Flucht, Vertreibung, Migration. Einwanderung nach Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und heute


Bachelorarbeit, 2016

52 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis
I.
Abkürzungsverzeichnis ... 3
II. Abbildungsverzeichnis ... 4
1. Einleitung ... 5
2. Analyserahmen und Ausdifferenzierung ... 8
3. Nachkriegszeit ... 10
3.1. Konferenzen von Jalta, Teheran und Potsdam ... 10
3.2 Flucht, Vertreibung und ,,ethnische Säuberungen" ... 12
3.3 Ankunft und Aufnahme in Deutschland ... 16
3.3.1 Zwischen Ablehnung und Akzeptanz ... 16
3.3.2 Assimilation und Integration ... 17
4. Die Flüchtlingskrise des 21. Jahrhunderts ... 21
4.1 Die Krisen und ihre Konsequenzen ... 22
4.1.1 Die Alternativlosigkeit der Flucht ... 22
4.1.2 Der Weg in Inhaftierung, Abschiebung und Tod ... 25
4.2 Deutsche Entwicklungspolitik ... 28
4.3 Deutsche Migrations- und Integrationspolitik ... 31
4.3.1 Ambivalenz in Öffentlichkeit und Politik ... 31
4.3.2 Das Für und Wider von Migration ... 34
4.3.3 Die Notwendigkeit von Integration ... 36
4.3.4 Die kontroverse Rolle des Islam ... 40
5. Mit den Lehren der Vergangenheit in die Zukunft? ... 44
III. Literaturverzeichnis ... 48

I.
Abkürzungsverzeichnis
BAMF
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
BMI
Bundesministerium des Inneren
BRD
Bundesrepublik Deutschland EU
bspw.
beispielsweise
bzw.
beziehungsweise
CDU
Christlich Demokratische Union
DDR
Deutsche Demokratische Republik
DIE
Deutsches Institut für Entwicklungszusammenarbeit
EP
Entwicklungspolitik
EU
Europäische Union
EZ
Entwicklungszusammenarbeit
IS
Islamischer Staat
NS
Nationalsozialismus
PEGIDA
Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes
RM
Reichsmark
SBZ
Sowjetische Besatzungszone
SED
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
UNESCO
United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization
UNHCR
United Nations High Commissioner for Refugees
USA
United States of America
z.B.
zum Beispiel
ZVU
Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler

II.
Abbildungsverzeichnis
Titel der Abbildung: Negativere Einstellungen zu Zuwanderung in Ostdeutschland
Quelle: Bertelsmann-Stiftung, TNS Emnid, Gütersloh 2015; Peters, Freia (06.03.2015):
Deutsche
verlangen
mehr
Anpassung
von
Zuwandrern.
Online-Link:
http://www.welt.de/politik/deutschland/article138116570/Deutsche-verlangen-mehr-
Anpassung-von-Zuwanderern.html (17.12.2015).

