Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1.Einführung
2.Der natürliche Bewegungsdrang
2.1. Ein interdisziplinärer Blick auf den Begriff natürlicher Bewegungsdrang
2.2. Begriffsbestimmung – Sport, körperliche Aktivität und Alltagsbewegung
2.3. Bewegungserziehung
3. Aktueller Forschungsstand
3.1. Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS)
3.2 Ergebnisse der MoMo - Studie
4. Auswirkungen gezielter Bewegungserziehung
4.1. Auswirkungen von Bewegungserziehung auf die motorische Leistungsfähigkeit
4.2 Reziprozität Bewegung und Gesundheit
4.3 Bewegung und sozial-emotionale Kompetenz
4.4 Bewegung und Lernen
5.Fazit
6. Schluss
Literaturverzeichnis
1.Einführung
“Sport ist wie eine universelle Sprache. Sport bringt Menschen zusammen, egal welche Herkunft, Wurzeln, religiösen Vorstellungen oder welchen wirtschaftlichen Status sie haben.“ (Annan 2005 http://www.unis.univienna.org/pdf/sportflyer_g.pdf , S.2)
Das Zitat des ehemaligen UNO-Generalsekretärs Kofi Annan anlässlich des Jahr des Sports 2005 lässt erkennen, welchen Stellenwelt Sport und Bewegung in der Lebenswelt unserer Gesellschaft darstellen kann. Allein die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien 2014 verfolgten über 3,2 Milliarden Menschen – darunter auch viele Kinder - weltweit. Dies allerdings vor heimischen TV-Geräten, Smartphones oder Tablets. In diesem (medialen) Kontext bewegt Sport wohl eher im Sinne der Emotionalität, denn 2014 ist auch das Jahr, in dem die AOK-Familienstudie[1] veröffentlicht, dass jedes vierte Kind in Deutschland übergewichtig ist und Bewegungsmangel hier als einer der Risikofaktoren genannt wird. Der höchste Handlungsbedarf liegt, auf Grundlage der Ergebnisse dieser Studie, bei Kinder von Familien mit niedrigem Bildungsniveau. Hier sind bereits 26% der Kinder übergewichtig und 7% im gesundheitsgefährlichen Bereich der Adipositas. Übergewichtigkeit nun monoreferentiell auf Bewegungsmangel zu schieben wäre an dieser Stelle zu pauschal gedacht und würde Bewegungserziehung eine Bedeutung zuschreiben, welche sie nicht gerecht werden könnte.
Das Phänomen Übergewicht bei Kindern lässt aber Verweise auf die sogenannte moderne Kindheit zu. „Kindern wird heute ein hohes Maß an Selbstständigkeit im Alltag zugestanden, wo früher rigide Vorgaben das Verhalten regulierten. Im Vergleich zu den heute Vierzigjährigen, die selten freien Zugang zu Konsum, Medien und Essen hatten, verfügen Kinder in der heutigen Zeit über diese Zugänge und die Möglichkeit, hierüber weitgehend eigenständige Entscheidungen zu treffen. Mit dieser zugestanden bzw. abverlangten Selbständigkeit kommen viele Kinder offensichtlich nicht zurecht bzw. es fehlen ihnen die Kompetenzen damit umzugehen“ (Hunger 2007 nach Leu 1996 & Bois-Reymond du 2005, S. 94 Herv. i. O.). Die moderne Kindheit, so scheint es, bedeutet eine veränderte Lebens- und Bewegungswelt für Kinder.
Dabei spielt in der Lebenswelt von Kindern und in deren Entwicklung doch Bewegung eine elementare Rolle. In fachspezifischen Veröffentlichungen ist von einem natürlichen Bewegungsdrang als Entität zu lesen. Bewegung in der Kindheit hat einen signifikanten Bedeutungshorizont. „Sie ist ein Entwicklungsbereich jedes Kindes, ist Alltagsphänomen, ist sportliche und tänzerische Aktivität. Und manchmal dient Bewegung auch als Ventil für – durch viele Kinder in engen Räumen beu durchgetakteten Aktivitätsstrukturen – angestaute Energien“ (Beck-Neckermann 2015, S.8). Bewegung fördert die Motorik des Kindes, hilft die Lebenswelt ganzheitlich zu begreifen und zu erforschen. Darüber hinaus kann Bewegung und das etwaige Verbessern von motorischen Leistungen das Selbstbild sowie das Vertrauen in sich selbst prägen. Auch die Reziprozität von Gesundheit und Bewegung ist in zahlreichen Studien belegt worden (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration 2006, S. 354 ff).
