Der komische und der tragische Doppelgänger. Plautus und Robert Louis Stevenson im Vergleich

"Amphitruo" und "The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde"


Studienarbeit, 2014

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

1
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1
2. Das Doppelgänger-Prinzip
2
1. Der Begriff des Doppelgängers
2
2. Der Doppelgänger im Laufe der Zeit
4
3. Plautus: Amphitruo
5
1. Zusammenfassung der Ereignisse
5
2. Analyse des Doppelgängerprinzips
6
3. Mögliche Lesarten
8
4. Stevenson: The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde
10
1. Zusammenfassung der Ereignisse
10
2. Analyse des Doppelgängerprinzips
11
3. Mögliche Lesarten
13
5. Schluss
15
1.Vergleich der Doppelgängertexte
15
2. Zusammenfassung der Ergebnisse
16
18
Literaturverzeichnis

2
1. E
INLEITUNG
Titus Maccius Plautus war einer der ersten Komödiendichter im antiken Rom und zählt
zugleich zu den Produktivsten. Ihm wurden im 1.Jahrhundert 130 Komödien
zugeschrieben, von denen aber nur 21 vom Altertumsforscher M. Terentius Varro als
unbestritten echt bestätigt werden konnten. Vor 250 v. Chr. in der kleinen Stadt Sarsina in
Umbrien soll er geboren worden und im Jahre 184 v. Chr. gestorben sein. Um das Jahr 212
v. Chr. setzte sein Schaffen als Komödiendichter ein, zur Zeit des Zweiten Punischen
Krieges und der Kämpfe von Rom um die Vorherrschaft in Griechenland und Makedonien,
von denen sich Anspielungen in einigen seiner Werken, wie beispielsweise im Prolog des
Amphitruo
1
finden. Obwohl Plautus eine Vorliebe für Verwechslungsgeschichten hatte,
handelt es sich dabei um sein einziges Werk mit mythologischem Hintergrund. Wann er
jenes Werk verfasste und zur Aufführung brachte ist allerdings nicht genau nachzuweisen,
aufgrund der Datierung der im Werk angedeuteten Verhältnisse in Rom lässt sich allerdings
ungefähr auf die neunziger Jahre des 2. Jahrhunderts v. Chr. schließen.
2
Robert Louis Stevenson, der am 13. November 1850 in Edinburgh geboren wurde und am
3. Dezember 1894 auf Samoa verstarb, verfasste sein populärstes und zum ersten mal
finanziellen Ertrag bringendes Werk The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde
3
im
Jahre 1886, basierend auf einem Traum, den er als ,,phantastische Schauergeschichte"
bezeichnete, ,,die ihn beunruhigt habe"
4
. Das erste Manuskript, in dem nach Meinung
seiner Frau Fanny Osbourne die Gruseleffekte überwogen, ohne eine Moral erkennbar zu
machen, verbrannte der Autor. Der zweiten und heute bekannten Fassung gab er dann die
Form einer Parabel. Jede der Fassungen schrieb er in nur drei Tagen nieder.
5
Im Zentrum der nachfolgenden Hausarbeit stehen diese beiden Texte, die sich in Textart
und zeitlichem Kontext drastisch unterscheiden, jedoch beide ein zentrales literarisches
Motiv behandeln: Das Doppelgänger-Motiv. Die Untersuchung verfolgt dabei zwei
Leitfragen: Erstens ist es ihr Ziel, zu ermitteln, welche Art Doppelgänger der Text mit
welchen Mitteln wie gestaltet. Zweitens sollen die ermittelten Ergebnisse doppelt
1
Dieses Werk wird hier und nachfolgend mit dem Kürzel 'A' versehen und zitiert nach der Ausgabe:
Plautus, Titus Maccius: Amphitruo. In: Amphitruo. Lateinisch/Deutsch. Durchgesehene und
bibliographisch ergänzte Ausgabe. Übersetzt und Hrsg. von Jürgen Blänsdorf. Stuttgart: Reclam 1986.
2
Vgl. A: Nachwort. Zur Biographie des Plautus und zur Datierung des Amphitruo. S. 146-147.
3
Dieses Werk wird hier und nachfolgend mit dem Kürzel 'JH' versehen und zitiert nach der Ausgabe:
Stevenson, Robert Louis: The Strange Case of Dr.Jekyll and Mr.Hyde. In: The Strange Case of Dr. Jekyll and
Mr.Hyde/Der seltsame Fall von Dr.Jekyll und Mr.Hyde. Dtv zweisprachig. Begr. Von Kristof
Wachinger-Langewiesche. Übers. von Harald Raykowski. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2010.
4
JH: S.162.
5
Vgl. JH: Nachwort des Übersetzers. S. 161-167.

