Altern - eine Herausforderung zur Selbstwerdung - Theologisch-ethische Perspektiven für Menschen im dritten Lebensabschnitt


Diplomarbeit, 2005

140 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Hinführung

1. Kapitel Human- und sozialwissenschaftliche Grundlegung
Einleitung
1 Biologisches Altern
1.1 Ein komplexer Ablauf des Alterns – in der Zelle
1.1.1 Behinderung von Transportprozessen – die Zellwand
1.1.2 Zellulärer Alterungsprozess – im Zellkern
1.1.3 Abnahme der Atmungsrate – in den Mitochondrien
1.1.4 Entstehung von Alterspigmente – in den Lysosomen
1.1.5 Translations-Störungen im endoplasmatischen Retikulum
1.1.6 Die Altersabhängigkeit der Zellteilungsfähigkeit
1.1.7 Die Apoptose – aktiver Selbstmord der Zelle als Systemeigenschaft
1.1.8 Die Differenzierung der Zelle – ein Altersvorgang
1.2 Der alternde Organismus
1.3 Zusammenfassung
2 Psychologisches Altern
2.1 Das Modell der Entwicklung von Erik Erikson
2.2 Die Lebensalter von Romano Guardini
2.3 Wichtige Fragestellungen in der psychologischen Alternsforschung
2.4 Zusammenfassung
3 Soziales Altern
3.1 Daten über den Zuwachs der alternden Weltbevölkerung
3.1.1 Daten über die Bevölkerungsentwicklung in Österreich
3.2 Gründe, die zur Lebensphase Alter führen
3.2.1 Berufliche Ausgliederung als Zäsur in der Lebensbiographie
3.2.2 Familiäre Verhältnisse und deren Veränderungen
3.2.2.1 Die Partnerschaft im Alter
3.3 Die Modelle der klassischen Alternstheorien
3.3.1 Das Defizitmodell
3.3.2 Die Disengagement-Theorie
3.3.3 Die Aktivitätstheorie
3.3.4 Die Kontinuitätstheorie
3.3.5 Modell der „Selektiven Optimierung durch Kompensation“
3.3.6 Wachstumstheorien
3.4 Zusammenfassung

Kapitel 2 Der alternde und alte Mensch – Aspekte einer philosophisch-theologischen Anthropologie
1 Das Menschsein und seine letzte Lebensphase
1.1 Hinführung zur „Lehre vom Menschen“
1.2 Allgemeine Dimensionen unseres Menschseins
1.3 Das Alter als besondere Lebensphase
1.4 Der Tod als Begrenzung der letzten Lebensphase
1.5 Der Tod aus einer christlich-theologischen Sicht
2 Altwerden und „Streben nach Glück“(Aristoteles)
2.1 Die „Nikomachische Ethik“ des Aristoteles
Exkurs: ... glückendes – gelingendes oder gutes Leben
2.2 „Philosophische Anthropologie in praktischer Absicht“ (Rentsch)
2.2.1 Wichtige transzendentale Lebensformen für Klärung des Alterns
2.3. Altern: „Ein Werden zu sich selbst“ (Rentsch)
2.3.1 Ziel des Alterns: Endgültigwerden
2.4 Zusammenfassung
3 Aspekte einer theologischen Anthropologie - im besonderen des Alterns
Einleitung
3.1 Momente einer theologischen Anthropologie
3.2 Hinweise über alte Menschen in der Heilige Schrift
3.2.1 Im Alten Testament
3.2.1.1 Langes Leben als hohes Gut - Abraham und Moses
3.2.1.2 Ehre deine Eltern - Das Elterngebot im Alten Testament
3.2.1.3 Altern als Last und Beschwerde – das Kohelet-Gedicht
3.2.2 Im Neuen Testament
3.2.2.1 Alte und neue Zeit treffen aufeinander – Simeon und Hanna
3.2.2.1.a Wartend aktiv werden – Simeon – ein Blick nach Innen
3.2.2.1.b Wartend aktiv werden – Hanna – ein Blick nach Außen
3.2.2.2 Alter und Neugeburt – Nikodemus (Joh 3,1 - 13)
3.2.2.3 Weisungen für Gemeinden – zwei Pastoralbriefen
3.3 Altern aus der Sicht einer theologischen Anthropologie
3.3.1 Der alternde Mensch - von Gott geschaffen
3.3.2 Der alternde Mensch - in Beziehung mit Gott
3.3.3 Zusammenfassung

Kapitel 3 Altern und Altsein - in Freiheit annehmen
Einleitung
1 Die Lebenswirklichkeit in der dritten Lebensphase
2 Freiwerden zur Annahme seiner selbst
2.1 Freiheit unter der Bedingtheit des eigenen Willens
2.1.1 Der eigene Wille als Bedingtheit der persönlichen Freiheit
2.1.1.1 Wollen und Wünschen – eine Unterscheidung
2.1.1.2 Das Artikulieren des freien Willens
2.1.1.3 Das Verstehen des freien Willens
2.1.1.4 Der gebilligte freie Wille
2.2 Überwindung der Zwänge in der Zeit der „späten Freiheit“ (Rosenmayr)
2.3 Altern als „Aufruf zur Vollendung der Freiheitsgeschichte“ (Auer)
2.3.1 Freiheitsgeschichte und die Integrierung des Todes ins Leben
2.3.2 Ethische Aufgaben des Einzelnen im Altern und Altsein
2.3.2.1 Die Möglichkeit der Verweigerung und ihre Folgen
2.3.2.2 Die Möglichkeit der Annahme
2.3.2.3 Elemente einer Altersidentität
2.3.3 Sozial-ethische Herausforderungen
2.4 Zusammenfassung
3 Im Blick auf das Enden die Vergangenheit neu gestalten
3.1 „Annahme des Endens und das richtige Zugehen auf den Tod“ (Guardini)
3.2 Neugestalten der Vergangenheit durch Revision des Lebens
3.2.1 Validation
3.2.2 Das Leben ordnen – ein christliches Gebot
3.2.3 Reue als Beginn eines neuen Lebens
4 Der christliche Glaube als Angebot im Altwerden
4.1 „Fruchtbarmachen“ durch christlichen Glauben
4.1.1 Leben als Geschenk Gottes
4.1.2 Lebensweg, der zum ewigen Leben führt
4.1.3 Beten im Alter
4.2 „Wir Alten sind noch nicht fertig.“ (Rahner)
4.2.1 Altern ein Phänomen in Natur, Geschichte und Gesellschaft
4.2.2 In der Lebens-Rückschau auf der Suche nach Freiheit
4.2.3 Leben in der Hoffnung auf ewiges Leben
4.3 Zusammenfassung

Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Vorwort

Angeregt durch Gespräche und Diskussionen mit älteren und alten Menschen wurde mein Interesse geweckt, das vorliegende Thema im Zuge einer Diplomarbeit zu erarbeiten. Mein Interesse gilt dem einmaligen Leben, den Schwierigkeiten und den Chancen, die sich für Menschen im dritten Lebensabschnitt auftun. Altwerden und Altsein ist nun einmal auch mit „Defiziten“ verbunden; in vielerlei Hinsichten hat es mit Angst zu tun. Doch das kann doch nicht alles sein, was den letzen Lebensweg des Menschen ausmacht.

Wenn ich mich nun als junger Erwachsener in einer ganz anderen Lebensphase befinde, so ist mir dennoch bewusst, dass hinter jedem älteren und alten Menschen eine persönliche Lebensgeschichte steht, die zugleich auch in die Zukunft weist. In dieser Arbeit möchte ich hierzu lediglich den Versuch wagen, in bescheidenem Maße, Perspektiven oder Orientierungshilfen für die Annahme des Altwerdens und Altseins ausfindig zu machen. Dazu soll eine Stärkung im christlichen Glauben erfahrbar werden können, damit mit dem Psalmist gebetet werden kann: „Unsere Tage zu zählen lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz.“ (Ps 90, 12). Ein diesbezügliches Vorbild war für mich persönlich der verstorbene Wiener Kardinal Franz König. In seinen letzten Ansprachen und Interviews hat er stets versucht auf die wichtigsten Fragen im Leben aufmerksam zu machen: „Woher komme ich? Wohin gehe ich? Welchen Sinn hat mein Leben? Ich lebe nur einmal.“[1] Mir ist bewusst, dass die vorliegende Arbeit nur einen kleinen Beitrag zu diesem Thema leisten kann.

Im Sinne einer „bunten Gesellschaft“[2], müssen sich junge und alte Menschen gemeinsam den Herausforderungen stellen, die sich in der Gesellschaft ergeben. Beide Generationen haben einen wichtigen Beitrag zu leisten. Ihre Erfahrungen sind es, von denen die junge Generation lernen kann. Folgendes Wort des Propheten Jesus Sirach könnte für junge Menschen auch heute Geltung haben: „Verweile gern im Kreis der Alten, wer weise ist, dem schließ dich an!“ (Sir 5, 34).

Schließlich gilt mein persönlicher Dank Herrn Univ.-Prof. DDr. Walter Schaupp für die Betreuung und Annahme dieser Diplomarbeit. Ebenso danke ich meinen Studienkollegen Thorsten Philipp Schreiber und Andreas Monschein für das Korrekturlesen und die Unterstützung bei der Formatierung der Arbeit.

Hinführung

Altwerden und Altsein haben viele Gesichter. Altern beginnt bereits mit der Geburt und endet mit dem Tod am Ende des Lebenslaufes. Menschen altern interindividuell unterschiedlich in Abhängigkeit von ihrer genetischen Anlage, sowie in Abhängigkeit von sozial und ökonomisch ungleichen und individuell unterschiedlichen Lebensbedingungen. Wie nun das persönliche Altern erlebt wird, ist zusätzlich vom kulturellen Aufwand abhängig. Allein auf das chronologische Altern zu achten, ist daher für das alltägliche Gespräch, sowie für die Gerontologie, als Wissenschaft mit ihren unterschiedlichen Disziplinen, nicht zufriedenstellend. In dieser Arbeit soll versucht werden, Tiefendimensionen im Prozess von Altwerden und Altsein herauszuarbeiten, um hoffentlich positive Perspektiven für den letzten Lebensabschnitt zu finden.

Die Lebensphase Alter genau zu terminieren ist ein schwieriges Unterfangen. Eine quantitative Ausdehnung dieses Lebensabschnittes kann bis zu 50 Jahre dauern, wenn ein früher Ruhestand und ein hohes Sterbealter zusammentreffen. Nach einem „chancenreichen“[3] dritten Alter ist ein „eingeschränktes“[4] viertes und sogar ein fünftes Alter im Lebenslauf möglich.[5] Die jeweiligen Alter hierbei werden durch unterschiedliche Bedingungen und Anforderungen unterteilt. Eine Einteilung von „junge Alte“, „Alte“ bis zu „alte Alte“ orientiert sich nach Fähigkeiten in körperlichen, psychischen, sozialen und gesellschaftlichen Funktionsbereichen.[6] Neben diesen Differenzierungen, wie auch die nachfolgende, haben für sich nur einen Orientierungswert. Die Weltgesundheits-Organisation WHO unterteilt die zweite Lebenshälfte in den älteren Menschen (60- bis 75jährigen), den alten Menschen (75- bis 90jährigen) und schließlich in den Langlebigen (den über 100jährigen) ein.[7] In der vorliegenden Arbeit wird von älteren und alten Menschen die Rede sein, ohne genauere Differenzierungen vorzunehmen, da durch die interindividuelle Verschiedenheit jeder Mensch das Altern unterschiedlich erlebt und sich auch dementsprechend jung oder alt fühlt. Ebenso darf das Alter nicht als isolierter Lebensabschnitt betrachtet werden, da ein Weiterwachsen von den früheren Lebensjahren für möglich, sogar für notwenig gehalten wird. Das Herausarbeiten von Möglichkeiten des Wachsenkönnens im Alter ist eine Grundaufgabe dieser Arbeit. Mit ,alter Mensch‘ sind in der vorliegenden Arbeit in sprachlicher Hinsicht stets beide Geschlechter – Frauen und Männer – gleichzeitig ohne jeweilige Hervorhebung der femininen Endung gemeint.

