Die Bedeutung und Funktion des Außenseiters in englischer Country House Literatur


Bachelorarbeit, 2017

48 Seiten


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Problemstellung und Zielsetzung
1.2 Struktur der Arbeit

2. Country House Literatur Anfang des 20. Jahrhunderts
2.1 D. H. Lawrence Lady Chatterley’s Lover (1928)
2.2 Vita Sackville-West The Edwardians (1930)

3. Definition eines Außenseiters

4. Analyse - Der Außenseiter in Country House Literatur
4.1 Der Außenseiter und seine Position in der Gesellschaft
4.2 Der Außenseiter und das Country House
4.2.1 Die Rolle des Außenseiters innerhalb des Mikrokosmos Country House
4.2.2 Die Perzeption des Hauses aus Sicht des Außenseiters
4.3 Der Außenseiter und sein Einfluss auf den Protagonisten
4.3.1 Beziehung des Außenseiters zum Protagonisten
4.3.2 Auswirkungen auf das Denken und Handeln des Protagonisten

5. Abschließende Betrachtung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

The stately HOMES OF ENGLAND
How beautiful they stand!
Amidst their tall ancestral trees,
O’er all the pleasant land.
The deer across their greensward bound
Thro’ shade and sunny gleam,
And the swan glides past them with the sound
Of some rejoicing stream.
The merry Homes of England!
Around their hearths by night,
What gladsome looks of household love
Meet, in the ruddy light!
There woman’s voice flows forth in song,
Or childhood’s tale is told,
Or lips move tunefully along
Some glorious page of old.
The blessed Homes of England!
How softly on their bowers
Is laid the holy quietness
That breathes from Sabbath-hours!
Solemn, yet sweet, the church-bell’s chime
Floats through their woods at morn;
All other sounds, in that still time,
Of breeze and leaf are born.
The Cottage Homes of England!
By thousands on her plains,
They are smiling o’er the silvery brooks,
And round the hamlet-fanes.
Thro’ glowing orchards forth they peep,
Each from its nook of leaves,
And fearless there the lowly sheep,
As the bird beneath their eaves.
The free, fair Homes of England!
Long, long, in hut and hall,
May hearts of native proof be rear’d
To guard each hallowed wall!
And green for ever be the groves,
And bright the flowery sod,
Where first the child’s glad spirit loves
Its country and its God!
Felicia Hemans (1827)

Kurzfassung

Die vorliegende Bachelorarbeit untersucht die Bedeutung und Funktion des ‚Außenseitersʻ in englischer Country House Literatur und geht dabei speziell der Frage nach, ob der Außenseiter als Typus definiert werden kann. Im theoretischen Teil wird die Country House Literatur des 20. Jahrhundert vorgestellt und Probleme der Definition des Begriffes Außenseiter betrachtet. Für den analytischen Teil werden der Roman Lady Chatterley’s Lover (1928) von D. H. Lawrence und Vita Sackville-Wests The Edwardians (1930) als Primärliteratur herangezogen. Es wird dargelegt, dass sowohl Oliver Mellors als auch Leonard Anquetil als Außenseiter bestimmte Funktionen erfüllen. Zum einen wird durch sie ein bestimmtes Bild des Hauses als auch des Umlandes vermittelt und zum anderen sind sie in einem besonderen Maß das Medium des Autors hinsichtlich des Wandels in England. Beide Figuren weisen eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten auf. Aufgrund der fehlenden allgemeingültigen Definition des Begriffes Außenseiter und des Rahmens dieser Arbeit ist es dennoch aktuell nicht möglich den Außenseiter als Typus der englischen Country House Literatur zu bestimmen.

Schlagwörter

Englische Country House Literatur, Lawrence, Sackville-West, Lady Chatterley’s Lover, The Edwardians, Außenseiter, Bachelorarbeit, Literaturwissenschaften

Abstract

This bachelor’s thesis evaluates the function and the impact of the ‘outsider’ in English country house literature, whereby the central question emerges if the outsider can be defined as an archetypal character. The theoretical part focuses on 20th century country house literature and problems connected with the definition of the term outsider. D. H. Lawrence’s Lady Chatterley’s Lover (1928) and Vita Sackville West’s The Edwardians (1930) serve as primary literature for the analytical part. It is shown that the outsiders, Oliver Mellors and Leonard Anquetil, fulfil essential functions. Firstly, their intended use lies in transmitting a special view of the country house and the surrounding world. Secondly, they particularly serve as vehicles for the author’s emotions towards the changing England. Both, Anquetil and Mellors, parallel in some respects. However, due to the issues connected with the term outsider and the limited analysis of this thesis it is presently not possible to identify the outsider as a stock figure of the English country house literature .