Ina Hunger (2000, S.12), die zusammen mit Prof. Dr. R. Zimmer zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema kindliche Bewegung publiziert hat, postuliert, dass „Bewegung (...) Ausdrucks- und Kommunikationsmedium, Mittel zur Erkenntnisgewinnung und explorativen Auseinandersetzung mit der Umwelt und spielt eine entscheidende erfahrungskonstituierte Rolle im kindlichen Entwicklungsprozeß [sic!]“ ist und macht damit den Auftrag der Kindergärten diesen essentiellen Bereich pädagogisch umzusetzen deutlich. Die Institution Kindergarten ist oftmals die erste Erziehungsinstanz außerhalb des familiären Kontextes. Im März 2016 lag die Zahl der betreuten Kinder in der Altersgruppe von drei bis fünf Jahren bei 93,6% (vgl. Bundesamt für Statistik 2016, https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Soziales/Sozialleistungen/Kindertagesbetreuung/Kindertagesbetreuung.html). Ozturk (2016) subsumiert die Rolle des Kindergartens als Sozialisations- und Erziehungsinstanz wie folgt: „Addressing the needs of a child, getting him adopt the basic habits and preparing him for life ideally could only be ensured by a qualified pre-schooleducation. Provided that a child is given a qualified pre-school education, it will ensure the success oft he child his entire life (...). Pre-school education is a critical period in that taking education in this period considerably contributes to the development of children“ (Ozturk 2016, S. 114 Herv. F.R.). Dies lässt schlussfolgern, dass frühkindliche Bildung verstärkt als Fundament des Bildungssystems verstanden wird und auch Bewegung zu einem der Lernfelder des Bildungsprozesses zählt (vgl. Zimmer 2013b, S. 24).
Der Auftrag zur Bewegungserziehung ist demnach auch in den Bildungsplänen der Bundesländer verankert, welche 2004 von der Kultusministerkonferenz (KMK) einen gemeinsamen Rahmen für die frühe Bildung in den Kindertageseinrichtungen schaffen sollten. So erließ u.a. das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen im Dezember 2005 im § 12 folgende Verortung: „Kinder sollen ausgiebig ihre motorischen Fähigkeiten erproben und ihre Geschicklichkeit im Rahmen eines ausreichenden und zweckmäßigen Bewegungsfreiraums entwickeln können“ (Bayerisches Staatsministerium 2005, http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayAViBiG-12 ; Hervorhebung F.R. ). Da es sich allerdings hierbei um eine Soll-Vorschrift[2] handelt, bleibt offen wie konkret diese Forderung in Kindergärten umgesetzt wird und welchen Stellenwert Bewegung im pädagogischen Alltag in den jeweiligen Kindertagesstätten einnimmt.
Sicher ist, dass sich eine veränderte Lebenswelt der Kinder zeigt, welche mit „Einschränkungen des kindlichen Bewegungsbedürfnisses“ (Hunger, 2000 S. 12) konfrontiert werden und somit die Bedeutung der Bewegungserziehung in der Institution Kindergarten betont. So bietet u.a. der Wohnraum oftmals wenig Optionen für Spiele mit intensiver Bewegung, nimmt der innerstädtische Straßenverkehr zu und freie Flächen für Bewegungsspiele stehen kaum noch zur Verfügung (vgl. Hunger 2000, S.11 ff). Demnach geht aus diversen Studien mit Stadt-Land-Vergleichen hervor, dass motorische Defizite vor allem bei Kindern in städtischen Lebenswelten zugenommen haben. In Relation zu den auf dem Land lebenden Kinder hat hier sich motorische Auffälligkeit fast verdoppelt (vgl. Opper & Worth & Bös 2007, S.880).
