Diese Arbeit hat zum Ziel, das Forschungsfeld Corporate-Coworking zu erschließen. Dazu soll insbesondere untersucht werden, ob und in welchem Ausmaß Unternehmen ihre Arbeitsorganisation anhand von Coworking-Spaces ausrichten. Die daraus resultierende Forschungsfrage lautet: Welche Chancen und Risiken entstehen durch Corporate-Coworking als Form der Arbeitsorganisation für Unternehmen?
In den letzten Jahrzehnten sind tiefgreifende Veränderungen in der Arbeitswelt zu beobachten. Diese beinhalten unter anderem Phänomene wie die Zunahme an Wissensarbeit und die daraus fortschreitende Digitalisierung des beruflichen und privaten Alltags. Durch diesen Wandel erleben sogenannte „CoworkingSpaces“ einen regelrechten Boom.
Die Idee, dass etablierte und auch mitarbeiterstarke Unternehmen Coworking für sich entdecken, wird als Corporate-Coworking verstanden. Während sich mit dem Thema Coworking-Spaces bereits diverse Studien beschäftigten, stellt das Corporate-Coworking ein nahezu unerforschtes Feld dar. Die Themen Coworking-Spaces und Corporate-Coworking stellen sehr praxisnahe Konzepte dar, dennoch können sie auch theoretisch eingebettet werden, im Rahmen der institutionalistischen Theorie.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Historische Entwicklung der Arbeitswelt
2.2 Aktuelle Trends und Herausforderungen in der Arbeitswelt
2.2.1 Digitalisierung
2.2.2. Entgrenzung und Flexibilisierung
2.2.3 Hierarchieabbau
2.2.4 Demografischer Wandel und Fachkräftemangel
2.2.5 Innovationsdruck der Unternehmen
2.3 Konsequenzen für die Arbeitsorganisation von Unternehmen
3. Neo-Institutionalistische Theorie als konzeptionellen Rahmen
4. Coworking
4.1 Definition Coworking-Space und Begriffsabgrenzung
4.2 Kategorisierung von Coworking-Spaces
4.3 Kategorisierung von Coworking-Space Nutzern
4.4 Gründe für die Nutzung von Coworking-Spaces
4.5 Grenzen von Coworking-Spaces
5. Corporate-Coworking
6. Empirie: Methodik und Vorgehensweise
6.1 Erhebungsmethode: Qualitative Experteninterviews
6.2 Interviewleitfaden
6.3 Erhebungsdurchführung
6.4 Datenanalyse: Gioia-Methodologie
7. Ergebnisse
7.1 Charakteristika des Arbeitsumfeldes
7.2 Soziale Charakteristika des Arbeitens
7.3 Arbeitsweise im Unternehmen
7.4 Organisationscharakteristika
8. Zwischenfazit Corporate-Coworking
9. Chancen und Risiken von Corporate-Coworking
9.1 Chancen
9.1.1 Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit
9.1.2 Innovationskraft
9.1.3 Mitarbeiterbindung
9.1.4 Arbeitsmotivation
9.2 Risiken
9.2.1 Anforderungen an Mitarbeiter
9.2.2 Mitarbeiterzielgruppe
9.2.3 Unternehmenswachstum
10. Abgeleitetes Forschungsmodell
11. Gestaltungsempfehlungen für die Praxis
11.1 Strategische Gestaltungsempfehlungen
11.1.1 Gestaltung einer Innovationskultur
11.1.2 Kommunikationskultur
11.1.3 Personalpolitik
11.2 Operative Gestaltungsempfehlungen
11.2.1 Offene Großraumarbeitsplätze
11.2.2 Anreizstrukturen zusätzlich zum Gehalt
11.2.3 Weiterbildung
11.2.4 Flexible Arbeitszeiten
12. Limitationen und Implikationen
13. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Industrielle Revolutionen
Abbildung 2: Abgrenzung Coworking-Space zu anderen Organisationskonzepten
Abbildung 3: Übersicht Demographie der interviewten Unternehmen
Abbildung 4: Datenanalyse nach Gioia et al. 2013
Abbildung 5: Datenstruktur
Abbildung 6: Chancen durch Corporate-Coworking
Abbildung 7: Risiken von Corporate-Coworking
Abbildung 8: Vorgeschlagenes Forschungsmodell
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
In den letzten Jahrzehnten sind tiefgreifende Veränderungen in der Arbeitswelt zu beobachten. Diese beinhalten unter anderem Phänomene wie die Zunahme an Wissensarbeit und die daraus fortschreitende Digitalisierung des beruflichen und privaten Alltags (Dolfsma und Soete 2006, S. 1; Malecki und Moriset 2008, S. 1) sowie die Flexibilisierung der Arbeit (Voß 1998, S. 473). Durch diesen Wandel erleben „Coworking- Spaces“ einen regelrechten Boom. Ein Coworking-Space kann als „integriertes und flexibles Geschäfts- und Arbeitsmodell, das sich auf die Bedürfnisse von Entrepreneurs, Kreativ- und Wissensarbeitern fokussiert.“, verstanden werden (Schürmann 2013, S. 34). Konkret bedeutet das, dass es sich bei Coworking-Spaces um flexibel anmietbare Arbeitsplätze handelt. Die Coworker entrichten ein Entgelt und können dafür einen Arbeitsplatz mit seiner kompletten Infrastruktur nutzen. Eine Quantifizierung des Coworking-Booms lässt die Relevanz dieser flexiblen sowie sozialen Arbeitsmöglichkeit erkennen. Konnten im Jahr 2007 weltweit 17 offizielle Coworking-Spaces gezählt werden, so waren es im Jahr 2016 bereits 11.091. Wissenschaftler prognostizieren für 2020 sogar über 25.000 Coworking-Spaces weltweit (Zukunftsinstitut, n.d.). Zahlreiche Studien widmeten sich bereits der Analyse und Charakterisierung von Coworking- Spaces (vgl. Bouncken und Reuschl 2016) sowie deren Nutzern (vgl. Spinuzzi 2012; Garrett et al. 2014). Auch die Vorteile der Coworking-Space Nutzung, wie beispielsweise die Strukturierung und Trennung von Arbeits- und Freizeit (vgl. Pohler 2012), der Aufbau von sozialen Kontakten, oder eine gesteigerte Innovationsfähigkeit wurden vermehrt untersucht. Trotz der Vorteile ist Coworking als Form der Arbeitsorganisation nicht für jedes Unternehmen geeignet. Einschränkungen wie Daten- und Wissensschutz (Bouncken und Reuschl 2016, S. 15) müssen den Vorzügen gegenübergestellt werden. Eine weitere Grenze der Coworking-Space-Nutzung ist in der Größe eines Unternehmens zu sehen. Trotz dessen scheint Coworking auch für etablierte Unternehmen in den Interessenfokus zu rücken (Schürmann 2013, S. 38). Die Idee, dass etablierte und auch mitarbeiterstarke Unternehmen Coworking für sich entdecken, wird als Corporate-Coworking verstanden. Während sich mit dem Thema Coworking-Spaces bereits diverse Studien beschäftigten, stellt das Corporate-Coworking ein nahezu unerforschtes Feld dar. Häufig stehen Unternehmen vor der Entscheidung wie sie ihre Arbeitsorganisation gestalten sollen. Durch eine zu starre Organisation besteht das Risiko, einen Rückgang an Kreativität, Flexibilität und Innovationspotential zu verzeichnen.