Keywords

English Country House Literature, Lawrence, Sackville-West, Lady Chatterley’s Lover, The Edwardians, Outsider, Bachelor’s Thesis, Literary Studies

Für meine Eltern und meine Großmutter.

1. Einleitung

Seit Jahrhunderten ist das Country House ein wichtiges Symbol der englischen Kultur und ein prägendes Element in englischer Prosa und Lyrik. Dabei haben sich die Vorstellungen sowie Darstellungen dieses beständigen Phänomens fortwährend verändert. Das Country House Gedicht des 17. Jahrhunderts vermittelt kulturelle und ethische Werte der damaligen Zeit. Dabei sollte in Anlehnung an Ideale der Antike und Renaissance ein Abbild des „virtuous life“ geschaffen werden (Kenny 1984: 1). Der Wandel des Country House Ethos im Laufe der Jahrhunderte wird deutlich, vergleicht man beispielsweise Ben Jonsons mythisches Gedicht To Penshurst (1616)[1] mit Leonard Anquetils[2] Urteil über Chevron als „dead thing, an anachronism, an exquisite survival []“ (ebd. 46 f.).

Bis ins 20. Jahrhundert stand das Country House als Symbol für die englische Aristokratie, „a power rooted in its monopoly of landownership“ (Spring 1980: 122). Dennoch hat sich über die Jahrhunderte die Funktion der traditionellen Familienlandhäuser der Oberschicht verändert. Im späten 17. Jahrhundert verkörperte und repräsentierte das Haus Ideen und Ideale. So war beispielsweise das Haus ein zeitgemäßes Symbol für Stabilität und „the source of legitimacy of the English aristocracy.“ (Boyd McBride 2001: 138). Es existierte „for use more than show“ (Wall 1994: 318). Dieses Idealbild veränderte sich im Laufe der Zeit. Trotz sozialer, ökonomischer und industrieller Revolutionen verwandelten sich die großbürgerlichen Anwesen zusehends in „showcases first of taste, then for wealth, and finally for beauty“ (ebd.). Doch diese Transformation der Sichtweise auf die ländlichen Anwesen sollte nicht die Letzte sein. Der Beginn der landwirtschaftliche Krise 1870, die eingeführten Death Duties und spätestens der Erste Weltkrieg 1914-1918 kündigten im 20. Jahrhundert den Untergang der Ära der Aristokratie und den Zerfall des Country House Ethos an (Kelsall 1993: 155). Mit dem Tod Königin Victorias von England trat 1901 in England ein neues Zeitalter ein, das voller Veränderungen stecken sollte. Dieser Wandel schuf die Basis einer Vielzahl neuer literarische Werke.

Malcolm Kelsall (1993) kommt zu dem Schluss, dass speziell die Veränderungen innerhalb der sozialen und gesellschaftlichen Strukturen in England erheblich zu einem Wandel der Vorstellung des Landhauses beitrugen. Die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, aber auch mit der Gegenwart, löste eine weitere Phase der Enthüllung des imaginativen Ideals des Hauses Anfang des 20. Jahrhunderts aus.

Speziell in der Zwischenkriegszeit ist die veränderte Darstellung des Hauses und seiner Umwelt stark ausgeprägt. „The apparent doom of the country house, which elicited from others a poignant nostalgia and even tragic sense of loss, became for them the occasion of mordant comedy“ (Gill 1972: 135). So beschreibt Richard Gill die edwardianischen Autoren. Mit detailliertem Wissen über herrschende Sitten und Gepflogenheiten der Oberschicht zeichnen zahlreiche Autoren dieser Zeit, als satirists und eligists (ebd. 136), ein Abbild des Country House, das unter dem Begriff Heartbreak House gefasst werden kann (ebd.). Zwei herausragende Romane der Zwischenkriegszeit sind D. H. Lawrences Lady Chatterley’s Lover (1930) und Vita Sackville-Wests The Edwardians (1928). Beide wurden im Abstand von zwei Jahren veröffentlicht. Dennoch unterscheidet sie, dass ihre Handlungen vor und nach dem Ersten Weltkrieg spielen. Dadurch wird zum einen ein differenziertes Bild der Gesellschaft und zum anderen des Country House kreiert, die im Verlauf dieser Arbeit erarbeitet werden sollen.

