Ethische Fragen an die moderne Medizin in Bezug auf molekulare und gentechnische Entwicklungen und deren Bedeutung für Mensch und Gesellschaft


Seminararbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das „gute Leben“?

3. Der Begriff der „Würde des Menschen“

4. Die Problematik des moralischen Dilemmas

5. Selbstbild und Anspruch der Medizin
5.1. Die „Einbecker Empfehlungen“

6. Möglichkeiten der pränatale Diagnostiken
6.1. Ultraschalluntersuchung
6.2. Fruchtwasseruntersuchung
6.3. Präimplantationsdiagnostik
6.4. Abtreibung als Folge
6.5. „Neugeboreneneuthanasie“
6.6. Die „Praktische Ethik“ Peter Singers

7. Negative Eugenik - Positive Eugenik - „Liberale Eugenik“?

8. Schlussgedanken

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“1

Was ist der Mensch? Was macht einen Menschen zum Menschen und welchen Wert verkörpert ein Menschenleben, welchen Nutzen bringt es? Gibt es ein Lebensrecht für alle Menschen und muss dieses begründbar sein? Gibt es ein „lebenswertes“ und ein „lebensunwertes“ Leben? Worüber definiert sich der Wert eines Menschen?

Diese Fragen, auf die die Antworten unserem allgemeinen Menschenbild und dem in Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland statuierten Grundsatz folgend keiner langen Diskussion bedürften, sind durch verschiedene Entwicklungen in jüngster Vergangenheit in den Fokus des allgemeinen Interesses geraten und sind so selbstverständlich wie angenommen nicht mehr zu beantworten. Zu diesen Entwicklungen gehört unter anderem der Fortschritt im Bereich der molekularen Medizin und der Gentechnologie, durch den die wesentlichen Kernaussagen und ethischen und moralischen Vorstellungen von Menschenwürde und Menschsein in Frage gestellt werden. Die Hoffnungen, die durch die neuen medizinischen Möglichkeiten entstanden, nämlich das Heilen von bisher unheilbaren Krankheiten oder die gezielte Prävention von Gebrechen durch genetische Eingriffe, stehen in einem krassen Gegensatz zu den potentiellen Gefahren dieser Technik. Dies sind die durch die Optimierung möglich werdenden Einstellungen der Gesellschaft zu den mit Mängeln Behafteten, die durch den neuen Anspruch der Gefahr der Selektion unterliegen. Anders ausgedrückt: Der „perfektionierte“ Mensch kann als Maßstab die Existenz des „fehlerhaften“ Menschen bedrohen, dessen Sein als „vermeidbarer Schaden“ bewertet wird. Es geht hierbei also nicht um eine bloße Vor- oder Nachteilsdiskussion für bestimmte Personen, sondern tatsächlich um Leben- oder Sterbenlassen.

Im folgenden werde ich versuchen, die Prozesse, die diese Entwicklung bedingen, herauszuarbeiten und ihre Ursachen anhand der Problematik der Eugenik, also der „(...) praktische(n) Anwendung der Erkenntnisse der Humangenetik,(...)“2 in Bezug auf Menschen mit Behinderung zu untersuchen, da gerade diese Menschen von den Folgen der fortschreitenden Biomedizin betroffen sind. Der Fokus wird dabei auch auf dem eigentlichen Zweck der Technik liegen, da diese nie wertfrei sein kann und eine von Menschen entwickelte Technik immer - egal, ob es sich dabei um die Erfindung des Rades oder der Atombombe handelt - ein mit einem bestimmten Wert verbundenes Phänomen ist. Im Bereich des medizinischen Fortschritts heißt die Frage also: Handelt es sich bei technischen Möglichkeiten um eine Art der pränatalen Selektion oder eine Prävention von Behinderung?

2. Das „gute Leben“?

Der Begriff der Ethik ist heutzutage in aller Munde. Zu fast jedem kontrovers diskutierten Thema gründet sich irgendwo eine Ethikkommission, in denen dann schlaue Menschen Stellung zu diesen Themen beziehen. Trotz des konjunkturellen Gebrauchs des Begriffes in fast allen Bereichen des Lebens haben die meisten Menschen nur eine ungenaue Vorstellung, was damit eigentlich gemeint ist.

Die Ethik, eine Disziplin der Philosophie, beschäftigt sich im Wesentlichen mit zwei grundsätzlichen Fragen:

„1. Was ist gutes Leben?

2. Durch welche Handlungen nähern wir uns dem guten Leben an?“3

Ethische Überlegungen beschäftigen sich demnach mit dem menschlichen Verhalten und dem Bestreben nach dem richtigen, dem „guten Leben“. Was aber ist für die ethischen Denker und Alltagsgebraucher ein „gutes Leben“?