Hinzu kommt die Digitalisierung des Alltags, in dem Kinder mit einem „Konsum unterschiedlichster Informationsträger“ (Brandl-Bredenbeck, Brettschneider 2010, S.42) konfrontiert werden. Schon der Weg zum Kindergarten ist oftmals von Bewegungsmangel geprägt, denn „schon im Kindergartenalter [ist] eine Konzentration auf das Auto als zentrales Transportmittel festzustellen“ (Opper & Worth & Bös 2007, 879). Dies lässt schlussfolgern, dass in den Alltag professionellen Handelns im Kindergarten Möglichkeiten sowie Räume zur Bewegung und gezielte Bewegungserziehung zu implementieren sind. Vor allem eine „bewegungs- und somit auch bildungsfördernde Raumgestaltung ermöglicht Kindern explorativ zu handeln und mannigfaltige Bewegungs- und Wahrnehmungserfahrungen zu sammeln“ (Stahl v. Zabern, Janine & Böcker-Giannini, Nicola 2016, S. 297). Allerdings stoßen hier Erzieherinnen und Erzieher oftmals an Grenzen, da strukturelle Bedingungen, finanzielle Rahmenbedingungen und ungünstige Personalschlüssel[3] die Umsetzung erschweren.
Argumente für Bewegungserziehung in der Institution Kindergarten sind somit in zahlreichen Publikationen für das pädagogische Fachpersonal zu finden. Dennoch spielt Bewegung im Lehrplan der Fachakademien für Sozialpädagogik im breiten Fächerkanon eine eher untergeordnete Rolle. So sind zum Beispiel im bayerischen Lehrplan drei Gesamtwochenstunden Bewegungspädagogik im ersten und zweiten Studienjahr vorgesehen, davon ist eine Stunde Rhythmik und zwei Stunden Sportpädagogik (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus https://www.isb.bayern.de/download/13669/Ip_fak_sozialpaedagogik.pdf , S. 24). In Zeiten, da Themen wie Inklusion oder Migration den pädagogischen Diskurs bestimmen, besteht die Möglichkeit, dass dieser wichtige Bereich der pädagogischen Arbeit aus dem Blickfeld gerät. Die vorliegende Bachelorarbeit soll aufzeigen, wie substantiell es ist, Bewegungsförderung im Kindergarten zu einem der Gegenstände der pädagogischen Tätigkeit zu machen und der Frage nachgehen, welchen Einfluss Bewegung auf die kindliche Entwicklung hat.
Die vorliegende Bachelorarbeit gliedert sich in vier Teile. Der erste Teil widmet sich der terminologischen Klärung. Darauf aufbauend, wird im zweiten Teil der aktuelle Forschungsstand zur Thematik Bewegung, auf Grundlage des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) und des Motorik-Moduls (MoMo), analysiert und als Basis für weitere Argumente der Bewegungserziehung im Kindergarten dargelegt. Abschließend werden die erzielten Erkenntnisse diskutiert und gegebenenfalls ergänzt. Der methodische Zugang zum Thema stellt eine Literaturanalyse dar. So definieren Webster und Watson (2002) diese Forschungsmethode als solide Grundlage mit welcher es möglich sei, die Menge der existierenden Erkenntnisse darzulegen und im Anschluss daran aufzuzeigen in welchen Bereichen weitere Forschung angestrebt werden sollte (vgl. Webster, Jane & Watson, Richard, 2002, S.13).[4]
Der interdisziplinäre Zugang zur Thematik Bewegung wird vor allem in den Erkenntnissen u.a. der Elementarpädagogik, der Naturwissenschaft, der Sportwissenschaft und der Entwicklungspsychologie deutlich.