1.
Einleitung
,,Ich bin über die Gleichgültigkeit entrüstet, die alle angesteckt zu haben scheint; mich regt das
Schweigen von Europa auf, das gerade den Friedensnobelpreis erhalten hat, und nichts sagt, obwohl es hier ein
Massaker gibt, bei dem Menschen sterben, als sei es ein Krieg."
1
Betrachtet man die derzeitige Situation an den europäischen Außengrenzen, führt man sich
das Leid und die täglichen Entbehrungen unzähliger Flüchtlinge vor Augen, die versuchen,
ihr bloßes Leben und das ihrer Familien zu retten, wird man die Entrüstung der
Bürgermeisterin Lampedusas, Giuseppina Maria Nicolini, wohl verstehen. Ob über das
Mittelmeer auf dem Weg zur kleinen italienischen Insel oder in anderen Regionen an den
Grenzen Europas ­ derzeit wird die EU von einem Flüchtlingsstrom eingenommen, der
unkontrollierbar scheint und dessen politische, wirtschaftliche und soziale Folgen momentan
nicht absehbar sind. Dass dabei die Fragen nach Schuld und Verantwortung gestellt werden
müssen, ist unabdingbar, um Lösungskonzepte für Gegenwart und Zukunft zu entwickeln.
Das Wichtigste ist jedoch, wie Nicolini erkannt hat, nicht die Augen vor dieser
Flüchtlingskrise zu verschließen. Gesellschaften wie die deutsche, ebenso wie die meisten
europäischen, genügen ihren eigenen moral- und werteorientierten Ansprüchen kaum, wenn
sie Humanität vermissen lassen, indem sie gleichgültig und egoistisch handeln. Jedoch reicht
die bloße Entscheidung der Aufnahme von Flüchtlingen nicht aus, um der Krise Herr zu
werden. Zunächst muss die Europäische Union ihre internen Differenzen bereinigen und eine
Migrationspolitik einrichten, in der alle Mitglieder für eine gerechte und humane Behandlung
der Flüchtlingsfrage zusammenarbeiten. Bisher versuchen nicht Wenige, sich dieser
Verantwortung zu entziehen, um sich nicht mit den möglichen Negativfolgen
auseinandersetzen zu müssen.
2
Wie aber können einzelne Nationalstaaten eine derartige
Situation in den Griff bekommen, wenn nicht einmal auf supranationaler Ebene die
Kompetenzen und Zuständigkeiten geklärt sind? Allein am Beispiel der BRD wird sichtbar,
dass sogar innerhalb wohlhabender Führungsmitglieder der EU zu viel Konzeptlosigkeit und
zu wenig situationsgebundenes Krisenmanagement existieren.
3
Dabei befand sich Deutschland vor vielen Jahren in einer ähnlichen Situation wie heute: Viele
Millionen Menschen flüchteten während und nach dem Zweiten Weltkrieg vor der Roten
1
Telepolis: Leben und Sterben auf Lampedusa (03.10.2013). Online-Link: http://www.heise.de/tp/news/Leben-
und-Sterben-auf-Lampedusa-1995493.html (25.11.2015).
2
Vgl. Die Welt: In der Flüchtlingsfrage versagt die EU jämmerlich. Online-Link:
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article145427632/In-der-Fluechtlingsfrage-versagt-die-EU-
jaemmerlich.html (20.08.2105).
3
Vgl. Zeit-Online (17.11.2015): Willkommen in Deutschland? Online-Link:
http://www.zeit.de/gesellschaft/fluechtlinge-in-deutschland (25.11.2015).

