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Einsatz von Körper-und Bewegungstherapie im Rahmen der Behandlung von Anorexia Nervosa
INHALTSVERZEICHNIS
Zusammenfassung...3
1. Einleitung...4
2. Anorexia
nervosa eine Einordnung...5
2.1. Störungsbild und Symptomatologie...6
2.2. Klassifikation nach ICD-10 und DSM-IV...7
2.3. Epidemiologie...8
2.4. Ätiologie...9
2.5. Therapie...11
3. Körper-und
Bewegungstherapie zur Behandlung von Anorexia nervosa...12
3.1. Die Bedeutung des Körperbildes...13
3.2. Die Konzentrative Bewegungstherapie am Beispiel der Anorexia nervosa...14
3.2.1. Historische Entwicklung...14
3.2.2. Ziele der KBT bei der Behandlung von Anorexia nervosa...14
3.2.3. Patientenmerkmale...16
3.2.4. Therapeutisches Vorgehen in der Praxis...17
4. Diskussion...20
5. Literaturverzeichnis...21
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Einsatz von Körper-und Bewegungstherapie im Rahmen der Behandlung von Anorexia Nervosa
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Einsatz körper-und bewegungsorientierter
Psychotherapie im Rahmen der Behandlung einer Anorexia nervosa. Als vertiefendes
Beispiel wurde die Konzentrative Bewegungstherapie gewählt, welche ein intensives
Wahrnehmen und Spüren des eigenen Körpers als Grundlage für Erfahrungen und Handeln
sieht. Gerade bei der Therapie Magersüchtiger spielt das gestörte Körperbild der Betroffenen
eine sehr wichtige Rolle, da darin oft versteckte frühkindliche Konflikte und Traumata
begründet liegen. Die Konzentrative Bewegungstherapie setzt hier auf einer verbalen als
auch nonverbalen Ebene an und versucht mittels Bewegung diese Hemmnisse erlebbar und
somit bearbeitbar zu machen.
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Einsatz von Körper-und Bewegungstherapie im Rahmen der Behandlung von Anorexia Nervosa
1. Einleitung
,,Magersüchtige, die die Fähigkeit eingebüßt haben, sich in ihren interpersonalen
Gefühlsbeziehungen wirkmächtig zu erleben, versuchen dieses in einer
intrapersonalen Beziehung mit dem eigenen Körper und im Kampf gegen ihn
auszudrücken. Hier erleben sie nicht die grenzenlose Hilflosigkeit, sondern Macht,
Kontrolle und Autonomie" (Schmidt, 2006, S. 201).
Für Außenstehende ist die Magersucht oft sehr schwer zu begreifen. So kann man es sich in
einem Land, in dem Essen mittlerweile als ,,Lifestyle" Eingang gefunden hat und medial
zelebriert wird, kaum vorstellen, dass es Menschen gibt, die einfach nicht essen wollen.
Doch sobald man sich ein wenig genauer mit diesem Typ Essstörung beschäftigt, wird
schnell ersichtlich, dass die Verweigerung der Nahrungsaufnahme nur die Spitze des
Eisberges eines unendlichen Leidens der Betroffenen ist.
Evelyn Schmidt beschreibt in ihrem Zitat sehr treffend das Kernproblem der Anorexia
nervosa nämlich den Versuch, das abhanden gekommene Wirken und Erleben von
Gefühlen auf und zu anderen Menschen und die damit oft verbundene gesellschaftliche
Isolation durch die Kontrolle des eigenen Körpers und damit erlebter Autonomie zu
kompensieren. Gleichzeitig stell es aber auch den therapeutischen Ansatzpunkt im Rahmen
einer körper-und bewegungsorientierten Psychotherapie dar, welche sich gerade im
deutschsprachigen Raum einer wachsenden Popularität im stationären als auch ambulanten
Bereich erfreut. Der Körper nimmt hier eine ganz spezielle Rolle ein findet doch, im
Gegensatz zur Verhaltens- oder Tiefenpsychologie, der Zugang zum Patienten über
Bewegungen sowie das Fühlen und Erleben dieser statt.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich genau mit dieser Verbindung die tief
sitzende Körperbildstörung magersüchtiger Patienten/innen sowie die körperzentrierten
Psychotherapie als Versuch, über das Problem des meist beschwerlichen Zunehmens
hinaus einen Weg zu finden, den Betroffenen ihren eigenen Körper wieder näher zu bringen
und gleichzeitig den, meist frühkindlich bedingten, Mangel von Kontrolle und
Selbstwertgefühl zu stärken. Der Fokus wurde hierbei auf die Konzentrative
Bewegungstherapie gelegt, da diese Form der Körpertherapie in Deutschland mittlerweile in
vielen Kliniken zur Behandlung von Essstörungen angewendet wird und diesbezüglich auch
auf dem Gebiet der empirischen Forschung langsam ein Anstieg an veröffentlichten Studien
zu verzeichnen ist was noch immer nicht die Regel im Bereich der körperzentrierten
Psychotherapie ist und einen erheblichen Mangel im Bezug auf die Evaluation dieser
Verfahren darstellt. Damit soll sich noch einmal ausführlicher im Diskussionsteil dieser Arbeit
beschäftigt werden.
