1991; 1999) zeigt, wie und durch welche Entwicklungsstufen die Deixis in den Zeichen wirkt. Diese werden im nächsten Kapitel näher betrachtet.

3. Die Modalverben als Klasse der modalen Ausdrucksmittel

3.1 Die Gebrauchsweisen

Die Modalverben können ganz unterschiedliche Gebrauchsweisen haben. In der vorliegenden Arbeit wird vor allem auf die epistemischen und die nicht-epistemischen Modalverbvarianten eingegangen. Dazu wurde im vorigen Kapitel schon einiges gesagt, jetzt werden diese präziser erläutert. Nach Diewald (1993: 219f.) sind diese durch zwei folgende Gruppen von Beispielsätzen erkennbar:

(1)

a. Sie darf ins Kino gehen
b. Sie kann Auto fahren
c. Sie mag nicht tanzen
d. Sie muß zu Hause bleiben
e. Sie soll den Abwasch machen
f. Sie will surfen lernen

(2)

a. Sie dürfte inzwischen fertig sein
b. Sie kann mit dem Auto gefahren sein
c. Sie mag recht haben
d. Sie muß in der Stadt sein
e. Sie soll Sängerin gewesen sein
f. Sie will geschlafen haben

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Modalität im Sprachwandel. Grammatikalisierung der Modalverben im Deutschen unter besonderer Berücksichtigung des Verbpaares "müssen/sollen"
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
3,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
19
Katalognummer
V384262
ISBN (eBook)
9783668596269
ISBN (Buch)
9783668596276
Dateigröße
672 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
modalität, sprachwandel, grammatikalisierung, modalverben, deutschen, berücksichtigung, verbpaares
Arbeit zitieren
Dariya Smirnova (Autor:in), 2016, Modalität im Sprachwandel. Grammatikalisierung der Modalverben im Deutschen unter besonderer Berücksichtigung des Verbpaares "müssen/sollen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/384262

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