2. Der natürliche Bewegungsdrang
2.1. Ein interdisziplinärer Blick auf den Begriff natürlicher Bewegungsdrang
In zahlreichen Publikationen wird der Begriff natürlicher Bewegungsdrang verwendet , allerdings oftmals undefiniert und ohne weitere Spezifikation. Eytmologisch betrachtet,bedeutetder Terminus natürlich"zur Natur gehörend", "sich aus den Gesetzen der Natur ergebend" (vgl. http://www.duden.de/rechtschreibung/natuerlich_folgerichtig_zwanglos_echt). Dies impliziert die kindliche Bewegungals genuin zu betrachten und scheintsomit ein Faktor der Anlage zu sein. Ein interdisziplinärer Blick in den naturwissenschaftlichen Bereich der Sportbiologie lässt erkennen, dass der ausgeprägte Drang nach Bewegung während der Kindheit sowohl neurophysiologische als auch anatomische Gründe hat. So sind u.a. Transmitterüberschüsse, wie zu Beispiel des Dopamins, für einen intensiveren Bewegungsdrangals bei Erwachsenen verantwortlich. Darüber hinaus trägt die ausgeprägte Tätigkeit des Pallidums, seines Zeichens eine bestimmte Region innerhalb der Großhirnrinde, sowie ein erhöhter Vorrat an Eiweißspeichern dazu bei, dass Kinder bewegungsaktiver als Erwachsene sind (vgl. Weineck2004, S. 386 ff). Hinzu kommt ein fast banal klingender Fakt: "Kinder sind klein, leicht und beherrschen ihren Körper im Allgemeinen mit katzenhafter Gewandtheit" (Weineck2004, S. 386).Diese anatomische Tatsache führt zu einemgrößtmöglichen Last-Kraftverhältnis.Kolb (1995) hingegen definiert den natürlichen Bewegungsdrang des Kindes als „die Unfähigkeit, im wachen Zustand seine Glieder längere Zeit hindurch unbewegt zu lassen (Kolb 1995, S.61). Bei dieser Sichtweise wird die biologische Determinante vernachlässigt und dem Kind Unfähigkeit unterstellt. Diese negativ konnotierte Sichtweise gilt es aus elementarpädagogischer Sicht zu kritisieren, da Erzieher*Innen ressourcenorientiert agieren sollten.
Eine weitere Erkenntnis aus dem naturwissenschaftlichen Bereich trägt dazu bei, die Relevanz von Bewegungserziehung als einen der (Bildungs-)Aufträge der Kindertagesstätten zu deutlich zu machen. Der Dopmainausschuss, bei Kindern, die sich bewegen, wirkt sich auf „die Ausschüttung endogener Opiate und damit die hirneigene Belohnung“ (Roth 2010, S.13) aus. So kann von einer Belohnung gesprochen werden, die von Natur aus gegeben ist. (vgl. Roth 2010, S.12-16). Dies ist insofern für die pädagogische Tätigkeit der Erzieher*Innen relevant, da auf Grundlage dieser Sichtweise Kinder keine extrinsischen Motivationsanreize benötigen, um sich zu bewegen. Die Motivation liegt im Handeln selbst. Allerdings sinkt der Dopaminspiegel bereits im zeitigen Erwachsenenalter pro Jahr um ein Prozent und somit die biologisch verankerte Disposition sich zu bewegen (vgl. Weineck 2004, S.386). Der interdisziplinäre Blick trägt dazu bei, gewisse Phänomen eher nachvollziehen zu können, dennoch kritisiert u.a. Fischer (2001) ein „ Menschenbild, das den Menschen auf seine funktionierenden Nervenzellen und Synapsen reduziert und die intentionale Seite des Menschen mit seinen Ängsten, Hoffnungen und Wünschen nur peripher berücksichtigt“ (Fischer 2001, S.29; Herv. i. O.). Dennoch zeigt die naturwissenschaftliche Perspektive, dass Kinder ein elementares Bedürfnis nach Bewegung haben, denn „in keinem Lebensabschnitt spielt Bewegung eine so große Rolle wie in der Kindheit und zu keiner Zeit sind körperlich-sinnliche Erfahrungen so wichtig“ (Billmeier, Ziroli 2014, S.123). Festhalten lässt sich darüber hinaus, dass „dem Kind (...) lange Zeit die Rolle des passiven Rezipienten zugeschrieben [wurde]. Es wurde zum Adressaten motorischer Lernprogramme. Die neue Denkweise sieht den Entwicklungsprozess der menschlichen Motorik als nichtlinear und diskontinuierlich an“ (Bahr & Behrens, Fischer 2016, S.32). Eine abschließende Definition des natürlichen Bewegungsdrangs bleiben die bereits genannten Disziplinen noch schuldig, andere Begrifflichkeiten sind hingegen bereits definiert worden und sollen nun im Folgenden beschrieben werden.