Armee und dem Hass derer, welche unter der Herrschaft der Nationalsozialisten leiden
mussten.
4
Zwar waren die Voraussetzungen grundsätzlich andere als in der aktuellen
Flüchtlingskrise, bedenkt man z.B. die ethnisch-kulturellen Identitäten der Flüchtlinge damals
und heute. Ebenso unterscheiden sich die Motive, aufgrund derer die Menschen nach dem
Weltkrieg ihre Heimat verließen, von den Gründen der Massenemigration im 21. Jahrhundert.
Dennoch haben beide Flüchtlingswellen eines gemein: Ihre Bewältigung stellte bzw. stellt
Deutschland vor immense Probleme.
Dass ein Vergleich der damaligen und der heutigen Einwanderung nach Deutschland zwar
nicht zwingend notwendig, aber dennoch relevant ist, zeigt allein die zunehmend ablehnende
Haltung von Teilen der deutschen Bevölkerung gegenüber der steigenden Zahl von
Asylanträgen.
5
Dabei vergessen oder verkennen Viele die Flüchtlingsvergangenheit eines
erheblichen Teils des deutschen Volkes, vielleicht sogar die eigene. Hierauf wird nach der
analytischen Betrachtung der einzelnen Sachverhalte noch einmal genauer Bezug genommen,
da nicht automatisch von der deutschen Vergangenheit auf die Rechtfertigung von
Zustimmung oder Ablehnung gegenüber heutigen Wanderungsbewegungen geschlossen
werden kann. Bezüglich der Relevanz dieses Themenkomplexes von zentraler Bedeutung ist
jedoch die Frage, inwieweit sich die Verantwortlichen auf sozialer und politischer Ebene in
der Ausgestaltung der Migrations- und Integrationspolitik ein Beispiel an der
Flüchtlingspolitik der Nachkriegszeit nehmen könnten. Hätte man aus der Vergangenheit
lernen und diese als Positivbeispiel auf die derzeitige Situation anwenden können bzw. ist
dies immer noch möglich und wenn ja: inwiefern und inwieweit? Diese Fragen bilden das
Zentrum der vorliegenden Arbeit. Obwohl die Medien täglich ausführlich über die aktuelle
Flüchtlingskrise berichten, gibt es kaum Vergleiche mit der nach dem Zweiten Weltkrieg.
Umso wichtiger erscheint die wissenschaftliche Untersuchung beider Krisen als
Gegenüberstellung im Rahmen dieser Arbeit.
Da die Migrationsforschung ein bislang sehr spärlich analysiertes Feld ist, mangelt es
diesbezüglich an geeigneten theoretischen Überlegungen, mit denen sich vergangene und
gegenwärtige Migrationsentwicklungen- und Vorgänge deduktiv untersuchen lassen. Daher
werden verschiedene Variablen der Schaffung des notwendigen Analyserahmens dienlich
sein, um Flucht, Vertreibung und Migration damals und heute als Fundament zur Erforschung
4
Vgl. Urban, Thomas: Der Verlust. Die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20. Jahrhundert, München
2004, S. 11 ff.
5
Vgl. Zeit-Online (02.10.2015): Mehr Deutsche besorgt über gestiegene Flüchtlingszahlen. Online-Link:
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-10/ard-deutschlandtrend-fluechtlinge (26.11.2015).

zu Grunde zu legen. Auf die Bedeutung und die Beschaffenheit dieser Variablen sowie deren
Verwendung, wird im folgenden Kapitel genauer Bezug genommen. Außerdem wird dort eine
Ausdifferenzierung erfolgen, um die Schlüsselbegriffe dieser Arbeit ­ ,,Flucht",
,,Vertreibung" und ,,Migration" genau unterscheiden zu können. Im Anschluss müssen die
historischen Aspekte im Mittelpunkt stehen. Abschnitt drei widmet sich daher vollends der
Nachkriegszeit und dem Beginn sowie dem Verlauf von Flucht und Vertreibung der
Deutschen. Woher kamen sie und wohin gingen sie? Warum verließen sie ihre Heimat und
was geschah, als sie das vom Krieg zerstörte Deutschland erreichten? Was unternahmen
Politik und Gesellschaft in Deutschland bzw. die jeweiligen Besatzungsmächte, um viele
Millionen Menschen zu integrieren? Und wie war es letztlich möglich, die Krise in den Griff
zu bekommen? Diese Fragen gilt es zu beantworten, bevor die aktuelle
Flüchtlingsproblematik ins Blickfeld der Analyse rücken kann. Ähnlich wie im dritten Kapitel
wird hier sowohl auf die Herkunft der Flüchtlinge, als auch ihre Fluchtmotive eingegangen.
Anschließend erfolgt ein kurzer Blick auf die deutsche Entwicklungspolitik, um zu verstehen,
warum und in welchem Umfang die daran Beteiligten die Wanderungsbewegungen schon
durch die Bekämpfung der Ursachen zu beeinflussen suchen. Der darauffolgende Punkt geht
letztlich auf die wichtigste Frage in diesem Themenkomplex ein: Wie sind die deutsche
Migrations- und Integrationspolitik konzipiert und inwiefern wirken Politik und Gesellschaft
auf sie ein? Dabei erfolgt auch ein gesonderter Blick auf die kontroverse Rolle des Islam in
der deutschen Gesellschaft. Die Analyse der einzelnen Schwerpunkte wird im Schlussteil der
Beantwortung und Aufschlüsselung der oben aufgeführten, zentralen Fragestellung dienen.
Obwohl das Thema ,,Migration" auch die europäische Freizügigkeit umfasst und nicht
zwangsläufig negativ konnotiert ist, soll die Betrachtung dieses Aspektes im Folgenden nicht
weiter thematisiert werden. Weitaus wichtiger für die Ausführungen dieser Arbeit ist die
Einwanderung aus Staaten außerhalb Europas, begründet durch Armut, Krieg und
Verfolgung. Diesbezüglich gibt es einen enormen Umfang an Forschungsliteratur, besonders
zu Flucht und Vertreibung in der Kriegs- und Nachkriegszeit aufgrund der zeitlichen Distanz.
Zwar findet sich in diesem Feld auch für die heutige Zeit genügend Analyse-Material, doch
gestaltet es sich bei der ständig wechselnden Ausgangslage und immer wieder neuen
Entwicklungen schwierig, einen angemessenen Aktualitätsbezug zu wahren. Für die
Untersuchung der damaligen Verhältnisse ist die Monographie des Historikers und
Journalisten Thomas Urban, ,,Der Verlust - Die Vertreibung von Deutschen und Polen im 20.
Jahrhundert", von großer Bedeutung. Der Aufnahme der Vertriebenen in Deutschland haben
sich die Geschichtsprofessoren Sylvia Schraut und Thomas Grosser in ihrem Sammelband