Um diesen potentiellen Risiken vorzubeugen, kann aus Unternehmensperspektive versucht werden, durch Corporate-Coworking eine möglichst dynamische und kreative Arbeitsorganisation zu gestalten. Die individuelle Unternehmensgestaltung stellt daher neben den genannten Risiken eine Chance dar, Unternehmenswerte und -visionen auszudrücken.
Die Themen Coworking-Spaces und Corporate-Coworking stellen sehr praxisnahe Konzepte dar, dennoch können sie auch theoretisch eingebettet werden. Eingangs wurde auf den Wandel der Arbeitsumwelt eingegangen, aus welchem die Relevanz neuer Arbeitsorganisationskonzepte entsteht. Diese Veränderungen stehen im Zeichen der institutionalistischen Theorie, welche den methodischen Rahmen der Arbeit darstellt. Diese besagt, dass Organisationsstrukturen auch durch die gesellschaftliche Umwelt konstruiert werden (Scott und Meyer 1994, S.3). Der Theorie zufolge sichern Unternehmen ihre Existenz über Konformität mit gesellschaftlichen Erwartungen (vgl. Meyer und Rowan 1977). Für die Arbeit ergibt sich also folgende Frage: Ist Corporate-Coworking als Reaktion auf gesellschaftliche Wertänderungen zu verstehen?
Diese Arbeit hat zum Ziel, das Forschungsfeld Corporate-Coworking zu erschließen. Dazu soll insbesondere untersucht werden, ob und in welchem Ausmaß Unternehmen ihre Arbeitsorganisation anhand von Coworking-Spaces ausrichten. Das Fernziel dieser Masterarbeit ist eine Generierung von Gestaltungsempfehlungen für die Arbeitsorganisation etablierter Unternehmen. Die daraus resultierende Forschungsfrage lautet; welche Chancen und Risiken entstehen durch Corporate-Coworking als Form der Arbeitsorganisation für Unternehmen?
Zur Beantwortung der oben aufgeworfenen Fragen sollen die Art und Weise wie Unternehmen ihre Arbeit organisieren, die zugehörigen Motive und deren Vor- und Nachteile ergründet werden. Dafür werden leitfadengestützte Experteninterviews mit Unternehmen geführt. Aufgrund der schmalen Forschungsbasis zum Thema CorporateCoworking sind Experteninterviews geeignet, um neben deskriptiven Aussagen auch normative Aussagen erfassen zu können
Der entwickelte Gestaltungsleitfaden richtet sich schwerpunktmäßig an die Zielgruppe junger Unternehmen. Er soll auf Basis der empirischen Ergebnisse besonders erfolgreiche Gestaltungsparameter aufzeigen, die Chancen in der Arbeitsorganisationsgestaltung bieten. Gleichzeitig wird versucht, aus den empirischen Resultaten risikobehaftete Gestaltungspunkte zu ermitteln und Handlungsweisen vorzuschlagen, wie diese bei dem Aufbau einer Arbeitsorganisation vermieden werden können.
Aufgrund der hohen Nachfrage an Coworking-Space Arbeitsplätzen von Selbstständigen und Mikrounternehmen wird als Ergebnis erwartet, dass auch etablierte Unternehmen versuchen, ihre Arbeitsorganisation an Coworking-Strukturen anzugleichen. Dies könnte ihnen einerseits die Chance eines Innovationsvorteils verschaffen, da ein dynamisches, kreatives Umfeld in Kombination mit Unternehmenskooperationen ein hohes Ideenpotential bewirken mag. Zusätzlich könnte ein mögliches Coworking-Arbeitsumfeld durch eine motivierende Umgebung eine gesteigerte Arbeitsleistung begründen. Durch freiwillige Zusatzleistungen zum Gehalt wird angenommen, dass Mitarbeiter bereit sind mehr Zeit am Arbeitsplatz zu verbringen. Durch regelmäßige Auszeiten könnte auch die Qualität der Arbeit gesteigert werden. Ein Risiko des Corporate-Coworking könnte in der mangelnden Akzeptanz dieser Form der Arbeitsorganisation bei älteren Mitarbeiten liegen. Dies deshalb, da neue Arbeitsmodelle insbesondere bei diesen Mitarbeiten zur ungewohnten (und vermutlich auch unbeliebten) Umstellungsphasen führen. Aus der Analyse der Chancen und Risiken von Corporate-Coworking soll eine Ergebnisdarstellung in Form eines Gestaltungsleitfadens resultieren.
Der Forschungsfrage wird sich über eine Darstellung der aktuellen Entwicklungen der Arbeitswelt genähert, an deren Beginn ein Rückblick auf die historische Entwicklung der Arbeit steht. Es folgt eine Erörterung aktueller Trends der Arbeitswelt mit einer anschließenden Analyse der Konsequenzen für die Arbeitswelt.
In einem darauffolgenden Schritt werden die theoretischen Grundlagen in Form der institutionalistischen Theorie für die Arbeit gelegt. Anschließend an die theoretische Einordnung erfolgt eine Analyse des Themas Coworking-Space. Hier wird begonnen mit einer Definition und Abgrenzung des Begriffs. Weiterhin werden die Coworking-Spaces näher untersucht in Form einer Kategorisierung anhand verschiedener Parameter. Nach der Kategorisierung der Spaces erfolgt eine Charakterisierung der Nutzer mit ihren verschiedenen Nutzungsintentionen. Der anschließende Abschnitt widmet sich den Vorteilen und Chancen der Nutzung von Coworking-Spaces und soll damit Aufschluss über den aktuellen Boom dieser Form der Arbeitsorganisation geben. Für eine umfassende Darstellung wird anschließend auf die Nachteile bzw. Grenzen von Coworking-Spaces eingegangen.
