Herrenmahlspraxis in Korinth

Sozialgeschichtlich und theologisch


Bachelorarbeit, 2016

44 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung: Korinth und das Herrenmahl ... 1
2.
Zur Soziologie in Korinth ... 2
2.1.
Die historische Entwicklung Korinths seit römischer Herrschaft ... 2
2.1.1.
Wirtschaftliche Strukturen ... 3
2.1.2.
Politische und kulturelle Strukturen ... 4
2.2.
Soziale Strukturen und Schichtungen der Gemeinde in Korinth ... 6
2.2.1.
Ämter ... 7
2.2.2.
Häuser ... 8
2.2.3.
Dienstleistungen ... 11
2.2.4.
Reisen ... 12
3.
Die Herrenmahlsparadosis bei Paulus in 1Kor 11,17-34 ... 13
3.1.
Das paulinische Herrenmahlsverständnis: 1Kor 11,17-34 ... 14
3.2.
Die Einsetzungsworte hinsichtlich der paulinischen Argumentationsstruktur . 18
3.3.
Ein Zusammenspiel: Die soziale Schichtung in Korinth und der Leib-
Christi-Gedanke nach Paulus ... 21
Exkurs: Die Herrenmahlsüberlierferung nach Lukas: Lk 22,14-23 ... 23
4.
Die korinthische Herrenmahlspraxis ... 26
4.1.
Brotwort ­ Agape ­ Kelchwort ... 32
4.2.
vorweggenommenes Privatmahl ­ Brotwort ­ Agape ­ Kelchwort ... 34
5.
Fazit: Die korinthische Herrenmahlspraxis geprägt durch soziale Strukturen
und Schichtungen als Neudeutung der heutigen Abendmahlsfeier ... 36
Literaturverzeichnis ... 40

1
1.
Einleitung: Korinth und das Herrenmahl
Zweifelsohne gehört das Herrenmahl zu den ältesten Traditionen des frühen
Christentums. Basierend auf dem Gemeinschaftsmahl am Vorabend von Jesu Tod
scheint diese Tradition ausgebildet worden zu sein. Mokant und spitzzüngig for-
muliert gab Jesus seinen Jüngern mit dem Brechen des Brotes und dem Herumrei-
chen des Kelches eine Antwort. Die hypothetische Antwort auf die menschlich
festverwurzelten Fragen, was nach dem Tod geschieht, wie dann Erinnerung statt-
findet, worin der Sinn des Sterbens liegt. Seinem Tod stand Jesus bereits bei die-
sem Mahl buchstäblich gegenüber. Vermeintlich besaß er dabei die Weitsicht,
seinen Jüngern den Auftrag zu erteilen, die Feier des Abendmahls zu verbreiten,
um sich bei der Auslebung in seinem Gedenken zusammenzufinden. Ein Geden-
ken seines Todes und der Versicherung seiner Gegenwart, zugleich die Neuinter-
pretation des Seins in Christus, dargestellt als ein Lebensweg, der mutmaßlich
zum Heil und zur Erfüllung führt.
Fraglich bleibt an dieser Stelle allerdings, ob ein solcher Rückschluss zulässig und
mit textgesicherten Befunden zu begründen wäre. Denn wie entstand das Herren-
mahl wirklich? Gab Jesus tatsächlich die Anweisung an seine Jünger weiter, ein
gemeinsames Mahl zu vollziehen, einzig aus dem Grund ihm zu gedenken?
Vielmehr sollten die Fragen vertiefend mit dem Blick auf die Texte lauten: Wel-
che lebensweltlichen Umstände und theologischen Aspekte führten zu der eucha-
ristischen Feier? Was war davor, was folgte nach der Etablierung eines bestimm-
ten Ablaufs? Denn deutlich präsenter und stärker in den Fokus tritt die Praxis des
Herrenmahls im christlichen Umfeld. Wie kam es also letztendlich zu dieser Pra-
xis und wie lebten die Christen sie aus? Schließlich folgte die Herrenmahlspraxis
in Korinth gewiss einem bestimmten christlichen Ethos. Paulus gab seine eigene
Essenz hinzu. Er änderte die Auslebung der Korinther, vertiefte den Einblick in
die von Christus gegebenen Traditionen und verändert u.a. somit das christliche
Verständnis. Ein Verständnis, das grundlegend für den christlichen Glauben von
Relevanz war.
