Der Ausbruch aus der klassischen Struktur des Kriminalromans in Friedrich Glausers "Schlumpf Erwin Mord"


Hausarbeit, 1999

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

0. Einleitung

1. Biographie Friedrich Glausers

2. Einfluß von Glausers Biographie auf Schlumpf Erwin Mord

3. Besonderheiten in Glausers Kriminalromanen
3.1 Glausers Verständnis vom Kriminalroman
3.2 Vergleich von Schlumpf Erwin Mord mit den klassischen Strukturelementen des Kriminalromans

4. Wachtmeister Studer
4.1 Charakterisierung
4.2 Studers kriminalistische Methode

5. Schluß

6. Literaturverzeichnis

0. Einleitung

Der Gegenstand dieser Arbeit soll der Kriminalroman Schlumpf Erwin Mord des in Deutschland wenig bekannten Schweizers Friedrich Glauser sein. Zuallererst sei darauf hingewiesen, daß für den Roman sowohl dieser Titel als auch die Alternative Wachtmeister Studer existiert. Glauser selbst wählte den erstgenannten Titel für sein Werk, während die für die Veröffentlichung des Textes in der Zürcher Illustrierten verantwortliche Redaktion den Titel Wachtmeister Studer auswählte. Da diese Änderung bei Glauser auf Kritik gestoßen ist,[1] soll in der vorliegenden Arbeit der vom Autor favorisierte Titel verwendet werden.

..Glauser hat im Jahre 1937 über den Kriminalroman gesagt:

Die Handlung eines Kriminalromans läßt sich in anderthalb Seiten gut und gerne erzählen.

Der Rest - die übrigen hundertachtundneunzig Schreibmaschinenseiten - sind Füllsel. Es kommt nun darauf an, was man mit diesem Füllsel anstellt.[2]

Das, was Glauser als „Füllsel“ bezeichnet, ist im literaturwissenschaftlichen Sinn der Text an sich. Im Falle von Glausers Werk bieten sich zwei Aspekte an, unter denen sich seine Texte untersuchen lassen. Der eine ist der Einfluß von Glausers Biographie auf seine Kriminalromane, der andere die Elemente und die Struktur seiner Kriminalromane. Der erstgenannte Aspekt wurde vor allem in der neueren Literatur zu Friedrich Glauser behandelt. Nicht zuletzt die 1981 von Gerhard Saner veröffentlichte Arbeit über das Leben und Werk des Schweizers hat dazu beigetragen, die Parallelen zwischen der Biographie und den Romanen Glausers aufzudecken. Der Schwerpunkt dieser Arbeit soll aber auf dem Vergleich von Schlumpf Erwin Mord mit den für den Kriminalroman typischen Schemata liegen. In Glausers Fall ist es jedoch nicht möglich, sein Konzept des Kriminalromans von seinem Leben zu trennen, so daß man von einem „Zusammengehen von Autobiographie und Kriminalschema“[3] sprechen kann.

..Zu Beginn soll ein kurzer Abriß von Glausers Biographie als Grundlage dafür dienen, die anschließend untersuchten Elemente in seinem Kriminalroman als Ergebnis seiner Erfahrungen zu verstehen. In Kapitel 3 möchte ich untersuchen, inwiefern sich Glausers Kriminalromane von anderen unterscheiden. Glauser hatte ein eigenes Verständnis von dieser Gattung. Anhand eines Vergleichs mit den klassischen Elementen und Strukturen des Krimis soll dargestellt werden, welche Unterschiede, aber auch welche Übereinstimmungen in Schlumpf Erwin Mord vorliegen. Im Anschluß daran möchte ich mich dem Roman selbst zuwenden. Die Figur des Wachtmeisters Studer als Handlungsträger wird hierbei im Mittelpunkt stehen.

..Auf eine genauere Untersuchung der Bedeutung der Nebenfiguren, z. B. der Rolle des Mörders Aeschbacher innerhalb des Dorfes Gerzenstein und seinem Verhältnis zu Studer muß nicht zuletzt wegen des begrenzten Rahmens der Arbeit verzichtet werden. Der Schwerpunkt soll weniger auf einer Charakterisierung der Figuren liegen, als auf einer Analyse der für den Kriminalroman typischen Elemente und deren Variation.