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Einsatz von Körper-und Bewegungstherapie im Rahmen der Behandlung von Anorexia Nervosa
Begonnen wird mit einer Einordnung der Anorexia nervosa von der Symptomatologie
und Klassifikation über die Epidemiologie und Ätiologie bis hin zu Therapiemöglichkeiten, um
die Anwendung der Konzentrativen Bewegungstherapie auf Grund von ganz bestimmten
Kernproblemen der Störung verständlicher zu machen. Im folgenden Kapitel soll diese
Anwendung dann erläutert werden zuerst mit einer kurzen historischen Einordnung und
den allgemeinen Zielen der KBT bei Anorexia nervosa Patienten/innen. Danach wird die
Therapie in der Praxis beschrieben und anhand von Beispielen versucht, das Vorgehen
darzustellen. Im anschließenden Diskussionsteil wird das Pro und Contra der Konzentrativen
Bewegungstherapie als körperzentrierte Psychotherapie bei Anwendung zur Behandlung der
Magersucht erläutert und, wie bereits erwähnt, noch einmal auf das Problem der wenig
vorhandenen empirischen Forschung auf diesem Gebiet eingegangen.
2. Anorexia nervosa eine Einordnung
Bereits 1868 beschrieb William Gull das Krankheitsbild der Magersucht als ,,Anorexia
hysterica", ,,[...] womit eine nervlich-psychische Komponente angedeutet wurde, was auch in
der heutigen Bezeichnung Anorexia mentalis oder gebräuchlicher nervosa zum Ausdruck
kommt" (Hoffmann, 2009, S. 3). Das Hauptmerkmal dieser psychosomatischen Essstörung
ist ein erheblicher Gewichtsverlust über einen bestimmten Zeitraum hinweg, der selbst
herbeigeführt ist und zum Teil lebensbedrohliche Ausmaße annehmen kann. Betroffene
fühlen sich auch mit einem starken Untergewicht noch immer viel zu dick - sie leiden an einer
Störung der Körperwahrnehmung und entwickeln panische Angst vor einer
Gewichtszunahme. Um dies zu unterbinden kommt es fast zur vollständigen
Nahrungsverweigerung - oft unterstützt durch ein übermäßiges Pensum an körperlicher
Bewegung und/oder der Einnahme von Abführmitteln bzw. Appetitzüglern. Vorhandene
Hungergefühle werden unterdrückt und durch Training in positive Gefühle umgewandelt
(Kiehl, 2010).
Das Essen wird für Magersüchtige zum Kampf, der Gedanke an die Kontrolle
desselbigen bestimmt ihr komplettes Fühlen, Denken und Handeln. Nicht selten kommt es zu
einer sozialen Isolation, wobei die Angst vor dem Druck der öffentlichen Nahrungsaufnahme
eine große Rolle spielt. Betroffene ziehen sich zurück und fokussieren sich auf Dinge, die
ihrer oft stark leistungsorientierten Denkweise entsprechen. Häufig berichten magersüchtige
Frauen und Männer von einem hohen Perfektionismus - an sich selbst gerichtet kommt
dieser in der Krankheit zum Ausdruck - es soll alles perfekt funktionieren, ihr Körper wird zur
eigenen Herausforderung, welche sie bis zur totalen Selbstaufgabe zu meistern versuchen.
Hinter all dem stehen meist tiefer sitzende Probleme und Ängste, ein schwaches
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Einsatz von Körper-und Bewegungstherapie im Rahmen der Behandlung von Anorexia Nervosa
Selbstwertgefühl oder der soziale Druck, dem vorherrschenden Schlankheitsideal
entsprechen zu müssen (Baumann, 2009).
2.1 Störungsbild und Symptomatologie
Im Vordergrund als führendes Verhaltensmerkmal findet sich bei Anorexia nervosa
Patienten/innen die Sucht nach Magerkeit (= Magersucht). Diese Beschreibung könnte sogar
als eigentlich besser passende Diagnose statt der eigentlichen ,,nervösen Appetitlosigkeit"
betrachtet werden, da Betroffene bewusst danach streben, immer dünner zu werden. Dies
wird durch gänzliches Weglassen von Mahlzeiten bzw. kalorienreichen Nahrungsmitteln
erreicht zusätzlich kommt es häufig zum Gebrauch von Abführmitteln oder
selbstinduziertem Erbrechen, um eine Aufnahme von Nährstoffen in den Körper zu
verhindern. Der daraus folgende Gewichtsverlust ist meist erheblich, kann bis zu mehr als
20% des eigentlichen Normgewichtes betragen und bis hin zur Kachexie führen, infolge
dessen es zu Funktionsausfällen lebenswichtiger Organe kommen kann. Die Anorexia
nervosa ist deshalb die psychische Erkrankung, welche eine der höchsten standardisierten
Mortalitätsraten aufweist (Karwautz & de Zwaan, 2014). Weitere gravierende somatische
Folgen sind zum Beispiel Veränderungen im Elektrolyt-und Flüssigkeitshaushalt, ein
reduzierter Herzschlag, sinkende Körpertemperatur und sinkender Blutdruck, schuppige und
trockene Haut, brüchige Nägel und Haarausfall. Oft kommt es zu einer Lanugobehaarung,
deutlich sichtbaren Venen durch das schrumpfende Unterhautfettgewebe sowie, bedingt
durch den Nährstoffmangel, Störungen des Knochenstoffwechsels mit Folge einer
Osteoporose.
