Die Entstehung der Weimarer Reichsverfassung. Hugo Preuß als Wegbereiter einer modernen parlamentarischen Demokratie?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

14 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Inhalt Seite

1. Einleitung

2. Preuß' methodische Staatslehre

3. Vom Obrigkeitsstaat zum deutschen Volksstaat

4. Der deutsche Parlamentarismus
4.1 Obersten Reichsorgane
4.1.1 Das Politische System
4.1.2 Das Wahlrecht
4.2 Verhältnis zwischen den obersten Reichsorganen
4.2.1 Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative
4.2.2 Stellung des Reichspräsidenten

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mit der Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik durch Philipp Scheide- mann und Karl Liebknecht am 9. November 1918 war das Ende der Monarchie in Deutschland besiegelt. Eine neue Staatsform sollte her, die Demokratie. Mit dem Entwurf der künftigen Verfassungsordnung wurde der bis dato wenig bekannte Jurist und Landtagsabgeordnete der DDP, Hugo Preuß, beauftragt. Als linksliberaler Pu- blizist und Jude gehörte Preuß eher zu den Außenseitern des Reiches, umso verwunder- licher ist daher seine Ernennung zum Staatssekretär des Inneren am 15. November. Hier schuf er innerhalb von nur drei Wochen einen ersten Entwurf der Reichsverfassung. Doch in Hinblick auf das Scheitern der Weimarer Republik durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 erscheint auch Hugo Preuß als „Vater“ der Reichsverfassung in einem schlechten Licht. So bleiben vor allem scheinbare konzep- tionelle Mängel der Reichsverfassung, wie das instabile Verhältniswahlrecht oder die starke Stellung des Reichspräsidenten, in Erinnerung.1

In meiner Hausarbeit beschäftige ich mich daher mit der Frage, ob man Hugo Preuß als Wegbereiter einer modernen parlamentarischen Demokratie bezeichnen kann. Wie sehr plädierte er in seinem Entwurf für ein parlamentarisches System? Wie sollte dieses Aus- sehen? Um dies zu beantworten, werde ich zunächst auf Preuß' grundlegendes methodi- sches Staatsdenken eingehen, welches vor allem von der Genossenschaftslehre Otto von Gierkes beeinflusst wurde. Dies ist wichtig, um Preuß' Staatstheorie zu verstehen, vor allem bei seiner Haltung zum Souveränitätsbegriff und der Partizipation des Volkes am Staat. Den Schwerpunkt meiner Untersuchung lege ich dabei auf die oberen Reichsorga- ne. Insbesondere auf das Verhältnis zwischen Staatsoberhaupt, Regierungschef und Par- lament, welches entscheidend für das Verständnis seiner Parlamentarismustheorie ist. Ein Hauptaugenmerk werde ich hierbei auf Preuß' ersten Verfassungsentwurf aus der „Denkschrift zum Entwurf des allgemeinen Teils der Reichsverfassung vom 3. Januar 1919“ legen.2

2. Preuß' methodische Staatslehre

Im Fokus des demokratischen Denkens der Weimarer Republik stand bei allen Staats-

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

rechtslehrern die Frage: Was ist der Staat? Man setzte sich vor allem mit Staatsbegriff- lichkeiten und der Organisation der Staatsgewalt auseinander. Hugo Preuß wurde in sei- ner Staats- und Demokratietheorie wesentlich von der Genossenschaftslehre Gierkes und der organischen Staatslehre beeinflusst. Die organische Staatsauffassung sieht den Staat als reale Existenz. Im Mittelpunkt des Staates steht dabei das Allgemeinwohl, individuelle Interessen treten hingegen in den Hintergrund.3 Im Fokus des genossen- schaftlichen Staatsdenkens von Gierke standen die Begriffe Herrschaft und Genossen- schaft. Das Gemeinwesen bestand bei Gierke aus genossenschaftlichen Selbstverwalt- ungskörpern die von oben nach unten aufgebaut waren. Der genossenschaftliche Ver- band (Länder, Gemeinden) und der herrschaftliche Verband (Staat) sollten einander gleichrangig sein, obwohl der Staat unter den Organen die wichtigste Stellung ein- nahm.4

