Bildschirmmedien und Kultur - Ein problematisches Verhältnis? Eine Gegenüberstellung der medienphilosophischen Betrachtungen von Neil Postman und Norbert Bolz


Hausarbeit, 1999

25 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


GLIEDERUNG

1. Einleitung

2. Neil Postman: Wir amüsieren uns zu Tode

3. Norbert Bolz: Das Ende der Gutenberg-Galaxis

4. Postman und Bolz: Übereinstimmungen und Differenzen
4.1 Veränderung der Sprachkultur durch Medien
4.2 Schrift- contra Bildkultur
4.3 Apokalyptischer versus integrierter Kulturbegriff
4.4 Überflüssige Informationen bzw. Notwendigkeit des Informationsflusses

5. Kritische Anmerkungen zu den Autoren
5.1. Kritik an Postman
5.2. Kritik an Bolz

6. Resümee und Ausblick

7. Verwendete Literatur

1. EINLEITUNG

Medien spiegeln den Zustand einer Gesellschaft bzw. Kultur wieder und beeinflussen ihn gleichzeitig auch. Daraus ergibt sich, daß tiefer greifende Veränderungen in der Medienlandschaft Ausdruck grundlegender Veränderungen unserer Gesellschaft bzw. Kultur sind. Gleichzeitig beeinflussen Veränderungen in unserer Medienlandschaft unser Wirklichkeitsverständnis. Veränderte Bedürfnisse der Menschen bewirken ihrerseits eine Mediengestaltung, die auf diese Nachfrage eingeht.

Allein die Tatsache, daß im Zusammenhang mit unserem Fernsehsystem die Vokabel "Grundversorgung" Einzug in Gesetzestexte bzw. Staatsverträge gehalten hat, ist schon bezeichnend. Der Ausdruck "Grundversorgung" im Kontext unseres öffentlich-rechtlichen Rundfunks legt nahe, daß Fernsehen als Tätigkeit ein Grundbedürfnis darstellt wie essen, schlafen und wohnen. Die Funktion des Fernsehens als Ware ist zwar für die Macher, die dieses Wirtschaftsgut herstellen und anbieten - vor allem des kommerziell ausgerichteten Privatfernsehens - vorrangig, doch ist Fernsehen weit mehr, nämlich soziales Kommunikationsmittel bzw. Kommunikationsforum. Mit den Konsequenzen, die sich aus der Rolle des Fernsehens als dem dominierenden Kommunikationsmedium unserer Kultur ergeben, und mit den Folgen, die extensives Fernsehen wiederum auf unsere Wahrnehmung und unser Weltbild hat, beschäftigt sich diese Hausarbeit. Wir stellen zwei konträre medienphilosophische Positionen vor: Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der kulturpessimistischen These Neil Postmans "Wir amüsieren uns zu Tode" und seinem gleichnamigen Buch[1]. Im daran anschließenden Teil stellen wir die Position, unsere Kultur sei "Am Ende der Gutenberg-Galaxis" und die Schlußfolgerungen, die Norbert Bolz daraus zieht, vor[2].

Der bereits angesprochene Umstand, daß seitens der Fernsehmacher kommerzielle Interessen im Vordergrund stehen - sei es bei privaten Anbietern die Vorgabe, gewinnmaximierend zu wirtschaften, sei es bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten die Auflage, kostendeckend zu arbeiten - die sich auf die Programmgestaltung strukturell sowie inhaltlich auswirken, spielt zwar im Hinblick auf den Charakter des Fernsehens eine zentrale Rolle, soll aber angesichts unserer philosophischen Fragestellung nach den Auswirkungen der Medien auf unsere Wahrnehmung in den Hintergrund treten.

In puncto Vergleichbarkeit der Schriften von Postman und Bolz sei gesagt, daß Postman als Medienwissenschaftler seinen Betrachtungen die rein private US-amerikanische Medienlandschaft der 80er Jahre zugrunde legt, während Bolz die bundesrepublikanische Mediensituation der 90er Jahre vor Augen hat. Postman geht es hauptsächlich um den "Untergang" der Lese- und Buchkultur zugunsten des Fernsehens, während Bolz seine Betrachtungen auf Computer und andere, neuere Medien, Hypermedien und den Medienverbund konzentriert.

Während Postman das Verschwinden der Buchkultur bedauert und in der Bildkultur des Fernsehzeitalters eine Gefahr für das menschliche Miteinander innerhalb der Gesellschaft sieht, betrachtet Bolz die heutige Medienlandschaft als notwendiges Resultat der historischen Entwicklung und begrüßt die Vielfalt an Möglichkeiten, die sich aus dem Umgang mit den neuen Medien für den Einzelnen eröffnen.