Zur Hervorhebung einer Intention dieser Arbeit, die Möglichkeit des Wachsenkönnens im Alter, soll ein Rückgriff auf die etymologische Bedeutung des Wortes „alt“ unternommen werden, denn vom althochdeutschen Wortgebrauch bis zur Gegenwart hat es eine Entwicklung der Wortbedeutung des Adjektives „alt“ gegeben. Die germanischen und lateinischen Formen von dem Adjektiv ,alt‘ beruhen auf der indogermanischen Wurzel ,al-‘ , was soviel wie wachsen, nähren, wachsen machen bedeutet.[8] Man könnte meinen, dass mit den Begriffen etwas Positives ausgesagt worden ist. Etymologisch ist die Ausgangsbedeutung also in den Begriffen von Wachsen zu suchen. Somit kann für die Bedeutung des Begriffes Alter eine Entwicklung festgestellt werden: „offenbar von ,Heranwachsen, Alterstufen des Unmündigen‘ zu den Alterstufen des Menschen allgemein, und dann, in neuerer Zeit, zu ,hohes Alter‘ (im Gegensatz zu ,Jugend‘).“[9] Heute scheint der Inhalt dieses Wortes im alltäglichen Gebrauch doch stark negativ akzentuiert zu sein. Ein negatives Altersbild ist in der Gesellschaft entstanden: Alter hat demnach stets etwas zu tun mit: Zunahme von Lebensjahren, Abbau, Wenigerwerden oder Bald-Sterben-Müssen. Nicht nur sogenannte Anti-Aging Bücher und Veranstaltungen laufen Gefahr einen natürlichen Abbauprozess zu verschleiern und die positiven Seiten des Älter- oder Altwerdens nicht zu berücksichtigen. Die Erfahrung des einzelnen Menschen entspricht meist der Erfahrung des Abbaus, des Rückzugs und des Endens, und das in Hinblick auf die Bereiche des menschlichen Miteinanders und der körperlichen Empfindungen. Altwerden und Altsein können jedoch auch positiv wertende Eigenschaften wie Reife, Weisheit, Lebenserfahrung sowie Entwicklungsfähigkeit in sozialen, psychischen und körperlichen Bereichen inkludieren. Diese positiven Eigenschaften gilt es zu benennen.

In der vorliegenden Arbeit soll es darum gehen, Aspekte aufzuzeigen, die wieder stärker ein Wachsen im Älterwerden hervorheben. Es ist notwendig, aufgrund des Prozesses des Altwerdens, in dieser Arbeit das Augenmerk nicht nur auf die letzte Lebensphase Alter zu legen, sondern bereits den Prozess dahin zu beachten, daher wird vom Altwerden und Altsein die Rede sein. Wenn nun – wie im ersten Kapitel zu zeigen sein wird – biologisches Altern mit prozesshafter Abnahme von Köperfunktionen zu tun hat, so kann vor allem im Bezug auf das soziale Altern neben den klassischen Alternstheorien eine Wachstumstheorie angeführt werden, die zeigen wird, dass es bis in die hohen Lebensjahre ein Wachsen in den verschiedensten sozialen Beziehungen, sowie im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung möglich ist. Ein Wachsen kann auch das im zweiten Kapitel der Arbeit zu behandelnde Thema: „Altern als Werden zu sich selbst“[10] genannt werden. Wenn sich menschliches Dasein in verschiedenen Situationen zuspitzt wie es zum Beispiel das Nahen des Todes zeigt, so soll der und die Einzelne versuchen, den persönlichen Tod anzunehmen - eine Herausforderung die ein Wachsen mit sich bringt. Im dritten Kapitel wird diesbezüglich erkennbar werden, dass der christliche Glaube ein Angebot dahingehend macht, im eigenen Leben einen Plan Gottes zu erkennen, womit ein Wachsen im persönlichen Glauben möglich ist.

Der Aufbau dieser Arbeit entspricht dem Ansatz von Alfons Auer, der „Autonomen Moral“[11]. In einem ersten Schritt werden zuerst Human- und Sozialwissenschaften nach deren Erkenntnissen befragt: Was sind die Bedingungen, die Situationen des alternden Menschen, welche Auskünfte können Biologie, Soziologie und Psychologie geben?

Im ersten Kapitel der Arbeit werden also zum Thema Altern und Altsein die Wissenschaften der Biologie, der Soziologie und der Psychologie der heutigen Zeit befragt. Aus deren Erkenntnissen, die mit empirischen Methoden erforscht worden sind, können Grenzen und Möglichkeiten im Prozess des Alterns ausfindig gemacht werden. Hinweise des Handelns können ebenso herausgelesen und herausgemessen werden. Unter biologischer Hinsicht darf das Altern selbst nicht als Krankheit betrachtet werden, sondern es wird in diesem Teil des ersten Kapitels zu zeigen sein, dass bereits von der Zelle ausgehend, jedes biologische System altert. Dass die Weltbevölkerung stark altert ist zurückzuführen auf eine geringe Geburtenrate und einer gleichzeitig hohen Lebenserwartung. Was das bedeutet und wie der einzelne alte Mensch in der Gesellschaft, besonders in der Familie, das Altern erlebt, wird in diesem Teil zu behandeln sein. Dass es sogar eine Persönlichkeitsentwicklung bis zum hohen Alter gibt, zeigen psychologische Forschungen. Es geht also in einem ersten Schritt um die Frage, was im Menschen vorgeht, wenn er altert. Bevor es nun zum Aufweis von ethischen Dringlichkeiten kommen kann, ist es notwendig, die Ergebnisse der Humanwissenschaften in den Rahmen einer Anthropologie zu stellen. Es kann nicht Sache der Human- und Sozialwissenschaften allein sein, ausfindig zu machen, was das ganzheitlich Menschliche ausmacht.

In einem zweiten Schritt wird daher der alternde und alte Mensch in einer philosophischen und theologischen Anthropologie-Betrachtung behandelt. Es wird das Menschsein im Allgemeinen und im Besonderen als „Streben nach Glück“ in Anschluss von Aristoteles bei Thomas Rentsch mit seiner „Philosophischen Anthropologie in praktischer Absicht“[12] zur Sprache kommen. Hierbei wird gezeigt werden, dass sich im Alter die Grundsituationen des Menschen radikalisieren und zugleich der Mensch aufgefordert sein wird, zu sich selbst zu kommen. Es geht um die Frage, was Altern und die Lebensphase Alter im Kontext des ganzen Lebenslaufes bedeuten. In einem christlichen Menschenbild kommt zum Ausdruck, dass sich der Mensch als ein Geschöpf Gottes erfährt. Daher ist es geboten an dieser Stelle Aspekte einer theologischen Anthropologie anzuführen. Im Besonderen werden Gestalten aus der Heiligen Schrift aufgezeigt, beziehungsweise deren Dasein und Handeln zum Thema gemacht.

Im dritten Kapitel der Arbeit wird nun versucht, Altern und Altsein als ethische Herausforderung zu analysieren. Nachdem die nötigen Human- und Sozialwissenschaften befragt worden sind, und Aspekte einer Anthropologie für das Verständnis eines ganzheitlichen Menschseins aufgezeigt worden sind, kann in diesem dritten Schritt der Versuch gemacht werden, Chancen und Grenzen sowie ethische Dringlichkeiten im Alterungsprozess zu benennen. Es geht letztlich um die Frage, was getan werden muss, damit Altern und Altsein als glückend oder gelingend erlebt werden kann. Die Möglichkeiten der Annahme oder der Verweigerung und deren Folgen des Älterwerdens und des Sterben-Müssens werden zur Sprache kommen müssen, denn eine positive Entscheidung vom Einzelnen fordert, sich in seiner Freiheitsgeschichte selbst anzunehmen. Es geht um die Annahme der Herausforderungen, die mit dem Altwerden auf den Menschen zukommen. Das christliche Angebot kann Ermunterung und Ermutigung sowie Hoffnung für den alternden Menschen bringen. Der Mensch darf sich als ein von Gott geliebtes Geschöpf im Glauben erfahren und sich daraus zugestehen, dass er sich selbst nicht vervollkommnen muss, sondern im Sinne Karl Rahners nicht fertig sein muss.[13] Der Tod ist nicht das Ende des Lebens; ein christlich Glaubender darf auf die Auferstehung hoffen, so dass Gott den Lebensplan fertig gestalten werden wird. Diese und andere theologische Aspekte werden im letzten Teil des dritten Kapitels behandelt werden.

1. Kapitel Human- und sozialwissenschaftliche Grundlegung

Einleitung

Zu einer humanwissenschaftlichen Grundlegung werden innerhalb der Gerontologie drei große wissenschaftliche Disziplinen zur Erforschung des Alterns herangezogen: die Biologie, die Soziologie und die Psychologie. Im Folgenden Kapitel werden im biologischen Altern jene Theorien angeführt, die versuchen das Altern aus dieser biologischen Sicht zu beschreiben. Altern beginnt in biologischen Systemen bereits im kleinsten Bereich, in der Zelle und erstreckt sich bis in alle Ebenen eines lebendigen Systems. Weil es ein interessantes Unterfangen ist, dem biologischen Alten nachzugehen, wird diesem ersten Teil des Kapitels ein längeres Augenmerk geschenkt, um folglich mit Nachdruck zu betonen, dass das Altern keine Krankheit für das biologische System – für den Menschen – bedeutet. Altern gehört zum biologischen System.

Im psychischen Altern geht es um die Frage, ob Altern im psychologischen Sinne stets mit Abnahme zu tun hat, und ob im psychischen Altern nicht auch ein Wachsen im Laufe des chronologischen Alterns möglich ist. In Europa ist die Psychologien Ursula Lehr in der Forschung Gerontopsychologie federführend, indem sie in der Alternsforschung unterschiedliche empirische Ansätze sowie neue Orientierungen hinsichtlich der Entwicklung annahm. Alternsvorgänge werden in ihrer Mehrdimensionalität betrachtet und erforscht: erstens im Hinblick auf somatische, sozialer, kognitiver emotionaler und persönlichkeitspsychologischer Veränderungen; zweitens im Abbau oder Zuwachs oder in Konstanz von kognitiven Leistungen.[14] Im Blick auf Intelligenz, Gedächtnis, Psychomotorik und Kompetenz im Alltag, sowie auf Kreativität werden Forschungen angestellt. Festhalten kann man an ein differentielles Altern im psychologischen Bereich.