2.2. Begriffsbestimmung – Sport, körperliche Aktivität und Alltagsbewegung
Um einen gewissen Grad an Trennungsschärfe im wissenschaftlichen Sinn zu erreichen, ist es unumgänglich sich mit dem Konvolut an Begriffen zum übergeordneten Thema Bewegung zu beschäftigen. Der Terminus Alltagsbewegungen subsumiert alle gewohnten Bewegungstätigkeiten des Alltags (zu Fuß gehen, Radfahren etc.). Die Forderung nach mehr Alltagsbewegung müsste daher „Erlebnis- und Spielbezüge der Bewegung für Kinder reflektieren und in betreuten Programmen z.B. das Gehen (...) auch als Abenteuer, Wagnis oder Gemeinschaftsereignis zu inszenieren“ (Elflein 2007, S. 113). Dies bedeutet allerdings auch „verloren gegangene oder beschnittene „freie Bewegungs- und Spielwelten“ [Herv.i.O.] zu rekonstruieren sowie z.T. auch entsprechende Räume in betreuten Bewegungssituationen zielgerichtet didaktisch einzuplanen“ (ebd. 2007, S.113).
Bei der Auseinandersetzung mit dem Begriff körperliche Aktivität ist festzustellen, dass zahlreiche Definitionsversuche bestehen, welche sich in den grundlegenden Eigenschaften des Begriffs in der Summe ähneln. So definieren Bouchard und Shepard (1994) körperliche Aktivität wie folgt: „Physical activity comprises any body movement produced by the skeletal muscels that results in a substantial increase over the resting energy expenditure“ (Bouchard & Shepard 1994, S.77). Ergo alle Bewegungen, die Energie produzieren. Dies können demnach alltägliche Bewegungen sein, wie der Fußweg zum Kindergarten, also auch gezielte sportliche und spielerische Aktivitäten. Rost (1997) unterscheidet hier zwischen unstrukturierten Bewegungen, die unbewusst und gängig im Alltag absolviert werden (z.B. Treppen steigen) und strukturierten Bewegungen, die bewusst getätigt werden und mit feststehenden bezweckenden Wirkung verbunden sind (z.B. auf ein Ziel fokussierte Sportart). Ferner ist einer strukturierten Bewegung eine höhere Intensität inhärent (vgl. Rost 1997, S. 23ff). Semantisch betrachtet agiert der Begriff Bewegung „als ein allgemeiner oder übergreifender Fachbegriff und ist an der Basis eines (Didaktik bzw. Pädagogik symbolisierendes) Dreieck positioniert. Der Bewegungsbegriff wird nach zwei besonderen Phänomenausprägungen weiter ausdifferenziert, „Spiel“ und „Sport“, die die Seitenlinien des Dreiecks flankieren“ (Elflein 2007, S. 108; Herv. i. O.). Das Lexem Sport „steht (...) im eigenen unverwechselbaren Kern mehr für Bedeutungsgebungen wie Wettkampf, Trainingsinvestion für Leistungssteigerung, Leistungsmessung, Leistungsvergleich “ (ebd. 2007, S.108; Herv. i. O.). Dieses Begriffsverständnis ist in der pädagogischen Tätigkeit kritisch zu betrachten, da vor allem Wettkampf und Leistungsvergleich zu Exklusion führen kann. Laging (2010) bezieht sich hier auf Funke-Wienieke[5], der diese Kritik bestätigt und innerhalb der Sportpädagogik Erziehung „als etwas durch Erwachsene oder die Gesellschaft zu Erwirkendes verstanden [sieht], bei dem der Erziehende als Objekt, Resonanzboden, Interaktionspartner oder Fremdbestimmer verstanden wird“ (Langing 2010, S. 11f).
Insgesamt bleibt eine präzise begriffliche Abgrenzung der körperlichen Aktivität letztlich für den deutschen Sprachraum schwierig. So resümieren Gruppe & Krüger (2007), dass „[f|ast jede körperliche Aktivität als Sport angesehen, erlebt oder mit sportlichen Motiven verknüpft werden [kann]“ (Gruppe, Omno & Krüger, Michael 2007, S. 260). Im englischen Sprachraum hingegen wird uneingeschränkt der Begriff physical acitvity verwenden.
Im Bereich des Settings der Bewegungserziehung kann zwischen „offenen und situativen bewegungsbezogenen Lerngelegenheiten“ (Billmeier, Ziroli 2014, S.123) und Angeboten, die strukturiert sind, unterschieden werden. Durch die Strukturierung erfährt das Bewegungsangebot eine besondere Wichtigkeit (vgl. ebd. 2014, S.123). Darüber hinaus wird die „regelmäßige, zeitlich geplante Bewegungsstunde (...) als notwendig erachtet, damit Bewegungsaktivitäten nicht zufallsabhängig sind bzw. durch evtl. organisatorische Probleme vernachlässigt werden“ (Hunger 2000, S.14); Herv. F.R.).