Mit dem Bild des ländlichen Anwesens geht zeitgleich die Vorstellung einer gewissen Abgrenzung und Ausgrenzung einher. Es existiert ein Innen und ein Außen; ein ‚Besitzen’ und ‚Nichtbesitzen’. Ob es die physische Grenze der Mauer des Anwesens um den Park oder die abstrakte Grenze innerhalb der Gesellschaft hinsichtlich der Zugehörigkeit ist: das Symbol des Herrenhauses scheint mit diesem Konzept verbunden zu sein. Malcolm Kelsall behauptet ebenfalls, der Grund dafür, dass das Country House „settled itself so firmly in the ‚English’ imagination“ (Wall 1994: 318) ist, sei auf die Perspektive von Außenseitern zurückzuführen. Daher scheint es naheliegend, die Bedeutung und Funktion von Außenseitern innerhalb der englischen Country House Literatur der Zwischenkriegszeit zu untersuchen. Cynthia Wall stellt fest, dass die jahrhundertelange Konstruktion dieses Symbols insbesondere durch die „admiration and envy, accommodation and resistance, interpretation and experience, of those outside the walls – the poet, the guest, the servant, the tourist, the critical observer.“ (ebd.) geprägt wurde. Doch wodurch lassen sich Außenseiter der Country House Romane definieren? Um das herauszufinden müssen zunächst Gemeinsamkeiten und die Funktionen der Figuren untersucht werden. Damit einher geht inwiefern der Außenseiter den Protagonisten und somit den Verlauf als auch die Perzeption des Romans prägt. Dabei ist von besonderem Interesse, wie sich die Einstellung der Protagonisten gegenüber dem Landhaus, das gleichzeitig ihr Zuhause und ihrer Herkunft symbolisiert, und der sozialen Strukturen verändert.

Als prägendes Symbol der englischen Literatur und Kultur stellt das Country House ein unausweichliches Element innerhalb der Literaturwissenschaften dar. In Verbindung mit einer bisher vernachlässigten Beschäftigung mit der Rolle des Außenseiters, soll das den Anlass dieser Arbeit begründen.

1.1 Problemstellung und Zielsetzung

Spätestens seit Downton Abbey (2010) ist das Interesse am Country House speziell im Bereich der Populärmedien gestiegen.[3] Als Serienphänomen des 21. Jahrhunderts hat die „Erfolgreichste Serie der Welt“ (Seibel 2014) die Thematik Aristokratie Anfang des 20 Jahrhunderts und das Symbol des Country House in das Interessenbewusstsein vieler Menschen gerufen. Doch was fasziniert so viele Menschen immer wieder an dieser Zeit und dieser gesellschaftlichen Gruppe, sodass diese „particular fascination“ (Byrne 2015: 1) in Film und Print ausgelöst wird? Das edwardianische Zeitalter wird häufig als „last golden age of ease and security, before World War I brought about a grimmer time“ (Thale 1974: 25) betrachtet, wodurch Nostalgie nach einer stabilen und besseren Vergangenheit hervorgerufen wird.[4] Ein weiterer Faktor für den immensen Erfolg ist mit Sicherheit die Tatsache, dass ‚Normalsterblicheʻ gerne einen Einblick in das elitäre, abgeschottete und glamouröse Leben erlangen. Julian Fellowes, Baron Fellowes of West Stafford und Drehbuchautor von Downton Abbey, fasst beides sehr gut zusammen in dem er sagt, dass wir „mit unseren sehnsüchtigen Augen des 21. Jahrhunderts auf alles [schauen] und sehen, diese Welt war anders.“. (Seibel 2014). Besonders im Rahmen dieses Wiederauflebens der Epoche in Medien stellt sich die Frage, wie sich das Haus des englischen Adels, das besonders in literarischen Werken Anfang des 20. Jahrhundert als zentraler Schauplatz dient, zum nationalen Symbol entwickeln konnte und inwieweit sich seine Funktion und literarische Imagination im Wandel der Zeit veränderte. In diesem Zusammenhang erhielten Außenseiterfiguren der Country House Welt in wissenschaftlichen Arbeiten über Werke der 1930er bislang kaum Beachtung.