Der Vergleich wird weiterhin durch die Tatsache erschwert, daß Bolz und Postman unterschiedliche Medienbegriffe zugrunde legen. Postman bezieht den Begriff "Medien" allein auf Massen- oder Kommunikationsmedien, die dem Informationsaustausch dienen. Bolz dagegen knüpft an den systemtheoretischen Medienbegriff, wie ihn Talcott Parsons geprägt hat, an.

An ihre Leser stellen beide äußerst unterschiedliche Ansprüche: Postman widmet sich vorrangig soziologischen Aspekten, die er populistisch darstellt. Bolz dagegen rekapituliert in großem Ausmaß Äußerungen, Wahrnehmung und Intersubjektivität betreffend, aus Philosophie und Literatur sämtlicher Epochen, die in hohem Grade humanistische Vorbildung beim Leser voraussetzen.

Was Bolz' und Postmans Ausführungen vergleichbar macht, ist durch den Umstand gegeben, daß viele der Risiken und Nebenwirkungen, die dem Fernsehen zugeschrieben wurden, heute den neuen Medien angelastet werden.

2. NEIL POSTMAN: WIR AMÜSIEREN UNS ZU TODE

Postman beklagt in seinem Buch den Niedergang des Buchdruck-Zeitalters und den Anbruch des Fernseh-Zeitalters. Dieser Wandel hat zu einer dramatischen und unwiderruflichen Verschiebung im Inhalt und in der Bedeutung des öffentlichen Diskurses geführt. Denn: Zwei so unterschiedliche Medien können nicht die gleichen Themen in sich aufnehmen; in dem Maße, wie der Einfluß des Buchdruckes schwindet, müssen sich die Inhalte der Politik, der Religion, der Bildung und anderer öffentlicher Bereiche verändern und in eine Form gebracht werden, die dem Fernsehen angemessen ist.

Die "Tagesnachrichten" sind ein Produkt unserer technischen Phantasie, sie sind laut Postman ein Medienereignis, das Objektivität nur vortäuscht. Postman erachtet es als problematisch, daß im Fernsehen jedes Thema als Unterhaltung präsentiert wird. Postman betrachtet das Fernsehen als "reale Bedrohung"[3], weil es das Volk mit Trivialitäten ablenkt. Seiner Auffassung nach sind die Fernseh-Konsumenten zu unkritisch und hinterfragen zu wenig. Darin besteht die Gefahr, denn kein Medium ist übermäßig gefährlich, sofern seine Benutzer wissen, worin seine Gefahren bestehen.

"Die Menschen leiden nicht daran, daß sie lachen, statt nachzudenken, sondern daran, daß sie nicht wissen, worüber sie lachen und warum sie aufgehört haben, nachzudenken."[4]

Unwissenheit selbst ließe sich beheben; das größte Übel ist jedoch die Verwechslung von Unwissenheit mit Wissen.

Das Fernsehen ist integraler Bestandteil unserer Kultur geworden; es durchdringt unsere Kultur insofern, als es unsere Definitionen von Wahrheit, Wirklichkeit und Wissen geprägt hat. Das Fernsehen verwandelt unsere Kultur in eine riesige Showbiz-Arena. Mit Anbruch des Fernseh-Zeitalters setzte sich lt. Postman eine andere Art des Argumentierens durch: kritische Reflexion war fortan nicht mehr gefragt. Stattdessen urteilte man nach schönem Aussehen, nicht mehr nach der Überzeugungskraft von Argumenten.

„Information“ ist laut Postman eigentlich Desinformation, im Sinne von irreführender bruchstückhafter, oberflächlicher Information. Die Relevanz ist inzwischen irrelevant geworden. Zuschauer bekommen Antworten auf ungestellte Fragen. In mündlichen und Buchdruck-Kulturen gewann die Information ihre Wichtigkeit aus den Handlungsmöglichkeiten, nun aber - und dies wird durch die neuen Technologien noch verstärkt - sind die Menschen mit Informationen übersättigt, was eine Verringerung ihrer sozialen und politischen Handlungsfähigkeit zur Folge hat. Die Mitteilungsflut führt ein Ungleichgewicht zwischen Information und Aktion herbei. Die allerwenigsten Informationen lösen noch eine Handlung aus, d.h. der größte Teil an Input bleibt wirkungslos. Gleichzeitig vergrößert sich bei den Menschen das Gefühl der Ohnmacht.