Auf der Basis dieses Wissens gilt es Bewegungserziehung – dieser Begriff wird in Punkt 2.3 kurz beschrieben - qualitativ hochwertig und abwechslungsreich in den Kindergartenalltag umzusetzen. Dies erfordert allerdings fachliche Kompetenz und stellt somit auch einen hohen Anspruch an die methodische und didaktische Umsetzung seitens der Erzieher*Innen.
2.3. Bewegungserziehung
Bewegung zählt zu den grundlegenden expressiven Formen von Kindern. Bewegung ist Gradmesser für Lebensfreunde und Vitalität. Kinder springen, klettern, rennen und balancieren und setzen sich damit mit ihrer personalen und materiellen Umwelt auseinander, um diese begreifen zu können (vgl. Zimmer 2013b, S. 26). „Bewegung ist damit ein wichtiges Medium der Erfahrung und Aneignung der Wirklichkeit und bietet vielfältige Gelegenheiten für ganzheitliche Bildung und Erziehung. Körper und Bewegung sind zudem Mittler der Selbstständigkeitsentwicklung. Bewegungserziehung ist in diesem Sinne nicht nur eine Erziehung des Körpers und der Bewegung, sie ist auch eine Erziehung und Bildung durch den Körper und die Bewegung“ (ebd. nach Zimmer 2005, S.26; Herv. i.O.). In vielen Veröffentlichungen ist neben dem Terminus Bewegungserziehung auch der Begriff Bewegungsförderung zu finden. Metzinger (2015) kritisiert allerdings die teilweise virulente Verwendung des Begriffs Förderung in dem er zusammenfasst: „Im Zusammenhang mit der großen Bedeutung von Leistungen und Frühförderung unterstützt auch das Mega-Thema Bildung eine gesellschaftliche Entwicklung, in dem von der pränatalen Frühförderung bis hin zu G8, Kinder auf ihre spätere Rolle als funktionierende Mitglieder einer komplexen Arbeitswelt vorbereitet werden (...). Das Bestreben, bloß keine Möglichkeit und Fähigkeiten des Kindes nicht gefördert zu haben, korreliert mit einer frühkindlichen Bildungsoffensive“ (Metzinger 2015, S. 206). Aus diesem Verständnis hinaus wird in der vorliegenden Bachelorarbeit ausschließlich der Begriff Bewegungserziehung verwendet. Darüber hinaus wird Bewegungserziehung in Abgrenzung zur Psychomotorik verstanden, welche „als ein pädagogisches und therapeutisches Konzept, das im praxeologischen Sinn als psychomotorische Entwicklungsförderung, Motopädagogik oder Mototherapie und in ihrer wissenschaftlichen Orientierung als Motologie bezeichnet wird“ (Krus, Astrid 2015, S. 37).
Bewegung im institutionellen Kontext Kindergarten bedeutet, dass Bewegung in pädagogischer Absicht eingesetzt wird. Zur Bewegungserziehung zählen hierbei sowohl offene Bewegungsangebote im Sinne einer vorbereiteten Umgebung, die den Kindern jederzeit offensteht und die sich nach Belieben nutzen können (z.B. Bewegungslandschaften), als auch zeitlich festgelegte, von den Erzieher*Innen vorbereitete und angeleitete Bewegungsstunden. Unabhängig von der Form des Bewegungsangebots „sollen die Eigenaktivität der Kinder und das weitgehend freie und kreative Erproben neuer Bewegungsmöglichkeiten im Vordergrund stehen. Es muss gewährleistet sein, dass die Kinder ausreichend Gelegenheit erhalten, ihre motorischen Möglichkeiten selbstständig zu erproben und zu vertiefen. Übungen sollen, aufbauend auf der natürlichen Bewegungsfreude des Kindes, möglichst in spielerischer Form stattfinden. Dies schließt keineswegs aus, dass Lernprozesse stattfinden“ (Krumbholz, online verfügbar unter: http://ifp.bayern.de/veroeffentlichungen/publikationen/krombolz-bewegung.php).