Da die „nostalgic obsession“ und „cult of the country house“ (Byrne 2015: 3) eine Schnittstelle von Kultur und Literatur ergibt, ist es interessant Außenseiter und ihre Instrumentalisierung im Kontext der literarischen Veränderung des Country House Ethos zu untersuchen. Mit Happy Rural Seat schuf Richard Gill 1972 ein Werk, das bis heute Aktualität besitzt. Er unterstreicht die Relevanz des Gebäudes in Romanen in der die „social, economic, and cultural institution“ eine zentrale Rolle spielt (Gill 1972: 4). Trotz seiner umfangreichen Betrachtung des Landhauses in einer Vielzahl von bedeutsamen Werken des 20. Jahrhunderts wird die Bedeutung des Außenseiters nicht beleuchtet. Die aktuellste Publikation Modernity and the Rural English Novel von Dominic Head, Professor der University of Nottingham, aus dem Jahr 2017, untersucht die Beständigkeit der rural tradition innerhalb englischer Romane des 20. Jahrhunderts. In diesem werden Außenseiterfiguren ausgewählter Romane vereinzelt angesprochen[5], doch generiert es weder eine Idee dieser Figuren in Werken dieser Zeit noch bietet es eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage, ob Außenseiter in Werken der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ähnliche Funktionen ausüben.

Der Außenseiter als Gegenstand einer literaturwissenschaftlichen Arbeit wird dadurch komplex, dass kaum ergiebige Sekundärliteratur zu finden ist. Zum Beispiel gelingt es trotz des Umfangs an soziologischen, psychologischen und literaturwissenschaftlichen Beschäftigungen nur unzureichend eine allgemeingültige Definition vom Begriff des Außenseiters zu finden. Am Ende dieser Arbeit soll daher unter anderem evaluiert werden, ob die Figuren als Stellvertreter eines bisher nicht definierten Typus der englischen Country House Literatur zusammengefasst werden könnten.

Insgesamt lässt sich sagen, dass bisher keine literaturwissenschaftliche Studie existiert, die sich explizit mit der Bedeutung und Funktion der Außenseiterfiguren in englischer Country House Literatur des 20. Jahrhunderts beschäftigt.[6]

Untersucht werden in dieser Arbeit der Wildhüter Oliver Mellors in dem Roman von D. H. Lawrence und Vita Sackville-Wests Forscher Leonard Anquetil, die grundsätzlich unterschiedliche Charaktere darstellen. Dennoch verbindet sie zunächst der Einfluss, den sie auf den Protagonisten haben. Auf differierende Art und Weise gelingt es den beiden Außenseiterfiguren die Protagonisten zu lenken und ein Teil ihres Lebens zu werden. Dabei ist primär von Interesse in wie fern sich die Protagonisten am Ende des Romans ihrer gesellschaftlichen Stellung, ihrer Identität, Herkunft und auch dem Country House gegenüber verhalten und ob dabei die Figur des Außenseiters eine allgemeingültige Funktion erfüllt.

1.2 Struktur der Arbeit

In der vorliegenden Arbeit bilden zwei englische Landhaus-Romane die Basis der Analyse, weshalb zunächst auf die Country House Literatur der Zwischenkriegszeit eingegangen wird. Dabei ist insbesondere der enorme Wandel der kulturellen- als auch literarischen Idealisierung des Country Houses in Verbindung mit dem Machtverlust der Aristokratie zu unterstreichen. Im Anschluss an die allgemeine Betrachtung des Genres gilt es D. H. Lawrence Lady Chatterley’s Lover (1928)[7] sowie Vita Sackville-Wests The Edwardians (1930) vorzustellen, die als Primärliteratur dienen. Da im analytischen Teil der Arbeit der Hauptfokus auf den Außenseiterfiguren liegt, soll an dieser Stelle speziell das Anwesen als Schauplatz der Handlung behandelt werden.