Das daran anknüpfende Kapitel widmet sich der Herleitung des Themas Corporate- Coworking. Auf Basis der Literaturanalyse wird eine Definition des nahezu unerforschten Corporate-Coworkings versucht und eine Darstellung möglicher Eigenschaften. Nach der Theorieanalyse wird sich der empirischen Betrachtung des Themas gewidmet. Dafür erfolgt zunächst eine Darstellung von Erhebungsmethode, -durchführung und der Auswertungsmethodik.
Es folgt eine Darstellung der empirischen Ergebnisse. Hier erfolgt zunächst eine Analyse der Umsetzung von Corporate-Coworking in den befragten Unternehmen. Anschließend wird die ermittelte Datenstruktur mit ihren Kategorien und Subkategorien vorgestellt. Aus den Ergebnissen werden darauf aufbauend Chancen und Risiken von Corporate- Coworking diskutiert. Im nachfolgenden Kapitel wird schließlich ein daraus resultierendes Forschungsmodell vorgeschlagen. Auf Basis der Resultate wird schließlich ein Katalog von Gestaltungsempfehlungen für die Arbeitsorganisation junger Unternehmen entwickelt. Den Schluss der Arbeit bilden die Darstellung der Limitationen der Studie und das abschließende Fazit.
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Historische Entwicklung der Arbeitswelt
Um die Arbeitsorganisation von Unternehmen zu verstehen, ist es relevant sich mit der Entwicklung der Arbeit auseinanderzusetzen. Im 20. Jahrhundert spielt die Produktionsarbeit die zentrale Rolle in der Arbeitswelt und damit auch Fords Konzept der Massenfertigung. In der arbeitsorganisatorischen Perspektive ist die „pyramidenförmige bürokratische Organisation des fordistischen Unternehmens mit klaren Hierarchien“ (Götz und Lemberger 2009, S. 8) bestimmend. Neben hoch standardisierten und normierten Produkten charakterisiert die Ford-Ära eine hohe Monotonie und Arbeitsteiligkeit der Arbeitsplätze. Ein Vorteil der hohen Arbeitsteiligkeit ist darin zu sehen, dass auch ungelernte Kräfte nach kurzen Anlernphasen eingesetzt werden können (Mikl-Horke 2007, S. 66). Gleichzeitig existieren steile Hierarchien und damit eine starke Fremdüberwachung der Arbeit (Ruiner und Wilkesmann 2016, S. 44). Ein zentraler Wert des Fordismus ist die lebenslange Anstellung bei einem einzigen Arbeitgeber in Vollzeitbeschäftigung.
Auch das Konzept von Taylor („scientific management“) zielt auf eine Erreichung maximaler Produktivität ab. Es besteht aus den folgenden vier Grundsätzen: Trennung von Hand- und Kopfarbeit, Leistungs- statt Festlohn, Zerlegung der Arbeit in kleine Schritte und sorgfältige Auswahl passendenden Personals zur Arbeitsaufgabe (Minssen 2012, S. 79). Für das scientific management ist weiterhin die zentrale Bedeutung der Fremdkontrolle charakteristisch. Die Idee, dass ausschließlich durch die Kontrolle von Dritten die Transformationsschwierigkeit zwischen Arbeitskraft und Arbeitsleistung überwunden werden kann, ist im Taylorismus weit verbreitet (Minssen 2012, S. 80). Diese Merkmale führen zu einer hohen Monotonie sowie zu einem hohen Individualismus. In der Taylor-Zeit beginnt die Institutionalisierung von Betrieben und der Aufbau von Arbeitsorganisation mit nicht produktionsbeteiligten Angestellten (Mikl-Horke 2007, S. 67). Mitte der 1980er Jahre beginnen die ersten Autoren das Konzept und dessen Aktualität kritisch zu hinterfragen (vgl. Kern und Schumann 1985). Sie stellen fest, dass die Arbeitswelt einen Wandel durchlebt, welcher auch durch umfassendere und komplexere Arbeitsaufgaben entsteht. Eine weitere wichtige Veränderung der Arbeitswelt stellt die zunehmende Relevanz des Dienstleistungssektors dar (Schürmann 2013, S. 19). Im sogenannten tertiären Sektor arbeiten heutzutage mehr Menschen als im primären und sekundären Wirtschaftssektor zusammen (Minssen 2012, S. 93), damit hat er sich zum größten Beschäftigungsbereich entwickelt, in dem auch zukünftig noch hohe Arbeitschancen angenommen werden (Heinze und Helmer-Denzel 2004, S. 313- 314). Die Tertiärisierung (Jung 2008, S. 856) kann als Wandel weg von körperlicher Arbeit, hin zu Wissensarbeit verstanden werden (Holste 2012, S. 7).
In der Literatur ist ein Charakteristikum der heutigen und auch zukünftigen Arbeitswelt eine höhere Kurzfristigkeit. Das bedeutet, dass eine Tendenz hinsichtlich weniger Festanstellungen zugunsten von Projektanstellungen eintritt. Die Arbeitswelt sei durch „Selbstständigkeit, freiberufliche Projektarbeit, temporäre Arbeitslosigkeit oder Multijobbing“ geprägt (Schürmann, 2013, S. 20). Weiterhin ist eine Abnahme an sogenannter „Normalarbeit“ erkennbar, bei der es sich um ein langfristiges Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber handelt, inklusive geregelter Arbeitszeiten und Sozialleistungen (Meil 2016, S. 102). Hier ist eine deutliche Veränderung gegenüber dem Fordismus erkennbar, dessen Werte Koschel folgendermaßen zusammenfasst: „ein unbefristeter (…) Arbeitsplatz, seltene Arbeitsplatzwechsel, eine klare räumliche und zeitliche Trennung von Arbeit und Freizeit (…) (2014, S.13).