Die Definition des „guten Lebens“ ist sicherlich an die Vorstellungen der jeweiligen Gesellschaft gebunden. Deshalb beziehe ich mich auf die Ethik, wie sie im Kontext der westlichen Zivilisation verstanden wird. PRAETORIUS nennt als die entscheidenden Grundbedingungen zum Erreichen des „guten Lebens“ „(...) die Erfüllung der Grundbedürfnisse und die Verwirklichung der Menschenrechte für alle (...).“4 Die Werte, auf die sich die Definition von Ethik stützt, sind also traditionelle Thesen der Aufklärung. Das Streben nach der Erfüllung unserer Grundbedürfnisse durch ein aktives Reflektieren der damit verbundenen Handlungen ist also die wesentliche Kernaussage auf der Suche nach dem „guten Leben“.

Um ethisch handeln zu können, muss sich der Mensch die zwei am Anfang genannten Fragen immer wieder bewusst machen und sein Handeln danach ausrichten, sowohl im Privaten, als auch in der Öffentlichkeit. Dies gilt besonders für bestimmte Berufsgruppen, die in ihrer täglichen Tätigkeitsausübung die Peripherie ethischer Fragen immer wieder berühren. Dazu gehört unter anderem der Berufsstand der Mediziner. Allein dadurch, dass etwas machbar ist, trägt es nicht zwangsläufig zum „guten Leben“ bei.

3. Der Begriff der „Würde des Menschen“

Die Menschenwürde bezeichnet den absoluten inneren Wert des Menschen. Der Begriff der Würde ist ein nicht zu steigernder Superlativ. Dabei haben alle Menschen ohne Berücksichtigung individualisierender Merkmale wie Geschlecht, Hautfarbe, Behinderung und körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit ein Anrecht auf Anerkennung menschlicher Würde. Die Frage nach dem Beginn von Menschenwürde ist eng verknüpft mit der Frage nach dem Beginn menschlichen Lebens. Streng genommen beginnt menschliches Leben mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Demnach hat schon der junge Embryo ein durch die Menschenwürde abgeleitetes Recht auf Schutz des Lebens. Dieses unveräußerliche Recht auf Schutz des Lebens ist jedem Menschen angeboren, wie die Würde muss es nicht durch besondere Merkmale oder Leistungen verdient werden, sondern steht jedem Menschen ohne Unterschied zu. Der Schutz des Lebens ist die Minimaldefinition und gleichzeitig die Hauptaufgabe des Würdebegriffes. Bei ANTOR/BLEIDICK ist im Zusammenhang mit der Diskussion um den sogenannten Abtreibungsparagraphen 218 StGB ein Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 28.Mai 1993 beschrieben: „Auch dem ungeborenen ,menschlichen Leben‘ komme ,Menschenwürde und somit Lebensrecht‘ zu.“5 Der Begriff der Menschenwürde bezeichnet also einen Schutzraum des Menschen, in den der Zugriff durch andere verwehrt bleiben muss.

4. Die Problematik des moralischen Dilemmas

Unter einem moralischen Dilemma versteht man die Unvereinbarkeit mehrerer ethischer Verpflichtungen in einer Situation. Die Entscheidung für eine ethische Verpflichtung führt zu einer Negation der anderen, wodurch ein innerer Konflikt entstehen kann. Moralische Dilemmata entstehen in ganz alltäglichen Situationen, wodurch ihre eigentliche Relevanz als ein nicht wirklich existentes Problem wahrgenommen wird.

So birgt beispielsweise die Problematik der Abtreibung ein moralisches Dilemma in sich. Die ethische Verpflichtung des Mediziners, sein Können in den Dienst des Lebens zu stellen, kollidiert mit der möglichen Notwendigkeit, eine Abtreibung vorzunehmen, um dadurch beispielsweise das Leben der Mutter zu schützen.

Aber nicht nur in der Anwendung, sondern auch im Bereich der medizinischen Forschung sind ethische Dilemmata häufig anzutreffen. Ein besonderes ethisches Dilemma tritt bei Forschungen auf, durch die voraussichtlich nicht der Betroffene selbst, immerhin aber andere Personen, die von der gleichen Krankheit oder Störung betroffen sind, von den gewonnenen Erkenntnissen Nutzen haben. Hier steht auf der einen Seite das Verbot, eine Person ohne ihre Einwilligung einer Maßnahme zugunsten anderer zu unterziehen, die nicht auch ihrem eigenen Interesse dient ("Instrumentalisierungsverbot"). Auf der anderen Seite steht die ethische Überzeugung, einer Person geringfügige Risiken zumuten zu dürfen, wenn anderen damit eine große Hilfe erwiesen werden kann.

5. Selbstbild und Anspruch der Medizin

Zunächst gilt es, die Frage zu klären, ob es so etwas wie eine medizinische Berufsethik gibt und wenn ja, wozu sie verpflichtet.