Das zweite Grundlagenkapitel versucht eine allgemeingültige Definition des Außenseiters zu finden und hinterfragt, weshalb diese Figur bislang keinen literarischen Typus darstellt. Das Kapitel ist essentiell, da am Ende der Arbeit beurteilt werden soll, ob die Außenseiterfiguren der beiden Romane, falls sie dieselbe Funktion erfüllen, zu diesem möglichen literarischen Typus gehören.

Das vierte Kapitel widmet sich ausschließlich der Analyse der beiden Außenseiter. Es soll zum einen seine Position in der Gesellschaft und zum anderen die Beziehung zum Country House herausgearbeitet werden. Außerdem wird die Verbindung des Außenseiters zum Protagonisten beleuchtet und eingeschätzt inwiefern das Denken und Verhalten der Protagonisten durch Mellors und Anquetil beeinflusst werden. Ziel dieser Arbeit ist es schließlich die Bedeutung und Funktion des Außenseiters in Verbindung mit dem Wandel der literarischen Imagination innerhalb der englischen Country House Romane und speziell während der Zwischenkriegszeit herauszuarbeiten.

2. Country House Literatur Anfang des 20. Jahrhunderts

In der Literatur des 19. Jahrhunderts:

[] the countryside was idealized as the setting for traditional and harmonious social relations. The poetry of the period, drawing on romanticism and classical pantheism, presented love of Nature as a transcendental experience, a form of worship; a mystical attachment to Nature when faith in a conventional creator was on the wane, seemed to feed people’s unquenched spiritual needs in an increasingly godless and materialistic age. (Lowe 1989: 115)

Philip Lowe bringt an dieser Stelle zum Ausdruck, dass das aristokratische Landhaus, besonders in Verbindung mit der übersinnlichen Kraft der Natur, als Symbol einer idealisierten und harmonischen Gesellschaft fungierte. Es stellte eine wichtige Komponente der Countryside Kulisse dar, die speziell seit den 1840ern mit dem Aufkommen des day trips eine große Beliebtheit seitens der städtischen Bevölkerung gewann (Rogers 1989: 108 f.). Einige Autoren des 19. Jahrhunderts nahmen sich der Aufgabe an „to demystify the image of the country house and its historical values“ (Wall 1994: 318), während das Haus weiterhin als zentraler Schauplatz Anwendung fand. Die Jahrhundertwende machte das Motiv des Country House keinesfalls uninteressant. Der Schatten der Moderne, unter anderem bedingt durch den Wandel von Landwirtschaft zu Industrie in England, sowie der Erste Weltkrieg, der einen großen Macht- und Prestigeverlust für die Aristokratie bedeutete, beeinflussten ebenso die Sichtweise des aristokratischen Landhauses. Eine idealisierte und imaginierte, englische Gesellschaft ohne Klassenunterteilung, die Felicia Hemans 1827 in ihrem Gedicht Homes of England vermittelt, war nun, mehr als je zuvor, nicht existent. Die Veränderungen der Zeit in Verbindung mit einer kollektiven Angst vor der Zukunft verarbeiteten viele Autoren, speziell in der Zwischenkriegszeit, auf unterschiedliche Weise.[8]

Einer dieser Zwischenkriegsromane ist Aldous Huxleys Crome Yellow aus dem Jahr 1921, das einen Wandel des Landhauses, jedoch einer unveränderten Gesellschaft nach dem Krieg thematisiert. Als der Protagonist Denis auf dem Anwesen ankommt, findet er ein leeres Haus vor

All was quiet; [] He was rather glad that they were all out; it was amusing to wander through the house as though one were exploring a dead, deserted Pompeii. What sort of life would the excavator reconstruct from these remains; how would he people these empty chambers? [] Among the accumulations of ten generations the living had left but few traces. (Huxley [1921] 1952: 5)

Zeitgleich ist das Haus der Gastgeber „[] to another Peacockian assemblage of eccentrics talking, posing, and flirting in an atmosphere of disenchantment and futility.“ (Gill 1972: 140). Dennoch, wer wird künftig diese Räume füllen und was wird mit den leblosen Gemäuern passieren? Eine Frage die zur damaligen Zeit höchste Aktualität besaß. Im Gegensatz dazu steht die Nostalgie nach dem Vergangenen im Zentrum Christopher Isherwoods Roman The Memorial (1932), das als „post World War I education in the twenties“ (Izzo 2005: 103) gilt. Der autobiographische Roman (ebd. 105) wurde speziell durch Isherwoods Aufenthalt in Deutschland geprägt, wodurch er einen distanzierten Blick auf das „recently old England“ (ebd. 104) erhielt und somit vermeintlich aus einer emotional losgelösten Perspektive beurteilen konnte. Der Verlust der Herrenhäuser und die nostalgische Erinnerung an vergangene Tage wird durch die Witwe Mrs. Vernon und ihre „enduring grief and devotion to the past“ (ebd.) personifiziert.[9] Während einer Besichtigung eines alten Hauses, das die Besitzer vor kurzem aufgegeben hatten, wendet sie sich zu einem Freund und offenbart