1. Biographie Friedrich Glausers

Eveline Jacksch hat ihrem Buch über Friedrich Glauser den Untertitel Anwalt der Außenseiter[4] gegeben. Es ist jedoch nicht nur Sympathie, die den Schweizer mit den aus der Gesellschaft herausgefallenen bzw. ausgestoßenen Individuen seiner Romane, wie z.B. dem jugendlichen Kriminellen Erwin Schlumpf verbindet. Der Autor war in der Lage, sich für Außenseiter einzusetzen, da er selbst einer war, dessen Lebenslauf sich nicht in gutbürgerliche Schablonen pressen läßt. Im folgenden soll ein grober Abriß seines Lebens dazu beitragen, zu verstehen, warum Glauser in seinen Kriminalromanen kleinbürgerliche Figuren und deren soziale Probleme in den Mittelpunkt stellt.

..Friedrich Glauser wurde am 4. Februar 1896 als Sohn einer Österreicherin und eines Schweizers in Wien geboren. Seine ersten Lebensjahre verbrachte er in geordneten Verhältnissen in seiner Geburtsstadt. Seine Mutter starb 1900. In den Jahren 1910 bis 1916 folgten ein dreijähriger Aufenthalt im Landerziehungsheim Glarisegg in der Schweiz sowie drei Jahre Unterricht am Collège de Genève. Kurz vor dem Abitur mußte er die Schule verlassen, konnte jedoch die Abiturprüfung in Zürich nachholen. Er begann ein Chemie-Studium, wurde kurz darauf drogenabhängig und verbrachte 1919 einige Zeit in der Heilanstalt Münsingen. Auch in den folgenden Jahren ging Glauser keiner geregelten Arbeit nach. Aufenthalte in verschiedenen Anstalten und Aushilfstätigkeiten u.a. als Tellerwäscher, Krankenpfleger und Gärtnergehilfe wechselten sich ab. 1926 schloß er schließlich eine Gärtnerlehre ab, um als Handlanger in einer Baumschule zu arbeiten. Während eines Aufenthalts in Paris arbeitete er als freier Schriftsteller. Doch auch diese Tätigkeit war nicht von Dauer. In den Jahren 1932 bis 1936 folgte ein weiterer Aufenthalt in einer Anstalt in der Schweiz. In diesem Zeitraum entstanden seine ersten Kriminalromane. Friedrich Glauser starb am 8. Dezember 1938 in Nervi in der Nähe von Genua.[5]

2. Einfluß von Glausers Biographie auf Schlumpf Erwin Mord

Glausers Lebenslauf erweckt den Eindruck eines ständigen Auf und Ab, eines andauernden Schwankens zwischen dem Versuch, in einem geregelten Beruf Fuß zu fassen und dem Herausfallen aus der sozialen Ordnung. Glauser scheint sich dessen bewußt gewesen zu sein und gibt dem des Mordes Verdächtigten Erwin Schlumpf eine Biographie, die ebenfalls zwischen Haftaufenthalten und der Hoffnung auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft schwankt:

Lebenslauf? Verdingbub bei einem Bauern. Diebstähle. [...] Dann ging es, wie es in solchen Fällen immer geht. Erziehungsanstalt Tessenberg. Ausbruch. Diebstahl. Wieder gefaßt. Geprügelt. Endlich entlassen. Einbruch. Witzwil. Entlassen. Einbruch. Thorberg drei Jahre. Entlassen. Und dann hatte es Ruhe gegeben - zwei volle Jahre. Der Schlumpf hatte in der Baumschule Ellenberger in Gerzenstein gearbeitet. [...] Und dann war der Mord an dem Wendelin Witschi passiert ...[6]

Schlumpf gehört zu der Gruppe der Außenseiter im Dorf. Obwohl sie eine feste Anstellung in der Baumschule Ellenberger haben, haftet den Vorbestraften der Makel der Kriminalität an. Passiert ein Verbrechen, verdächtigen die Dorfbewohner zuerst sie. Glauser ergreift Partei für die Ausgestoßenen, indem er den Mörder nicht in ihrer Mitte ansiedelt. Stattdessen ist der wahre Täter Gemeindepräsident von Gerzenstein und somit einer der respektabelsten Einwohner des Ortes. Während die Behörden und die Dorfbewohner einen Sündenbock unter den Angehörige der untersten Stufe der Gesellschaftshierarchie ausmachen, fragt Studer nach der Wahrheit, nach dem individuellen Motiv des Mörders und findet auf diese Weise den Schuldigen. Das Anliegen des Wachtmeisters, vorurteilsfrei an die Aufklärung des Verbrechens heranzugehen, läßt sich auf die Biographie des Autors zurückführen:

Glauser schreibt von den Erfahrungen, die er selbst gemacht hat: in der Schule, in der

Anstalt, in der Fremdenlegion. Seine Handlungsträger sind eltern- und heimatlose

Heranwachsende, Jugendliche, die überall nur herumgestoßen werden, bigotte, aber

angesehene Honoratioren [...], denen die sozialen Umstände so zusetzen, daß sie zu Opfer

oder zu Tätern werden [...].[7]

..Darüber hinaus flicht Glauser seine Abneigung gegen konventionelle Kriminalromane und Trivialliteratur in seine Werke mit ein.[8] Während er die Kritik an dem konventionellen Schema des Krimis in der Gestaltung seiner Romane verarbeitet (hierauf wird in Kapitel 3 näher eingegangen werden), baut er seine Abneigung gegen triviale Romane in die Figur des Wachtmeister Studers ein. Wie der Autor selbst verabscheut Studer Romane von Felicitas Rose, Hedwig Courths-Maler und John Kling. Im Zug fragt er die einen Roman von Felicitas Rose lesende Sonja Witschi: „«Warum lesen Sie eigentlich so einen Mist?»“[9] Die gleiche Frage ist auch aus dem Munde Glausers denkbar. So schreibt er in einem Brief an den Verleger des Romans Schlumpf Erwin Mord:

Mein Ehrgeiz strebt nicht darnach, von Literaturbonzen ernst genommen zu werden. Ich möchte die Leute erwischen, die sonst Courths-Maler lesen oder John Kling (...) Wissen Sie, ich kenne diese Leute, es waren meine Kameraden, und ich bin stolz, wenn der eine oder andere eine Geschichte von mir wirklich liest, nicht weil sie von mir ist, sondern weil sie ihn wirklich packt. Vielleicht hat er einen weniger unangenehmen Geschmack im Munde, als wenn er `Heideprinzesschen` gelesen hat.[10]

[...]


[1] Vgl. Walter Obschlager. Editorischer Bericht. In: Friedrich Glauser. Schlumpf Erwin Mord (Wachtmeister Studer). Herausgegeben und mit einem Nachwort von Walter Obschlager. Zürich: Unionsverlag, 1998. S. 245.

[2] Glauser, zit. in: Gerhard Saner. Friedrich Glauser. Band 2. Zürich: Suhrkamp, 1981. S. 314.

[3] Hans Dieter Zimmermann. „Die schwierige Kunst des Kriminalromans. Zum Werk des Schweizers Friedrich Glauser“. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 28 (1978). S. 340.

[4] Eveline Jacksch. Friedrich Glauser. Anwalt der Außenseiter. Bonn: Bouvier, 1976.

[5] Vgl. Saner. Friedrich Glauser. Band 1. S. 530-534.

[6] Glauser. Schlumpf Erwin Mord, S. 7-8.

[7] Jochen Schmidt. Gangster, Opfer, Detektive. Eine Typengeschichte des Kriminalromans. Frankfurt am Main: Ullstein, 1989. S. 558-559.

[8] Vgl. Hardy Ruoss. „«Spotten Sie nicht über Kriminalromane!». Gründe und Hintergründe in Friedrich Glausers Erzählen.“ In: Die Horen 148 (1987) Band 4. S. 66-68.

[9] Glauser. Schlumpf Erwin Mord, S. 39

[10] Glauser, zit. in: Ruoss. „Kriminalromane“, S. 66-67.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Der Ausbruch aus der klassischen Struktur des Kriminalromans in Friedrich Glausers "Schlumpf Erwin Mord"
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Wozu das Böse gut ist: Kriminalroman, Thriller, etc.
Note
2,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
20
Katalognummer
V38798
ISBN (eBook)
9783638377638
ISBN (Buch)
9783638843089
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ausbruch, Struktur, Kriminalromans, Friedrich, Glausers, Schlumpf, Erwin, Mord, Wozu, Böse, Kriminalroman, Thriller
Arbeit zitieren
M.A. Anke Grundmann (Autor:in), 1999, Der Ausbruch aus der klassischen Struktur des Kriminalromans in Friedrich Glausers "Schlumpf Erwin Mord", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38798

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Der Ausbruch aus der klassischen Struktur des Kriminalromans in Friedrich Glausers "Schlumpf Erwin Mord"



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden