Durch das Urteil vom 12. Juli 1994 hat das Bundesverfassungsgericht der deutschen Politik einen weiten verfassungsrechtlichen Rahmen für den Einsatz deutscher Soldaten über die Landes- und Bündnisverteidigung hinaus eröffnet. Nun war auch nach dem Grundgesetz der Weg frei für eine Vielfalt unterschiedlicher Einsätze der Bundeswehr in den Systemen kollektiver Sicherheit, denen die Bundesrepublik angehört. Das oberste Ziel bisheriger und zukünftiger Einsätze, ist die Sicherung einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt, insbesondere basierend auf Art. 24 Abs. 2 GG. Die Verantwortung für diese politischen Entscheidungsprozesse liegt dabei auch weiterhin bei Bundesregierung und Bundestag und nicht bei den jeweiligen Bündnissystemen.
In der nachfolgenden Darstellung werde ich die verfassungsrechtliche Diskussion wiedergeben, die verschiedenen Klagepunkte der Antragsteller in den vier Organstreitverfahren erläutern, sowie die wesentlichen Gründe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nennen.
Im Schlussteil komme ich auf die Folgen des Urteils für die deutsche Außenpolitik, insbesondere im Kontext der aktuellen Sicherheitspolitischen Lage im Angesicht des "Anti-Terror-Krieges" zu sprechen.
INHALTSVERZEICHNIS
I. EINLEITUNG
II. VERFASSUNGSRECHTLICHE DISKUSSION BIS 1994
1. Entwicklung bis zur weltpolitischen Wende 1989/1990
2. 1991-1994
III. KLAGEPUNKTE DER ANTRAGSSTELLER IN DEN VIER ORGANSTREITVERFAHREN
1. Organstreitverfahren 2 BvE 3/92
2. Organstreitverfahren 2 BvE 5/93 und BvE 7/93
3. Organstreitverfahren 2 BvE 8/93
IV. DAS URTEIL DES 2. SENATS DES BVerfG AM 12. JULI 1994 UND DIE URTEILSBEGRÜNDUNG
V. SCHLUSS
VI. LITERATURVERZEICHNIS
I. EINLEITUNG
Durch das Urteil vom 12. Juli 1994 hat das Bundesverfassungsgericht der deutschen Politik einen weiten verfassungsrechtlichen Rahmen für den Einsatz deutscher Soldaten über die Landes- und Bündnisverteidigung hinaus eröffnet. Nun war auch nach dem Grundgesetz der Weg frei für eine Vielfalt unterschiedlicher Einsätze der Bundeswehr in den Systemen kollektiver Sicherheit, denen die Bundesrepublik angehört. Das oberste Ziel bisheriger und zukünftiger Einsätze, ist die Sicherung einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt, insbesondere basierend auf Art. 24 Abs. 2 GG. Die Verantwortung für diese politischen Entscheidungsprozesse liegt dabei auch weiterhin bei Bundesregierung und Bundestag und nicht bei den jeweiligen Bündnissystemen.
In der nachfolgenden Darstellung werde ich die verfassungsrechtliche Diskussion wiedergeben, die verschiedenen Klagepunkte der Antragsteller in den vier Organstreitverfahren erläutern, sowie die wesentlichen Gründe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nennen.
Im Schlussteil komme ich auf die Folgen des Urteils für die deutsche Außenpolitik, insbesondere im Kontext der aktuellen Sicherheitspolitischen Lage im Angesicht des „Anti-Terror-Krieges“ zu sprechen.
II. VERFASSUNGSRECHTLICHE DISKUSSION BIS 1994
Im Hinblick auf die deutsche Vergangenheit wurden 1949 spezielle Kontrollmechanismen im Grundgesetz festgeschrieben, die gewährleisten sollten, dass von deutschen Boden ausgehend nie mehr ein Angriffskrieg (Art.26 Abs. 1) geführt oder dass deutsche Streitkräfte ausschließlich zur Landesverteidigung eingesetzt werden dürfen (Art. 87a Abs. 2).
Die verfassungsrechtliche Grundlage für Bundeswehreinsätze und deren Interpretation war eindeutig:
Art 87a Abs. 1 GG legt fest, dass der Bund Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt und Abs. 2 ergänzt, dass die Streitkräfte außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden dürfen, soweit es das Grundgesetz ausdrücklich zulässt.
Durch die sog. „Notstandsverfassung“ vom 24. Juni 1968, wurden die Bestimmungen über den Einsatz der Streitkräfte in einem Artikel zusammengefasst. Das heißt, dem Art. 87a GG wurden Absatz 2 – 4 angehängt, zur Regelung der Einsätze der Streitkräfte im Verteidigungs-, im Spannungs- und im inneren Notstandsfall. Hierbei ist zu bemerken, dass von der, durch den Gesetzgeber mit Artikel 87a Abs. 2 GG eingebauten Möglichkeit, die Streitkräfte über den Rahmen der Landesverteidigung hinaus einzusetzen zu können, bis zum Zusammenbruch des Ostblockes bzw. des Warschauer Paktes, kaum die Diskussion war.