Ziel dieser Arbeit ist es, eine analytische Dokumentation wichtiger und relevanter
Zeugnisse aufzustellen, um den Blick für die Entstehung des Herrenmahls zu
schärfen. Mittels dieser Analyse sowie der Textgrundlage von Theißens Untersu-
chung der sozialen Schichtung und Struktur der Stadt Korinth, einem vertiefenden

2
Blick in den 1Kor 11,17-34 und der kontroversen Diskussion zur
Herrenmahlspraxis, wird dieser Versuch aufgestellt. Die Akzentsetzung der bibli-
schen Textbefunde hinsichtlich der Fragestellung, wie das Herrenmahl in Korinth
entstand, soll fokussiert werden. Eine Zusammenschau der lebensweltlichen Um-
stände verspricht hier eine erfolgreiche Bearbeitung. Eben dadurch soll die Viel-
falt frühchristlicher Zugänge dargestellt und vor Augen geführt werden, die in
diesem Zusammenhang auch für die Abendmahlspraxis der heutigen Zeit relevant
sein kann. Denn der Blick auf die frühchristliche theologische Geschichte fordert
heute mehr denn je ein Umdenken und eine neue Deutung des Seins in Christus.
2.
Zur Soziologie in Korinth
Die Stadt Korinth galt jeher als eines der wirtschaftlichen Zentren Griechenlands.
Durch Tyrannei und Demütigung gezeichnet, gewachsen dank der wirtschaftli-
chen Einflüsse und berühmt geworden durch Paulus` Missionierung, die der Stadt
den christlichen Glauben schenkte. Religiös und kulturell geprägt durch den Syn-
kretismus, da in Korinth die verschiedensten Glaubensrichtungen und Kulturen
aufeinandertrafen. So gab es nicht allein griechische und römische Tempel, wie es
anzunehmen wäre, sondern auch ,,Heiligtümer der Isis und Serapis und der klein-
asiatischen Göttermutter".
1
Theißen spricht von einer charakteristischen sozialen
Schichtung, die sich durch die ,,tonangebenden Gemeindeglieder aus der Ober-
schicht" und der Mehrheit ,,von Christen aus den unteren Schichten" zusammen-
setzt.
2
2.1. Die historische Entwicklung Korinths seit römischer Herrschaft
Erstmalig zerstört wurde das griechisch-hellenistische Korinth im Jahr 146 v.
Chr.; durchgeführt vom römischen Senat von Lucius Mummius, der durch diese
Zerstörung erst bekannt wurde. Grund und Auslöser waren vor allem wirtschaftli-
che Interessen und die günstige Lage Korinths, die diese Stadt zu etwas Besonde-
rem machten. Dank dieser Motive baute Julius Cäsar Korinth im Jahre 44 v. Chr.
wieder auf und gründete die römische Kolonie als Colonia Laus Iulia
1
Friedrich Lang, Die Briefe an die Korinther, in: Peter Stuhlmacher / Hans Weder (Hgg.), NTD 7,
Göttingen ­ Zürich
17
1994, 2.
2
Gerd Theißen, Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde. Ein Beitrag zur Soziologie des
hellenistischen Urchristentums, in: ders., Studien zur Soziologie des Urchristentums (WUNT
19), Tübingen 1983, 232-271, 232f..

3
Corinthiensis neu.