,,Die Flüchtlingsfrage in der deutschen Nachkriegsgesellschaft" gewidmet, in welchem
Geschichts- Politik- und Sozialwissenschaftler aufschlussreiche Arbeiten zu dieser Thematik
entwickelt haben. Darüber hinaus liefern Interviews mit drei verschiedenen Zeitzeugen
wichtige Ergebnisse, um den Hergang der Vertreibung, die Flucht selbst und die Aufnahme
und Eingliederung der Menschen in den Besatzungszonen Deutschlands optimal zu
veranschaulichen. Zwei von ihnen, Dr. Karl-Heinz Tschiesche und Fridrich-Roland
Goldbecher, waren damals Kinder und haben die Entbehrungen der Zwangsaussiedlungen mit
ihren Familien am eigenen Leib erfahren müssen. Die dritte Zeitzeugin, Mechthild
Tschiesche, lebte zu jener Zeit auf einem Landgut in Mecklenburg-Vorpommern. Ihr Vater
quartierte damals Menschen bei sich ein, die kurz vor dem Ende des Krieges vor der Roten
Armee geflohen waren. Die Interviews mit diesen Personen sind daher von hoher Relevanz
für den ersten Teil dieser Arbeit.
Zur aktuellen Krise liefern besonders der Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und
Entwicklung, Dr. Rainer Klingholz sowie Stephen Sievert, wissenschaftlicher Mitarbeiter an
selbigem, einen wichtigen Beitrag mit dem Discussion Paper ,,Krise an Europas Südgrenze".
Als die sozialwissenschaftliche Sichtweise, welche für diese Arbeit unerlässlich ist, erweist
sich die Dissertation der Politikwissenschaftlerin Michaela Wendekamm als wertvoll. In ,,Die
Wahrnehmung von Migration als Bedrohung" geht sie auf die Wirkung der Migration auf die
deutsche Gesellschaft ein und erläutert die Verzahnung der einzelnen Politikfelder bezüglich
der inneren Sicherheit und der Migrationspolitik. Eine nicht weniger bedeutende
Arbeitsgrundlage liefert ,,Exodus ­ Warum wir Einwanderung neu regeln müssen" von Paul
Collier. Der britische Wirtschaftswissenschaftler skizziert hier ein Bild von den Problemen
der europäischen Einwanderungspolitik und beschäftigt sich mit ihren Folgen sowohl für die
Aufnahmegesellschaft, als auch für die Migranten und Zurückgebliebenen. Die Bemühungen
der Bundesregierung, die Ursachen der Masseneinwanderung zu bekämpfen, bedürfen
ebenfalls einer gesonderten Betrachtung. Dabei finden insbesondere die Analysen der
Politikwissenschaftler Franz Nuscheler und Siegmar Schmidt Anwendung. Neben diesen
Hauptwerken sind auch Zeitungsartikel ein wichtiger Bestandteil der vorliegenden Arbeit, um
die aktuellen Entwicklungen intensiv beleuchten zu können.
2.
Analyserahmen und Ausdifferenzierung
Bevor der Rahmen der Analyse eingehend erläutert werden kann, muss klar werden, worin
sich die Begriffe ,,Migration", ,,Flucht" und ,,Vertreibung" voneinander unterscheiden. Dabei