Preuß kam es jedoch darauf an, den Staat als natürliche Organisation des Volkes zu entwerfen. Entgegen des Konzepts von Paul Laband, welches den Staat als juristische Anstalt mit einem Herrscher an der Spitze und dem Volk als Objekt der Staatsgewalt sah, wollte er mit der Genossenschaftslehre eine politische Gleichberechtigung und die Beteiligung des Volkes am Staat erreichen. Wichtig für Preuß war dabei die Unterscheidung zwischen dem Volk als politischer Zustand (Volksstaat) und der unpolitischen Gesellschaft, in der Privatinteressen vorherrschen. Im Gegensatz zu Gierke vertrat Preuß die Auffassung, dass Staat, Reich und Gemeinde alle genossenschaftliche Gebilde sind. Der Staat sollte folglich keine Sonderstellung einnehmen.5

Er plädierte für einen dezentralisierten Einheitsstaat, der einer Pyramide gleich aus ab- steigenden, immer zahlreicher werdenden gleichberechtigten Gebietskörperschaften, vom Gesamtstaat über die Länder bis zu den einzelnen Gemeinden, bestand. Diese ge- nossenschaftliche Selbstverwaltungsvariante baute dabei auf ein höchst anspruchsvolles und normatives staatsbürgerliches Selbstverständnis auf. Der gemeinsame Wille der Ge- nossenschaft setze ein verantwortungsvolles Bewusstsein der Bürger um den Staat vor- aus. Demnach ist die Stabilität einer Demokratie maßgeblich von der politischen Reife und dem Verantwortungsbewusstseins der Bevölkerung abhängig. Preuß war davon überzeugt, dass sich der Staat nicht allein durch eine Verfassung sichern lässt, sondern auch entscheidend von den politischen Tugenden der Bürger und Staatsorganen abhän-

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gig ist. Die politische Verantwortung wollte er somit in die Hände des Volkes legen. Fraglich ist jedoch, ob das deutsche Volk und die Parteien überhaupt reif genug waren, die Verantwortung zu übernehmen, die Preuß ihnen später in der Verfassung zuerkann- te.6

Preuß entwickelte die Genossenschaftslehre von Gierke ins Demokratische, indem er die Genossenschaftslehre, mit dem Ziel der Demokratisierung, auch auf dem Staat übertrug. Das hatte jedoch enorme normative Konsquenzen für Preuß' Verfassungsentwurf, wie später gezeigt werden wird.7

3. Vom Obrigkeitsstaat zum deutschen Volksstaat

Die Begriffe „Obrigkeitsstaat“ und „Volksstaat“ prägten Preuß' Staatsmodell im beson- deren Maße. Sein Ziel war es, den Obrigkeitsstaat durch den Volksstaat zu ersetzen. Un- ter dem „Obrigkeitsstaat“ verstand Preuß das Deutsche Reich von 1871, indem Herr- scher und autoritäre Staat über dem Volk standen und dem Volk nur wenig Beteiligungs- möglichkeiten einräumten. Durch die Ablehnung des Obrigkeitsstaates und des Souve- ränitätsbegriffes ging Preuß viel weiter in seinem genossenschaftlichen Staatdenken, als Gierke es tat. Dieser erkannte den Staat, im Gegensatz zu Preuß, als höchsten Machtver- band an und versuchte zwischen Genossenschaft und Herrschaft zu vermitteln.8

Preuß lehnte jedoch jeden Souveränitätsbegriff, auch den der Volkssouveränität, ab. Selbst eine Unterscheidung zwischen Staats- und Volkssouveränität hielt Preuß für ver- altet. Dies erscheint zunächst sehr fragwürdig, denn die Volkssouveränität ist die Grund- lage jeder modernen Demokratie. Preuß lehnte den Souveränitätsbegriff allerdings des- halb ab, weil Souveränität für Ihn gar kein Rechtsbegriff war, sondern das tragende Prinzip des Obrigkeitsstaates, den er mit Hilfe der Genossenschaftslehre dekonstruieren wollte. Infolgedessen hatte auch das Volk in seinem demokratischen Denkens keine Platz als Souverän.9

Die große Bedeutung der Partizipation des Volkes am Staat in seinem späteren Verfas- sungsentwurf steht dabei in keinem Widerspruch zu Preuß' ablehnender Haltung gegen- über der Volkssouveränität. Die Staatsgewalt sollte vom Volke ausgehen. Das hieß für Preuß jedoch nicht, dass der Herrscher des Staates das Volk ist. Vielmehr wollte er da-

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mit ausdrücken, dass er im Volk das wichtigste Staatsorgan sah. Reichstag und Reichs- präsident hingehen sind lediglich sekundäre Organe, die das Volk durch Wahlen zu sei- nen Repräsentanten bestellt. Preuß wollte damit verdeutlichen, dass die gesamte Staats- gewalt nicht in einem einzigen Organ, wie im alten Obrigkeitsstaat, zu suchen ist. Rechtliche Gewalt und somit auch staatliche Macht kann erst durch die Abgrenzung der verschiedenen Organe und deren Wechselspiel, also durch eine Verfassung, entstehen.10