Das soziale Altern stellt als Grundlage Daten und Statistiken bezüglich der Anzahl der älteren und alten Menschen in der Gesellschaft dar. Dass es einen hohen Zuwachs an ältere Menschen gibt, wird in Medien aufgrund von Versorgungsängsten stets neu präsentiert. Gründe für das Anwachsen der älteren Bevölkerungssicht ist einerseits die niedrige Geburtenrate, sowie andererseits die steigende Lebenserwartung. In Österreich werden im Jahr 2026 mehr als 2,5 Millionen ältere Menschen leben. In diesem Teil des Kapitels werden die Gründe benannt, die zur Lebensphase des alten Menschen führen: Pensionierung, veränderte familiäre Verhältnisse. Ein wichtiges Thema wird auch die Partnerschaft in dieser Lebensphase sein, weil hier starke Veränderungen stattfinden. Einen großen Bereich nimmt die Darstellung der verschiedenen Alterstheorien ein, die zeigen, warum und wie in der letzten Lebensphase am sinnvollsten die Zeit genutzt werden soll.

1 Biologisches Altern

Im ersten Teil dieses Kapitels wird die Biologie in Bezug auf das Altern befragt werden.

Die Fragestellung des biologischen Alterns findet sich schon in der Antike. Hippokrates verstand es zum Beispiel als Gleichgewichtsstörung der vier Körpersäfte: Blut, Schleim, Galle, schwarze Galle.[15] Im 18. Jahrhundert hat Gerard van Swieten das Alter als eine Krankheit bezeichnet, die unheilbar ist. Erst im 19. Jahrhundert begann man in der Wissenschaft physiologische Studien durchzuführen und die Forschungen in der Medizin wurden präziser. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt die Vorstellung, dass „der Altersprozeß auf einem Nachlassen des Stoffwechsels beruhe“[16].

Als Vater der Geriatrie wird der in Wien geborene und in New York tätige Ignatius Nascher genannt. Dieser gründete 1912 die „Society of Geriatry“ in New York. Heute wird in dieser Forschungsrichtung der Prozess des Alterns und das Alter selbst in seiner Komplexität erforscht. Als allgemeiner Wissensstand heute gilt, dass „Altern [...] keine Krankheit, sondern ein normaler, gesetzlich ausgelöster Prozeß [...] ist. [Und] der Mensch ist durch diesen Prozeß nicht nur degenerationsbedingten Funktionsstörungen ausgeliefert, es entwickelt sich vielmehr eine zunehmende Anfälligkeit für spezifische Alterskrankheiten“[17].

Im Folgenden sollen das biologische Altern, der Vorgang und seine Auswirkungen auf die unterschiedlichen Ebenen des gesamten Körpers behandelt werden. Es kann hier keine einheitliche Theorie angeführt werden, weil es diese nicht gibt. Es wurden auf diesem Gebiet über 300 Theorien aufgestellt, und jede versucht einen spezifischen Aspekt dieses komplexen Prozesses zu beschreiben. In Schwerpunkten kann man diese folgendermaßen anordnen:

- Altern stellt für die Zelle einen programmierten Prozess dar.
- Altern ist die Folge von Verlusten in Strukturen, sowie bei Funktionen innerhalb und zwischen den Zellen, die sich zuletzt auf Organe und den gesamten Organismus auswirken.
- Altern ist die Folge von Zugewinnen in Strukturen sowie bei Funktionen innerhalb und zwischen den Zellen, die sich im Endergebnis zu Störungen hochschaukeln.[18]

Als „aktive Komponente“[19] des Alternsprozesses auf zellulärer Ebene ist beim Menschen ein Gen auf Chromosom 13 beschrieben worden. Es soll mit der Zeit immer mehr Altersmechanismen aktivierend auslösen. Als „passive Komponenten“[20] werden Zusammenhänge mit dem Zellstoffwechsel genannt. Hierin sei die Theorie der freien Radikale angeführt, die noch genauer beschrieben werden wird.

Diese kurze Darstellung kann nur als Versuch gelten, einen Überblick über das biologische Altern zu geben. Gerade in diesem Bereich werden jedoch viele wissenschaftliche Forschungen getätigt, die bereits aufgestellte Hypothesen verifizieren oder auch falsifizieren. Neuere Erkenntnisse erfährt, man vor allem in der Genforschung; diesbezüglich werden viele Annahmen veröffentlicht, denen aber oftmals von anderen Wissenschaften widersprochen wird. Grundsätzlich muss am Beginn dieser biologischen Abhandlung gesagt werden, dass Altern universell ist und alle Lebensformen betrifft. Dies ist ein komplexer Prozess, der mit der Zeit voranschreitet und eigentlich nicht gänzlich abgestoppt oder rückgängig gemacht werden kann. In biologischen Systemen beruht Altern auf physikalisch-chemischen Grundlagen.[21] Dazu muss die Frage gestellt werden: „Was ist nun ein biologisches System?“. Als biologische Systeme werden alle biologischen Organisationsformen zusammengefasst; dazu zählen die Zellen, Zellkulturen, Organe, Organismen und Populationen. Zum biologischen Leben selbst gehören folgende drei grundlegende Eigenschaften: Alle diese Systeme müssen einen „[1]Stoffwechsel haben, der der Energieversorgung und der Synthese von Substanzen dienen kann. [2]Sie müssen in der Lage sein, sich fortzupflanzen. [3]Schlußendlich müssen sie Umweltreize aufnehmen und auf sie reagieren können“[22].

In den biologischen Systemen altern somit alle Moleküle, Zellen, alle Organe bis hin zum gesamten Organismus gleichzeitig. Aus den Zusammenhängen und wechselseitigen Abhängigkeiten dieser Mechanismen ist das Altern multifaktoriell und beeinträchtigt – schädigt und stört – den Organismus auf allen Ebenen zur gleichen Zeit.[23] Im Kurzen sei mit Reitz an dieser Stelle zusammengefasst: „Altern beginnt in den Genen sowie in den Makromolekülen von Nukleus, Zytoplasma und Zellmembranen. Alternsabhängige Veränderungen machen sich dann funktionell bemerkbar und zeigen über den Zellstoffwechsel auf das Niveau der gesamten Zelle ihre Konsequenzen.“[24] Diese Funktionseinschränkungen wirken sich folglich immer stärker auf den gesamten Organismus aus.

Es soll nun auf das biologische Altern – beginnend von der untersten Einheit des Organismus, der Zelle, bis hin zu einzelnen Organen – eingegangen, wie man sozusagen in den verschiedensten Ebenen eines biologischen Systems Altern feststellen kann. Um die unterschiedlichen Alterungsprozesse auf diesen Ebenen zu verstehen, bedarf es des Wissens, dass Körperfunktionen auf unterschiedlichen Ebenen hierarchisch aufgebaut sind. Im genetischen Code, der sich im Zellkern befindet, sind diese Funktionen in Form der DNS-Doppelhelices der 46 Chromosomen festgelegt.[25] Ebenso sind die Rezepte für den Zellstoffwechsel im genetischen Code enthalten. Am Beginn des Lebens sind theoretisch alle Zellen omnipotent; das heißt, dass sie alle morphologischen und funktionellen Eigenschaften enthalten. Schließen sich nun mehrere Zelltypen – oder auch nur eine – zusammen, so spricht man von Gewebe. Die Organe bestehen aus mehreren Gewebetypen und somit sind die verschiedenen Organsysteme im Körper als Ganzheit zu sehen.

1.1 Ein komplexer Ablauf des Alterns – in der Zelle

Sie ist die kleinste, selbstständig funktionsfähige Einheit des Lebens und kann alle Lebensfunktionen ausführen, die man für Stoffwechsel, Reizbarkeit, Fortpflanzung, Individualität – also zum Leben überhaupt – benötigt. Auf dieser Ebene lässt sich ein erster komplexer Ablauf des Alterns feststellen:

Der Biologe Roland Prinzinger fasst zelluläres Altern unter drei Hauptgesichtspunkte zusammen:[26]

- Das Altern der Zellbestandteile
- Die Altersabhängigkeit der Zellteilungsfähigkeit
- Die Differenzierung der Zelle als Alternsvorgang

Innerhalb der Zellorganellen, den Zellbestandteilen, sind partielle Alternserscheinungen auffindbar. Die Zellen sind in sich wohlorganisierte Systeme, die aus verschiedenen Bestandteilen bestehen, welche unterschiedliche Aufgaben besitzen. Eben diese Struktur nennt man Zellorganellen. Hier ist bereits anzumerken, dass alte Zellbestandteile laufend durch Neue ersetzt werden. Auf diese Art und Weise erneuert sich der Mensch alle sieben Jahre zu über 90%. Diesen Zellaustausch kann man nach außen hin kaum bemerken; der Organismus bleibt unverändert, nach innen jedoch findet ein reger Austausch der Zellen statt.

Eine weitere wichtige Unterscheidung der Zellen ist die Differenzierung in teilbare oder teilungsaktive und unteilbare oder teilungsinaktive Zellen. Nerven- oder Muskelzellen oder auch die Skelettzellen gehören zu der an zweiter Stelle genannten Kategorie. Für den Alterungsprozess hat die Teilungsfähigkeit eine große Bedeutung, wie weiter unten sichtbar werden wird.

1.1.1 Behinderung von Transportprozessen – die Zellwand

Die Zellwand besteht aus zwei Lagen Lipiden. In ihr befinden sich die Proteine. Die beiden Lipidschichten der Zellmembran enthalten Cholesterin, Neutralfettsäuren und andere Lipide. Organisatorisch ist dies wie ein zähflüssiges System. Mit dem Alter entstehen jedoch Änderungen in der Funktionsfähigkeit der Zellmembran und der Struktur der Zellwand. Der Lipidgehalt nimmt mit dem Alter meistens ab und der Gehalt an gesättigten Fettsäuren zu. Freie Radikale beeinflussen diese Effekte in der Zellmembran. Diese Membranveränderungen können hierauf an Organellen zu Defekten führen. So können Transportprozesse behindert, dadurch wiederum der Aufbau vieler Systeme erschwert werden.

1.1.2 Zellulärer Alterungsprozess – im Zellkern

Er ist die oberste Steuerzentrale und in ihr befindet sich der genetische Code, dieser enthält die Erbsubstanz in Form von chromosomaler Desoxyribonukleinsäure (DNA). Die genetische Kerninformation wird über Ribonucleinsäuren (RNA) nach außen ins Zellplasma weitergegeben. In der sogenannten Transkription findet die Übersetzung in die m-RNA statt und durch die sogenannte Translation wird die Information in die entsprechende aufzubauende Struktur weitergegeben. Im Zellkern selbst, besonders im teilungsinaktiven, finden altersabhängige Veränderungen statt, die sowohl ihren Bau (Morphologie) und ihre Funktionen betreffen. Die Größe des Zellkerns kann sich mit dem Alter ebenso verändern. Exogene Faktoren können die Chromosomen, die ja die primären Informationsträger der Zellen sind, schädigen und dadurch wiederum Alternsvorgänge bewirken. Jedoch hat die Zelle vielfache Möglichkeiten, Schäden wieder zu reparieren. Pro Tag gehen ungefähr 10.000 Basenpaare, die die DNA aufbauen, durch Schäden verloren. Spezielle Reparaturmechanismen im Genom können solche Informationsfehler erkennen und entfernen.