Schon seit den Anfängen der Medizin in der Antike waren sich die Ausübenden darüber bewusst, dass sich ihr Wissen um das Wohlergehen anderer missbrauchen lässt. Im Mittelpunkt der ärztlichen Bemühungen stand seit jeher die Sorge um die Gesundheit anderer Mitmenschen, die nur durch Eingriffe in die körperliche Autonomie dieser Lebewesen zu gewährleisten war. Durch sein spezielles Wissen war der Heilende dem zu Heilenden also im Vorteil, der zu Heilende musste dem Heilenden seinen Körper bedingungslos anvertrauen und darauf hoffen, dass dieser sein Wissen nur zu seinem Vorteil anwenden würde. Dadurch entwickelte sich ein Anspruch zur Selbstverpflichtung seitens der Heilkundigen, die „(...) sich auf die ärztliche Kunst, das Verhältnis zum Patienten und zum eigenen Berufsstand.(...)“6 bezog. Als berühmtestes Zeugnis dieses Anspruches gilt der „Eid des Hippokrates“, der, in leicht abgeänderter und aktualisierter Form, heute als „Genfer Ärztegelöbnis“ die Ärzteschaft an wesentliche ethische und moralische Vorstellungen und Vorschriften bindet.

Im „Statut der Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Gundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten“ heißt es dazu in der Präambel: „Medizinische Forschung soll bei der Vermeidung, dem Erkennen und der Behandlung von Erkrankungen helfen.“7 Gleichzeitig müsse sich aber medizinischer Fortschritt auch immer auf die Forschung an Personen stützen, die nicht in der Lage sind, dazu eine Einwilligung abzugeben, um dadurch „(...) bessere Vorbeugung und Diagnose, bessere Arzneimittel und Behandlungsmethoden (...)“8 zu erzielen. Das Wohl mehrerer ist also vorrangig gegenüber dem Wohl wenigerer, und dies ist insbesondere im Hinblick auf nichteinwilligungsfähige Personen, sprich Säuglinge, Neugeborene, Menschen mit geistiger Behinderung und Bewusstlose oder Komapatienten, eine Problematik, über die sich die Medizin durch klare Prioritätensetzung hinwegsetzt.

Der Berufsstand der Ärzte hat neben wenigen anderen Berufsgruppen, wie beispielsweise den Richtern, Geistlichen und Lehrern, eine eigene Berufsethik entwickelt. Diese Ethik, die als ein verbindliches Leitsystem ärztlichen Handelns gesehen werden muss, stößt nun im Bereich der modernen Gentechnologie und der pränatalen Früherkennung genetischer Schäden und den damit verknüpften möglichen Folgen an Grenzen, die die Wege, aber auch die Ziele dieses Leitsystems als damit nicht mehr vereinbar erscheinen lassen. Die Ausübenden dringen in Entscheidungsdimensionen vor, die sie selbst ihrer Berufsethik und ihren Kompetenzen nach nicht allein verantworten können. Die Techniken, derer sich die Mediziner speziell im Kontext der Gentechnik bedienen und die gleichzeitig Dank ihrer Bemühungen immer schneller immer größere Fortschritte macht, scheinen aktuell die berufsethischen Vorsätze, wenn nicht aus dem Blickwinkel, dann wenigstens außerhalb der Grenzen des aktiv Steuerbaren geraten zu lassen. Sie scheinen die Ausübenden schlicht überholt zu haben, sodass ein gefährliches Schlingern zwischen technisch Möglichem und ethisch Vertretbarem eingesetzt hat.

5.1. Die „Einbecker Empfehlungen“

Bei den Einbecker Empfehlungen handelt es sich um eine Orientierungshilfe für Ärzte und pflegendes Personal bei der Behandlung von Frühgeborenen und schwerstbehinderten Säuglingen der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht. Darin sprechen sich die Verantwortlichen „(...) für eine Güterabwägung zwischen ‚dem Bemühen um Leidensvermeidung oder Leidensminderung‛ und ‚dem Bemühen um Lebenserhaltung oder Lebensverlängerung‛ aus.“9

6. Möglichkeiten der pränatale Diagnostiken

Da der Themenkomplex der Molekulargenetik und der Gentechnik eine sehr differenzierte und spezialisierte Terminologie aufweist, möchte ich zunächst die wichtigsten Begriffe näher erläutern, um so eine bessere und einheitliche Verständlichkeit beim Lesen zu erzielen.

[...]


1 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Art. 1 (1) 2002, S.15.

2 Neuer-Miebach, T. 2002, S.293.

3 Ina Praetorius 1991, S.13.

4 Ebd., S.15

5 Ina Praetorius 1991, S.83.

6 Höffe, O. (Hrsg.) 2002, S.160.

7 Statut der Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten 1998, S.4

8 Ebd., S.4

9 Antor, G./Bleidick, U. 2000, S.36.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Ethische Fragen an die moderne Medizin in Bezug auf molekulare und gentechnische Entwicklungen und deren Bedeutung für Mensch und Gesellschaft
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart, früher: Berufsakademie Stuttgart  (FB Sozialwesen)
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V38665
ISBN (eBook)
9783638376600
Dateigröße
453 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ethische, Fragen, Medizin, Bezug, Entwicklungen, Bedeutung, Mensch, Gesellschaft
Arbeit zitieren
Fabian Göbel (Autor:in), 2004, Ethische Fragen an die moderne Medizin in Bezug auf molekulare und gentechnische Entwicklungen und deren Bedeutung für Mensch und Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38665

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