3
kontextualisiert werden: Zum einen welche verschiedenen Lesarten der vorhandene Stoff
möglicherweise erlaubt. Zum anderen sollen
sie mit den Ergebnissen eines im
thematischen und zeitlichen Kontrast stehenden Doppelgängertextes verglichen werden. Aus
dieser doppelten Fragestellung ergibt sich die Gliederung der Arbeit: In einem
ersten Schritt sollen anhand einschlägiger Einführungen in das Thema die wichtigsten, als
typisch geltenden Merkmale von Doppelgängertexten rekonstruiert, also kurz genannt und
erläutert werden (Kapitel 2). Den Schwerpunkt der Arbeit bildet die genaue Analyse
der beiden ausgewählten Texte hinsichtlich ihres Umgangs mit der Thematik (Kapitel 3
und 4): Hier sollen nacheinander möglichst genau untersucht bzw. bestimmt und
beschrieben werden: der inhaltliche Aufbau des Werkes und eine genauere
Betrachtungen der beschriebenen Doppelgängerkonstellation. Weiterhin wäre hier auch
zu klären, in wie weit der Text eine eindeutige Lesart nahelegt bzw. wo es in
welchem Grad deutungsoffen erscheint, wie sich der jeweilige Doppelgänger als
komisch bzw. tragisch auszeichnet und ob diese Kategorisierung allein ausreichend
für die Charakterisierung ausreicht. Den Schlusspunkt (Kapitel 5.1) bildet ein Vergleich
der eigenen Untersuchungsergebnisse, dessen Ziel darin, die hier vorgelegten
Textanalysen kritisch ins Verhältnis zueinander zu setzen.
Im letzten Schritt der Arbeit (Kapitel 5.2) erfolgt eine Zusammenfassung aller Ergebnisse
durch die kurze Wiederholung und den Vergleich der wichtigsten Ergebnisse von Kapitel 3
und Kapitel 4. Dieser Vergleich gibt eine knappe Antwort auf die Frage, in wie weit
der Stoff der Doppelgängerthematik auf unterschiedliche Weise behandelt werden kann.
2. D
AS
D
OPPELGÄNGER
-P
RINZIP
2.1 D
ER
B
EGRIFF DES
D
OPPELGÄNGERS
Die ,,physische Ähnlichkeit zweier Personen"
6
ist zunächst ausschlaggebend für den
Begriff des Doppelgängertum. Der Begriff 'Doppeltgänger' wurde erstmals von Jean Paul
1796/97 in seinem Roman Siebenkäs verwendet. ,,Doppeltgänger heißen Leute, die sich
selbst sehen"
7
, schreibt er darin. Ihm verdankt der Doppelgänger damit ,,als Wort und
Motiv"
8
seinen entscheidenden Durchbruch.
Nun kann dieses Phänomen in der Literatur durch verschiedenste Dinge verkörpert und auf
die verschiedensten Arten verstanden werden:
6
Frenzel, Elisabeth: Motive der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. 4.,
überarb. u. Ergänzte Aufl. Stuttgart: Kröner 1992. S.94.
7
Frenzel: Motive der Weltliteratur. S.102.
8
Ebd.