Das DNA-Reparatursystem kann dann perfekt arbeiten, wenn nur eine Hälfte des Doppelstrangmoleküls beschädigt ist. Der zweite intakte Einzelstrang dient dann als Vorlage für diesen Reparaturvorgang. Es ist nicht möglich fehlerfrei eine Wiederherstellung zu erlangen, wenn die zweite Vorlage fehlt. Genetische Information geht verloren. Dies stellt Roland Prinzinger wiederum als zellulären Alterungsprozess fest.[27] Sind dann noch beide Teilstränge an der identischen Stelle geschädigt, werden vermutlich solche Zellen durch Apoptose aktiv aus dem Zellverband eliminiert. Unter den Schädigungen sei der DNA-Strangbruch das häufigste Schadensereignis im Genom der Zelle.[28] Was fast beunruhigend wirkt, aber nicht sein muss, ist die Tatsache, dass im Laufe des Alters das Reparatursystem der Zelle in seiner Leistungsfähigkeit und die Reparatur-Fähigkeit der Zelle gegen DNA-Schäden abnimmt. Nicht jeder DNA-Schaden muss sich auf die zellulären Funktionen auswirken. Die Summe der Schäden könnte zu funktionellen Konsequenzen führen; wie zum Beispiel kann dabei die Krebsentwicklung ihren Lauf nehmen.[29] Dem stehen die Keimzellen gegenüber, die ihr Erbmaterial unbeschädigt zu halten in der Lage sind. Sauerstoffradikale sollen zu den Hauptverursachern der DNA-Schäden zählen sowie auch energiereiche Strahlungen, aromatische Kohlenwasserstoffe, thermische Belastungen.[30] Ebenso wird die DNA mit zunehmendem Alter stärker methyliert, mit einer chemischen Substanz verbunden, was die Folge mit sich bringt, dass sie nicht mehr richtig ablesbar ist. Vermutlich nimmt mit dem Alter die Länge des Zellteilungszyklus bei der Zellteilung zu und durch das cross-linking werden Chromosome schwerer transkribierbar. Ebenso scheint die DNA-Replikation fehlerhaft zu werden, die für die Neusynthese des Genommaterials unerlässlich ist. Die Transkriptions- und die Translationsrate nehmen mit dem Alter auch signifikant ab.

1.1.3 Abnahme der Atmungsrate – in den Mitochondrien

Die Mitochondrien, bestehend aus einer Doppelmembran, sind genetisch gesehen sogenannte semiautonome, ausgestattete Organellen, die zu einer eigenen Proteinbiosynthese fähig sind. Sie besitzen innerhalb der Zelle eine gewisse Eigenständigkeit und teilen sich unabhängig von der Mitose der Zelle. Sie vermehren sich durch Zellteilung ungefähr alle zehn bis dreißig Tage; haben also eine kurze Lebensdauer. Aufgrund ihrer Eigenständigkeit besitzen sie einen eigenen Replikations-, Transkriptions- und Proteinsyntheseapparat, der eigene Enzyme produziert. Die Hauptfunktion der Mitochondrien ist die Bereitstellung von Energie für den Organismus. Mit dem Alter scheint die Zahl der Mitochondrien abzunehmen, aber der menschliche Organismus würde mit einem Viertel der vorhandenen Mitochondrien auskommen, daher muss die zahlenmäßige Abnahme nicht beunruhigen. Schwerwiegendere Schädigungen an der Membran können jedoch durch altersabhängige Änderungen festgestellt werden: „[M]an [fand] in der Proteinzusammensetzung der inneren Membran und im Verhältnis Cholesterin zu Phospholipid-Phosophor sowie im Anstieg der passiv erduldeten Lipidperoxidation, welche die Membrane schädigt.“[31] Weiters ist „die Atmungskontrolle [...] bei Mitochondrien aus jungen Zellen besser. Deutliche altersabhängige Reduktionen findet man auch bei der Atmungsrate, der Superoxid-Dismutase, der Stoffwechsel-geschwindigkeit des Tricarbonsäurezyklus und der ß-Oxidation.“[32] Die Superoxid-Dismutase der Zelle, welche dazu dient, die Superoxidradikale in der Zelle zu inaktivieren, liegen u.a. in den Mitochondrien, was zur Folge hat, dass dadurch die Zelle von Oxidationsschäden geschützt wird. Die Schutzwirkung der Mitochondrien-Enzyme hat eine große Bedeutung, obwohl die meisten Schäden an den DNA-Basen durch Oxidantien und andere freie Radikale, durch Reparaturenzyme rasch wieder beseitigt werden.

„Diesem Mechanismus der Inaktivierung von freien Radikalen wird in der ,Radikaltheorie´ des Alterns eine wesentliche Rolle bei der Bestimmung der Lebensspanne zugesprochen. Je länger die Lebensdauer, desto höher ist die (Anfangs-) Aktivität der Superoxid-Dismutase, und ihr Abnehmen auf etwa die Hälfte bis auf ein Viertel soll nach dieser Theorie letztendlich das Ende der Lebensspanne bewirken.“[33] Zu dieser Theorie der freien Radikale hält das medizinische Lehrbuch „Physiologie des Menschen“ fest, dass sie sich einerseits „unter den zellulären Theorien [...] am besten durch wissenschaftliche Befunde untermauern [lässt], andererseits jedoch „große Schwächen bei der Erklärung, wie durch den oxidativen Stress mit zufallbedingter Schädigung einzelner Zellorganellen bzw. Zellen der Alternsprozess des gesamten Organismus mit seiner verminderten Anpassungsfähigkeit und labilen Homösstase gesteuert wird.“[34] Als „wahrscheinlichste Ursache für die Zellalterung“[35] führt der Mediziner Andrus Viidik die verschiedenen schädigenden Mechanismen, vor allem aber die freien Radikale an.

Wie der Biologe Roland Prinzinger weiter ausführt, werden geschädigte Mitochondrien von Lysosomen in Vakuolen abgebaut und Funktionsschäden in den Mitochondrien sind für einige Krankheiten verantwortlich, wie zum Beispiel für Formen der Diabetes, für das Pearson-Syndrom, Parkinson-Syndrom und verschiedene Muskelschwächen und –lähmungen.[36] Als weiterer Bestandteil der Zelle sollen nun die Lysosomen behandelt werden, weil man durch sie ziemlich genau über das Alter einer Zelle informiert werden kann.

1.1.4 Entstehung von Alterspigmente – in den Lysosomen

Lysosomen sind membranbegrenzte, kugelige Organellen, die zahlreiche saure, hydrolytische Enzyme vor allem für die intrazelluläre Verdauung enthalten.[37]

Lysosomen sollen eine wichtige Rolle beim zellulären Altern spielen. Ihre Membran kann durch zahlreiche Faktoren (Peroxide) zerstört werden, wodurch es zu einer Freisetzung der Lysosomenenzyme in das Zellplasma kommt. Dies führt zwangsläufig zur Schädigung der Zelle. Durch Zerstörung der Zelle selbst, können diese Enzyme einen Abbau von Bindegewebsanteilen veranlassen und dies wiederum kann zu Autoantikörpern führen. Veränderungen der Enzyme der Lysosomen gehen nicht spurlos an der Zelle vorüber. Überladungen können nicht mehr vollständig abgebaut werden und sie bleiben als sich anhäufendes Material im Lysosom enthalten, was als Alterspigment bezeichnet wird. Dadurch kann relativ genau ein Aufschluss über das Alter einer Zelle gegeben werden. Die meisten Alterspigmente findet man in den Zellen von Leber, Herz und Gehirn. Jedoch ist der Ursprung des Alterspigmenten und die Verknüpfung mit dem Alterungsprozess der Zelle bisher unklar.[38]

1.1.5 Translations-Störungen im endoplasmatischen Retikulum

Das Endoplasmatische Retikulum ist das ausgedehnteste Membransystem im biologischen System. Neben anderen Aufgaben dient es zur Speicherung und zum Transport von Zellbestandteilen. Beim Altern kommt es zum Abfall des Gehalts an verschiedenen Bausubstanzen, auch nimmt die Oberflächendichte ab, auf der die Ribosomen aufsitzen. Es könnte sich die Funktion der Ribosomen verlangsamen[39], was zur Folge haben könnte, dass Störungen auf der Ebene der Translation auftreten. Wie dies jedoch im Detail aussieht, ist noch unklar.

Es gibt zwei Theorien, die auf diese „Störung der Translation“ aufbauen:

Die Fehlerkatastrophentheorie geht davon aus, dass bei der Translation mit zunehmendem Alter Fehler auftreten. Man konnte jedoch keine altersabhängige Zunahme fehlerhafter Proteine beobachten. Auch sollen neuere Forschungsergebnisse dieser Theorie widersprechen. Dieser Irrtumskatastrophen-Theorie, wie sie auch genannt wird, kann auch deshalb widersprochen werden, weil „[d]ie Genauigkeit der Eiweißsynthese menschlicher Fibroblasten in vitro [...] sich ebenfalls nicht mit dem Alter“[40] ändern.

Bei der Codon-Restriktionstheorie geht man davon aus, dass der genetische Code mit dem Alter degeneriert; das heißt, dass die Abnahme der Translation mit dem Alter zu Störungen oder gar Schädigungen führt. Es soll sich also die Genauigkeit der Zellen minderen. Weitergabe oder Übertragung der Informationen werden unklar und können nicht richtig dekodiert werden. „Es kommt zur Einschränkung bzw. zum Verlust der Fähigkeit zur Translation genetischer Informationen. Anhänger dieser Theorie haben jedoch Schwierigkeiten zu erklären, wie Veränderungen der Translation in einzelnen Zellen den Alternsprozess des gesamten Organismus steuern und vorantreiben.“[41] Mit dem Alter aber konnte funktionell eine Abnahme des Elektronentransportsystems nachgewiesen werden, was zur Folge hat, dass zum Beispiel die Metabolisierbarkeit, d.h. der Abbau und die Ausscheidung von Pharmaka mit dem Alter abnimmt, was bei Medikamentationen älterer Menschen berücksichtigt wird.

Bis jetzt wurde versucht zu zeigen, welche Veränderungen es im Zellbereich aufgrund fortschreitenden Alters geben kann. Kurz zusammengefasst kann festgestellt werden: Alternsveränderungen in Zellorganellen gibt es in Zellbestandteilen und Zellfunktionen verschiedener Organismen. Die Ergebnisse sind zum Teil widersprüchlich. Jedoch allgemein gültig scheint zu sein: Die Änderung in Membranfluidität, Verlängerung und Reduktion der Protein-Synthese, DNA-Defekte, und -Maskierungen und posttranslationale Modifikationen der Proteine nehmen zu.[42] Freie Radikale haben durch Abnahme der Superoxid-Dismutase mehr Möglichkeiten sich in den Mitochondrien schädigend anzusiedeln.