Neben den Veränderungen des Arbeitsumfeldes ist auch ein Wandel in der Wahrnehmung des Arbeitnehmers zu verzeichnen. In der Literatur wird nicht länger vom Arbeitnehmer, sondern zunehmend vom Arbeitskraftunternehmer gesprochen (Voß 1998, S. 477). Dieser ist charakterisiert durch Selbst-Ökonomisierung, Selbstkontrolle und Selbst- Rationalisierung (Minssen 2012, S. 109). Die Selbstkontrolle nimmt automatisch zu, sobald die Fremdkontrolle sinkt, was die Bedeutung des Unternehmens als Steuerungseinheit erkennen lässt. Je mehr Freiraum ein Arbeitgeber seinen Angestellten in Bezug auf Kontrolle gibt, desto mehr wird dieser sich selbst kontrollieren. Die Selbstökonomisierung eines Arbeitskraftunternehmers bezieht sich auf die Entwicklung der eigenen Potentiale und auch deren Vermarktung- das bedeutet, dass der Arbeitskraftunternehmer aktiv auf sowohl dem Arbeitsmarkt, als auch im Unternehmen auftritt. Das dritte Kennzeichen ist die Selbstrationalisierung, welche sich auf eine stringente Durchorganisation und Planung des Arbeits- und Lebensalltags erstreckt. Der Arbeitskraftunternehmer versucht auch sein Privatleben weitestgehend zu organisieren und zu planen und verbetrieblicht es damit (Minssen 2012, S. 110). Der aktuelle Wandlungsprozess der Arbeitswelt wird auch als vierte industrielle Revolution verstanden, in welcher der Faktor Mensch das Zentrum darstellt. Die drei Kernwerte der vierten industriellen Revolution sind Flexibilität, Individualität und
Geschwindigkeit (Bullinger 2013, S. 2). Überblickend werden die Veränderungsprozesse der Arbeitswelt in Abbildung eins dargestellt. Hier ist zu erkennen, dass die industriellen Revolutionen eins bis drei die Voraussetzungen für die aktuelle Veränderungssituation darstellen.
Zusammenfassend haben sich zentrale Charakteristika der Arbeit verändert und damit auch die Entwicklung und das Verständnis von Arbeit beeinflusst. Diese Erkenntnis soll einen ersten Erklärungsansatz für neue Formen der Arbeitsorganisationsgestaltung darstellen.
Abbildung 1: Industrielle Revolutionen, vgl. Bullinger 2013, S. 1
2.2 Aktuelle Trends und Herausforderungen in der Arbeitswelt
2.2.1 Digitalisierung
„Es gibt keinen Grund dafür, dass jemand einen Computer zu Hause haben wollte.“ Ken Olson, Präsident von Digital Equipment Corp., 1977 Dieses gerade 40 Jahre alte Zitat gegenüber einer Größe von 86% aller deutschen Privathaushalte, die im Jahr 2015 einen Computer besitzen (Statista 2015), gibt einen Hinweis auf die tiefgreifenden Veränderungen der Digitalisierung im privaten sowie beruflichen Alltag. Für eine ganzheitliche Erfassung des Phänomens Digitalisierung, beschreibt Zuboff die neuen Informationstechnologien als Dualismus zwischen automatisieren und informieren (1985, S. 10 - 11, Hirsch-Kreinsen 2005, S. 5). Die Automatisierung einerseits, die die Rationalisierung der Arbeit und Substitutionseffekte
bewirkt. Auf der anderen Seite steht die Informationsdimension. Diese ist gekennzeichnet
durch steigende Informationsvolumina, welche ebenfalls zu Veränderungen der Arbeitsprozesse führen (Zuboff, 1985, S. 11). Berichteten schon viele Autoren in den 90er Jahren vom Megatrend Digitalisierung, so ist dieser heute ganzheitlich in der Gesellschaft angekommen und beeinflusst das Arbeits- und Privatleben (vgl. Westermann et al. 2014). Darüber, dass die Digitalisierung stattfindet, herrscht Einigkeit, wenngleich deren Folgen unterschiedlich bewertet werden. Umstritten sind insbesondere die Konsequenzen für die Arbeitswelt. Hier gibt es divergierende Prognosen, ob die Digitalisierung entweder zu einem Beschäftigungsaufbau oder aber zu einem Abbau von Arbeitsplätzen führen wird (Dengler und Matthes 2016, S. 2). Für einen Abbau an Beschäftigungsverhältnissen spricht der Nachfragerückgang verschiedener Tätigkeiten durch digitalisierungs-gestützte Automatisierung (Bryn-Jolfsson und McAfee 2014, S. 178). Mit den Digitalisierungsbeobachtungen geht daher auch die Frage der Substituierbarkeit von Berufen einher (Dengler und Matthes 2015, S. 6). In diesem Aspekt kommen Forscher zu unterschiedlichen Prognosen. Während Bowles 51% aller Berufe auf dem deutschen Arbeitsmarkt als gefährdet sieht (vgl. Bowles 2014), kommen andere Autoren lediglich zu 12% Automatisierungsgefahr aller Berufe in Deutschland (Bonin et al. 2015, S. 16). Die große Divergenz der Werte liegt darin begründet, dass Bonin mögliche Kompensationseffekte berücksichtigt, in Form von Arbeitsplätzen, die erst durch die Automatisierung entstehen (Bonin et al. 2015, S. 16). Zur Beurteilung der Automatisierungswahrscheinlichkeit ist jedoch neben einer ganzheitlichen Arbeitsmarktbetrachtung, eine berufsabhängige Betrachtung sinnvoll. So kommen diverse Autoren zu dem Schluss, dass geringqualifizierte Arbeitnehmer eine höhere Automatisierungswahrscheinlichkeit ihrer Arbeitsplätze zu erwarten haben als höher qualifizierte Arbeitskräfte (vgl. Schuh/Stich 2013; Bauernhansel 2014).
Arbeitssoziologischen Untersuchungen nach bestimmen jedoch nicht die Digitalisierungsmerkmale die Veränderungen in Organisationen, sondern vielmehr sind die Veränderungen die Folge des Umgangs mit den neuen Technologien. Das bedeutet, dass die Gestaltung der Arbeitsorganisation einen zentralen Stellenwert bei der Beurteilung der Digitalisierungskonsequenzen einnimmt (Bogedann und Hoffmann 2015, S. 127). Zu beobachten ist der zunehmende Einsatz von Informationstechnik zur Vereinfachung betrieblicher Prozesse und zur Unterstützung der Kommunikation (Funken und Schulz- Schaeffer 2008, S. 15). Die steigende Internetnutzung hat neben den genannten Konsequenzen auch viele Arbeitsorganisationen tiefgreifend verändert (Dutton et al. 2005, S. 375) Durch den Nutzungszuwachs an Telekommunikationsmitteln „(…) [bilden] sich neuartige Wege der inner- und zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit heraus“ (Picot und Neuberger 2008, S. 221). Ein Beispiel für einen neuartigen Weg stellen virtuelle Organisationen dar. Zu diesen schließen sich voneinander unabhängige Partner (Unternehmen oder Individuen) für einen bestimmten Zeitraum virtuell zusammen (Auge- Dickhut et al. 2014, S. 99). Charakteristisch für virtuelle Organisationsformen ist die Ergebnis- anstatt der Tätigkeitsorientierung, sowie das hohe Ausmaß an Selbstorganisation und -verantwortung seitens der Mitarbeiter. Bezugnehmend auf das vorangegangene Kapitel kann also von einer „Abkehr von tayloristischen Werten“ gesprochen werden (Picot und Neuberger 2008, S. 233). In den vorherigen Abschnitten wurden mögliche Auswirkungen der Digitalisierung betrachtet. Diese „passieren“ jedoch nicht naturgesetzlich, sondern können und müssen bewusst gestaltet werden (Botthoff und Hartman 2015, S. 161). Damit stellt die Digitalisierung mit ihren möglichen Konsequenzen einen zentralen Faktor zur Gestaltung der Arbeitsorganisation da, den es auch bei der Wahl der Form der Arbeitsorganisation zu berücksichtigen gilt.
