Einleitung
Da Rainer Maria Rilke Italien schon von Kindheit an bereiste und insgesamt sehr viel Zeit an Orten wie Viareggio, Florenz, Venedig, Rom, Neapel, Capri und Duino verbrachte, lohnt es sich, einerseits der Frage nachzugehen, inwieweit das Land, seine Bewohner und seine Kultur auf sein Werk Einfluß hatten und andererseits derjenigen, wie der Dichter von den Italienern aufgenommen, interpretiert und übersetzt wurde. Wie schon an vielen Stellen gesagt, wirkt sich die literarische Vorliebe und Gedankenwelt des Übersetzers, der bisweilen derart in sei-nen jeweiligen historischen und ideologischen Kontext eingebunden ist, daß ihm eine neutrale Sichtweise versperrt bleibt, stark auf das Ergebnis seiner Arbeit und damit auch auf die Wir-kung von Rilkes Dichtung in Italien aus. Deshalb soll hier nach einem Überblick über Italien in Rilkes Werk und einem Abschnitt über die dortige Rezeption von Rilkes Werk eine von Strömungen möglichst unabhängige semantische Analyse der Ersten Duineser Elegie durch-geführt werden, mit deren Ergebnissen zum Abschluß einige Fragmente aus sechs verschie-denen Übersetzungen verglichen werden.
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Italien in Rilkes Werk
2.1. Das Land Italien in Rilkes Werk
2.2 Die bildende und die literarische Kunst in Rilkes Werk
2.3 Die italienische Sprache in Rilkes Werk
3. Die Rezeption von Rilkes Werk in Italien
3.1 Rilkes Bekanntheitsgrad heute
3.2 Bekanntheitsgrad und Wirkung zu Rilkes Lebzeiten und danach
3.3 Wertende Einschätzung durch die Italiener
4. Analyse der Ersten Duineser Elegie
4.1 Raumanalyse
4.2 Figurationsanalyse
4.3 Zeitanalyse
5. Übersetzungsvergleich
5.1 „aus der Engel Ordnungen“ (V1-2)
5.2 „ich verginge von seinem stärkeren Dasein“ (V3-4)
5.3 „wen vermögen wir denn zu brauchen?“ (V9-10)
5.4 I.„die Liebenden“ (V21), II.„eine Geliebte“ (V33), III.„die Liebenden“ (V36), IV.„die Liebenden (V43), V.„der Geliebte“ (V47); VI. „diese Liebende“ (V48); VII.„vom Geliebten“ (V51)
6. Schluß
7. Anhang: Übersetzung aus dem Internet
8. Bibliographische Angaben
1. Einleitung
Da Rainer Maria Rilke Italien schon von Kindheit an bereiste und insgesamt sehr viel Zeit an Orten wie Viareggio, Florenz, Venedig, Rom, Neapel, Capri und Duino verbrachte, lohnt es sich, einerseits der Frage nachzugehen, inwieweit das Land, seine Bewohner und seine Kultur auf sein Werk Einfluß hatten und andererseits derjenigen, wie der Dichter von den Italienern aufgenommen, interpretiert und übersetzt wurde. Wie schon an vielen Stellen gesagt, wirkt sich die literarische Vorliebe und Gedankenwelt des Übersetzers, der bisweilen derart in seinen jeweiligen historischen und ideologischen Kontext eingebunden ist, daß ihm eine neutrale Sichtweise versperrt bleibt, stark auf das Ergebnis seiner Arbeit und damit auch auf die Wirkung von Rilkes Dichtung in Italien aus. Deshalb soll hier nach einem Überblick über Italien in Rilkes Werk und einem Abschnitt über die dortige Rezeption von Rilkes Werk eine von Strömungen möglichst unabhängige semantische Analyse der Ersten Duineser Elegie durchgeführt werden, mit deren Ergebnissen zum Abschluß einige Fragmente aus sechs verschiedenen Übersetzungen verglichen werden.