ist es unmöglich, universell gültige Definitionen zu erhalten. Die UNESCO offeriert hierzu
eine akzeptable Möglichkeit:
,,[...] migration, it is the crossing of the boundary of a political or administrative unit for a certain
minimum period of time. It includes the movement of refugees, displaced persons, uprooted people as well as
economic migrants. Internal migration refers to a move from one area (a province, district or municipality) to
another within one country. International migration is a territorial relocation of people between nation-states."
6
Demzufolge schließt Migration sowohl Flüchtlinge als auch Vertriebene ein. Als wichtiges
Unterscheidungsmerkmal steht jedoch der Begriff ,,Migrant" für eine Person, welche die
Entscheidung über Zeitpunkt und Zielort der Migration eigenmächtig trifft, selbst wenn ihr oft
nur wenige Alternativen offen stehen.
7
Im Gegensatz dazu gibt es bei Flucht und Vertreibung
nur selten eine Wahl. ,,Flucht" bezeichnet ein ungeordnetes Zurückweichen vor Angreifern,
Katastrophen oder anderen Gefahren, während ,,Vertreibung" der Akt ist, welcher eine Flucht
erst erzwingt, meist durch staatliche Stellen oder nicht-staatliche Gruppen, wie z.B. Rebellen
oder Milizen.
8
Die exakte Definition des ,,Flüchtlings" wurde in der Genfer Flüchtlingskonvention
festgehalten, welche 137 Unterzeichnerstaaten dazu verpflichtet, einen Flüchtling nicht in ein
Land zurückzuweisen, in dem sein Leben oder seine Freiheit gefährdet sind (,,Non-
Refoulement").
9
Diesbezüglich muss man jedoch herausstellen, dass kein Staat der EU dazu
verpflichtet ist, Flüchtlingen die Einreise zu gewähren. Gelingt es den Menschen dennoch,
eine EU-Grenze zu überqueren, entscheiden die jeweiligen Staaten über Anerkennung oder
Ablehnung des Asylantrages sowie das Verfahren selbst.
10
Die Einordnung von Vertriebenen gestaltet sich weitaus schwieriger. In der Forschung gibt es
bislang keinen Konsens darüber, wer in diese Kategorie fällt.
11
Eine allgemein akzeptierte
Definition bezeichnet diejenigen als Vertriebene, die durch Kriege und andere menschlich
verursachte Katastrophen bzw. staatliche Maßnahmen zum Verlassen ihres gewöhnlichen
Aufenthaltsortes gezwungen werden, ohne eine Staatsgrenze zu überschreiten, wobei sich die
Bezeichnungen in der Praxis oft vermischen.
12
Demnach müsste man die Menschen, die in der
Nachkriegszeit die deutsche Grenze überschritten, nicht als ,,Vertriebene", sondern als
6
Unesco: Migrant/Migration. Online-Link: http://www.unesco.org/new/en/social-and-human-
sciences/themes/international-migration/glossary/migrant/ (26.11.2015).
7
Vgl. Ebd.
8
Vgl. E-politik.de e. V.: Migration. Flucht und Vertreibung. Online-Link: http://e-
politik.de/wissenswerte/migration/WissensWerte-Migration.pdf (26.11.2015).
9
Vgl. Angenendt, Steffen: Flucht und Vertreibung. Online-Link: http://www.berlin-
institut.org/fileadmin/user_upload/handbuch_texte/Angenendt_Flucht_Vertreibung.pdf (26.11.2015).
10
Vgl. Ebd.
11
Vgl. Ebd.
12
Vgl. Ebd.

