Wie aber soll der neue Arbeitgeber sich eine tatsächliche Meinung über den Bewerber bilden, wenn gesetzlich festgelegt ist, dass der alte Arbeitgeber den Arbeitnehmer einerseits zwar wahrheitsgemäß, andererseits aber so wohlwollend wie möglich zu beurteilen hat, um ihn bei seinem weiteren beruflichen Werdegang nicht zu behindern? Durch den Widerspruch der Wahrheitspflicht und des Wohlwollens Gebots, ist das Arbeitszeugnis in seiner Aussagekraft stark eingeschränkt.
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Arbeitszeugnisse sind hier zu Lande schon lange ein Teil des Arbeitslebens. Sie waren bereits
im frühen Mittelalter, vor allem im Gesindezwangsdienst, verbreitet. Durch sich im Laufe der
Zeit verändernde
vertragliche, ordnungsrechtliche und disziplinarische Vorgaben, wurden
Arbeitszeugnisse allerdings immer wieder mit verschiedensten
Begründungen, sowie neu
kombinierten Zielsetzungen ausgestellt. Ebenso wurden sie durch gesellschaftlichen und ar-
beitsrechtlichen Wandel beeinflusst (vgl. List 2009: 119ff). Innerhalb der letzten Jahrzehnte
sind aber keine wesentlichen Veränderungen mehr, sowohl formal als auch inhaltlich, bei den
Arbeitszeugnissen festzustellen.
Dies liegt hauptsächlich an der bestehenden Rechtslage.
Ge-
setzliche Regelungen zum Verfassen von Arbeitszeugnissen befinden sich im Berufsbil-
dungsgesetz, Bürgerlichen Gesetzbuch, der Gewerbeordnung und im Handelsgesetzbuch (vgl.
Laufer 2008: 163). Grundsätzlich ist als Arbeitnehmer nach § 6 Abs. 2 GewO, davon auszu-
gehen, heutzutage bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Anspruch auf ein schriftliches
Zeugnis zu haben. Ein mündliches Zeugnis wäre dem Zweck, als Unterlage für folgende Be-
werbungen zu dienen, nicht angemessen.
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Der Erhalt des Zeugnisses in elektronischer Form
ist, zumindest noch, ausgeschlossen (vgl. Huber/Großblotekamp 2006: 12f). Der Erhalt dieses
Arbeitszeugnisses ist deshalb wichtig, da es für den Arbeitnehmer ein zentraler Bestandteil
der weiteren Bewerbungsunterlagen ist. Es dient sowohl als Nachweis über die Art und Dauer
der Tätigkeit, als auch zur Beurteilung der Tätigkeit und der Persönlichkeit. Somit kann es
eine entscheidende Unterlage für das berufliche Weiterkommen sein. Insbesondere dann,
wenn beim neuen Arbeitgeber relativ viele Bewerbungen vorliegen und dieser sich möglichst
schnell eine Meinung über die Personen bilden muss (vgl. Backer 2008: 6f).
Wie aber soll der neue Arbeitgeber sich eine tatsächliche Meinung über den Bewerber bilden,
wenn gesetzlich festgelegt ist, dass der alte Arbeitgeber den Arbeitnehmer einerseits zwar
wahrheitsgemäß, andererseits aber so wohlwollend wie möglich zu beurteilen hat, um ihn bei
seinem weiteren beruflichen Werdegang nicht zu behindern? Durch den Widerspruch der
Wahrheitspflicht und des Wohlwollens Gebots, ist das Arbeitszeugnis in seiner Aussagekraft
stark eingeschränkt. Dies wurde durch sogenannte ,,Geheimcodes" der Arbeitgeber unterei-
nander versucht zu umgehen, bis dies auch ausdrücklich verboten wurde. Um also Konflikte
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Dies ist zumindest die Sichtweise in Deutschland. Wobei es hier auch immer üblicher wird, vor allem bei Füh-
rungs- oder generell hohen Positionen weitere Erkundigung außerhalb des schriftlichen Zeugnisses einzuholen.