Zwar erleichtert eine Entwirrung des Konvoluts an Begriffen unter Umständen das pädagogische Handeln, in dem diese Klarheit verschaffen kann, dennoch kritisiert Hunger (2000), dass es empirisch ungeklärt sei, wie Bewegungserziehung überhaupt umgesetzt wird (vgl. Hunger 2000, S.3). „Zwar sind Studien durchgeführt worden, die über Anspruchsdenken und erzieherisches Vorgehen in den Bewegungsstunden Auskunft geben können, (...) Untersuchungen, die (...) detaillierten Aufschluß [sic!] über (...) Sichtweisen und Handlungsmuster im Rahmen der Bewegungserziehung geben, liegen nicht vor“ (Hunger 2000, S.3).
Dem hingegen sind empirische Erkenntnisse, die die Relevanz von Bewegungserziehung verstärken, in aktuellen Studien dargelegt worden. Ein Einblick in den aktuellen Forschungsstand soll im nächsten Abschnitt gegeben werden.
3. Aktueller Forschungsstand
Bereits Maria Montessori erkannte und formulierte die grundlegende Bedeutung von Bewegung auf kindliche Entwicklung: „Wenn wir bedenken, dass die Möglichkeit zur Bewegung (...) kaum mehr gegeben ist, und dass man sie nicht als wesentlichen Faktor der geistigen Entwicklung ansieht, sollten wir uns im Klaren sein, dass wir damit etwas Schlimmeres anrichten, als wenn wir künstlich taube und stumme Menschen schaffen würden“ (Böhm 1984 nach Montessori 1932, S.77). Dennoch wurde der Topos Bewegung längere Zeit eher rudimentär behandelt und so ist erst seit den 70er Jahren die Thematik kindliche Bewegung enger in den öffentlichen Fokus geraten und nur wenige Publikationen setzten sich damit auseinander. Die Auseinandersetzung mit der didaktischen und methodischen Handlungskompetenz innerhalb der Veröffentlichungen stiegt in den 1980er Jahren signifikant (vgl. Hunger 2001, S.9ff). Im heutigen pädagogischen Diskurs hat die Thematik „einen relativ hohen Popularisierungsgrad erreicht“ (ebd. 2000, S. 11) und die Autorin spricht sogar von einer „wahre[n] Flut von Veröffentlichungen zur vorschulischen Bewegungserziehung (ebd. 2000, S.20). Ein solche Fülle an theoretischen Publikationen kann jedoch das Theorie-Praxis-Problem begünstigen. Denn „[t|heoretische Konzeptionen bleiben für die Praxis oftmals wirkungslos. Sie stoßen auf Rezeptionswiderstände, Verständigungsschwierigkeiten oder Umsetzungsprobleme“ (ebd. 2000, S.31). Zwar scheinen, auf Grund der Anknüpfung theoretischer Erkenntnisse an bereits in der Praxis umgesetzte didaktischen Konzepte, die Bedingungen für eine gelungene Theorie-Praxis gegeben, trotzdem kann dadurch keine generelle Aussage über die praktische Umsetzung der Bewegungserziehung getätigt werden (vgl. ebd 2000, S.32).
[...]
[1] vgl. AOK Familienstudie (2014): http://aok-bv.de/imperia/md/aokbv/presse/pressemitteilungen/archiv/2014/aok_familienstudie_2014_gesamtbericht_band_1.pdf , S. 72)
[2] „Soll-Vorschriften nennt man eine gesetzliche Bestimmung, die ein Tun oder Unterlassen zwar für den Regelfall, aber nicht zwingend vorschreibt (Gegensatz einerseits Muss-Vorschrift, andererseits Kann-Vorschrift). Ein Verstoß gegen die S. hat daher nicht ohne weiteres die Unwirksamkeit (Nichtigkeit) oder Anfechtbarkeit des Rechtsvorgangs zur Folge“ (http://www.rechtslexikon.net/d/soll-vorschrift/soll-vorschrift.htm).
[3] „Ziel der Personalschlüsselberechnung ist, die Anzahl der betreuten Kinder in der Kindertageseinrichtung je pädagogisch tätigen Person auf die verschiedenen Gruppenarten zu ermitteln. Der darzustellende Personalschlüssel ist dabei nur eine „rechnerische Größe“ (Statistisches Bundesamt 2011, S. 5).
[4] Übersetzung aus dem Englischen F.Rauschert
[5] Anlässlich der Emeritierung von Prof. Dr. Jürgen Funke-Wienke 2010 (Universität Hamburg)