Der heute als Grundlage für alle Auslandseinsätze der Bundeswehr stehende Artikel 24 Abs.2 GG in Verbindung mit Artikel 87a Abs. 2 GG, stand bis dato selten zur Debatte.
1. Entwicklung bis 1989/1990
Bis zur weltpolitischen Wende 1989/90 und vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes waren die Hauptaufgaben der Bundeswehr die Landesverteidigung und die Beistandsleistung im Rahmen der NATO. Die Bundeswehr kam ihren internationalen Verpflichtungen bei den Verbündeten und im Rahmen der Vereinten Nationen bis dato in Form von finanziellen und logistischen Leistungen, sowie durch militärisches Personal und Gerät für humanitäre Hilfeleistungen nach.
Alle Hilfen stellten im Sinne von Art. 87a GG keine militärischen Einsätze dar und waren deshalb verfassungsrechtlich unumstritten.
Die wenigen Anfragen der Verbündeten oder der Vereinten Nationen nach „ out of area “ – Einsätzen wurden stets mit Hinweis auf die nationale Verfassungslage zurückgewiesen.
2. 1991 bis 1994
Mit der Auflösung des Warschauer Paktes sowie der Sowjetunion haben die Mitgliedstaaten von NATO und WEU Erklärungen über die Anpassung der Ziele und Aufgaben dieser Organisationen an die grundlegend gewandelten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen abgegeben. Dabei stand im wesentlichen das Konzept der militärischen Krisenbewältigung im Vordergrund der neuen Allianzstrategie.
Zu den bedeutendsten Erklärungen der NATO Mitgliedstaaten zählen die Londoner Erklärung (06.07.1990), die Kopenhagener Erklärung (06./07.06.1991) und die Erklärung von Rom (07./08.11.1991). Dabei wurden die vier sicherheitspolitischen Kernfunktionen nochmals bekräftigt. Die NATO: 1. als unverzichtbares Fundament für ein stabiles sicherheitspolitisches Umfeld in Europa, 2. als transatlantisches Forum für Konsulationen unter den Verbündeten, 3. als Institution, die jede Aggressionsdrohung abschreckt und jeden Angriff gegen das Hoheitsgebiet eines NATO-Mitgliedstaates abwehrt, 4. als Bündnis, das das strategische Gleichgewicht in Europa wahrt. Der Wirkungsbereich des Bündnisses, wie auch die Rechte und Pflichten aus dem Nordatlantikvertrag, bleiben ungetastet! Die Hauptaufgabe der Streitkräfte des Bündnisses, die Sicherheit und territoriale Unversehrtheit der Mitgliedstaaten zu gewährleisten, bleibt unverändert.
Durch die NATO-Gipfelkonferenz in Brüssel am 11.01.1994 wurde die neue Ausrichtung des Nordatlantikbündnisses entgültig besiegelt und neben den geltenden Kernfunktionen das Angebot bekräftigt: „, von Fall zu Fall in Übereinstimmung mit unseren eigenen Verfahren friedenswahrende und andere Operationen unter der Autorität des UN-Sicherheitsrates oder der Verantwortung der KSZE zu unterstützen“ (Nr.7 der Erklärung, Bulletin Nr. 3 vom 17. Januar 1994, S. 20 f.)
Auf der Petersberg-Erklärung am 19.06.1992 sagten auch die Vertreter der WEU die Unterstützung von Konfliktverhütungs- und Krisenbewältigungsmaßnahmen einschließlich friedenserhaltender Aktivitäten der KSZE oder des UN-Sicherheitsrates zu. Durch das Verschwinden des Feindes im Ostens ist auch der einzig verfassungsmäßige Auftrag der Bundeswehr, die Bundesrepublik Deutschland oder einen anderen NATO-Staat gegen einen Angriff zu verteidigen, nun nicht mehr existent.
Ab Januar 1991, im Zuge des Golf Krieges, veränderte sich der bis dahin breite Konsens über die enge Auslegung der deutschen Verfassung in Sachen Verteidigung!
Es kam zu einen Konflikt zwischen Verfassungsauftrag und der neuen Bündnisstrategie.
Im In- und Ausland häuften sich die Forderungen, dass Deutschland seine Zurückhaltung bei internationalen Militäreinsätzen auch im Angesicht der wiedergewonnenen vollen staatlichen Souveränität, überprüfen solle.
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