3
Dort siedelte Cäsar in erster Linie italienische Bürger an, allen
voran Freigelassene und Veteranen. Doch neben den beiden Besiedlungsgruppen
der Römer und Griechen wurden auch Juden angesiedelt, wie durch die ,,17 über-
lieferten Namen korinthischer Christen",
4
darunter das vertriebene judenchristli-
che Ehepaar Aquila und Priscilla, deutlich wird. Der römische Einfluss in Korinth
gestaltete das Leben und die Organisation der Kolonie durch und durch; dies spie-
gelte sich nicht nur in der Architektur
5
, sondern auch in den politischen Strukturen
und den sozialen Institutionen wider.
Durch die Neugründung Korinths weitete sich das römische Reich im östlichen
Mittelmeerraum aus und kontrollierte, dank der vorteilhaften Lage, nun auch den
Handel zwischen Ost und West. Aufgrund dieser geografischen Vorzüge ,,auf der
schmalen Landenge zwischen der Ägäis im Osten und der Adria und der kaiserli-
chen Metropole Rom im Westen" wurde die Stadt rasch sowohl zum Zentrum für
die Seefahrt als auch zum ,,Tor zum Osten für die imperiale[n] Geschäfte".
6
Ein
rasanter Aufschwung, der die neugegründete Stadt wirtschaftlich erblühen ließ
und zu einem Wachstum der Bevölkerung verhalf, wodurch Korinth zur Haupt-
stadt der Provinz Archäa und damit zum Mittelpunkt Griechenlands wurde.
2.1.1. Wirtschaftliche Strukturen
Die korinthische Opulenz basierte demnach vor allem auf dem Handel, weil Ko-
rinth als große und reiche Stadt der damaligen Zeit galt. Damit florierten auch die
Finanzgeschäfte; Korinth gehörte neben Patrae und Athen zu einem der drei Ban-
kenzentren Griechenlands`. Als dritter großer Faktor des Wirtschaftsaufschwungs
ist laut Theißen die handwerkliche Produktion zu nennen. So war unter anderem
zum Beispiel das korinthische Erz, das eine besondere Bronzelegierung besaß,
sehr begehrt, wie auch die korinthischen Lampen, die am Ende des 1. Jh. n. Chr.
exportiert wurden.
7
Doch Korinth hatte dank der reichen Bodenschätze, wie es
schon Pindar mit den Worten , (,,dem sicheren Grund der Städte")
beschrieb, weiteres wirtschaftliches Handelsgut zu bieten und war ,,nicht nur am
3
Vgl. Helmut Merklein, Der erste Brief an die Korinther, Kapitel 1-4, in: Erich Gräßner u. a.,
ÖTK 7/1, GTB 511, Gütersloh ­ Würzburg 1992, 27.
4
Vgl. Richard A. Horsley, Die ersten Christen, Bd. 1: Sozialgeschichte des Christentums, Min-
neapolis 2005, 137f..
5
Die Architektur Korinths wird im Rahmen dieser Bachelorarbeit außer Acht gelassen, da sie,
anders als bei der Betrachtung des Götzenopferfleisches in 1Kor 8, für die sozialgeschichtliche
Untersuchung des Herrenmahls nicht relevant ist.
6
Horsley, Christen, 139.
7
Vgl. Theißen, Schichtung, 263f..

4
Transport fremder Güter interessiert".
8
Als Beispiele dafür sind die korinthischen
Vasen und die Töpferindustrie zu nennen. Nachdem die Dächer im 7. Jahrhundert
mit flachen Tonziegeln eingedeckt wurden, stellte man in Korinth auch Groß-
skulpturen aus Ton her. Darüber hinaus genossen die korinthischen Steinschneider
und die Bronzegießer einen guten Ruf, die beispielsweise Gefäße und Spiegel
produzierten. Zudem war Korinth ein ,,Umschlagspunkt für Waren aus dem Os-
ten" wie Öle, Parfüms und Teppiche.