‚I can’t bear to think of all this passing away.ʻ There was real emotion in her voice. [] ‚People want to destroy all this,ʻ she said. ‚But what have they got to put in its place? [] At any rate, they’ve got no use for us.ʻ (Isherwood [1932] 1960: 29 f.)

Im vierten und letzten Abschnitt des Romans, der 1929 spielt, „Vernon Hall is now a run-down symbol of the past that the characters either cling to or reject or both.“ (Izzo 2005: 104). Der Zwiespalt in der Haltung zur Vergangenheit wird dadurch insbesondere deutlich.

Die Frage nach der Zukunft sowie Nostalgie und Enthüllung greifen zwei weitere einflussreiche und bedeutsame englischen Country House Romane der Zwischenkriegszeit auf: Lady Chatterley’s Lover und The Edwardians, die 1928 und 1930 publiziert wurden. Im Folgenden sollen beiden Werke einzeln betrachtet werden wobei die Darstellung des Hauses im Fokus steht. Einerseits ist es interessant zu sehen, inwieweit autobiographische Elemente in die Schauplätze der beiden Romane eingeflossen sind. Andererseits soll beschrieben werden wie und durch wen dem Leser hauptsächlich Eindrücke des Hauses vermittelt werden. Trotz ihrer unmittelbaren Publikation spielen sie nicht zur selben Zeit. Zwischen ihren Handlungen liegt ein Weltkrieg, der einen signifikanten Wandel innerhalb der Gesellschaft hervorbrachte. Wie dieser Wandel von den Autoren im Text ausgedrückt wird soll zu einem späteren Zeitpunkt erläutert werden.

2.1 D. H. Lawrence Lady Chatterley’s Lover (1928)

Der Autor schafft mit Lady Chatterley’s Lover ein zeitloses Werk, dass die Bedeutung von zwischenmenschlichen Beziehungen, Verlangen und Sexualität hervorhebt. In The White Peacock, einem seiner früheren Romane aus dem Jahr 1911, soll das gleichnamige Heim Lamb Close House der Kohlegrubenfamilie Barber als Vorbild für seinen Roman gedient haben (Rintoul 1993: 584). Angeblich war dieses auch Vorlage für Wragby Hall (Gill 1972: 148), das Herrenhaus in Lady Chatterley’s Lover.[10] Im September 1927 ist Lawrence durch Derbyshire gefahren, was ihn hinsichtlich des Hauses und auch Connie Chatterley’s Autofahrt von Tevershall nach Uthwaite inspiriert haben soll (Britton 1988: 10 f.).[11] Eine weitere Parallele der beiden Romane stellen die Kohlegruben[12] dar. Sir Clifford Chatterley ist der Hausherr von Wragby Hall und Eigentümer diverser Mienen, die ihn zu seinem Wohlstand gebracht haben.

Das Bild, das der Leser von Wragby und dem Umland erhält, wird hauptsächlich durch die Beschreibungen der Eheleute Chatterley geprägt.[13] Im Gegensatz zu Clifford, „professed to like Wragby better than London.“ (Lawrence [1960] 2015: 15), verspürt Connie von Anfang an eine gewisse Aversion gegenüber der Landschaft und dem Haus: „[] Wragby and its walls, and now she hated it, especially its thick walls. Walls! Always walls!“ (ebd. 86). Das Haus ähnelt in keiner Weise dem Country House Ideal der vergangenen Jahrhunderte; ein Monument das mit der Natur eine harmonische Symbiose eingeht und ein Rückzugsort von der hektischen Stadt darstellt. Stattdessen, fast höllengleich, wenn der Wind ungünstig steht, ist „the house [was] full of the stench of this sulphurous combustion of the earth’s excrement. But even on windless days the air always smelt of something under-earth: sulphur, iron, coal, or acid.“ (ebd. 15).