Kultur wird zwar nicht zum Gefängnis, wie George Orwell in seiner Utopie "1984" befürchtete, aber sie verkommt zum Varieté, wie Aldous Huxley in "Schöne Neue Welt" beschrieb. Postman gelangt zu dem pessimistischen Fazit, Amerika sei im Zuge dieser Entwicklung zu einem Volk geworden, in dem aus Bürgern Zuschauer wurden, die nicht mehr - wie ihre Vorfahren - aktiv das gesellschaftliche und politische Zusammenleben gestalteten. Die Demokratie, ihre Idee und ihre Realisierung verkümmern, weil Bürger zu Rezipienten schrumpften, die im Begriffe sind, "sich zu Tode zu amüsieren."

3. NORBERT BOLZ: AM ENDE DER GUTENBERG-GALAXIS

Heute leben wir in neuen Kommunikationsverhältnissen, die mit dem bisherigen Leitmedium der Neuzeit, dem Buch, gebrochen haben. Computer und elektronische Medien beenden die vom Buchdruck maßgeblich geprägte Welt, die Marshall McLuhan als Gutenberg-Galaxis bezeichnet hat. Bolz schließt sich Habermas an, wenn er diesen Strukturwandel der Kommunikationsverhältnisse und neuen Medien-Bedingungen bereits im 17. Jahrhundert ansetzt, als Börse, Post und Presse als dem Publikum allgemein zugängliche Institutionen die neue Kommunikationsstruktur im Sinne einer publizistisch bestimmten Öffentlichkeit prägten. In der Zeit der Aufklärung büßte die Religion an Stellenwert ein zugunsten der Entstehung von Diskussionskultur im öffentlichen Raum.

Bolz bezieht philosophisches Gedankengut der verschiedensten Zeitalter zu Fragestellungen der Wahrnehmung, des Bewußtseins, der Intersubjektivität und der Inkommunikabilität in seine Überlegungen mit ein, um Rückschlüsse auf aktuelle Kommunikations-theorien festzustellen. Er knüpft an Niklas Luhmanns systemtheoretisches Modell an, das er für das elaborierteste Kommunikationsmodell hält, und nimmt somit Abschied vom klassischen Sender-Empfänger-Modell.

Luhmanns Modell setzt sich aus den drei Komponenten Information, Mitteilung und Verstehen zusammen. Information ist stets das Produkt einer Selektion aus einem Repertoire; Mitteilung verwandelt diese Selektion in eine Offerte für andere. Erst das durch die Mitteilung angeregte Verstehen entscheidet als Anschlußselektion über den Erfolg der Kommunikation. Demzufolge ist Mitteilung der subjektive Aspekt von Information. So können beispielsweise aus minimalen Informationen bedeutsame Mitteilungen herausgedeutet werden. Luhmann setzt Medientheorie mit Gesellschaftstheorie und Gesellschaft mit Kommunikation gleich. Ihm zufolge kommuniziert nicht der Mensch, sondern die Kommunikation kommuniziert.

Was die Medien in der Aufklärungszeit anbelangt, nimmt Bolz Bezug auf Habermas' Theorie des kommunikativen Handelns. Massenkommunikation (Presse) bedeutete in jener Zeit die technische Verstärkung bürgerlicher Öffentlichkeit und die Entprovinzialisierung der Kommunikation. Das öffentliche Räsonnement hat sich unterdessen von konkreten Schauplätzen verlagert in die Medienwelt; Habermas spricht gar von einer "technischen Implementierung der Weltöffentlichkeit in den Massenmedien"[5].

[...]


[1] Postman, Neil, Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie, Frankfurt a. M., 1985.

[2] Bolz, Norbert, Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse, München 1993.

[3] Postman, S. 190.

[4] ders., S. 198.

[5] Habermas, Faktizität und Geltung, Frankfurt am Main 1992, S. 659, zit. nach Bolz, S. 78.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Bildschirmmedien und Kultur - Ein problematisches Verhältnis? Eine Gegenüberstellung der medienphilosophischen Betrachtungen von Neil Postman und Norbert Bolz
Hochschule
Universität Lüneburg  (Fachbereich Angewandte Kulturwissenschaften - Fach: Kulturhistorischer Integrationsbereich)
Veranstaltung
Seminar: Kulturkritik in der Philosophie
Note
1-
Autor
Jahr
1999
Seiten
25
Katalognummer
V38681
ISBN (eBook)
9783638376747
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bildschirmmedien, Kultur, Verhältnis, Eine, Gegenüberstellung, Betrachtungen, Neil, Postman, Norbert, Bolz, Seminar, Kulturkritik, Philosophie
Arbeit zitieren
Angelika Janssen (Autor:in), 1999, Bildschirmmedien und Kultur - Ein problematisches Verhältnis? Eine Gegenüberstellung der medienphilosophischen Betrachtungen von Neil Postman und Norbert Bolz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38681

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