2. Italien in Rilkes Werk
2.1. Das Land Italien in Rilkes Werk
Entgegen der Meinung vieler Forscher ist der Literaturwissenschaftler Gabetti der Ansicht, daß Italien nicht nur für die Person Rilke, sondern auch für sein Werk eine recht bedeutsame Rolle spielt. Zwar müssen sich Rilkes Italienimpressionen nicht immer sofort in den in diesem Land geschriebenen Gedichten oder in denen, die direkt nach einem Aufenthalt verfaßt wurden, niederschlagen, können aber sehr wohl nach längerer Dauer zum Vorschein kommen. Gabetti erklärt dies mit Rilkes sensiblem und schwankendem Charakter, in dessen Natur es liegt, jedes neues Erlebnis, jede Erfahrung langfristig und stufenweise, in aufeinanderfolgenden Nuancierungen zu verarbeiten: „[...] elaborava in sé ogni nuova esperienza a lungo, gradualmente, in sfumature successive.“[1]
Dennoch direkt und unmittelbar aus einem Aufenthalt in der Toskana hervorgegangen sind seiner Meinung nach der Engelgesang, Die Mädchengesänge, und die Bitten der Mädchen. Doch ist die Verbindung zu Italien hier meist äußerlich. Italien stellt nicht viel mehr dar als einen Landschaftshintergrund: Ein Seebad jenseits eines dunklen Pinienwalds, ein Rot von Rosen jenseits einer geschlossenen Gittertür zu einem Myrten- und Lorbeergarten. Oder das weiße Schimmern einer staubigen Straße in der mit Zypressen betüpfelten Ebene. Oder der Blick mitten zwischen alte, aufgesprungene, niedrige Mäuerchen, die sich hier und da öffnen wie leere Augenhöhlen, als Zeugen eines herrlichen Dahinscheidens.[2]
Auch in Rilkes Lehrgedichten erscheinen die schönen Villen am Meer mit einseitig offener Bogenhalle aus fünf Arkaden; Terrassen mit von Statuen verzierten Säulen; das Treppchen, das in den sich bis zum Strand erstreckenden Garten voller Blumen und Sonne hinabführt; die Platanenallee, in der mit vorsichtigem und langsamem Schritt die beiden Brüder vom Orden der Misericordia einhergehen, das Gesicht von der schwarzen Kapuze verdeckt.[3]
Rilke ist den italienischen Reizen anscheinend ebenso erlegen wie die meisten anderen Reisenden. In dieser Hinsicht sei das Land für ihn jedoch bloß ein schmückendes Detail: „un semplice particolare ornamentale“[4], das wie aus einem Werk der bildenden Künste in Rilkes Poesie geschlüpft sei.
Doch die Atmosphäre an sich, das Thema der genannten Gedichte, habe nichts Italienisches, lediglich ein wenig mehr Licht, einen etwas stärkeren Eindruck von Farbe und deutlichere Konturen in der Formulierung von Gedanken. Auf dieser Ebene habe Rilkes Italienerfahrung also vor allem den Effekt, seiner Sympathie für den Ästhetizismus tatkräftig Ausdruck zu verleihen. Die für diesen Literatur- und Lebensstil des späten 19. Jh. typische Zweckfreiheit der Schönheit spiegele sich z.B. in der Siciliana in parole di broccato wider.[5]
Das Rilkische Lebensgefühl ist Gabetti also eher fremd. Er beschreibt es als zartes, aber blutleeres Schmachten, das in weichen Fluten beständig in sich selbst zurückfließt, so daß eine absurde Innerlichkeit entstehe, weich und perlfarbig wie ein Licht, welches, selbst wenn man es in einer starken Flamme lodern läßt, wie hinter Alabaster brennt.[6]
Trotzdem besteht er darauf, daß Rilke den berauschten Taumel, den ihm sein erster Frühling in der Toskana beschert, nicht als Feuerwerk, nicht als bloßen Kraftaufwand für nichts, definieren dürfte. Die eindrucksvollen Passagen über Venedig, in dessen Kanälen der Dichter stets das Geheimnisvolle sieht, das „einsam und spinnenverwoben“ in den „blinden Palästen“ wohnt[7], demonstrieren unter anderem, wie stark die Italienerfahrung wirklich in Rilke eingeht.[8]
Gabetti weist auch darauf hin, daß Italien mehr als oberflächlich schon im Florenzer Tagebuch präsent ist. Seiner Meinung nach ist in verspäteter und zunächst unbewußter Form sogar das Stundenbuch mit von dem Aufenthalt in diesem Land inspiriert[9] und nicht allein von Rußland, auch wenn dies für Rilke das bedeutendste Land bleibt.