1.1.6 Die Altersabhängigkeit der Zellteilungsfähigkeit

Zum Entwicklungsverlauf und damit zum Altern der Zelle gehört auch die Verdoppelung und Weitergabe der Erbinformation auf Tochterzellen durch Zellteilung. Man nennt diesen Vorgang Mitose (Wachstums- und Vermehrungsteilung). Ihr Ziel ist die Vermehrung der Mutterzelle mit diploidem Chromosomensatz. Viele unserer Körperzellen gelangen sofort nach der Mitose in eine normalerweise irreversible Phase, wie die Nerven- oder Muskelzellen, andere erst nach einigen Mitoseteilungen wie es die Leberzellen machen. Leonard Hayflick fand in einer Versuchsreihe ab 1961 heraus, dass Zellen nicht wie bisher angenommen in Zellkulturen unsterblich seien. Zellen erleiden also auch in Kulturen einen Alterungsvorgang bis zum Tod. Diesen Effekt nennt man Haylick-Effekt. Menschliche Fibroblasten können sich in Kulturen etwa 40 bis 60 mal teilen, damit ist die Hayflick-Zahl ausgedrückt. Verschiedenlanglebige Organismen haben demnach verschieden hohe Hayflick-Zahlen. Die Hayflick-Zahl korreliert also demnach mit dem Lebensalter.[43] Zellen wissen bezüglich ihrer Teilung also Bescheid. Die Anzahl der Zellteilung in Zellkulturen nimmt pro Lebensjahr ungefähr um den Faktor 0,2 ab. So gibt es gesicherte Hinweise, dass es Begrenzungen der Teilungsaktivität in der Zellkultur bei Stammzellen aus dem Knochenmark gibt.[44] Offensichtlich befinden sich in Zellen eine Art innere Uhr im Sinne eines Mitose-Zählwerkes, das durch die Kälte angehalten werden kann, das Gedächtnis jedoch bleibt. Das ist „wohl der deutlichste, sinnfälligste und wichtigste Hinweis für ein in der Zelle vorhandenes genetisches Programm, das die Alterung im Sinne begrenzter Teilungsfähigkeit mit anschließendem Tod ablaufen läßt.“[45] Was nun die genannte Hayflick-Zahl für das Altern des gesamten Körpers bedeutet, sind sich die Forscher noch uneinig.[46] Alten Menschen können Zellen entnommen werden, die noch genügend Potential zur Teilung haben. Jedoch nur der Gesamtbestand teilungsfähiger Fibroblasten nehme mit der Zeit ab. Zellen des Nervensystems und der Muskulatur im postnatalen Zustand sind bei den meist höheren Organismen jedoch nicht mehr teilungsfähig.

1.1.7 Die Apoptose – aktiver Selbstmord der Zelle als Systemeigenschaft

Unser Körper besteht aus über fünf Billionen Zellen[47]. Manche teilen ihre Lebensdauer mit der des Organismus und werden somit nur einmal gebildet wie die Nervenzellen, Skelett- und Muskelzellen, aber auch die Zellen in den Nieren, in den Schweißdrüsen, ebenso die Eizellen der Frau. Millionen Zellen werden pro Minute gebildet. Das Blutsystem bildet pro Tag über 10.000 Milliarden Ersatzzellen.

Verbrauchte und fehlerhafte Zellen sowie Zellen, die nicht gebraucht werden, werden eliminiert. Die Zelle vernichtet selbst ihre eigene Existenz, das nennt man Apoptose. Es handelt sich um eine sehr koordiniert ablaufende Abbaureaktion mit anschließender Entsorgung der Zellreste. Das dazu veranlassende Gen p53 scheint dieses Todesprogramm über ein spezielles Protein auszulösen. Dieses Gen p53 braucht jedoch auch einen Kontrolleur, der es überwacht; zwei solche Zelltodblocker sind bekannt: LAG-Gene. Dieser Regelkreis ist nun vereinfacht dargestellt und bis heute noch hypothetisch. Man findet zu diesem Regelkreis stets neue Gene, die zur Apoptose verleiten. Der Zelltod in Form der Apoptose ist nicht ein Unfall des Betriebssystems, sondern eine normale Folge einer vorprogrammierten Entwicklungsphase, die in den Genen der Zelle als intrinsische Information vorliegt.

1.1.8 Die Differenzierung der Zelle – ein Altersvorgang

Mitosefähige, omnipotente Zellen sind zur Differenzierung bereit[48]. Vor der Differenzierung haben alle Zellen die kompletten Eigenschaften, das gesamte Genom des ganzen Organismus in sich und enthält somit auch den gleichen Satz genetischer Informationen. Bei der Zelldifferenzierung findet ein progressives Abschalten der nicht mehr benötigten Gene statt. Abschalten bedeutet in diesem Zusammenhang, die irreversible Blockierung nicht benötigter Gene. Somit bedeutet Differenzierung immer einen altersabhängigen Verlust von abrufbarem Genmaterial. Jedoch kann aus differenzierten Zellen eine Reprogrammierung stattfinden, sodass alle Gene wieder abgerufen werden können. „Für die Gerontologie bedeutet dies, dass der Zellkern nicht in dem Sinne altert, dass in ihm ein unwiederbringlicher und passiver Funktionsverlust stattfindet, der schließlich im Sinne eines unvermeidlichen Verschleißes zum Zelltod führt. Vielmehr bleiben alle Erbinformationen [...] auch in alten, ausdifferenzierten Zellen enthalten. Sie sind nur aufgrund zeitabhängiger Prozesse, die mit dem Alternsablauf im Rahmen von Differenzierung und Lebenszeitbegrenzung notwendig sind, vom System selbst abgeschaltet, aber nicht entfernt worden.“[49] Das bedeutet für den amerikanischen Mikrobiologen Prinzinger, dass die Phänomene der Reprogrammierung oder Transformation mit normalerweise begrenzter Teilungsfähigkeit und Alterung im Sinne der DNA-Funktionsreduzierung in Einklang gebracht werden können. Er stellt daher fest: Der gesamte Differenzierungsvorgang wird als Alterungsvorgang bezeichnet, der unwiderruflich ist. Hier scheint ein Programmcharakter des Alterns bewiesen zu sein. Aber für viele Forscher gebe es kein genetisches Programm des Alterns der Zelle. Sie sagen: „Das Altern ist das Fehlen eines Programmes zur Verhinderung desselben.“[50]

1.2 Der alternde Organismus

Bereits ab dem 30. Lebensjahr nehmen jene Organreserven ab, die sich der Körper über das erforderliche Maß angeschafft hat. Ebenso nehmen ab diesem Lebensalter die Adaptionsfähigkeit an äußeren und inneren Belastungen ab. Hierbei gibt es individuelle erheblich schwankende Unterschiede und die Abnahme betrifft nicht alle Organe gleichmäßig (intraindividuelle Variabilität). Ein Organismus, der eine labile, oder stets labilerwerdende Homöostase aufweist, kann ungleich schwerer Krebserkrankungen gegenübertreten.[51] Als Homöostase kann man das Leben eines Organismus beschreiben, das innere Milieu wird aufrechterhalten.[52] Einen Leistungsabbau erfahren vor allem Lunge, Niere und die Herzfunktion. Jedoch darf man nicht versucht sein, wie am Beginn der Arbeit aufgezeigt, „das Alter an sich als die Hauptursache für diese Krankheiten zu betrachten.“[53] Hauptursachen für die Erkrankung innerer Organe bei älteren Menschen werden wohl in genetischer Anfälligkeit, Umwelt- oder Lebensstilfaktoren zu finden sein.[54]

Würde das Herz für wenige Minuten stillstehen, träte unweigerlich der Tod ein. Seine Aufgabe, das Blut durch das Kreislaufsystem zu pumpen ist lebensnotwendig. Nimmt das Gewicht bis zum 60. Lebensjahr zu, verliert es danach dramatisch an Volumen. Es kommt zu altersbedingten Gewebeverlusten.[55] Gleichzeitig nehmen die Herzmuskelzellen ab, welche wiederum das oben beschriebene Alterspigment einlagern. Es ist bekannt, dass mit dem Alter der Blutdruck steigt, welcher vermutlich mit der Arteriosklerose zusammen hängen wird, da die Blutgefäße an Elastizität verlieren, was zur Folge hat, dass der Druck sich erhöhen muss.

Der Umwelteinfluss auf die Lunge ist sehr hoch, was aufgrund von Luftverschmutzung negative Folgen mitzieht. Mit dem Alter nimmt die Lungenelastizität ab. Dies bedeutet einfach, dass der Aufwand der Lunge für die normale Atmung mit dem Alter zunehmen muss.[56] Durch die altersbedingte Abnahme der Lungenbläschen in der Lunge, passt weniger Luft in die Lunge. Bronchiale Beschwerden wie Husten treten vermehrt bei alten Menschen auf.

Die Sinnesorgane gelten als die wichtigsten Vermittler zwischen dem Organismus und der Umwelt. Es ist daher nicht unwichtig zu wissen, dass altersspezifische Veränderungen einen Einfluss auf sie haben. Für das Auge trifft zu, dass die Altersweitsichtigkeit bereits vor über 100 Jahren durch die Lesebrille ausgeglichen werden konnte. Die nachlassende Elastizität der Linse beeinflusst die Akkomodationsfähigkeit der Linsenform, somit wird die Scharfeinstellung des Auges auf Objekte beeinträchtigt. Für das Hören gilt, dass Beeinträchtigungen mit dem Verlauf der Zeit stattfinden. Der alte Mensch tut sich schwer, das Gehörte zu erkennen. Das zusammenhängende Geflecht von Gehirn und Ohr ist beeinträchtigt. Der Vollständigkeit halber muss schlussendlich angeführt werden, dass der Geruchsinn und der Tastsinn mit dem Alter abnehmen.

Es ist noch ein schwieriges Unterfangen, die 15 – 30 Milliarden Zellen des Gehirns zu unterteilen. Ungefähr 300.000 Milliarden Kontaktstellen verbinden die einzelnen Gehirnzellen. Im Unterschied zu den anderen Organen setzt die Alterung des Gehirn später ein, als die der anderen Organe. Der Verlust an Nervenzellen in der Großhirnrinde betrage nicht wie früher angenommen 20% sondern ungefähr 10%. Dieser Verlust kann durch Neuronen ausgeglichen werden und Verbindungen können wieder hergestellt werden. Auch wie die anderen Organe besitzt das Gehirn eine große Reservekapazität auf die zurückgegriffen werden kann. Erst wenn diese aufgebraucht ist, kann es zu Symptomen wie Verwirrung kommen. Mit dem Alter nimmt jedoch die Blutzufuhr zum Gehirn ab, was schwerwiegende Folgen für dieses Organ mit sich zieht.