4
Es kann einerseits personal auftreten, also dargestellt durch reale Personen, ,,deren
Ähnlichkeit auf Zufall oder Verwandtschaft, im Bereich von Sage und Märchen auch auf
das Eingreifen überirdischer Mächte zurückgeht"
9
. Es kann sich allerdings auch um fiktive
Dopplungen
handeln,
begründet
in
spukhaften
,,Trugbild-Vorstellungen
im
Volksglauben"
10
, die für eine auf ,,seelischer Störung beruhende Ich-Spaltung"
11
stehen.
Entscheidender Aspekt ist, dass zwei Figuren gleichzeitig nebeneinander agieren und sich
möglicherweise gegenseitig zu verdrängen versuchen, was auf ihr Umfeld unheimliche
Wirkung hat. Dazu gehören unter Einschränkung beispielsweise auch Phantom-
Doppelgänger, bei denen die Wirkung nur auf das betroffene Subjekt zutrifft und
vorgetäuschte Doppelgänger, bei denen in Wirklichkeit die gleiche Person zwei Rollen
spielt.
12
Dopplungen, ,,die durch zauberische, überirdische Mächte bewirkt wurden"
13
, sind fest im
Bereich des Glaubens verwurzelt und beschäftigen sich intensiv mit dem unheimlichen und
bedrohlichen Charakter von Doppelgängern. Trugbilder wurden oftmals als 'Werkzeuge der
List' verwendet, indem sie der ,,Täuschung einer mit dem Urbild in naher Beziehung
stehenden Person"
14
dienten.
Mit dem Christentum vereinbar ist außerdem auch jene Vorstellung ,,einer zweiten
Existenz des Menschen im Abbild"
15
, da diese die Idee der guten und der bösen Seele in
der Menschenbrust bestätigt. Dies bedeutet, dass ein Spiegelbild, der eigene Schatten, ein
Portrait und selbst der Mensch im Traum ein lebendiger Teil des Ichs sein kann.
Außerdem kann in einer weiteren Variante der Doppelgänger als ,,Verkörperung des
unbewußten zweiten Ichs"
16
angesehen werden, welches sich in Gestalt des Betroffenen
physisch projiziert und entweder Inkarnation der bösen oder der guten Eigenschaften
seines anderen Selbst ist.
Insgesamt können Doppelgänger auf vielseitige Art materialisiert und ebenso interpretiert
werden. Sie können an Medien gebunden sein oder personal, allegorisch bestimmt oder
moralisch wertfrei. Als Symbol für die ,,Entfremdung des Menschen"
17
gelten, ebenso wie
als ,,ein Mythos zur Darstellung der Vielschichtigkeit und Komplexität der Identität des
9
Frenzel: Motive der Weltliteratur. S. 94.
10
Ebd.
11
Ebd.
12
Vgl. Frenzel: Motive der Weltliteratur. S. 97.
13
Frenzel: Motive der Weltliteratur. S. 98.
14
Frenzel: Motive der Weltliteratur. S. 99.
15
Frenzel: Motive der Weltliteratur. S. 100.
16
Frenzel: Motive der Weltliteratur. S. 101.
17
Forderer, Christof: Ich-Eklipsen. Doppelgänger in der Literatur seit 1800. Stuttgart: Metzler 1999, S. 14.

5
Menschen"
18
und gleichermaßen als ein Phänomen von ,,zwei Menschen, die gleich
scheinen" oder ,,eines Menschen, der in sich doppelt zu sein scheint"
19
.
2.2 D
ER
D
OPPELGÄNGER IM
L
AUFE DER
Z
EIT
Die erste Beschäftigung mit dem Phänomen des Doppelgängers in der Antike erklärt sich
dadurch, dass die für sie nicht zu erklärende Geburt von Zwillingen die Menschen
ängstigte und sie daher als 'Perversion der Natur'
20
galten, sie aber trotzdem in solchem
Maße faszinierten, ,,daß in Schöpfungs- und Gründungsmythen die Ursprungsmächte
mehrfach als Zwillingspaare imaginiert sind."
21
Mit Amphitruo und Die beiden Menaechmi von Plautus um 200 vor Christus setzte ,,ein
Traditionsstrang der Doppelgängerliteratur ein, der noch bis in die aktuelle Gegenwart
seine blassen Ableger treibt."
22
Die ,,magisch fundierte Vorstellung einer Ich-Spaltung"
23
, bei der ein Abbild als
Doppelgänger fungiert, hat sich vor allem seit Ovids' Metamorphosen (um 2-8 nach
Christus) und dem darin enthaltenen Narziss-Mythos stark verbreitet.
Seine Blütezeit erlebte das Motiv allerdings erst viel später. Im 18. Jahrhundert bis hin zum
Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte die Literatur dann ein neues Interesse an der
Thematik. Von Jean Paul wurde das Motiv benannt und viele Autoren, wie Kleist und
Shakespeare, riefen die antiken Verwechslungsgeschichten wieder ins Leben und
verarbeiteten sie literarisch neu. Gleichzeitig veränderte sich der Umgang mit dem Motiv
jedoch zu dieser Zeit auch deutlich.
Während die Aufklärung ,,den Menschen in Auseinandersetzung mit klar bestimmten
Mächten gezeigt"
24
hatte und alles Unerklärliche verbannte, drangen in der Romantik ,,in
das Schema der traditionellen Verwechslungskomödie"
25
neue Inhalte ein, ,,die die
Fragwürdigkeit und Kompliziertheit, aber auch die Komplexität des Ichs ansprechen"
26
und die Probleme, die sich daraus ergeben. Ein Beispiel dafür wäre E.T.A. Hoffmann,
welcher zu den produktivsten Autoren von Doppelgängertexten dieses Zeitraums gehört
18
Forderer: Ich-Eklipsen. S .12.
19
Forderer: Ich-Eklipsen. S. 16.
20
Vgl. Forderer: Ich-Eklipsen. S. 10.
21
Forderer: Ich-Eklipsen. S. 10.
22
Forderer: Ich-Eklipsen. S. 20.
23
Frenzel: Motive der Weltliteratur. S. 100.
24
Forderer: Ich-Eklipsen. S. 26.
25
Ebd.
26
Ebd.