9
2.1.2. Politische und kulturelle Strukturen
Das bedeutendste Kennzeichen Korinths war die wirtschaftliche Prosperität, nicht
etwa die politische Struktur, wie es in anderen römischen Städten üblich war. Ko-
rinth galt vielmehr als ,,unpolitisch", da im Werdegang der historischen Entwick-
lung die Stadt, neben Periandros, ,,kaum einen bedeutenden Staatsmann hervorge-
bracht hat".
10
Zur Blütezeit der anderen griechischen Städte kehrte in Korinth eine
politische Ruhezeit ein, als wäre die Stadt strategisch auf der Strecke geblieben.
Gestützt wird diese These von den archäologischen Funden, da ,,das
Inschriftmaterial der Stadt äußerst dürftig" blieb.
11
Schlussfolgern lässt sich da-
raus, dass bei den Korinthern an öffentlichen Proklamationen und Kundgebungen
wenig Interesse bestand. Begründet ist dies vermutlich in der korinthischen Ge-
schichte, die durch Tyrannei und Adelsherrschaft erst spät mit Demokratie in
Kontakt trat.
12
Die ,,politisch-wirtschaftliche Struktur in Korinth wird mit der im gesamten Rö-
mischen Reich übereingestimmt haben", da auch in Korinth ein Antagonismus
zwischen der Elite und der restlichen Bevölkerung herrschte; so lebten 90% der
Bevölkerung am Existenzminimum oder musste sogar mit weniger auskommen.
13
Die Kluft zwischen Arm und Reich war damit auch in Korinth gegeben, die sich
auch zwischen ,,Bürgern und Nichtbürgern, Freigeborenen und Freigelassenen
8
Vgl. Winfried Elliger, Paulus in Griechenland. Philippi, Thessaloniki, Athen, Korinth, in: Herbert
Haag u. a., Stuttgarter Bibelstudien 92/93, Stuttgart 1978, 207.
9
Vgl. ebd..
10
Vgl. ebd., 208.
11
Ebd.. Vgl. dazu ebd.: Es wurden lediglich sechs Inschriften Korinths gefunden. Dabei lässt sich
ausschließen, dass die Entdeckung weiterer Schriften aufgrund der Marmorvorkommnisse nicht
überliefert werden konnte. Die Materialien, die die Korinther zur Verfügung hatten, wie etwa
Kalkstein oder Steinbasen, hätten laut der archäologischen Gewissheit, gefunden werden können.
12
Vgl. ebd., 208f..
13
Horsley, Christen, 139.

5
sowie zwischen Freigeborenen und Sklaven" zeigte.
14
Gerade die Sklaverei in und
um Korinth spielte hier eine große Rolle. Wie Horsley verdeutlicht, hatte diese
,,einen großen indirekten Einfluss auf das soziale Ethos in Korinth". Das Odium
der Vergangenheit bestimmte das Leben von Männer und Frauen, sodass auch
ihre Nachkommen noch als unehrenhaft galten. All diesen Menschen fehlte in
Korinth ,,eine gemeinsame Volkszugehörigkeit und Kultur", die besonders in der
sozialen Schichtung Korinths und der Gemeindebildung ins Auge fiel.
15
Die Vielzahl von Handelsgütern und die Blüte Korinths brachten zudem nicht nur
Händler, sondern vor allem auch Reisende in die römische Stadt. Schon bald
herrschte eine multikulturelle Atmosphäre in Korinth, die unter anderem durch die
römische Kolonisierung und die damit verbundene Besiedlung einherging. Das
Zentrum Griechenlands war alsbald geprägt von einem Bündel an Sprachen, da-
runter vor allem Griechisch und Latein, und einem ,,Nebeneinander von römi-
schen politischen und griechischen kulturellen und religiösen Formen".
16
Dadurch war die Stadt nicht nur Umschlagspunkt materieller Güter, sondern auch
von ,,geistige[r] Beweglichkeit" geprägt.