In Lady Chatterley’s Lover versucht der Hausherr Clifford die Kohleindustrie und somit auch das Haus wieder zum Leben zu erwecken während andere große Herrenhäuser, wie Squire Winters Shipley, bereits den Kampf um die Existenz verloren haben. „Fritchle was gone, Eastwood was gone, Shipley was going: Squire Winter’s beloved Shipley.“ (ebd. 156). Wragby besteht zwar noch, jedoch hat es, wie sein Besitzer, durch den Krieg an Bedeutung für die Zukunft verloren. Clifford kann keinen Erben zeugen, wovon die Zukunft Wragbys allerdings abhängt.

Die Ambivalente Darstellung Wragbys, das für Clifford „the heart of England“ darstellt (ebd. 44), in Kombination mit der Tatsache, dass sich dort für Connie das trostlose Leben der Gedanken und Wörter abspielt, erzeugt ein Bild eines Hauses, das in den letzten Atemzügen seiner Existenz steht.

2.2 Vita Sackville-West The Edwardians (1930)

Sackville-Wests Roman ist ein Porträt der schillernden Aristokratie im edwardianischen Zeitalter, in dem der Erbe des Familienanwesens in einen Zwiespalt zwischen alten Traditionen und Selbsterfüllung in einer modernen Welt gerät. Als Vorbild für Chevron diente Vita Sackville-Wests Knole, das Herrenhaus in dem die Autorin aufwuchs und dessen Verlust für sie „the grief of her life“ (Glendinning 1983: ix) bedeutete.[14] Dass ihr einstiges Zuhause als Vorlage für einen bloßstellenden Einblick in die aristokratische Gesellschaft diente, ist geradezu ironisch. Gleichermaßen fasziniert, dass die Autorin im Sommer 1929 Virignia Woolf offenbarte: „Such a joke it will be, and everybody will be seriously annoyed.“ (ebd. vii). Die Tatsache, dass Sackville-West das Leben der Aristokratie und ihrer Häuser zugänglich waren, verleiht dem Roman sowie ihrer Kritik an den Konventionen und Zwängen der Aristokratie eine Authentizität, die ein Außenseiter dieser Gesellschaft nur bedingt hätte erschaffen können.

Das Bild, das der Leser von Chevron erhält und das hauptsächlich durch den Outsider Leonard Anquetil als auch den Insider Sebastian geprägt wird, ist bilateral. Auf der zweiten Seite des Romans wird das Anwesen als gewaltiges Monument mit „acres of red-brown roof“ beschrieben, umgeben von einem „lawn of brilliant green“. Die rot blaue Fahne weht träge im Wind während eine Herde von Rehen im Schatten des Parks steht (Sackville-West [1930] 2016: 2 f.). Im ersten Moment vermittelt diese Beschreibung den Eindruck des Paradieses in dem Menschen und Natur in einer perfekten Symbiose zusammenleben. Doch scheint es bei genauerer Betrachtung viel mehr einem statischen Bild, einem Porträt, einer isolierten Bilderbuchwelt zu gleichen. Trotz der Beschreibung des saftigen Grüns und des Wedelns der Rehschwänze, transportiert die erste Beschreibung Anquetils ein Bild der Stagnation. Er beschreibt die „world of the élite“ (ebd. 8), deren Tage alle gleich sind, die sich eher mit „facts than ideas“ (ebd. 7) beschäftigen und aus welcher „intruders were rigorously excluded“ (ebd. 9).

[...]


[1] In dem Gedicht beschreibt Jonson als Gast das Anwesen von Lord Sidney als eindrucksvollen Rückzugsort und betont dabei unter anderem die Pflichten des Hausherrn als zentrale Figur im Country House Mikrokosmos.

[2] Vita Sackville-Wests Außenseiterfigur aus The Edwardians (1930)

[3] Das Phänomen der Begeisterung für Filme und Serien die einen Einblick in das aristokratische Leben der edwardianischen Ära (bis Ende des Ersten Weltkrieges) gewähren, beschreibt Katherine Byrne ausführlich in ihrem Werk Edwardians on Screen: From Downton Abbey to Parade’s End (2015). Dabei betrachtet sie speziell die Erinnerungskultur, die mit Serien wie Downton Abbey (2010-15) , Mr Selfridge (2013-16) , The Forsyte Sage (2002) , Parade’s End (2012) und The Village (2013-14) verbunden ist und behandelt jede Serie unter einem ausgewählten Gesichtspunkt.