,,Flüchtlinge" oder ,,Migranten" bezeichnen. Im Sinne einer optimalen Verständlichkeit
werden im Folgenden jedoch alle diese Termini Verwendung finden.
Da die Schlüsselbegriffe dieser Arbeit geklärt sind, bedarf es nun einer Erläuterung des
Analyserahmens, mit dessen Hilfe das Vergleichsmodell seine wissenschaftliche Basis
erhalten soll. Vier Variablen sind dafür notwendig: Die Kultur und Identität der betroffenen
Personen damals und heute, die jeweilige Innenpolitik Deutschlands, die jeweilige
Außenpolitik Deutschlands und schließlich die öffentliche Meinung im Land, was Reaktionen
auf die Begebenheiten und Ereignisse einschließt. Ziel ist es dabei zum einen, die einzelnen
Variablen in einen Beziehungszusammenhang zu den vergangenen und gegenwärtigen
Geschehnissen zu setzen, um herauszufiltern, welche Handlungen und Denkweisen die
weiteren Entwicklungen ausgelöst haben bzw. sie auslösen. Darüber hinaus werden die
verschiedenen Variablen auch untereinander anhand des jeweiligen Kontextes analysiert. Die
Intention hinter dieser Methode ist es, die Relationen der Variablen wechselseitig zu
beleuchten und herauszufinden, ob und inwieweit sich diese gegenseitig bedingen. Wie
beeinflusst beispielsweise die Kultur die der Flüchtling aus seiner Heimat nach Deutschland
bringt, die innenpolitische Handhabung, wie z.B. die Integration. Letztendlich soll dadurch
die im Verhältnis betrachtete Relevanz der einzelnen Variablen deutlich werden, also wie ihre
Bedeutung und Wirkung in den jeweiligen Kontext eingeordnet werden kann. In der
Konsequenz wird dann sichtbar, was sich auf beide Flüchtlingskrisen, die der Nachkriegszeit
und die heutige, sowohl durch die Politik als auch durch die Gesellschaft Deutschlands
hauptsächlich auswirkte.
3.
Nachkriegszeit
Im Fokus dieses Kapitels steht vor allem die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der die
Vertreibungen der deutschen Bevölkerung ihren Höhepunkt erreichten. Doch nicht nur die
Vertriebenen selbst und ihre Aufnahme in den alliierten Besatzungszonen in Deutschland sind
dabei von Belang, sondern auch die politischen Voraussetzungen, Entwicklungen und
Entscheidungen, welche die Vertreibungen und die Flucht erst auslösten. Um diese Thematik
eingehend zu beleuchten, muss man bereits vor dem Ende des Krieges beginnen, mit den
ausschlaggebenden Zusammenkünften der alliierten Siegermächte.
3.1. Konferenzen von Jalta, Teheran und Potsdam
Schon im November 1943 auf der Konferenz von Teheran, beschlossen die ,,Großen Drei",
Churchill, Roosevelt und Stalin die Grundlagen für die Vertreibungen der Deutschen aus dem