2.2 Die bildende und die literarische Kunst in Rilkes Werk
Noch tiefgründiger als die Landschaft und das zeitgenössische Italien des frühen zwanzigsten Jahrhunderts beeinflußt die Kunst der Renaissance Rilkes Werk, indem sie ihn dazu animiert, sie weiterzuentwickeln.
„E l’arte del Rinascimento gli apparve perciò come un’arte che, nel particolare tono della sua felicità e magnificenza, già rivela le aspirazione dell’anima moderna, ma solo come esigenza e come presentimento, senza le complesse esperienze e il profondo travaglio da cui questo ha derivato la sua nuova ricchezza.“[10]
Zugang zu den Malern, Bildhauern und Architekten wie Carpaccio, Giorgione, Angelico, Tizian, Michelangelo, Botticelli etc. verschafft er sich durch ausgedehnte reflektierende Betrachtungen ihrer Originalwerke. Schriftsteller von der Frührenaissance bis zum Ausgang dieser Epoche, so Dante, Petrarca, Boccaccio, die Gaspara Stampa, Tasso, Michelangelo, liest er im Original und in deutschen Übersetzungen.
Er liebt Petrarca, den „ersten modernen Menschen“[11], mit seinem Ringen um den subjektiven Ausdruck für die erlebte Ambivalenz zwischen antikem Ideal und christlichem Daseinsverständnis: „Was Petrarca betroffen macht, ist die Unmöglichkeit, das zeitlich-räumliche Erleben [...] in der überräumlich-ewigen Bestimmung des Menschen aufgehoben zu sehen.“[12]
Ähnlich wie bei Rilke produziert auch bei diesem Dichter der Frührenaissance gerade die entrückte Liebe, die vermißte Liebe, ein besonders lobenswertes Gefühl, das bei Petrarca dem lyrischen Ich zu dichterischem Ruhm verhilft.
Trotz seiner Bewunderung für den Verfasser der „Sonette an Laura“ übersetzt Rilke lediglich drei seiner Gedichte, was unter anderem daran liegen mag, daß sich schon lange zahlreiche Übersetzer mit dieser Berühmtheit beschäftigt haben und Rilke deshalb keine Herausforderung mehr darin sieht.
Petrarcas Werk hatte nun zu einem regelrechten Petrarkismus geführt, aus welchem sich ab 1530 der verwandte Bembismus entwickelte. In dieser Entwicklung, in die sich auch Gaspara Stampa mit ihren „Rime“ einreihte, stand die vom lyrischen Ich genüßlich akzeptierte Liebes-
pein im Mittelpunkt. „Die Verquickung freudiger und schmerzlicher Empfindungen von sinnlicher Liebe [...] und die Verwandlung selbst schmerzlicher Erfahrung in Freude ist die Eigenart ihres Gedichtzyklus“[13], für den Rilke diese Poetin verehrt. Dennoch bleibt es, was sein Übersetzungsvorhaben ihrer Gedichte betrifft, bei einer Absichtserklärung.