2.2.2. Entgrenzung und Flexibilisierung
Kein neue, aber dafür eine stetig zunehmende Entwicklung in der Arbeitswelt ist die Entgrenzung und die damit einhergehende Flexibilisierung der Arbeit. Unter der Entgrenzung wird ein sozialer Prozess verstanden, durch den historisch gewachsene Strukturen erodieren (Voß 1998, S. 474). Mit dem Begriff Unternehmen wird häufig ein in sich geschlossenes System assoziiert mit festen physischen Strukturen wie Bürogebäuden und Fertigungsbereichen. Innerhalb dieser Strukturen befinden sich die Mitarbeiter sowie relevante Informationen und Prozesse (Reichwald et al. 2008, S. 3). Insgesamt entsteht folglich ein System mit Grenzen, welche zwar häufig durch Interaktionen mit Märkten und Marktteilnehmern passiert werden; nichtsdestotrotz entstehen abgegrenzte Strukturen und damit eine Vorstellung von „innerhalb“ und „außerhalb“ (Reichwald et al. 2008, S. 3). „Die klassischen Grenzen einer Unternehmung beginnen zu verschwimmen, sich nach innen wie nach außen zu verändern, teilweise auch aufzulösen.“ (Reichwald et al. 2008, S. 3). Die Entgrenzung findet in unterschiedlichen Bereichen statt, hier sind beispielsweise die Arbeitszeit, sowie der Arbeitsort und auch die Arbeitsaufgaben zu nennen.
Die abnehmende Begrenzung und auch Informalisierung der Arbeitszeit gewinnt zunehmend an Relevanz (Koschel 2014, S. 14). Dabei kann eine Entgrenzung auf die Arbeitsdauer, die Arbeitszeitverteilung und auch die Lage der Arbeitszeit festgestellt werden (Minssen 2012, S. 60). Bei der Arbeitszeit führt die Entgrenzung zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Arbeitsmodellen in klassischer Form von Teilzeit-, Vollzeit-, oder Schichtarbeit. Neben der vertraglichen Vereinbarung des Arbeitsverhältnisses spielt jedoch auch die genannte Verteilung der Arbeitsmenge eine Rolle. Jenseits von beruflich erforderlichen Zeitbestimmungen (Schichtdienste, unternehmerische Vakanzen) ist eine Ablöse der Fünftagewoche und des Nine-To-Five-Konzeptes erkennbar (van Haaren und Schwemmle 1997, S. 107). Damit bewegt sich die Arbeitszeit in ihren Dimensionen Dauer, Verteilung und Lage weg von der Normalarbeitszeit (Groß et al. 2007, S. 202). Durch die Entgrenzung der Arbeitszeit vermischen sich Arbeits- und Freizeit (Minssen 2012, S. 70).
In der Unternehmenspraxis kann die Ausgestaltung beispielsweise so aussehen, dass Freizeitaktivitäten während der klassischen Arbeitszeit nachgegangen wird und dafür im „Feierabend“ oder am Wochenende gearbeitet wird. Flexible Arbeitszeiten können sich für die Arbeitnehmer und das Unternehmen positiv auswirken. Für den Arbeitnehmer wird eine Vereinbarkeit der Arbeitszeit mit der privaten Zeiteinteilung ermöglicht (Janßen und Nachreiner 2006, S. 549). Aus der Perspektive des Arbeitgebers ergibt sich durch flexible Arbeitszeiten der Vorteil, dass wirtschaftliche Anforderungen, wie schwankende Arbeitsauslastungen berücksichtigt werden können (Märkle und Petri 2000, S. 443). Die Entgrenzung des Arbeitsortes zielt auf eine räumliche Unabhängigkeit ab. Durch die oben beschriebenen Digitalisierungsauswirkungen, sind viele Jobs räumlich unabhängig auszuführen, meist ist lediglich eine Internetverbindung sowie das technische Equipment zwingend notwendig. Die räumliche Entgrenzung ermöglicht den Arbeitnehmern ein hohes Maß an Selbstbestimmung, da sie zumindest theoretisch an keinen Unternehmenssitz gebunden sind. Dieser Trend ist im Alltag nicht nur als Home-Office Tätigkeit gelebt, sondern auch für Außenstehende in Cafés, Zügen, oder am Flughafen beobachtbar (Bender 2013, S. 7). Die Grenze zwischen Arbeitsplatz, Zuhause und öffentlichen Plätzen verschwindet zunehmend. Für Arbeitnehmer ist ein Vorteil darin zu sehen, dass sie berufliche Verpflichtungen besser mit privaten Ereignissen verbinden können und so ihren Tagesablauf hinsichtlich Effizienz (beispielsweise Reisezeiten, oder Fahrten zum Arbeitsplatz) optimieren können. Mit der räumlichen Unabhängigkeit kann jedoch auch eine Erwartungshaltung des Arbeitgebers einhergehen. Wenn dem Arbeitnehmer von überall aus das Arbeiten möglich ist, wird möglicherweise auch ein regelmäßiger Blick in berufliche Belange erwartet, sei es am Wochenende oder im Urlaub. Für Unternehmen enthält die räumliche Flexibilität neben Koordinationsaufwänden auch Rationalisierungspotential in Form von Einsparungen fester Arbeitsplätze.
Ein mögliches Risiko der Entgrenzung aller Bereiche stellt die Kommunikation und das einheitliche Verständnis dar. Entgrenzungsprozesse stellen häufig einen schleichenden und impliziten Prozess dar, sodass es zu unterschiedlichen Auffassungen der Auslegung zwischen Mitarbeiter und Unternehmen kommen kann.