Norden und Westen Polens.
13
Initiator dieser Vereinbarung war Kremlchef Stalin, der damit
den Verbleib Ostpolens in der Sowjetunion anstrebte. Für diesen Gebietsverlust wurde Polen
mit der Verschiebung der polnischen Westgrenze zu Ungunsten Deutschlands entschädigt,
was den ,,Transfer" der deutschen Bevölkerung aus den polnischen Gebieten erforderte.
14
Mit
dem ,,Lubliner Komitee" installierte Stalin eine ihm wohlgesonnene Regierung in Polen, die
zusammen mit dem sowjetischen Machthaber die gezielte Vertreibung aller Deutschen östlich
der Oder-Neiße-Linie beschloss, welche beide Seiten als neue polnische Westgrenze
vereinbarten, ohne, dass die Westmächte dem zugestimmt hätten.
15
Dass Churchill sich
jedoch ebenfalls vehement für die Vertreibung einsetzte und diese als ,,befriedigendste und
dauerhafteste Methode"
16
deklarierte, besiegelte das Schicksal vieler Millionen Menschen,
welche keine Chance hatten, sich diesen Entscheidungen zu wiedersetzen. Die Konferenz von
Jalta brachte in der Frage der polnischen Westgrenze keine neuen Ergebnisse. Während sich
die USA unter Roosevelt noch weitgehend aus den Grenzverhandlungen heraushielten,
stellten sich nach dessen Tod mit seinem Nachfolger Harry S. Truman und Churchill zwei
hartnäckige Widersacher Stalin in den Weg, welche die Oder-Neiße-Grenze nicht anerkennen
wollten.
17
Letztlich gaben sowohl die britische als auch die amerikanische Regierung dem
Drängen Stalins nach und stimmten dem Transfer der Deutschen aus Polen, der
Tschechoslowakei und Ungarn zu, wenn auch nicht seinen Grenzforderungen.
18
Bereits vor
der Potsdamer Konferenz hatte Moskau der polnischen sowie der tschechoslowakischen
Regierung erlaubt, die Deutschen aus ihrem Territorium zu vertreiben, um bis zur erneuten
Zusammenkunft der drei Siegermächte für vollendete Tatsachen zu sorgen.
19
Diese ,,wilden
Vertreibungen" wurden schließlich in Potsdam im August 1945 nachträglich legalisiert, was
Stalin in seiner Politik bestätigte und ihn vor einer weiteren Auseinandersetzung mit Churchill
und Truman bewahrte.
20
An die Stelle dieser ,,wilden Vertreibungen" trat nach der Konferenz
13
Vgl. Urban 2004, S. 96.
14
Vgl. Ebd. S.96.
15
Vgl. Ebd. S. 103.
16
Ebd. S. 104.
17
Vgl. Ebd. S. 107 ff.
18
Vgl. Esch, Michael G.: ,,Ethnische Säuberungen" zwischen Deutschland und Polen 1939 bis 1950:
Überlegungen zu ihrer Genese und Einordnung, S.103, in: Brunnbauer, Ulf/ Esch, Ulf/ Sundhaussen, Holm
(Hg.): Definitionsmacht, Utopie, Vergeltung. ,,Ethnische Säuberungen" im östlichen Europa des 20.
Jahrhunderts, Berlin 2006.
19
Vgl. Brandes, Detlef: Die Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen aus Polen und der Tschechoslowakei.
Pläne, Entscheidungen Durchführung 1938-1947, S.83 f. In: Brunnbauer, Ulf/ Esch, Ulf/ Sundhaussen, Holm
(Hg.): Definitionsmacht, Utopie, Vergeltung. ,,Ethnische Säuberungen" im östlichen Europa des 20.
Jahrhunderts, Berlin 2006.
20
Vgl. Kimmel, Elke: Potsdamer Konferenz (31.10.2015), Online-Link: http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-
geschichte/marshallplan/40004/potsdamer-konferenz (30.11.2015).
Ende der Leseprobe aus 52 Seiten

Details

Titel
Flucht, Vertreibung, Migration. Einwanderung nach Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und heute
Hochschule
Universität Rostock
Note
2,0
Jahr
2016
Seiten
52
Katalognummer
V387265
ISBN (eBook)
9783668613768
ISBN (Buch)
9783668613775
Dateigröße
1157 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Flüchtlingspolitik, Vertreibung, Zweiter Weltkrieg, Deutschland, Migration
Arbeit zitieren
Anonym, 2016, Flucht, Vertreibung, Migration. Einwanderung nach Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und heute, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/387265

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