Mehr als ein Jahrhundert nach Petrarca agierte Michelangelo. Für Rilke ist er aus vielerlei Gründen interessant. Thematisch und stilistisch stand er im Rahmen des Petrarkismus.[14] Er ist für Rilke der, der die Steine belauscht.[15] Seine Gedichte, von denen erst im 19. Jahrhundert eine kritische Ausgabe entstand, voller religiöser Mystifikation und Reflexionen über das Diesseitige und das Jenseitige sowie sein Verzicht auf Anschaulichkeit und der Aufbruch syntaktisch zusammengehöriger Glieder regen Rilkes eigenen Schaffensdrang an. Mit den wenigen vorhandenen Übertragungen dieser Gedichte zeigt sich Rilke zudem sehr unzufrieden, was ihn zu dem Versuch bewegt, diese Aufgabe besser und treffender zu bewerkstelligen. So übersetzt er aus der klassischen italienischen Literatur das, was zusammen mit der bildenden Kunst fundamental für seine Italienerfahrung ist.[16]
Kurz, zwischen all diesen Renaissancegrößen und Rilke besteht entweder thematisch oder stilistisch eine gewisse Verwandtschaft. Etwas vom Leitmotiv dieser Epoche, von der Harmonie des Mikro- und des Makrokosmos, verspürt man auch in der Ersten Duineser Elegie.
Russo hält es nicht für verwunderlich, daß Rilke Petrarca und Michelangelo übersetzt. Mehr erstaunt ihn zunächst dagegen Rilkes Beschäftigung mit Leopardi, der rein chronologisch gesehen überhaupt nichts mehr mit dem Italien des Rinascimento zu tun hat, der in dem Jahrhundert starb, in dem Rilke geboren wurde. Leopardi ist aber ein großer Befürworter der Antike und Anhänger der klassisch römischen und griechischen Republiken mit ihren Lebensweisen, was ihn ideell gesehen in einen engen Zusammenhang mit den Humanisten der Renaissance setzt. Zusätzlich gilt er als der luzideste Vertreter der Moderne, dessen Gedanken weit über die zeitgenössische europäische Romantik herausragen.[17] Er gehörte zu einem entpolitisierenden Literatenkreis rund um die Zeitschrift „Ronda“, in deren Nachfolgerin Rilke den Italienern vorgestellt wurde.
Alles in allem spielt, so Russo, vornehmlich das kulturelle Italien eine essentielle Rolle für Rilkes Ausbildung.[18] Im Einklang mit dieser Vermutung stehen auch die Bezugnahme auf die Kirchen von Rom und Neapel und die lobende Erwähnung einer der genannten Renaissanceautoren, der Gaspara Stampa, innerhalb der später zu analysierenden Ersten Duineser Elegie.
2.3 Die italienische Sprache in Rilkes Werk
Auch an der Tatsache, daß Rilke den Versuch unternahm, selbst in italienischer Sprache zu dichten, erkennt man die Bedeutung, die diese Kultur für ihn hatte. La Nascità del sorriso und Dimmi ucello, sempre vai dove il cuore ti porta... finden sich der Gesamtausgabe des Insel Verlags von 1957[19].
3. Die Rezeption von Rilkes Werk in Italien
3.1 Rilkes Bekanntheitsgrad heute
Damit die Aussagen über Rilkes Wirkung als Europäer nicht ausschließlich auf den Beurteilungen etablierter Wissenschaftler beruhen, wurden 18 jüngere ItalienerInnen zu dem deutschsprachigen Dichter befragt. Unter den Befragten sind 15 Studierende, davon mindestens drei am Ende ihres Studiums. Insgesamt sieben Personen zeigen ein spezielles Interesse an deutscher Kultur. Sie wählten Deutsch als zweite Fremdsprache in der Schule und hielten sich längere Zeit in Deutschland auf. Drei von ihnen studieren zur Zeit deutsche Literatur.
Die Auswertung der kurzen Umfrage ergab, daß sechs Personen Rilke nicht einmal vom Namen kennen. Acht Personen sagt der Name etwas. Sie wissen, daß Rilke auf deutsch geschrieben hat, haben in der Schule oder privat einmal ein Gedicht gelesen, an das sie sich aber nicht erinnern; oder sie kennen Gedichte vom Namen, ohne sie gelesen zu haben. Vier der interviewten Italiener und Italienerinnen haben sich am Gymnasium oder im Germanistikstudium intensiv mit Rilke beschäftigt, wobei sie sich sowohl auf das Original als auch auf eine Übersetzung, meist aus den 70er Jahren, stützten.