17
Dies äußerte sich insbesondere durch
die kulturelle Vielfalt und die Offenheit der Korinther für fremde Religionen, My-
then und das Willkommenheißen diverser Denker und Philosophen. Grund dafür
war beispielsweise, dass die Stadt Korinth ,,keine Kontinuität in ihrer Tradition
hatte", denn alles dort Vorhandene war ,,nicht älter als 100 Jahre".
18
Durch die wirtschaftliche Varianz der Stadt rückte diese Unterscheidung immer
weiter in den Hintergrund, sodass eine Entwicklung der Bevölkerungsmehrheit
durch die Zugezogenen deutlich wurde. Diese flohen zumeist aus ihren Heimat-
städten in der Hoffnung, in Korinth ein neues und vor allem besseres Leben an-
fangen zu können. Horsley spricht bei dieser Entwicklung von einem Gewinn, da
,,die Anwesenheit dieser Menschen mit unterschiedlichen ethnischen und kulturellen
Hintergründen [...] zu einem Ethos beigetragen haben [wird], das durch soziale Ent-
wurzelung und fehlende traditionale kulturelle Orientierung der Stadtbevölkerung be-
stimmt gewesen ist".
19
Es ist bis hierhin festzuhalten, dass Korinth eine Stadt im Wandel war; zunächst
durch die Zerstörung gedemütigt, unter dem Wiederaufbau von Cäsar zum Zent-
14
Elliger, Paulus, 206.
15
Horsley, Christen, 141.
16
Vgl. Ebd., 139.
17
Vgl. Merklein, Brief, 27f..
18
Theißen, Schichtung, 262.
19
Vgl. Horsley, Christen, 140.

6
rum Griechenlands geworden und dank der verschiedenen kulturellen, wirtschaft-
lichen und auch politischen Einflüsse zu einer multikulturellen Stadt erblüht. Da-
bei ist es gewiss kein Zufall, dass ,,Paulus in der traditionsbewussten Stadt Athen
nach Apg 17 keinen Erfolg hatte, aber in Korinth ,viel Volk` für den christlichen
Glauben" in allen Bevölkerungsschichten gewann. Das Dasein der Korinther, die
in einem Land lebten, dessen Kultur als Mythos galt, sich dieser aber nicht ver-
schrieben, war der Nährboden für ,,das Verlangen nach einer neuen sozialen und
kulturellen Identität".
20
Sofern Theißens These zutrifft, ist für den weiteren Ver-
lauf dieser Arbeit anzunehmen, dass die Bewohner Korinths das Christentum zur
Identitätsfindung und -bildung willkommen hießen. Dies bedeute, die Christen
und die Gemeinde Korinths zeichnen sich besonders durch soziale Heterogenität
aus.
2.2. Soziale Strukturen und Schichtungen der Gemeinde in Korinth
Das Aufstreben Korinths brachte jedoch auch seine Schattenseiten mit sich, weil
sich dadurch ,,die Schichten sehr viel deutlicher voneinander [abhoben] als an-
derswo".
21
Die Menschen, die den unteren Schichten angehörten, waren der ho-
hen, sich verbreitenden Arbeitslosigkeit in der Stadt ausgesetzt und konnten da-
durch nicht an dem wirtschaftlichen Wohlstand Korinths teilhaben. Gerade ,,im 2.
und 3. nachchristlichen Jahrhundert" erreichte die ,,Verarmung des Landes" ihren
Höhepunkt.
22
Korinth bot da keine Ausnahme, sondern schloss sich dem allge-
meinen Standard der griechischen Städte an, die allesamt mit der Schneise von
Armut und Reichtum zu kämpfen hatten.
Theißen untersucht diesen Sozialstatus der Gemeindemitglieder hinsichtlich der
Fragestellung, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich das Bestehen von
den Mitgliedern des gehobenen Sozialstatus belegen lässt. Der Fokus dieser Un-
tersuchung ergibt sich aus den von Paulus überlieferten Worten der korinthischen
Gemeindebildung,
23
den drei Kategorien von Menschen: Weise, Mächtige und
Hochgeborene (1Kor 1,26-29).