6
und bei dem der Doppelgänger strukturbestimmend wurde. Er schuf eine Vielfalt an neuen
Motivvarianten, ,,indem er das romantische Polaritätsprinzip durchpsychologisierte"
27
. Aus
,,romantischer Neigung für das Geheimnisvolle"
28
nahm er so beispielsweise ein
vorhandenes Doppelgängerpaar von Plautus und Shakespeare auf und verkomplizierte es,
indem er aus einer natürlichen Zwillingsverbindung in Die Doppeltgänger eine magische
machte.
Auch im mittleren und späten 19. Jahrhundert hielt sich die Motivik, trotz des
vorherrschenden Realismus und spätestens seit Sigmund Freud um 1900 sind
Doppelgängergeschichten geprägt durch diese neue Auseinandersetzung mit der eigenen
Identität unter Kenntnis und Einfluss der Psychoanalyse, auch wenn sie im
Expressionismus noch unter Anwendung der Allegorie funktionierte. Demnach wurden
allegorisch akzentuierte Doppelgänger beispielsweise dargestellt durch den Freund des
Protagonisten, der am Ende verschwindet
29
, der eigene Schatten, der sich tagsüber von
Körper löst
30
oder auch der wiederauferstehende Zwillingsbruder
31
, während sich als
psychologisch akzentuierend vorwiegend die Motive mit Ich-Spaltung behaupteten.
Zu der modernen Zeit sind die Ursachen für das Auftauchen von Doppelgängern
größtenteils rationalisiert und entmythologisiert worden. ,,Opium, Fieber und seelischer
Schock"
32
zählen vorrangig dazu. Außerdem findet das Motiv vielfach Verwendung im
Film und wurde um Vorstellungen vom künstlichen Menschen (Roboter, Klone) oder
mythologischen Gestalten, die beliebig ihr Aussehen verändern können (Gestaltwandler)
erweitert.
3.
P
LAUTUS
:
A
MPHITRUO
3.1
Z
USAMMENFASSUNG DER
E
REIGNISSE
Zu Beginn des Stücks trägt der Gott Mercur dem Publikum einen Prolog vor, der am
Handlungsort, nämlich vor Amphitruos Palast in Theben, stattfindet und in dem er bereits
vorab genau beschreibt, wie die nachfolgende Handlung aussehen wird. Er legt den Fokus
der Geschichte also nicht auf den Inhalt des Stücks, sondern auf dessen Umsetzung.
27
Frenzel: Motive der Weltliteratur. S. 104.
28
Forderer: Ich-Eklipsen. S. 22.
29
Walter Hasenclever: Der Sohn (1914)
30
Franz Theodor Csokor: Der Baum der Erkenntnis (1919)
31
Julius Maria Becker: Das letzte Gericht (1919)
32
Frenzel: Motive der Weltliteratur. S. 113.
Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Der komische und der tragische Doppelgänger. Plautus und Robert Louis Stevenson im Vergleich
Untertitel
"Amphitruo" und "The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde"
Hochschule
Universität des Saarlandes  (Germanistik)
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
20
Katalognummer
V387434
ISBN (eBook)
9783668615656
ISBN (Buch)
9783668615663
Dateigröße
632 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Robert Louis Stevenson, Plautus, Doppelgänger, Dr. Jekyll and Mr. Hyde, Amphitrou, The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde
Arbeit zitieren
BA Jenny Spanier (Autor:in), 2014, Der komische und der tragische Doppelgänger. Plautus und Robert Louis Stevenson im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/387434

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