Generationenübergreifend gilt Rilke jedoch im allgemeinen als bekannte Größe, deren Florenzer Tagebuch ein in Italien gern verschenktes Buch ist. Auch diejenigen der befragten ItalienerInnen, die nun zum Teil begonnen haben, die Duineser Elegien oder Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge zu lesen, sind fasziniert von dem, was die Lektüre in ihnen auslöst.
3.2 Bekanntheitsgrad und Wirkung zu Rilkes Lebzeiten und danach
Bis zu seinem Tod (1926) war von Rilke außerhalb eines beschränkten Kreises von Germanisten und Poesieliebhabern nicht viel mehr bekannt als sein Name.[20] Immerhin übersetzte Leo Negrelli 1923 Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke: Melodia d’amore e di morte dell’alfiere Cristofero Rilke, und im selben Jahr erschien die erste Übersetzung des Stundenbuchs von Lavinia Mazzucchetti (Il libro del giorno), die außerdem einen Aufsatz über Rilke schrieb.
Doch insgesamt fiel seine Schaffenszeit (1897 - 1926) in eine Periode, welche in Italien geprägt war durch die „Politisierung des Kulturellen.“[21] Die vermeintliche Öffnung nach Europa geschah überwiegend mit dem Ziel der Stärkung Italiens und der Vorbereitung einer mediterranen Hegemonie, so daß darin nicht viel Platz für das Wirken ausländischer Künstler blieb.
Doch gegen diese Art der Kultur bildete sich eine Art Opposition in der Monatszeitschrift „La Ronda“. Sie strebte die Entpolitisierung und damit die Literarisierung[22] der Literatur an. Die Nachfolgerin dieser Zeitschrift, die „Solaria“, die in Rilkes Todesjahr gegründet wurde, präsentierte sich ebenfalls ohne explizite Programmatik und brachte durch die Bekanntmachung und Vorstellung ausländischer Autoren den Impuls der tatsächlichen Öffnung nach Europa mit sich. Unter den Rezensierten fanden sich vor allem
„Schriftsteller wie Marcel Proust, André Gide und Paul Valéry, James Joyce und T.S. Eliot, Ernest Hemingway und William Faulkner, Rainer Maria Rilke und Franz Kafka, die thematisch und formal komplexere Fragen aufwerfen und deren problembezogene Präsentation durch Eugenio Montale, Giacomo Debenedetti u.a. die Zeitschrift zum Zentrum der Erneuerung der italienischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts werden lassen.“[23]
Aufgrund dieser kulturellen Situation Italiens ist Rilkes Rezeption auch nach seinem Tod zunächst eher Teil einer Gesamtrezeption von bekannten europäischen Autoren im engen Kreis der einheimischen Intellektuellen. Die so entstehende Gesamtwirkung der über die „Solaria“ nach Italien strömenden symbolistischen und ähnlichen literarischen Neuheiten beeinflußte die dortigen Künstler stärker als ein einzelner ausländischer Autor allein. Nach Russo kannten und kennen einige Italiener Rilke auch wegen seiner Übersetzungen Petrarcas und Michelangelos. Seine Versionen aus dem Italienischen galten und gelten als bemerkenswert.[24]
Dennoch wurde Rilkes Tod in Italien mit kaum mehr als einigen Nachrufen mit kurzem Lebensabriß bedacht, wobei die betrübten Hommagen von Elio Gianturco im Februar 1927 und von Lavinia Mazzucchetti im Oktober 1927 wahre Trauer über das Verscheiden des Dichters ausdrückten.
Im Kontrast zu diesem anfänglich geringen Bekanntheitsgrad ist die Anzahl der späteren italienischen Übersetzer Rilkes recht beachtlich. Unter ihnen waren Bonaventura Tecchi, Elio Gianturco, Vincenzo Errante, Giansiro Ferrata, Giovanni Necco, Leone Traverso, Mirto Doriguzzi, Giaime Pintor, Italo Maione, Rafaello Prati, Guido Sommavilla, Franco Rella.