24
Dies wirft die Frage auf, wieso Paulus davon
ausging, die korinthischen Glaubensbrüder würden sich durch Weisheit, soziale
20
Theißen, Schichtung, 262.
21
Ebd., 264.
22
Vgl. Elliger, Paulus, 246f..
23
Mit Paulus` Ankunft in Korinth und seinem Wirken gründete sich durch ihn und der Hilfe von
Silvanus und Timotheus die christliche Gemeinde. Vgl. dazu: Merklein, Brief, 30.
24
Vgl. Theißen, Schichtung, 233f..

7
Herkunft und Macht auszeichnen. Der Gedanke ,,über Weisheit und Torheit,
Macht und Schwäche" ist ein Rückgriff auf vorher Erwähntes; nach Theißen tritt
bei Paulus durch jedoch eine ,,spezifisch soziologische Kategorie" in
Erscheinung.
25
Die Hochgeborenen erhalten einen soziologischen Sinn in der
Aufzählung, die Paulus wählte. Es ergibt sich die Schlussfolgerung, ,,Mächtige
wären dann Leute mit Einfluss, Weise Angehörige gebildeter Schichten, nämlich
,Weise nach irdischen Maßstäben`".
26
Durch Paulus` Herausstellung nicht viele
wird deutlich, dass es einige weise, einflussreiche und vornehme Mitglieder in
Korinth gegeben haben muss ­ die Aufzählung wäre sonst nichtig. Der Anteil
wird verhältnismäßig gering gewesen sein, doch Paulus schätzte gerade das geis-
tige Wissen dieser Menschen sehr. Dies würde auch sein Interesse an der Beschäf-
tigung und der Vertiefung mit ihrer Weisheit erklären, die in dem Großteil seines
Briefes deutlich wird (Vgl. 1Kor 4,10). Paulus stellte sich ans untere Ende ,,sozia-
ler Prestigeskala" und erhob im gleichen Moment alle korinthischen Gemeinde-
mitglieder in ihrer Einzigartigkeit.
27
Bezogen auf Theißens Untersuchung werden durch die Ämter und Häuser die
Stellung und durch die Dienstleistungen und Reisen die Tätigkeiten innerhalb der
Gemeinde charakterisiert. Dabei gelten die einzelnen vier Kriterien nicht allein als
ausschlaggebende Erkenntnis des Sozialstatus. Erst in ihrer Gesamtschau und der
Analyse, die sich von den Ämtern bis zu den Reisen zieht, kann ein Rückschluss
des gehobenen Sozialstatus der Gemeindemitglieder gegeben werden.
2.2.1. Ämter
Die Ämter geben zunächst einen ersten Aufschluss über die Stellung der korinthi-
schen Gemeindemitglieder (Vgl. Apg 18,8). Je höher die Stellung des Amtes, um-
so begüteter und gehobener war das jeweilige Mitglied. So fällt zum Beispiel
Krispus eine besondere soziale Stellung zu. Er war, als einer der ersten Christen,
,,Synagogenvorsteher der jüdischen Gemeinde".
28
Das Amt des ist
mit der finanziellen Situation des Krispus verbunden, da er sich um die Wartung
rund um die Synagoge kümmern musste und dies darauf schließen lässt, dass er
25
Vgl. Theißen, Schichtung, 233. Dazu ebd.: Theißen erklärt, ,,innerhalb griechischen Sprachbe-
reichs" würden nach Paulus ,,die Vertreter wahrer Weisheit" Erkenntnisse über den sozialen So-
zialstatus aufzeigen. ,,Die Vertreter wahrer Weisheit [...], die in Christus verkörpert sei", lassen
durch die gewählte Anrede eben diesen Aufschluss in den Augen anderer sichtbar werden.
26
Ebd., 234.
27
Ebd., 235.
28
Ebd., 236.