2.2.3 Hierarchieabbau
Eine sich ändernde Gesellschaftsstruktur führt auch zu Veränderungen von Werten der Arbeitswelt wie etwa der Abflachung von Hierarchien (Schweer 2012, S. 108). Die Existenz von Hierarchien ermöglicht einem Unternehmen Stabilität. Die Stabilität ermöglicht eine Kontrolle und auch eine Prognostizierbarkeit von Entwicklungen. Auf der anderen Seite behindern steile Hierarchien die Flexibilität eines Unternehmens. Arbeitsverhältnisse mit hohen Hierarchien und damit hohen Machtdistanzen verlieren an Relevanz. Nach Reichwald et al. ist eine Abflachung der Hierarchien sogar notwendig für die Innovationskraft eines Unternehmens (2008, S. 9). Zu erkennen ist dies schon vor dem Eintritt in ein Arbeitsverhältnis in der Formulierung von Stellenanzeigen. In einem Großteil der Jobbeschreibungen wird damit geworben, dass im Unternehmen flache Hierarchien gelebt werden. Das Phänomen, dass flache Hierarchien als Werbemittel dienen, zeigt die Relevanz von Hierarchien für die Arbeitgeberwahl auf. Dies kann als externe Wirkung flacher Hierarchien betrachtet werden. Auf der anderen Seite steht die interne Wirkung, die sich auf die Arbeitsorganisation auswirkt. Die nicht vorhandenen oder im Abbau begriffenen Hierarchien bewirken ein geringeres Machtgefüge und damit auch einen Distanzabbau zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern. Das resultiert in einer offeneren Unternehmenskultur und auch gesteigerten Kommunikation innerhalb der Organisation. Unternehmen stehen folglich vor der Herausforderung das richtige Maß zwischen Stabilität und Flexibilität zu finden (Thompson 1967, S. 148 - 150).
2.2.4 Demografischer Wandel und Fachkräftemangel
Als weiteren Veränderungsparameter der Arbeitswelt sollen die viel zitierten Begriffe „demografischer Wandel“ und „Fachkräftemangel“ einbezogen werden. Die Demographie kann grundlegend definiert werden als die Größe, Verteilung, Struktur von Gesellschaftspopulationen (Dinkel 1989, S. 1; Schimany 2003, S. 15). Der daraus entstammende demografische Wandel beschreibt eine Veränderung demografischer Parameter aufgrund von politischen, kulturellen oder sozialen Indikatoren und stellt damit einen weder positiv, noch negativ besetzten Begriff dar (Benz 2010, S. 29). Unter dem Begriff demografischer Wandel werden eine Vielzahl an Faktoren gefasst wie die Geburtenrate, die Migration oder die Lebenserwartung. Aufgrund der Weite des Forschungsfeldes der Demographie und des begrenzten Umfangs dieser Arbeit wird sich an dieser Stelle auf die Auswirkungen der Demographie auf die Arbeitswelt konzentriert. Sinkende Geburtenraten (Benz 2010, S. 40) bedeuten einen Rückgang an jungen qualifizierten Arbeitskräften. Dies führt dazu, dass durch weniger jungen Nachwuchs das durchschnittliche Alter einer Belegschaft ansteigt (Benz 2010, S. 52). Das Fehlen von qualifizierten Nachwuchskräften bedingt das Schlagwort des Fachkräftemangels. Diverse Studien haben gezeigt, dass aktuell nicht von einem flächendeckenden Mangel auszugehen ist, sondern sich dieser auf bestimmte Branchen und Fachbereiche konzentrieren wird (Fischer et al. 2007, S. 14 -16; Köchling und Deimel 2006, S. 125 - 127). Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften wird manche Unternehmen stärker betreffen als andere. Insbesondere kleinere Unternehmen können aufgrund ihrer geringen Bekanntheit oder mangels professionellen Personalauswahlinstrumenten betroffen sein (Benz 2010, S. 201). Außerdem haben Unternehmen an unattraktiven Standort ein Risiko für hohe Auswirkungen des Fachkräftemangels zu erwarten (vgl. Eckhardt et al. 2009, Laumer et al. 2008). Politische Maßnahmen zur Prävention sind beispielsweise die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters mit derzeit 67 Jahren (Benz 2010, S. 53). Die längere Verweildauer der Mitarbeiter im Unternehmen ist ein Versuch den Nachwuchsmangel auszugleichen. Neben der ausschließlichen Mitarbeiteranzahl stellt die Qualifikation der Mitarbeiter eine Herausforderung für Unternehmen dar. Diverse Unternehmen beklagen, dass sie Probleme haben bei der Besetzung ihrer Vakanzen aufgrund fehlender Qualifikationen beispielsweise in den Bereichen Computerwissen oder Fremdsprachenkenntnissen (Adecco Institut 2008, S. 21 - 23).
2.2.5 Innovationsdruck der Unternehmen
Ein weiterer Trend der Arbeitswelt ist der zunehmende Innovationsdruck für Unternehmen. Dieser ist sowohl aus der mikroökonomischen als auch aus der makroökonomischen Perspektive erkennbar. Ursächlich bedingt wird der Innovationsdruck durch eine wachsende Globalisierung (Vahs und Brem 2015, S. 8). Diese führt zu einem steigenden internationalen Wettbewerbsdruck und durch die globale Verfügbarkeit von Produkten und
Dienstleistungen existieren weniger geographische Marktnischen. Einerseits liegt in der Globalisierung für Unternehmen die Chance neue Absatz- und Beschaffungsmärkte zu erschließen. Auf der anderen Seite werden auch die Heimatmärkte von der Konkurrenz erschlossen und die eigenen Vorteile auf dem Heimatmarkt reduziert. Ein weiteres Charakteristikum des Innovationsdrucks ist die Geschwindigkeit. Sowohl die Produktlebenszyklen als auch die Innovationszyklen werden stetig kürzer, was ein schnelles Innovieren, Umsetzen und Platzieren von Produkten oder Dienstleistungen am Markt erfordert (Vahs und Brem 2015, S. 9). May beschreibt, dass es für deutsche Unternehmen für den Erfolg erforderlich sei zukunftsweisende Technologien, hocheffiziente Arbeitsorganisationen und erstklassiges Knowhow zur Verfügung zu haben (2011, S. 11). Weiter bezeichnet er Innovation als den entscheidenden Faktor für den Unternehmenserfolg, welches den Druck zur Innovation erklärt (May 2011, S. 11). Neben dem Druck schneller innovieren zu müssen, ist außerdem eine Verschiebung der Innovatoren erkennbar - von der Producer Innovation hin zur Open Innovation (Baldwin und von Jippel 2011, S. 1414). Das bedeutet, dass Unternehmen nicht länger ausschließlich in Entwicklungsabteilungen Innovationen schaffen, sondern auch die Unternehmensumwelt in den Innovationsprozess eingebunden wird.