In englischsprachigen Ländern wird dagegen bei der Bewerbung auf Zeugnisse vom Arbeitgeber verzichtet, da
man dort meistens auch keines bekommt. Stattdessen werden bei der Bewerbungen Referenzen aufgelistet,
bei denen der angehende Arbeitgeber sich erkundigen kann, sofern er denn möchte, oder es werden soge-
nannte ,,letter of recommendation" oder ,,character refences" von selbst gewählten Personen hinzugefügt.
(eigene Feststellung nach Aufenthalten in Australien und Irland, vgl. bspw. auch Roß-Kirsch/Tröger 2015,
Huesmann 2008:120ff)
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zu vermeiden, sowie andere Prägungen durch bspw. Zeitmangel oder der fehlende Kontakt
zwischen Vorgesetzten und Angestellten in großen Unternehmen, neigen Aussteller dazu,
allen Mitarbeitern, ausschließlich gute bis sehr gute Zeugnisse auszustellen. Diese Handha-
bung macht allerdings die Zeugnisse für die Personalauswahl untauglich und ist ungerecht
gegenüber den wirklich guten und engagierten Mitarbeitern (vgl. List 2009:120). Diese Prob-
lematiken werfen die Frage auf, wie relevant Arbeitszeugnisse überhaupt noch sind. In der
Literatur zu diesem Thema, findet man häufig kontroverse Diskussionen (vgl. bspw. Huber
2006, Huesmann 2008: 156ff), deren Argumente sich umgangssprachlich zwischen ,,da Ar-
beitszeugnisse überholt sind, sollten sie durch
Referenzen ersetzt werden" und ,,es gäbe keine
Probleme, wenn die Arbeitgeber vernünftige Arbeitszeugnisse schreiben würden" bewegen.
Arbeitszeugnisse sind eine Möglichkeit der Personalbeurteilung. Sie haben insofern eine Son-
derstellung, da sie in Hinblick auf eine externe Verwendung, also für den neuen Arbeitgeber
und nicht wie charakteristischerweise für die weitere Arbeit im Unternehmen, erstellt werden.
Daher erfüllen sie nicht die üblichen manifesten Funktionen, wie Informationsbeschaffung,
Erfolgskontrolle und Leistungssteigerung,
von Personalbeurteilungen (vgl. Domsch/Gerpott
2003: Sp. 1432f.). Lediglich der latente Zweck als
Disziplinierungsmittels kann bei Arbeits-
zeugnissen festgestellt werden. Becker versteht darunter die Stabilisierung von Machtstruktu-
ren (vgl. Becker 2009: 268). Dies kann durchaus der Fall sein kann, indem Arbeitnehmer ver-
suchen ihre Leistungen zu verbessern, um auch ein besseres Zeugnis zu erhalten. Ebenso kann
sich ihre Motivation, gegen Ende hin nochmals Leistung zu erbringen, steigern, um eine gene-
rell schlechtere Beurteilung zu umgehen. Im Bereich der Personalfreisetzung werden Zeug-
nisse zur Leistungsbeurteilung erstellt, im Rahmen der Personalauswahl dagegen zur Potenzi-
albeurteilung benutzt (vgl. Huesmann 2008: 85). Daher zeigt sich bei ihnen das Problem der
zukünftigen Fortsetzung der Leistung eines Mitarbeiters, ohne Wissen über deren Entstehung,
noch deutlicher, als dies bereits bei innerhalb des Unternehmens verwendeten Beurteilungen
der Fall ist (siehe dazu auch Jung 2008: 738f, Becker 2005:363).
Im Wesentlichen erfüllen Arbeitszeugnisse folgende Funktionen: Einerseits sollen sie Arbeit-
nehmern einen Nachweis ihrer Leistungen ermöglichen. Für den Arbeitnehmer haben sie also
eine Werbefunktion für folgende Anstellungen. Gleichzeitig haben Arbeitgeber dadurch die
Möglichkeit des Feedbacks zum Verhalten des Mitarbeiters während seiner Zeit dort. Ande-
rerseits haben sie eine Informationsfunktion für potenzielle Arbeitgeber, da sie während der
Einstellungsphase Auskünfte über das bisher gezeigte Verhalten und die erbrachten Leistun-
gen des Bewerbers geben (vgl. Huesmann 2008:8).