4. Der Deutsche Parlamentarismus

In seinem Verfassungsentwurf ging es Preuß nicht um die Abänderung einzelner staatli- cher Institutionen, sondern um eine politische Neuorganisation Deutschlands auf demo- kratischen staatsrechtlichen Grundlagen. Sein demokratisches Staatsmodell fußte dabei auf dem Organismusgedanken und der genossenschaftlichen Staatslehre. Im seinem Verfassungsentwurf zeigen sich deshalb an vielen Stellen normative partizipatorische Vorstellungen von Demokratie. Semantisch schlug sich dies in der Begrifflichkeit des Volksstaats nieder. Im Volksstaat sollte die Einheit zwischen Volk und Staat erreicht werden.11

4.1 Obersten Reichsorgane

4.1.1 Das Politische System

Für die Gestaltung der obersten Reichsorgane sah Preuß daher drei theoretische Mög- lichkeiten. Zum einem ein System, welches sich an der Schweizer Eidgenossenschaft orientiert. Hier wird das Regierungskollegium unmittelbar durch die Volksvertretung gewählt. Das Vertrauensverhältnis zwischen Parlament und Regierung beruht auf der Ernennung der Regierung durch das Parlament und deren relativ kurzer Amtsperiode. Der hier fehlende Dualismus zwischen Staatsoberhaupt und Regierung so Preuß, sei da- bei vom Vorteil für die Demokratie, weil dadurch das Parlament eine stärkere Rolle ein- nimmt. Problematisch ist jedoch, das ein Großstaat wie Deutschland vor allem eine in sich geschlossene und tatkräftige Regierung braucht, die er aber in der Schweizer Re- gierung mit dem Kollegialitätsprinzip nicht sah.

[...]


1 Vgl. Lahusen, Benjamin, Weimarer Verfassung: Eine Republik für Deutschland, Die Zeit, Nr. 43, S. 4, Und Online im Internet: http://www.zeit.de/2010/43/Weimarer-Verfassung-Preuss, Letzter Zugriff: 03.03.2013 20:44

2 Vgl. Groh, Katrin, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik: von der konstitutio- nellen Staatslehre zur Theorie des modernen Verfassungsstaates, Tübingen 2010, S. 19

3 Die Organismustheorie führte oftmals zu einer Überhöhung des Staates, der als harmonisch und natür- lich gewachsen angesehen wurde. Die organische Gewachsenheit des Staates ist für sein späteres Staatsmodell jedoch eher unbedeutend und vielmehr Ausdruck des damaligen Zeitgeistes.

4 Vgl. Pohl,Tina, Demokratisches Denken in der Weimarer Nationalversammlung, Hamburg 2002, S. 62-63

5 Vgl. Groh, Staatsrechtslehrer, S. 21-28

6 Vgl. Pohl, Demokratisches Denken, S. 64-65; Gillessen, Günther, Studien zur Ideen- und Verfassungs- geschichte der Weimarer Republik, Berlin 2000 (Univ., Diss., 1955), S. 22-25; Groh, Staatsrechtsleh- rer, S. 31-33

7 Vgl. Lehnert, Detlef, Preuß, Hugo in: Voigt, Rüdiger / Weiß, Ulrich (Hrsg.), Handbuch Staatsdenker, Stuttgart 2011, S. 336-337; Pohl, Demokratisches Denken, S. 63

8 Vgl. Pohl, Demokratisches Denken, S. 62-65; Groh, Staatsrechtslehrer, S. 21-23

9 Vgl. Pohl, Demokratisches Denken, S. 94

10 Vgl. Gillessen, Verfassungsgeschichte, S. 138-139

11 Vgl. Groh, Staatsrechtslehrer, S. 30

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die Entstehung der Weimarer Reichsverfassung. Hugo Preuß als Wegbereiter einer modernen parlamentarischen Demokratie?
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Note
2,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
14
Katalognummer
V385779
ISBN (eBook)
9783668601185
ISBN (Buch)
9783668601192
Dateigröße
599 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
entstehung, weimarer, reichsverfassung, hugo, preuß, wegbereiter, demokratie
Arbeit zitieren
Peter Gerhardt (Autor:in), 2012, Die Entstehung der Weimarer Reichsverfassung. Hugo Preuß als Wegbereiter einer modernen parlamentarischen Demokratie?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/385779

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