2.3 Konsequenzen für die Arbeitsorganisation von Unternehmen
Nach der Darstellung der verschiedenen Trends der Arbeitsentwicklung stellt sich die Frage der Konsequenzen für die Arbeitsorganisation von Unternehmen. Durch alle beschriebenen Veränderungen ist erkennbar, dass nach mehr Freiheit und Selbstbestimmung gestrebt wird. Entgegen einem früheren Verständnis von Arbeit, steht nicht ausschließlich der Gedanke des Geldverdienstes im Vordergrund, sondern der eigene Beruf hat viel mehr Eigenschaften zu erfüllen. Er soll flexibel, orts- und zeitunabhängig, gering hierarchisch ausgeprägt sowie selbstbestimmt und erfüllend sein. Es sind deutliche Vermischungen der Bereiche Arbeitszeit und Freizeit vorhanden (Minssen 2012, S.176). Das bedeutet für Unternehmen, dass es auf die Veränderungen der Arbeitswelt und auch der Erwartungen von Arbeitnehmern zu reagieren gilt zur Sicherung der Arbeitgeberattraktivität.
Eine Konsequenz der Entgrenzung der Arbeit kann eine Veränderung der Entlohnungsbasis sein. Wurde vor Flexibilisierungsmaßnahmen bezüglich Arbeitszeit und -ort hauptsächlich die Arbeitszeit als Lohnbasis herangezogen, müssen zukünftig aufgrund der schweren Überprüfbarkeit die Arbeitsergebnisse als Basis herangezogen werden (van Haaren und Schwemmle 1997, S. 107). Dabei handelt es sich um eine Fokusverschiebung hin zu den Ergebnissen und weg von der Betrachtung des Weges dorthin. Für Unternehmen hat dies zur Konsequenz das Ergebnisziele konkretisiert werden müssen, um die Arbeitsleistung messbar zu machen.
Eine weitere Folge der aktuellen Entwicklung stellt die Vereinigung von Unternehmens- und Mitarbeiterzielen bezüglich der Arbeitsorganisationsgestaltung dar. Langfristig stehen Unternehmen vor der Herausforderung, wie sie ihre Arbeitsorganisation gestalten und gegebenenfalls verändern müssen um sowohl ihre Wettbewerbsfähigkeit als auch ihre Arbeitgeberattraktivität zu sichern.
Die zentrale Konsequenz der beschriebenen Veränderungen ist die dynamische Anpassung von Arbeitsorganisationen. Während früher Prozessoptimierungen über eine Verbesserung von Technik und Arbeitsmitteln begegnet wurde, finden nun vermehrt Änderungen an der Arbeitsorganisation statt. Dies ist auch daran zu erkennen, dass unterschiedliche Management-Reorganisationskonzepte sich in hoher Frequenz gegenseitig ablösen (Bullinger 2013, S. 2). Somit bilden die Veränderungen der Arbeitswelt die Grundlage für die Untersuchung neuer Formen der Arbeitsorganisationen. Durch eine sich ändernde Umwelt, entstehen neue Bedürfnisse und Erwartungen an Arbeitnehmer einerseits und Arbeitgeber andererseits.
3. Neo-Institutionalistische Theorie als konzeptionellen Rahmen
Der eingangs genannte Wandel der Arbeitswelt steht im Zeichen der neo- institutionalistischen Theorie, welche den methodischen Rahmen der Arbeit darstellt. Der Neo-Institutionalismus gehört zu den wichtigsten Organisationstheorien und als seine Begründer gelten Meyer und Rowan (1977), Zucker (1977) sowie DiMaggio und Powell (1983) (Bossard 2015, S. 24). Die Grundidee des Neo-Institutionalismus beruht auf der Annahme, dass Organisationen nicht länger als unabhängige, nutzenmaximierende Akteure wahrgenommen werden. Stattdessen werden sie als soziale Elemente betrachtet, die mit ihrer Umwelt interagieren, indem sie einerseits von der Umwelt abhängig sind und andererseits auf ihre Einflüsse reagieren (Meyer und Rowan 1977, S. 340 - 341). Der Neo- Institutionalismus hat verschiedene Strömungsrichtungen und kann in drei Analysedimensionen unterteilt werden: organisationsinterner („organizations as institutions“), umweltbezogener („organizations and institutions“) und gesellschaftstheoretischer („world polity“) Neo-Institutionalismus (Türk 2004, S. 926 - 927; Koch und Schemmann 2009, S. 7). Der Begriff organisationsinterner Neo-Institutionalismus gründet auf der Annahme, dass sich in Organisationen verfestigte Strukturen, Kommunikationsweisen und Normen ausbilden (Türk 2004, S. 926). Durch die stärkere Routinisierung von Verhaltensweisen können Organisationen als Institutionen verstanden werden (Zucker 1987, S. 446 -447). Der umweltbezogene Neo-Institutionalismus fokussiert die institutionalistische Organisationsumwelt und deren Wirkung auf die Organisation (Koch und Schemmann 2009, S. 8). Die dritte Strömungsrichtung, der gesellschaftstheoretische Neo-Institutionalismus, fasst im Kern westliche Kulturgedanken zusammen, wie beispielsweise eine säkularisierte Gesellschaft, Fortschrittsglaube und Universalismus (Koch und Schmemmann 2009, S. 9). Die drei Analyseebenen haben gemeinsam, dass die Idee autonomer Handlung von Individuen, frei von der gesellschaftlichen Umwelt, abgelehnt wird.
Der Neo-Institutionalismus hat als Kernbotschaft, dass Organisationsstrukturen auch durch die gesellschaftliche Umwelt konstruiert werden (Scott und Meyer 1994, S.3). Konkret bedeutet das, dass sich die neo-institutionalistische Theorie damit beschäftigt, „wie Organisationen ihr Wachstum und Überleben verbessern können, indem sie legitimierte Regeln und Praktiken einsetzen“ (Bouncken und Jones 2008, S. 671). Nach der Theorie sichern Unternehmen ihre Existenz über Konformität mit gesellschaftlichen Erwartungen (vgl. Meyer und Rowan 1977, Kneer und Schroer 2009, S. 239). Diese Konformität wird
darüber erzielt, dass durch das Befolgen legitimierter Regeln Unternehmen von ihren
Stakeholdern als akzeptiert wahrgenommen werden (Bouncken und Jones 2008, S. 673). Relevant ist folglich das Unternehmensumfeld und damit die institutionalistische Umwelt.