1.3 Zusammenfassung

Abschließend kann gesagt werden, dass biologisches Altern mit der Geburt des Menschen beginnt und nicht erst mit dem Alter. In der Geschwindigkeit und Intensivität des biologischen Alterns gibt es grundsätzlich „große interindividuelle Unterschiede“[57]. Jede Zelle, jedes Gewebe und jedes Organ ist vom Alterungsprozess betroffen. Altern ist ein natürlicher Prozess eines biologischen Systems und keine Krankheit. Durch das fortschreitende Altern wird der Organismus jedoch anfälliger für Alterskrankheiten wie Arthritis, Rheumatismus, Herzkrankheiten, erhöhter Blutdruck, Nierenentzündung, Arteriosklerose, Krebs oder Krankheiten der Nerven u.a.. Und wiederum muss hinzugefügt werden, dass diese altersbedingten Krankheiten individuell verschieden auftreten. Insgesamt kann das subjektive Erleben, den biologischen Prozess beeinflussen. „Altern ereignet sich also immer auf individuelle Weise, so viele Gemeinsamkeiten in den inneren und äußeren Dimensionen auch aufgewiesen werden mögen.“[58]

Theorien versuchen zu erklären, was das Altern verursacht, jedoch kann keine der Theorien als absolut gesehen werden, obwohl die Theorie der „Freien Radikale“ in der Wissenschaft oftmals zitiert und untersucht wird. Ewiges Leben ist von Seiten der Natur nicht vorgesehen. Es ist bekannt, dass der Mensch nicht länger als 125 Jahre leben kann.[59] Der Durchgang dieses Kapitels hat gezeigt, wie bis in den kleinsten Bestandteil des menschlichen Körpers Altern stattfindet: Veränderungen in der Zellwand, DNA-Defekte durch vermehrte Sauerstoffradikale im Zellkern, Translations- und Transkriptionsschwierigkeiten bei Übertragungen von genetischen Informationen, Funktionsschädigungen in den Mitochondrien, die Zellteilung nimmt mit dem Alter ab, Apoptose findet statt, Leistungsabbau bei den Organen sowie auch ein Aufbrauchen der Reservekapazitäten im Gehirn. Dieser Prozess kann durch externe, andere Determinationen beeinflusst werden, daher soll im nächsten Teil dieses Kapitel das psychische Altern behandelt werden.

2 Psychologisches Altern

In diesem Teil des Kapitels wird das Altern aus der Sicht der Psychogerontologie behandelt. Es geht um die Frage, ob Altern im psychologischen Sinne stets mit Abnahme zu tun hat, und ob im psychischen Altern nicht auch ein Wachsen im kognitiven Bereich oder im Bereich des Wissens im Laufe des chronologischen Alterns möglich ist.

Als Forscher der Entwicklungspsychologie ihr Interesse über das Kindheits- und Jugendalter hinaus den anderen Lebensphasen widmeten, begann innerhalb der Gerontologie das Interesse der psychischen Dimensionen des Alterns zu wachsen. Besondere Förderung der Gerontologie im Bereich der Psychogerontologie erhielt sie durch James E. Birren, der in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts bei einer neugegründeten gerontologischen Arbeitseinheit dazustieß. In den 70er Jahren errichtete er an der Universität von Südkalifornien ein Institut für Gerontologie. In Europa begannen einige Forschungsvorhaben ab den 50er Jahren vor allem an der Universität Bonn, an der bereits ab 1965 eine Längsschnittstudie über das Altern veranlasst wurde.[60] Im Rahmen der Entwicklungspsychologie am Psychologischen Institut war Ursula Lehr federführend.[61]

Voraussetzungen für psychologische Alternsforschung waren die unterschiedlichen empirischen Ansätze sowie neue Orientierungen hinsichtlich des Entwicklungsbegriffes.

Entwicklung hat nicht nur mit Entfaltung von genetischen Anlagen zu tun, sondern mit Veränderungen im Erleben oder Verhalten. Diese Veränderungen haben ebenso für Erwachsene oder Menschen im höheren Alter Gültigkeit: „Seelische Entwicklung als Inbegriff der Veränderungen, die im Kontext einer individuellen (oder kollektiven) Biographie betrachtet wird, ist damit ein Tatbestand“[62]. Es können „im Bereich der Erfahrungen und des Wissens Gewinne beobachtet werden“[63], wie es im Bereich von Lebenserfahrungen feststellbar ist. Die Gestaltung des Alltags kann im Alter „gewinnbringender“ gestaltet werden.

Entwicklungspsychologie ist auch nicht gleichzusetzen mit einer Lehre von „vorprogrammierten Stadien oder Phasen“[64], was bedeutet, dass es viele Veränderungs-möglichkeiten im Laufe einer Lebensspanne geben kann. Und doch ist das Leben im Gesamten und soziologisch gesehen, in Lebensphasen einteilbar. So ergibt sich eine kurze Darstellung des Modells von Erik Erikson, der das Leben in Phasen eingeteilt hat.

2.1 Das Modell der Entwicklung von Erik Erikson

Entwicklungspsychologisch hat Erik Erikson 1950 ein Grundmodell aufgestellt. Dieses Modell beinhaltet, dass sich die Entwicklung der Person in acht Stufen – er bezeichnet sie auch als „Phasen der psychosozialen Entwicklung“[65] – einteilen lässt. Die letzte Stufe VIII, die von der Antithese „Integrität versus Verzweiflung“[66] beherrscht wird, hat diese Krise zum Thema. Aus dieser Krise soll in der letzten Phase zur Weisheit ein Heranreifen stattfinden. Er sieht als wichtigste Aufgabe im hohen Alter die Erlangung der Ich-Integrität. Diese Integrität ist ein Leitbild an dem die erwachsene Persönlichkeit gemessen wird. Hat sie diese Integrität erreicht, ist sie reif, wenn nicht, fällt sie in die Gruppe der „Nicht-Reifen“[67]. Insofern geht nach Ursula Lehr „Biographik in Ethik über und normative Aspekte gewinnen über deskriptive die Oberhand“.[68] Sie macht darauf hin die Feststellung, dass durch die vielen individuellen Lösungsformen von Problemen dann ja kaum jemand die Phase einer reifen Persönlichkeit erreichen wird können. Das Lebenszyklusmodell von Erikson war die Basis für weitere Stufenmodelle. Lawrence Kohlberg entwickelte das Modell der moralischen Urteilsbildung[69] oder Fowler folgend die Entfaltungsstufen des Glaubens.

2.2 Die Lebensalter von Romano Guardini

Der Religionsphilosoph und Theologe Romano Guardini teilt das Leben des Menschen in „Zuständlichkeiten“, oder „Lebensalter“[70] ein. Jeder Lebensabschnitt sei etwas Neues und gleichzeitig einzigartig, nicht mehr wiederkehrend. Darin liege die Spannung des Daseins, des Lebens. Im Gesamten des Lebens ist die Heraushebung einer Phase etwas „Willkürliches“[71], jedoch sind nach Guardini die Phasen doch so stark durch Einschnitte gekennzeichnet, dass man sie im Einzelnen behandeln darf. In jeder Lebensphase ist immer ein und derselbe Mensch anwesend, der sich in ihr zu verantworten hat. Durch die Erinnerung – zum Beispiel an die Kindheit – und durch die Voraussicht wird dem Menschen deutlich, wie „scharf die einzelnen Phasen von einander abheben“[72], jedoch aber immer im Gesamten des Lebens eingebettet sind und ihren Sinn nur erhalten, wenn man die jeweiligen Lebensalter nicht nur aus dem Ganzen des Lebenslaufes betrachtet. Die einzelne Phase wirkt stets auf das Ganze. Guardini differenziert nun die Phasen älterer Menschen nochmals in „Der weise Mensch“[73] und „Der senile Mensch“[74]. Wie Guardini diese beiden Phasen im dritten Lebensabschnitt genauer betrachtet, wird im dritten Kapitel der Arbeit genauer vorgestellt werden.

Wenn in diesen Phasen von Erikson oder von Guardini nichts Vorprogrammiertes gemeint ist, und dass auch innerhalb dieser von ihnen eingeteilten Lebensphasen Veränderung und individuelle Entwicklung möglich ist, so widersprechen diese nicht unbedingt den neueren Forschungen innerhalb der Entwicklungspsychologie. In der Gerontopsychologie werden heute nämlich Alternsvorgänge in ihrer Mehrdimensionalität betrachtet: erstens im Hinblick auf somatischer, sozialer, kognitiver emotionaler und persönlichkeitspsychologischer Veränderungen; zweitens im Abbau oder Zuwachs oder in Konstanz von kognitiven Leistungen.[75]

2.3 Wichtige Fragestellungen in der psychologischen Alternsforschung

Innerhalb der psychologischen Alternsforschung gibt es viele Theorien und Studien, die sich mit Franz E. Weinert in vier grundlegende Fragestellungen zusammenfassen lassen.[76]

Die erste Frage befasst sich mit der Beschreibung und der Analyse der Alternsveränderungen psychischer Merkmale und Mechanismen. Eine zweite Frage analysiert psychische oder sich in psychologisch offenbarenden Bedingungen des menschlichen Alterns. Drittens geht es um die psychische Verarbeitung und Bewältigung des Alterns bzw. einhergehende Verluste. Diese Verluste erlebt der alternde Mensch als eine „Art chronische Streßsituation“[77], wie es die hier zitierte Berliner Altersstudie zeigt. Die vierte Frage von Weinert behandelt die „psychosoziale Beeinflussung unerwünschter Erscheinungen und Begleiterscheinungen des Älterwerdens“[78]. Neuere Forschungen haben die früheren Annahmen und Untersuchungsergebnisse in den letzten Jahren die Konstanz und die Veränderungen der Intelligenz, des Gedächtnisses, der Persönlichkeit und die soziale Lage älterer Menschen korrigiert. Durch Längsschnittstudien konnte das viel zitierte Defizit-Modell außer Kraft gesetzt werden. Es geht eben in der Entwicklung nicht nur um Abbau und Defizit.[79]

In dieser oben genannten Einteilung wird in der ersten Frage über Konstanz und Veränderung psychischer Funktionen im Zusammenhang mit Intelligenz, Gedächtnis, Psychomotorik und Alltagskompetenz, sowie auch Kreativität geforscht. Viele Studien untermauern die Aussage, dass Intelligenz erst spät im Lebensalter nachlässt. Man muss in diesem Bereich gelten lassen, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Variabilität hervorbringen. Dazu zählen zum Beispiel Schulbildung, sozialer Status, Gesundheit.[80] Mit dem Alter muss nicht im Vornhinein ein Abnehmen der intellektuellen Fähigkeiten gegeben sein.

In Bezug auf das Gedächtnis ist festzustellen, dass Lerndefizite nicht primär aufgrund des Alterungsprozesses stattfinden, sondern von somatischen, soziologischen, psychischen und biographischen Determinanten beeinflusst werden.[81] Gegenwärtige Lebensumstände und genetische Faktoren können als Ausgangsbedingungen für die Leistungsfähigkeit gesehen werden. Damit man die Gedächtnisleistung in den verschiedenen Altersphasen erfasst, müssen eben viele Faktoren miteinbezogen werden und somit muss „dieses komplexe Modell der Leistungsfähigkeit des Gedächtnisses [...] Annahmen über eine einfache Abhängigkeit der Gedächtnisleistung vom Lebensalter“[82] korrigieren.