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Unter den Begriff des Arbeitszeugnisses fallen das Zwischenzeugnis und das Ausbildungs-
zeugnis, welche hier außer Acht gelassen werden, sowie das einfache und das qualifizierte
Zeugnis. Während das einfache Zeugnis nur die Art des Dienstverhältnisses und dessen Dauer
beinhaltet, enthält das qualifizierte Zeugnis darüber hinaus auch Ausführungen über die Füh-
rung und Leistung des Arbeitnehmers während des gesamten Beschäftigungszeitraumes (vgl.
Huber/Müller 2014: 39). Wie schon erwähnt, hat prinzipiell jeder Arbeitnehmer das Recht auf
ein Zeugnis, allerdings ist das einfache Zeugnis für weniger qualifizierte und kurzfristig aus-
geübte Tätigkeiten üblich (vgl. Laufer 2008: 166). In diesem Zusammenhang wird in der Pra-
xis auch häufig von einer ,,Arbeitsbescheinigung" gesprochen (vgl. Watzka 2014: 42).
Wie anfangs schon erwähnt, muss der Inhalt eines Arbeitszeugnisses einer doppelten Zielset-
zung gerecht werden. Zum einen muss das Zeugnis wahr sein und zum anderen muss der Ar-
beitgeber es wegen der Fürsorgepflicht wohlwollend verfassen. Die Wahrheitspflicht steht
allerdings über dem Wohlwollen (vgl. Schwarb 1999: 26). Die sich daraus entwickelte Zeug-
nissprache, kann eigentlich nicht mehr als Geheimcode bezeichnet werden, da sie mittlerweile
ausschließlich benutzt wird und sie jedem vielleicht nicht wortwörtlich bekannt, aber dennoch
bewusst ist. Sie orientiert sich an den Schulnoten und wirft daher die Problematik auf, keine
differenzierte Leistungsbeurteilung zu ermöglichen. Um die Arbeitsleistung zu beschreiben,
reicht es allerdings nicht aus, pauschale Aussagen, wie bspw. »Sie hat zu unserer vollsten
Zufriedenheit gearbeitet«, zu machen. Dies ist aber der Fall, was den Verdacht aufkommen
lässt, dass Arbeitgeber, sei es durch Zeitmangel oder ähnliches, diesen Zeugniscode vorschie-
ben, um nicht über andere sprachliche Variationen nachdenken zu müssen (vgl. List 2009:
126).
In ihrer Studie haben Knoll und Dotzel (1996) eine Einschätzung der Bedeutung von Arbeits-
zeugnissen als Teil der Bewerbungsunterlagen vorgenommen. Sie stellten fest, dass in 86%
der teilnehmenden Organisationen Arbeitszeugnisse als Vorauswahlkriterium eingesetzt wer-
den. Nach ihrer Untersuchung wurden die Analyse des Lebenslaufs (zu 94 %) und der Ar-
beitszeugnisse am häufigsten genutzt. Scheer (1995) hat in einer Untersuchung 256 Personal-
berater zu der von ihnen für die Sichtung von Arbeitszeugnissen aufgewendeten Zeit befragt.
Dabei verwendet ca. die Hälfte aller befragten Personalberater bis zu 5 Minuten, ca. ein Drit-
tel der befragten Personalberater verwendete nur 3 Minuten (vgl. S. 396).
Durch diese zwei
Ergebnisse wird ein Gegensatz deutlich: Arbeitszeugnissen wird einerseits eine hohe Bedeu-
tung bei der Vorauswahl beigemessen, andererseits wird nur ein Bruchteil der Zeit darauf
verwendet, sich wirklich mit ihnen auseinander zu setzen. Man könnte also eher von einer
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- Jessika Müller (Author), 2015, Wie wichtig sind heute noch Arbeitszeugnisse beim Bewerbungsprozess für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Deutschland?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/388076
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