8
ein begüteter Mann war, der gegebenenfalls ,,durch eigene Spenden die Gemein-
dekasse" auffüllen konnte, denn sonst wäre das Amt für ihn nicht umsetzbar ge-
wesen.
29
Seine Konversion zum Christentum brachte zudem nicht nur eine finan-
zielle und soziale Begünstigung im Sinne der ,,gehobenen Sozialstellung" der ko-
rinthischen Gemeindemitglieder mit sich. Er löste auch eine ,,Welle von Übertrit-
ten" aus, da ,,viele Korinther, als sie es hörten, [...] gläubig [wurden] und [...]
sich taufen [ließen]" (Apg 18,8).
30
Neben Krispus kommt möglicherweise auch Erastos, dem Schatzmeister der
Stadt, eine besondere Sozialstellung zu (Röm 16,23). Seine Bedeutung für die
korinthische Gemeinde ist allerdings umstritten, da unklar ist, ob Erastos ,,Inhaber
eines hohen städtischen Amtes" oder doch nur ein Sklave ,,in der Finanzverwal-
tung" war.
31
Dieses Problem kommt aufgrund der griechischen Amtsbezeichnung
und durch die Erasmus-Inschrift ,,ERASTUS. PRO. AED S. P.
STRAVIT" auf.
32
2.2.2. Häuser
Die ,,Häuser" der Erwähnung Paulus` geben zunächst keine Informationen bezüg-
lich des Sozialstatus, allerdings können sie einen Aufschluss der privaten Verhält-
nisse liefern. So ist als erste Annahme festzuhalten: Wer ein Haus besaß, musste
vermögend und damit hochgestellt, also sein. Überliefert wird, dass so-
wohl Stephanes (1Kor 1,16; 16,14ff.) wie auch Krispus (Apg. 18,8) von Paulus
getauft wurden und mit ihrem Haus zum Glauben kamen. Theißen wirft an dieser
Stelle die Frage auf, ob sich daraus schließen lässt, dass sie im Besitz von Sklaven
waren. Besaß ein Gemeindemitglied ein Haus, können damit auch Sklaven ge-
meint bzw. eingeschlossen gewesen sein. Diese Problematik versucht Theißen mit
einer mehrschrittigen Betrachtung aufzuschlüsseln; er wählt einen Rückschluss
,,von juridischer auf nicht-juridische Sprache, von lateinisch auf griechische Wort-
inhalte und von allgemein-antiken auf jüdisch-christlichen Sprachgebrauch".
33
29
Theißen, Schichtung, 236. Vgl. dazu ebd.: Eine Bestätigung dieser Annahme fand man in den
Inschriften, die Aussagen darüber treffen, welche Aufgaben und Aufwendungen
Synagogenvorsteher haben.
30
Dies ist u. a. auch der Grund, weshalb Paulus Krispus eine besondere Stellung in seinem ersten
Korintherbrief zukommen lässt. Er erwähnt ihn an erste Stelle der ,,von ihm getauften Gemein-
demitgliedern". Vgl. dazu Theißen, Schichtung, 236f..
31
Ebd., 237.
32
Elliger, Paulus, 227f..
33
Theißen, Schichtung, 246f..
Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Herrenmahlspraxis in Korinth
Untertitel
Sozialgeschichtlich und theologisch
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik)
Note
2,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
44
Katalognummer
V386005
ISBN (eBook)
9783668606906
ISBN (Buch)
9783668606913
Dateigröße
788 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Herrenmahl, Herrenmahlspraxis, Korinth, Abendmahl, Soziologie in Korinth, 1Kor 11, Paulus, paulinisches Verständnis, Einsetzungsworte, Brotwort, Agape, Kelchwort, vorweggenommenes Privatmahl, korinthische Herrenmahlspraxis
Arbeit zitieren
Annabell Hackfort (Autor:in), 2016, Herrenmahlspraxis in Korinth, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/386005

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