Eine Persönlichkeitsveränderung ist bis ins hohe Alter möglich. Es geht hierbei nicht um Abnahme oder Zunahme, sondern um qualitative Umstrukturierungen. Kognitive Vorgänge und Systeme, sowie emotionale Prozesse gelten als Determinanten der Veränderungen.[83] Zugänge zu den Daten verschafft sich der Forscher durch Berichte und Interviews, sowie durch Tests, welche die Zugänge zur Persönlichkeit ermöglichen. Ein hohes Maß an Stabilität wird in der Aktivität und Zufriedenheit festgestellt. Aktivität, die gleich bleibt oder sogar zunimmt, ist stets gekoppelt mit positiv erlebten Freundschaften und mit dem Bemühen um soziale Kontakte bzw. des Interessenkreises. Beeinflusst wird sie zusätzlich von der „Herkunftsfamilie und [dem] sozialen Status“[84]. Damit steht fest, dass dem chronologischen Lebensalter nur eine geringe Bedeutung zukommt. Der Mediziner Hartmut Radebold spricht davon, dass erst „demenzielle (also hirnorganische) Krankheitsprozesse [...] irreversible Persönlichkeitsveränderungen“[85] bedingen.

Das Selbstbild des Menschen gilt in der psychologischen Gerontologie als bedeutende Kategorie. Es ist wichtig für das Werden der Person und Strukturierung des kognitiven Systems, das sich im Laufe des Lebens aufbaut.[86] „Wie sieht sich der alternde Mensch selbst? Wie nimmt er sich innerhalb der Gesellschaft wahr?“, sind wichtige Fragen für die Definition des Selbst und der Selbstdarstellung. Je nachdem wie sich das Individuum wahrnimmt, wird man dessen Erleben und Verhalten erklären können. Wiederum erscheint hier ein multidimensionales Bild: Familie, Beruf, Gesundheit, Geschlecht, Familienstand und andere Faktoren beeinflussen das Selbstbild. Ein stabiles Selbstbild, das mit dem Alternsstil zusammenhängt, korreliert wiederum mit Wohlbefinden. Als Folge stärkt sich das Selbstwertgefühl, wobei gesagt werden kann, dass sich Ältere positiver bewerten als Jüngere.[87]

2.4 Zusammenfassung

Schlussfolgernd kann mit der Berliner Altersstudie gesagt werden, dass es im hohen Alter ein differentielles Altern im psychologischen Bereich gibt, denn das Alter hat bis ins hohe Alter viele Gesichter. Bis in die letzte Lebensphase zeigen Menschen ein „relativ hohes Funktionsniveau in den verschieden psychologischen Bereichen“[88].

Es kann festgehalten werden, dass psychisches Altern von vielen Faktoren determiniert wird: Familie, Beruf, Gene, sozialen Status u.a.. Entwicklungspsychologisch zeigt sich, dass der Mensch sich in allen Lebensphasen entwickelt. Veränderungen müssen nicht nur Abbau oder Minderung, sondern können auch Konstanz und Aufbau bedeuten, wie es im Bereich Lebenserfahrungen oder des Wissens wahrgenommen werden kann.[89] Es ist sichtbar geworden, dass der Mensch auch im Lebensalter Stabilität in Intelligenz oder in Emotionen bzw. Stimmungen aufweist. Sehr bedeutsam scheint die Aussage zu sein, dass bezüglich der Persönlichkeit die Möglichkeit besteht, sich bis ins hohe Alter zu verändern, was damit ein Wachstum in dieser Lebensphase inkludiert.

3 Soziales Altern

In der Medienlandschaft werden uns täglich Zahlen, Daten und Statistiken geliefert, bezüglich des Zuwachs an Herausforderungen einer alternden Gesellschaft im Gesamten sowie der alternden Menschen in unserer Gesellschaft im Einzelnen. Am Beginn dieses Abschnittes über das soziale Altern müssen Daten und Statistiken stehen, damit ein Bild von der Wirklichkeit entsteht. Prognosen der UN zeigen auch ein Bild der zukünftigen Weltbevölkerung. Diese Prognosen heben die Wichtigkeit des Themas Altern und Alter besonders auch hervor. Von dieser Weltbevölkerung im Allgemeinen hin zur Situation in Österreich sollen die demographischen Grundtaten Aussagen liefern.

3.1 Daten über den Zuwachs der alternden Weltbevölkerung

Für das Jahr 2002 liefert die UN Zahlen über die über 60jährigen Menschen auf der Welt; sie beträgt knappe 629 Millionen. Im Jahr 2050 prognostiziert sie beinahe zwei Billionen Menschen auf der Welt, die älter als 60 Jahre sein werden.[90] In ihrem Bericht vom Jahr 2001 schreibt die UN, dass der im 19. und 20. Jahrhundert begonnene demographische Wandel sich bis ins 21. Jahrhundert fortsetzen wird. Als Grund führt sie den „Rückgang der Fruchtbarkeitsziffern bei gleichzeitig steigender Lebenserwartung“[91] an. Die Folge wird ein Strukturwandel in den Gesellschaften sein, der einerseits Chancen bietet andererseits ebenso große Herausforderungen an die Menschen stellt. Bemerkenswert für die Zukunft ist, wie die UN in ihrem Bericht festhält, dass der Alterungsprozess in den Entwicklungsländern rascher vorangeht als in entwickelten Ländern, was heißt, dass diese Länder der Armut viel weniger Zeit der Vorbereitung auf diese Situation haben werden.[92]

Für Europa prognostiziert die UN im Jahr 2002 einen Anstieg der über 60jährigen von den jetzigen 20% auf 37% der Gesamtbevölkerung. In Zahlen ausgedrückt: im Jahr 2050 werden in Europa mehr als 221 Millionen Menschen dieser Altersgruppe angehören. Die Anzahl der über 80jährigen wird um das Doppelte ansteigen.[93]

3.1.1 Daten über die Bevölkerungsentwicklung in Österreich

Das demographische Altern in Österreich kann mit folgenden Zahlen belegt bzw. prognostiziert werden: Das Altern der Bevölkerung in Österreich kann man seit dem Ende des Ersten Weltkriegs beobachten. Bis 1970 hat sich die Zahl der über 60-jährigen auf 1,5 Millionen Personen verdoppelt.[94] Die Anzahl der Kinder in diesem Zeitraum ist gleichgeblieben. Bis zum Jahr 2000 ist die Anzahl der über 60-jährigen kaum gestiegen, sodass im Jahr 2000 1,67 Millionen ältere Menschen in Österreich lebten. Wie sieht nun aber die Prognose bis zum Jahr 2050 aus? In den nächsten Jahrzehnten wird die Bevölkerung in Österreich deutlich altern. Im Jahr 2026 werden über 2,5 Millionen ältere Menschen in Österreich leben. Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl auf 36% der Gesamtbevölkerung steigen; im Jahr 2002 machte diese Altersschicht 21,5% der Bevölkerung aus, wobei aber die Anzahl der Kinder und Jugendlichen rückläufig sein wird.[95] Im Allgemeinen sind demographische Prognosen gut abgesichert, weil die „prognostizierte Bevölkerung Österreichs bereits lebt.“[96]. Vergessen werden darf aber nicht, dass sie durch mögliche Einflüsse verändert werden können.

Wie wird das Altern für die zukünftigen Generationen aussehen? Offensichtlich ist, dass die künftigen Generationen unter anderen materiellen und sozialen Bedingungen alt werden als die heutigen Eltern- und Großelterngenerationen. Der Demograph Josef Kytir aus Wien nimmt an, dass in den nächsten 25 Jahren noch ein „dichtes familiales, intergenerationales Netz“[97] möglich sein wird. Erst danach werden „Solidarbeziehungen“[98], die über die eigenen Kinder hinausgreifen, erprobt werden müssen. Was eine Herausforderung für die Gesellschaft sowie für jeden Menschen bedeutet, weil die Prognosen für die Zukunft eben in die oben skizzierte Richtung weisen und weil zweitens es eine Herausforderung für die Menschen in jeder Lebensphase bedeutet, auch für junge Menschen, daher kann auch eine solche Arbeit, die hier gemacht wird, von einem jungen Erwachsenen getan werden. Im Jahr 2050 wird der Verfasser dieser Arbeit selbst in der Lebensphase des alten Menschen sein, sofern die Lebensjahre gewährt sein werden. Das Interesse am alten Menschen sowie Chancen und Schwierigkeiten in dieser gezeigten Lebensphase verleiteten zum Vertiefen dieses Themas.

3.2 Gründe, die zur Lebensphase Alter führen

Als gesellschaftliche Gründe, die zur Lebensphase Alter führen, werden für diese Arbeit die berufliche Ausgliederung (Pensionierung) und die familiären Verhältnisse und deren Veränderungen genannt. Es handelt sich hierbei um einen ethisch wichtigen Sachverhalt, so dass auf diese soziale Lage der älteren Menschen eingegangen wird.[99]

3.2.1 Berufliche Ausgliederung als Zäsur in der Lebensbiographie

Durch die moderne sozialpolitische Organisation des Lebens, ist es gelungen, dass ältere Menschen in ihrer dritten Lebensphase ohne Berufstätigkeit ihre Altersphase selbstbestimmt leben können. Der Übergang in den Ruhestand ist für viele Forschungen zum Objekt geworden. Er wird individuell jeweils anders erlebt und bewältigt und viele Faktoren spielen hierbei eine Rolle, wie „berufsbiographische[r] Verlauf, gesundheitliche Disposition, finanzielle und sonstige[n] soziale[n] Faktoren“[100]. Durch die Einrichtung von Kurse auf die bevorstehende Pensionierung wurde die Zahl der zufriedenen Pensionäre deutlich erhöht. Sie hatten es leichter sich auf die neue Situation anzupassen. Diese Anpassung wird somit als Grad der persönlichen Zufriedenheit gesehen.[101] Wenn man die Anpassung an den Ruhestand als Prozess betrachtet, dann gehört zu diesem Prozess die Veränderung in den Partnerschaftsverhältnissen. Nicht selten treten in dieser Phase Krisen der Eheleute auf. Deshalb sei im nächsten Teil der Arbeit dieser Prozess oder der „familiäre Integrationsprozeß“[102] behandelt.

3.2.2 Familiäre Verhältnisse und deren Veränderungen

Der Wandel von den Großfamilien, in denen mehrere Generationen zusammenlebten, zu Kernhaushalten mit zwei Generationen hat bereits stattgefunden. Es werden in Zukunft die Eingenerationenhaushalte sowie die Einpersonenhaushalte stark zunehmen, was die Ursache für die Veränderungen in Familienstrukturen ist. 1982 haben cirka 1/3 der Männer und fast 2/3 der über 75-jährigen Frauen in Deutschland in einem Einpersonenhaushalt gelebt.[103] Jedoch waren diese alten Menschen nicht von ihren Kindern absolut getrennt. Wie viele Studien bestätigen[104], haben die alten Menschen täglich oder wenigstens einmal wöchentlich Kontakt zu ihren Kindern. Dieses Phänomen hat der Wiener Soziologe Leopold Rosenmayer als „Intimität auf Abstand“[105] bezeichnet. Dieses Verhältnis bezeichnet die freiwilligen Kontakte dieser intergenerationalen Beziehungen. Die junge Generation kann sich zurückziehen. Die alte Generation hat ebenso die gleiche Chance sich von den Kindern zurückzuziehen und gleichzeitig über ihre eigene Kinder- und Jugendzeit zureflektieren, was zur Vertiefung einer freundschaftlichen Beziehung zwischen den Generationen notwenig ist. Abstand bedeutet für beide Schutz. Jede Generation hat durch die räumliche Distanz, die Chance zwischenmenschlich zu reifen. Dieses Verhältnis wird von Ursula Lehr als „Innere Nähe bei äußerer Distanz“[106] bezeichnet, durch dieses Verhältnis würde von einem hohen Prozentsatz beider – von den Alten und den Kindern – die weitere Aufrechterhaltung der Kontakte gutgeheißen, auch wenn es herausfordernd sei.