Darunter wird ein Set an Regeln verstanden, dass innerhalb einer Umwelt das Verhalten von Organisationen lenkt (Bouncken und Jones 2008, S. 673). Das Verhalten einer Organisation steht in engem Zusammenhang mit der Form der Arbeitsorganisation, die ein Unternehmen sich zugrunde legt und die es lebt. Es stellt sich die Frage, wie und warum Unternehmen eine bestimme Arbeitsorganisation formieren. Die institutionalistische Antwort besagt, dass Unternehmen eine Arbeitsorganisation vor allem aufgrund der Außenwirkung herausbilden, also um gesellschaftlichen Vorstellungen zu entsprechen (Kneer und Schroer 2009, S. 239). Daraus geht hervor, dass mit einer Organisationsform weniger Effizienz- oder Effektivitätsgründe verfolgt werden (DiMaggio und Powell 1983, S. 147). Das Entsprechen der Erwartungen der Umwelt kann jedoch auch lediglich auf einer oberflächlichen Ebene erfolgen. Daraus können sogenannte zwei Ebenen der Wirklichkeit entstehen. Die eine Ebene ist die, die das Unternehmen nach außen hin verfolgt und die sich auf schnelle Anpassungen an die Umwelt fokussiert. Auf der anderen Ebene wird „business as usual“ betrieben und formale Organisationsveränderungen werden nicht tatsächlich umgesetzt (Kneer und Schroer 2009, S. 239).
4. Coworking
4.1 Definition Coworking-Space und Begriffsabgrenzung
Die in Kapitel zwei dargestellten Veränderungen der Arbeitswelt führen zu neuen Arbeitsorganisationsformen, darunter das sogenannte Coworking. Für dieses Konzept existiert eine Vielzahl an Definitionen, die unterschiedliche Aspekte fokussieren. Für eine ganzheitliche Erfassung des Phänomens wird begonnen mit einer Operationalisierung des Begriffs. Der englische Begriff Co-Working bedeutet einfach übersetzt zusammen, oder miteinander arbeiten. Um ein Verständnis für den Zusammenhang der Begriffe Coworking, Coworking-Space und Coworker zu erzeugen, wird Coworking als Gesamtkonzept definiert, welches sich aus der Art der Arbeit (Coworking), dem Ort der Arbeit (Coworking-Space) und den Individuen mit denen man arbeitet (Coworker), zusammensetzt (Erler 2010, S. 29).
“Beyond the room layout, coworking is first an atmosphere, a spirit, and even a lifestyle.” (Moriset 2013, S. 7). Dieses Zitat gibt einen ersten Eindruck der Vielschichtigkeit des Begriffs Coworking und stellt eine sehr weitläufig gefasste Begriffsbestimmung dar. Diese Erklärung ist ein Hinweis dahin, dass das Phänomen Coworking ortsunabhängig und damit auch übertragbar zu sein scheint. Coworking-Spaces können beschrieben werden als Orte, innerhalb derer voneinander unabhängige Experten sich Büro-Ressourcen teilen und diese Experten die Bereitschaft mitbringen ihr spezielles Wissen mit der Gemeinschaft zu teilen (Capdevila 2015, S. 3).
Spinuzzi definiert Coworking-Spaces als offenen Arbeitsplatz und ergänzt, dass die Nutzung gegen eine Gebührenentrichtung der Coworker erfolgt (Spinuzzi 2012, S. 399). Die geteilten Ressourcen gehen über die arbeitsnotwendige Infrastruktur hinaus und können auch soziale Aspekte wie gemeinschaftsbildende Veranstaltungen umfassen, die für eine lockere soziale Strukturbildung sorgen (Garrett 2014, S. 1-2). In der Literatur wird als zusätzliche Eigenschaft von Coworking-Spaces definiert, dass es sich um hierarchiefreie Arbeitsplätze handelt, was Kooperationsaktivitäten fördert (Rief, Stiefel und Weiß 2014, S. 43). Ein weiteres Charakteristikum besteht in der Zwischenstellung eines Coworking-Spaces zwischen dem klassischen Büroarbeitsplatz und einer Home-Office- Tätigkeit (Moriset 2013, S. 6). Häufig wird der Flexibilitätsaspekt eines Coworking-Space betont, da die Arbeitsplätze sehr kurzfristig angemietet werden können (Quante und Sooth 2010, S. 322). In der Literatur sind verschiedene Kernwerte zu finden, auf welche Coworking-Spaces sich begründen. Diese Werte sind Zusammenarbeit, Gemeinschaft,
Nachhaltigkeit, Offenheit und Zugänglichkeit (Schürmann 2013, S. 32). Für ein einheitliches Verständnis von Coworking-Spaces ist eine Abgrenzung zu ähnlichen Konzepten erforderlich. Oft werden Parallelen zu einer klassischen Bürogemeinschaft gezogen. Ein Hauptunterschied dazu ist jedoch die hohe Fluktuation. Während eine Bürogemeinschaft typischerweise auf eine langfristige Zusammenarbeit ausgelegt ist, kann im Coworking-Space eine hohe Fluktuation herrschen (Oberhofer 2010, S. 3). Ein weiterer Unterschied ist die Entstehung. Eine Bürogemeinschaft wird häufig selbst gegründet, während der Coworking-Space in der Regel extern von einem sogenannten Host betrieben wird und die Nutzer lediglich als Mieter auftreten (Merkel und Oppen 2013, S. 4). Die reine Anzahl an Nutzern stellt kein trennscharfes Abgrenzungskriterium dar, da Coworking- Spaces bezüglich ihrer Nutzerzahlen stark divergieren. In der Regel überschreiten Bürogemeinschaften jedoch eine Größe von zehn Mitarbeitern nicht, während Coworking- Spaces über bis zu 200 Arbeitsplätze verfügen (Merkel und Oppen, 2013, S. 4).
Ein weiteres Arbeitsorganisationskonzept, was es vom Coworking-Space abzugrenzen gilt, ist das Business Center. Business Center sind vollständig ausgestattete, temporärnutzbare Büroräume, meistens in zentralen Lagen und Verkehrsknotenpunkten. Im Vergleich zu Coworking-Spaces steht bei diesem Konzept die flexible Raumvermietung im Fokus; Austauschaktivitäten oder gemeinschaftsbildende Veranstaltungen sind hier nicht vorgesehen (Schürmann 2013, S. 279). Business Center sind weniger sozial motiviert und auch nicht wertgetrieben, im Gegensatz zu Coworking-Spaces.
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- Quote paper
- Julia Mehl (Author), 2017, Coworking Spaces als Form der Arbeitsorganisation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/384645
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