[4] Byrne zufolge besitzen edwardianische Serien einen enormen Einfluss auf den zeitgenössischen Eindruck dieser Ära. (Byrne 2015: 2)

[5] Dominic Head sagt diesbezüglich über H.E. Bates Zwischenkriegsroman Spella Ho (1938) „The outsider [Shadbolt] takes possession of the compelling country house, completing the transition from country labourer to industrial magnate, and this is a moment of profound ambivalence. The country house, emptied of its traditional attributes of class power, becomes the property of the ordinary man who is largely responsible for the improvement of living standards in Castor.“ (Head 2017: 15)

[6] Generell fällt auf, dass sich primär psychologische und soziologische Studien mit dem Konzept des Außenseiters beschäftigen. Wird nach literaturwissenschaftlichen Publikationen gesucht, stößt man häufig auf Analysen des Archetpyens ‘the other’. Dies tritt speziell im Rahmen des postkolonialen und postmodernen Diskurses auf, der unter anderem zum Untersuchungsgegenstand hat „how the subject conceives itself with relation to the other, with how groups of ‘us’ and ‘them’ stand with relation to each other“ (Neimneh 2013: 133). Einer der wichtigsten Beiträge innerhalb der postkolonialen Theorie stellt Saids Kritik am Orientalismus in seinem 1978 publizierten Text Orientalism dar. Insbesondere wird auf die Konstruktion des Orients als Produkt des Westens während des Imperialismus eingegangen (Said 2001). Neben Saids Manifest beschäftig sich Benita Parry in Current Theories of Colonial Discourses 1987 ebenfalls mit Spivak der sich explizit mit ‘self’ and ‘other’ befasst.

[7] Da eine Analyse aller drei Wildhüter, die Lawrence während seines Schaffensprozesses der finalen Version kreierte, den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, soll im Folgenden nur Oliver Mellors, der Wildhüter der dritten Version, behandelt werden.

[8] Vgl. Gill 1972: 135-163.

[9] Vgl. Gill 1972: 160-162.

[10] Obwohl in diesem Fall unterschiedliche Meinungen existieren, denn auch Teversel Manor könnte als Vorbild für Wragby Hall gedient haben (Watson 2013). Dieses steht in Nottinghamshire, der Grafschaft in der Lawrence geboren wurde und aufwuchs (Spencer 1980: 9)

[11] Eine graphische Übersicht über Lawrences Tour durch Derbyshire vom 15. September 1926 und seinem Spaziergang mit W.E. Hopkin am 14. September 1926 ist zu finden in Britton 1988: xvi-xvii.

[12] Das wiederkehrende Element Kohlegruben ist dabei autobiographischer Natur, da Lawrence Vater „had worked down ‚the pit’ since he was ten years old“ (Spencer 1980: 9). Für weitere Information zum Leben von D. H. Lawrence vgl. Bell 2009.

[13] Interessant ist, dass der Roman sich dabei deutlich von The Edwardians unterscheidet. Vita Sackville-West stellt besonders die Wahrnehmung des Außenseiters Leonard Anquetil in den Vordergrund, um dem Leser einen Eindruck von Chevron zu vermitteln.

[14] Als Einzelkind und Tochter war Vita Sackville-West gesetzlich nicht berechtigt das Anwesen nach dem Tod ihres Vaters Lord Sackville zu erben. Diese Tatsache sowie die 300 Jahre alte Tradition des Herrenhauses diente Virginia Woolf als Vorbild ihres Romans Orlando (Glendinning 1983: ix)

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Details

Titel
Die Bedeutung und Funktion des Außenseiters in englischer Country House Literatur
Autor
Jahr
2017
Seiten
48
Katalognummer
V386536
ISBN (eBook)
9783668762923
ISBN (Buch)
9783668762930
Dateigröße
661 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bedeutung, funktion, außenseiters, country, house, literatur
Arbeit zitieren
Laura Gonser (Autor:in), 2017, Die Bedeutung und Funktion des Außenseiters in englischer Country House Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/386536

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