Patienten/innen verspüren eine ständige und immer präsente Angst, zuzunehmen
und zu dick zu sein, die Gedanken kreisen ausschließlich um Fragen der
Nahrungsaufnahme, Hunger und Gewicht. Jedoch wird genau dies und zusätzlich der
kachektische Zustand sowie das Hungergefühl stets verleugnet. Die Wahrnehmung und
auch Interpretation von Bedürfnissen des eigenen Körpers sowie insgesamt des
Körperbildes ist extrem gestört, Betroffene erleben sich als noch immer zu ,,fett", haben
Probleme mit ihrem Bauch, den Oberschenkeln oder anderen Körperregionen. Es kommt zu
einer verschobenen Breiteneinschätzung des Körpers, das heißt die Körperbreite wird
maßlos überschätzt. Des Weiteren ist bei einem Großteil der Essgestörten eine ausgeprägte
Überaktivität zu verzeichnen. Diese ist meist motorischer Natur und drückt sich in ständigem
in-Bewegung-sein aus. Patienten/innen stehen lieber anstatt zu sitzen, da dies mehr Kalorien
verbrennt, sie betreiben harte sportliche Trainingsprogramme und neigen zu allgemeiner
Rast-und Ruhelosigkeit. Aber auch auf der intellektuellen Ebene ist diese Überaktivität zu
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Einsatz von Körper-und Bewegungstherapie im Rahmen der Behandlung von Anorexia Nervosa
beobachten und drückt sich durch ein Streben nach Perfektionismus in Schule, Beruf oder
Studium aus (Böhme-Bloem, 1996).
All diese Verhaltensstörungen ziehen meist nicht unerheblich schwere seelische
Folgesymptome nach sich. Aufgrund der permanenten Beschäftigung mit der Nahrung bzw.
der Nichtaufnahme dieser kommt es bei Betroffenen zu einem sozialen Rückzug.
Gemeinsames Essen wird strikt gemieden, oft erfolgt die Isolation sogar innerhalb der
Familie. Daraus resultierend sind depressive Verstimmungen häufig zu beobachten. Nicht
selten treten weiterhin Zwangsstörungen auf, vordergründig bezogen auf Essen und
Gewicht. Dies äußert sich zum Beispiel in zwanghaftem Zerkleinern von Nahrung oder dem
Kauen in einer bestimmten Anzahl.
2.2 Klassifikation nach ICD-10 und DSM-IV
Oft kommt es gerade in der Pubertät bei jungen Frauen zu Störungen des
Essverhaltens, die auf eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und der Ablehnung des
Gewichts zurückzuführen sind. Die übermäßige Beschäftigung mit der Figur sowie striktes
Diäthalten können bereits als Risikofaktoren für die Entwicklung einer Essstörung betrachtet
werden jedoch führen solche Verhaltensweisen nicht automatisch zur Diagnose einer
klinisch manifesten Störung. Hierfür sind genaue Kriterien festgelegt seit 1994 erstmals als
eigenes Kapitel in der vierten Revision des amerikanischen Klassifikationssystems DSM-IV
(Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders).
Das Störungsbild der Anorexia nervosa definiert sich laut DSM-IV vorrangig über die
Weigerung, ein Körpergewicht zu halten, welches für ein bestimmtes Alter und eine
bestimmte Körpergröße als Minimum angesetzt ist. Betroffene verspüren eine permanente
Angst, trotz bestehenden Untergewichtes zu dick zu sein. Des Weiteren liegt eine falsche
Wahrnehmung des eigenen Körpers bzw. Körpergewichtes vor, aus welcher sehr häufig ein
gesteigerter Einfluss auf die Selbstbewertung folgt. Ergänzend wird auch das Ausbleiben der
Menstruation (=Amenorrhoe) als diagnostisches Kriterium genannt. Laut DSM-IV gibt es
zwei spezielle Typen der Anorexia nervosa: den Restriktiven Typus, welcher nicht zu
Essanfällen und somit zu einem ,,Purging Verhalten" neigt, sowie den Binge Eating/Purging
Typus, bei welchem genau diese Essanfälle und das daraus resultierende ,,Purging
Verhalten" auftreten (Jacobi & de Zwaan, 2011).
Eine ähnliche Klassifikation nimmt auch die ICD-10 (International Statistical
Classification of Diseases and Related Health Problems) der WHO vor. Es wird auf der
ersten Achse im Unterkapitel F50 des Kapitels F5 (Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung
mit körperlichen Störungen und Faktoren) von ,,[...] eine[m] absichtlich selbst herbeigeführten
oder aufrechterhaltenen Gewichtsverlust [...]" (Krollner, 2016, o.S.) gesprochen, welcher mit
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