Die Übersetzer, die Rilke vor allem in den dreißiger und vierziger Jahren in Italien durch ihre Arbeit berühmter machten, waren Mirto Doriguzzi, Vincenzo Errante (1930), Leone Traverso und Giaime Pintor (1942). Jede dieser Übersetzungen ist anders und flößt den italienischen Lesern Elemente der jeweiligen Denk- und Philosophierichtung des Übersetzers ein. Da jeder durch seinen eigenen subjektiven Hintergrund geprägt war, legten alle drei Rilke gemäß dieser persönlichen Sichtweise aus. So erkennt man in Errantes Übersetzungen die dannunzianische Leseweise, in Traversos die orphisch-existenzialistische und in Pintor die klassisch-foskolianische Perspektive. Der Einfluß Errantes war sogar so prägend, daß Rilke für viele Italiener ein deutscher D’Annunzio war[25]. Traverso übersetzte sehr frei und nach seinem Belieben korrigierend, nach dem Motto: „Migliorare il testo!“[26]
[...]
[1] S. S. 83, Gabetti, Giuseppe: L’Italia e la poesia di Rilke. Studi Germanici 9(1971), S.83-95.
[2] Vgl. S. 84, ibd.
[3] Ibd.
[4] Ibd.
[5] Ibd.
[6] Vgl. S. 85, ibd.
[7] Nur widerwillig zitiere ich aus diesem Buch mit eindeutig nationalsozialistischer Perspektive. Ich beschränke mich strikt auf die neutralen Zitate aus Rilkes Briefen, die mit Italien zu tun haben, und auf andere, nicht durch die Ideologie beeinflußbare Fakten. Leider hatte ich für diese Proseminararbeit nicht genügend Zeit, mir alles Italienbezügliche selbst aus Rilkes Briefen herauszusuchen, darum: S. S. 57, Wocke, Helmut: Rilke und Italien. 2., vermehrte Auflage. Gießen, 1940.
[8] Vgl. S. 86, ibd.
[9] Vgl. ibd.
[10] S. S. 87, ibd.
[11] S. S. 60, Kapp, Volker (Hrsg.): Italienische Literaturgeschichte. 2., verbesserte Aufl. Stuttgart, Weimar: Verlag J.B. Metzler, 1994.
[12] S. S. 66, ibd.
[13] S. S. 157, ibd.
[14] Vgl. S. 151, Dieterle, Bernhard: Rilkes Michelangelo-Etüden. In: Manfred Engel und Dieter Lamping (Hrsg.): Rilke und die Weltliteratur. Düsseldorf, Zürich: Artemis & Winkler Verlag, 1999.
[15] Vgl. S. 152, ibd.
[16] Vgl. S. 333, Russo, Fabio: Due Canti di Leopardi tradotti da Rilke. Studi Germanici 14(1976), S.333-345.
[17] Vgl. S. 272, Kapp, Volker (Hrsg.): Italienische Literaturgeschichte.
[18] Vgl. S. 333, Russo, Fabio: Due Canti di Leopardi tradotti da Rilke.
[19] Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 2. Frankfurt: Insel Verlag, 1957.
[20] Vgl. S. 404, Errante, Vincenzo: Rilke. Storia di un’anima e di una poesia. Milano: Edizioni Alpes, 1930.
[21] S. S. 338, Kapp, Volker (Hrsg.): Italienische Literaturgeschichte.
[22] Vgl. S. 339, ibd.
[23] S. ibd.
[24] Vgl. S. 333, Russo, Fabio: Due Canti die Leopardi tradotti da Rilke.
[25] Vgl. S. 170, Kopetzki, Annette: Beim Wort nehmen. Sprachtheoretische und ästhetische Probleme der literarischen Übersetzung. Stuttgart: M und P, Verlag für Wissenschaft und Forschung, 1996
[26] S. S. 45, Terreni, Laura: Nota all’edizione. In: Rainer Maria Rilke: Poesie e Prose. A cura di Laura Terreni. Firenze: Le Lettere, 1992, S. 43-48.
- Arbeit zitieren
- Martina Ochs (Autor:in), 2000, Rainer Maria Rilke und Italien - Wirkung und Übersetzungen am Beispiel der Ersten Duineser Elegie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3867