Nicht von der Hand zu weisen ist die Situation, dass Kinder sich heute das, was früher die Eltern oder Großeltern angeboten haben, sich nun wo anders holen. Ein Gefühl des Nicht-Gebraucht-Werdens belastet diese Eltern-Generation, denn auch finanzielle Unabhängigkeit wird den älteren Menschen gegenüber bewiesen. Können die Alten ihre im Leben gesammelten Erfahrungen noch anbieten, oder werden diese Erfahrungen von den Jüngeren nicht mehr benötigt? Eine Frage, die ethische Relevanz besitzt. Diese Frage muss differenziert betrachtet werden. Es gibt verschiedene Theorien dazu, wie sie weiter unten ausführlich behandelt werden.

Wenn nun die sogenannten „Einkindfamilien“ in unserer Gesellschaft den Vorzug genießen, so hat das Folgen für das Altern dieser Familien. Es verringert sich die Zahl der nahen Verwandten. Hilfen innerhalb der eigenen Familie werden dadurch reduziert und der alternde Mensch ist aufgefordert außerhalb seiner kleinen Familie Unterstützungen anzunehmen, was wiederum eine hohe soziale Kompetenz abverlangen wird.[107] Steckt darin nicht eine große Chance sowie eine Herausforderung sich auf diese Situation im Laufe des Lebens vorzubereiten? Weil es eine Einübung bedarf, wird in dieser Arbeit stets vom Altern und der Lebensphase Alter selbst gesprochen. Ein wichtiger Aspekt ist die persönliche, aber auch die gesellschaftliche Vorbereitung um ein gelingendes Alter aktiv zu erwerben und passiv zu erwarten.

[...]


[1] König, Biografie. Kardinal Franz König. Universum, 66.

[2] Rosenmayr, Altern im Lebenslauf, 10.

[3] Vgl. Rosenmayr, Altern im Lebenslauf, 35.

[4] Ebd., 35.

[5] Innerhalb dieser Lebensphase werden Menschen von 50 bis 74 zum dritten und ab 75 Jahren zum vierten Alter gezählt.

[6] Vgl. Backes / Clemens, Lebensphase Alter, 24.

[7] Vgl. Rosenmayr, Die Kräfte des Alterns, 36. Der österreichische Seniorenbericht der Bundesregierung von 2000. folgt keiner genauen Einteilung, sondern spricht von Gruppen der 60- bis 74jährigen, der 75- bis 85jährigen, und von 85 werden die Menschen als „Hochbetagte“ angeführt. Vgl., S eniorenbericht der Bundesregierung, in: http://www.bmsg.gv.at/cms/site/attachments/2/3/3/CH0107/CMS108495930237 1/seniorenbericht_kurzfassung.pdf [abgerufen am 22. 01.2005].

[8] Vgl. Art. alt, in: Etymologie. Duden 7, 20.

[9] Vgl. Kluge, Art. Alter, in: Etymologisches Wörterbuch, 22.

[10] Rentsch, Philosophische Anthropologie und Ethik der letzten Lebenszeit, 286.

[11] Vgl. Auer, Autonome Moral und christlicher Glaube.

[12] Rentsch, Philosophische Anthropologie und Ethik der letzten Lebenszeit, 286.

[13] Vgl. Rahner, Schriften zur Theologie XV, 320.

[14] Vgl. Thomae, Gerontopsychologie, 212.

[15] Vgl. Beauvoir, Das Alter, 17. Einen umfangreichen historischen Überblick über Alter und Biologie gibt Simone de Beauvoir in ihrem bereits 1972 erschienen Buch.

[16] Ebd., 21.

[17] Auer, Geglücktes Altern, 23.

[18] Vgl. Reitz, Biologie des Alterns und Krebs, 31.

[19] Vgl. ebd., 31.

[20] Vgl. ebd., 31 f.

[21] Vgl. Prinzinger, Das Geheimnis des Alterns, 23.

[22] Ebd., 24.

[23] Vgl. Reitz, Biologie des Alterns und Krebs, 30.

[24] Ebd., 30.

[25] Vgl. Viidik, Biologisches Altern – Gesetzmäßigkeiten und Beeinflussbarkeit, 25.

[26] Vgl. Prinzinger, Das Geheimnis des Alterns, 39 f.

[27] Vgl. Prinzinger, Das Geheimnis des Alterns, 44.

[28] Vgl. Reiz, Biologie des Alterns und Krebs, 36

[29] Vgl. ebd., 36 f. Zur Forschung über die Korrelation von Alter und Krebs vgl. auch Reitz, Biologie des Alterns und Krebs, in: Höffken, Klaus: Geriatrische Onkologie, 35.

[30] Vgl. Prinzinger, Das Geheimnis des Alterns, 46.

[31] Vgl. Prinzinger, Das Geheimnis des Alterns, 50.

[32] Ebd., 50.

[33] Ebd., 51.

[34] Nikolaus / Zahn, Alter und Altern, 710 f.

[35] Viidik, Biologisches Altern – Gesetzmäßigkeiten und Beeinflussbarkeit, 27.

[36] Vgl. Prinzinger, Das Geheimnis des Alterns, 51.

[37] Vgl. ebd., 52.

[38] Vgl. Nikolaus / Zahn, Alter und Altern, 710.

[39] Vgl. Prinzinger, Das Geheimnis des Alterns, 53 f.

[40] Nikolaus / Zahn, Alter und Altern, 709.

[41] Ebd., 709.

[42] Vgl. Prinzinger, Das Geheimnis des Alterns, 56.

[43] Vgl. ebd., 62.

[44] Vgl. Reitz, Biologie des Alterns und Krebs, 33.

[45] Ebd., 63.

[46] Vgl. Viidik, Biologisches Altern – Gesetzmäßigkeiten und Beeinflussbarkeit, 26.

[47] Vgl. Prinzinger, Das Geheimnis des Alterns, 67 f.

[48] Vgl. ebd., 76 f.

[49] Ebd., 79.

[50] Ebd., 81.

[51] Vgl. Reitz, Biologie des Alterns und Krebs, 47 f.

[52] Vgl. Nikolaus / Zahn, Alter und Altern, 711.

[53] Viidik, Biologisches Altern – Gesetzmäßigkeiten und Beeinflussbarkeit, 29.

[54] Vgl. ebd., 29.

[55] Vgl. Prinzinger, Das Geheimnis des Alterns, 105 f.

[56] Vgl. Viidik, Biologisches Altern – Gesetzmäßigkeiten und Beeinflussbarkeit, 31.

[57] Kruse, Jugend und Alter als psychosoziale Kategorien, 177.

[58] Auer, Geglücktes Altern, 25.

[59] Vgl. Prinzinger, Das Geheimnis des Alterns, 253.

[60] Die Studie „Bonner Längsschnittstudie über das Altern“ (BOLSA) von 1965 – 1983 hat durch ihre Ergebnisse beigetragen, dass negative Altersbilder korrigiert worden sind.

[61] Vgl. Thomae, Gerontopsychologie, 211 f.

[62] Ebd., 212.

[63] Kruse, Jugend und Alter als psychosoziale Kategorien, 177.

[64] Ebd., 212.

[65] Erikson, Der vollständige Lebenszyklus, 70.

[66] Ebd., 78.

[67] Vgl. Lehr, Psychologie des Alterns, 52.

[68] Ebd., 52.

[69] Vgl. zu diesem Thema auch: Oser / Althof, Moralische Selbstbestimmung, 35 - 83.

[70] Guardini, Gläubiges Dasein. Die Annahme seiner selbst, 119.

[71] Ebd., 119.

[72] Ebd., 121.

[73] Ebd., 156 f.

[74] Vgl. ebd., 162 f.

[75] Vgl. Thomae, Gerontopsychologie, 212.

[76] Vgl. Weinert, Altern in psychologischer Perspektive, 180 f.

[77] Smith / Baltes, Altern aus psychologischer Perspektive, 245.

[78] Ebd., 181.

[79] Vgl. Lehr, Psychologie des Alterns, 75.

[80] Vgl. ebd., 76.

[81] Vgl. ebd., 93 f.

[82] Ebd., 94.

[83] Vgl. Lehr, Psychologie des Alterns, 132 f.

[84] Ebd., 135.

[85] Radebold, Die psychodynamische Sicht der zweiten Lebenshälfte, 61.

[86] Vgl. ebd., 150.

[87] Vgl. ebd., 152 f.

[88] Smith / Baltes, Altern aus psychologischer Perspektive, 244.

[89] Vgl. Kruse, Jugend und Alter als psychosoziale Kategorien, 177.

[90] Vgl. UN, Population Ageing 2002, in: http://www.un.org/esa/population/publications/ageing/Graph.pdf [abgerufen am 21.10.2004].

[91] UN: Alterung der Weltbevölkerung, in: http://www.un.org/esa/population/publications/worldageing1950 2050/pdf/german_execsum.pdf [abgerufen am 21.10.2004].

[92] Vgl. ebd.

[93] Vgl. ebd.

[94] Vgl. Kytir, Die demographische Revolution und die Langlebigkeit, 132.

[95] Vgl. Statistik Austria, Bevölkerung, in: http://www.statistik.at/statistische_uebersichten/deutsch/pdf/k14t_1.pdf [abgerufen am 22.10.2004].

[96] Kytir, Die demographische Revolution und die Langlebigkeit, 136.

[97] Ebd., 142.

[98] Ebd., 142.

[99] Vgl. Auer, Geglücktes Altern, 42.

[100] Backes / Clemens, Lebensphase Alter, 60.

[101] Vgl. Lehr, Psychologie des Alterns, 233.

[102] Auer, Geglücktes Altern, 42.

[103] Vgl. Lehr, Psychologie des Alterns, 251.

[104] Vgl. ebd., 253.

[105] Rosenmayr, Die Kräfte des Alterns, 166.

[106] Lehr, Psychologie des Alterns, 253.

[107] Vgl. Lehr, Psychologie des Alterns, 262 f.

Ende der Leseprobe aus 140 Seiten

Details

Titel
Altern - eine Herausforderung zur Selbstwerdung - Theologisch-ethische Perspektiven für Menschen im dritten Lebensabschnitt
Hochschule
Karl-Franzens-Universität Graz  (Moraltheologie und Dogmatik)
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
140
Katalognummer
V38571
ISBN (eBook)
9783638375887
Dateigröße
1082 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Älterwerden und Altsein. Aus humanwissenschaftlichen Perspektiven ausgehend, komme ich zu Fragen bezüglich theologisch- ethischen Perspektiven zum Altsein. Wie kann man ein gelingendes, gutes, zufriedenes Altern erleben?
Schlagworte
Altern, Herausforderung, Selbstwerdung, Theologisch-ethische, Perspektiven, Menschen, Lebensabschnitt
Arbeit zitieren
Siegfried Romirer-Maierhofer (Autor:in), 2005, Altern - eine Herausforderung zur Selbstwerdung - Theologisch-ethische Perspektiven für Menschen im dritten Lebensabschnitt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38571

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