Das Konzept des Nichts in Anselm von Canterburys Monologion

Welche Bedeutung nimmt das Nichts in Anselms Argumentationsstruktur ein und wie gestaltet sich sein Verhältnis zum Sein?


Hausarbeit, 2017

13 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Das Nichts – Erschließung des Begriffes

III. Das Nichts in Anselms Beweisführungen
III.1. Grundlegende Erschließung der höchsten Wesenheit
III.2. Ursprung der höchsten Wesenheit – „durch sich selbst“ Sein
III.3. Creatio ex nihilo
III.4. Raum und Zeit als Begrenzung der höchsten Wesenheit

IV. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

In seiner um 1076 verfassten SchriftMonologionversucht Anselm von Canterbury anhand zahlreicher Argumente eine mögliche Herangehensweise aufzuzeigen, anhand derer man sich von dem überzeugen könne, „was wir [gemeint sind hierbei gläubige Christen] von Gott und seiner Schöpfung notwendig glauben.“[1]Dies soll ohne jegliche Voraussetzungen geschehen, also ohne den Bezug zu bereits existenten sakralen Texten herzustellen, somit vollkommen frei von Prämissen. Um dieses Vorhaben umsetzen zu können, bedarf es der entsprechenden Methodik, die Anselm verwirklicht, indem er sich ausschließlich auf die Vernunft (sola ratione) als Quelle zum Erlangen von Erkenntnis bezieht. Hierbei stellen Glaube und Vernunft für Anselm keine Gegensätze dar, vielmehr erweisen sie sich als vollkommen miteinander vereinbar. Ihr Unterschied besteht jedoch darin, dass im Gegensatz zum Glauben, der ein Geschenk Gottes ist, jeder Mensch von Natur aus mit Vernunft bedacht wird. Wenn daher auch eine Diskussion mit dem Ungläubigen beziehungsweise Toren, wie er in Anselms Folgewerk, demProslogion, genannt wird, über den Inhalt des Glaubens auf der Ebene des Glaubens nicht möglich ist, so ist sie es doch auf der Ebene der Vernunft, die jedem Menschen von Natur aus mitgegeben ist.[2]Auf Grundlage der Vernunft thematisiert Anselm in seinem WerkMonologionso den Beweis der Existenz eines höchsten Wesens, die Bestimmung dieser höchsten Wesenheit und letztlich die Bestimmung des Menschen.

Die Thematik, die Anselm in seinem Werk ausführt, ist gleichsam unweigerlich mit dem Nachdenken über das Nichts verbunden. Stellt man sich nämlich die Frage, wieso überhaupt etwas existiert, warum nicht vollkommenes Nichts herrscht, wird bewusst, dass es sich dabei um die eine zentrale Frage handelt, die sich die Menschheit permanent stellt, und zwar die Frage nach dem Ursprung von allem und somit auch nach unserem Platz in der Welt. Ebendiese Frage versucht Anselm in seinemMonologionvernünftig zu erschließen, indem er die Existenz eines höchsten Wesens und dessen Verhältnis zum Sein aller existierenden Dinge untersucht.

Aufgrund dessen soll im Zentrum dieser Seminararbeit nun der, innerhalb Anselms umfangreicher Schrift desMonologionsstets präsente Aspekt des Nichts stehen, wie das Konzept des Nichts immer wieder Einzug in Anselms Argumentationsstruktur erhält, welche möglichen Kritikpunkte es in seinen Beweisgängen mit sich bringt und wie Anselm diese letztlich versucht, aus dem Weg zu räumen. Dahingehend soll zunächst erläutert werden, was gemeinhin unter dem Begriff des Nichts zu verstehen ist. Hieran schließt sich daraufhin der eigentliche exegetische Teil dieser Arbeit an, indem als Voraussetzung für die Bestimmung der höchsten Wesenheit und ihrem Verhältnis zum Nichts zuallererst Anselms Beweis deren Existenz kurz erläutert wird. Hierauf folgt schließlich die Entfaltung der auf die höchste Wesenheit bezogenen Argumentation Anselms, deren Relation zum Nichts anhand ausgewählter Aspekte zum Tragen kommen soll; diese Aspekte stellen zum einen den Ursprung der höchsten Wesenheit, also ihr „durch sich selbst“ Sein, zum anderen diecreatio ex nihilosowie letztlich den Faktor von Raum und Zeit in Bezug auf die höchste Wesenheit dar. Abschließend werden im vierten und letzten Teil dieser Arbeit die erarbeiteten Erkenntnisse nochmals zusammengefasst. Insgesamt soll das Ziel dieser Seminararbeit keine auf Vollständigkeit beruhende Untersuchung sein, sondern die begründete exemplarische Analyse ausgewählter Aspekte.

II. Das Nichts – Erschließung des Begriffes

Wenn man anfängt, sich mit dem Nichts auseinander zu setzen, sollte man sich den Begriff zunächst genauer erschließen. Mit „Nichts“ wird in der Alltagssprache ein universelles, abstraktes Konzept bezeichnet, das verschiedene Bedeutungsaspekte besitzt; „nicht“ dient zur sprachlichen Negation von Aussagen oder Satzelementen, „nichts“ bedeutet „nicht irgendetwas“, kein Ding, keine Sache, das „Nichts“ bezieht sich auf die Negation und Abwesenheit des Seins, eine allgemeine Unbestimmtheit. VondemNichts zu reden, ist in der Regel jedoch eine sprachliche Verwirrung, denndasNichts impliziert Nichts als Entität, als seiendes Ding, was allerdings jeglicher Logik entbehrt.[3]Das Nichts kann es demnach nicht geben, im Sinne von existieren, denn dann wäre es ja etwas. Das Nachdenken über das Nichts ist wichtig, um verstehen zu können, was etwas ist und damit auch, was wir sind. Erst dort, wo das Sein in einem gewissen Sinne gleichsam auch nicht mehr existiert, kann es Bewegung geben, wodurch erkennbar wird, dass es in der Natur viel Nichts gibt, nämlich das Nichtmehr des Lebens, der Tod; in diesem Sinne ist ein ständiges Nichten ein immanenter Teil der Natur. Der Erwachsene, der ich jetzt bin, ist gleichzeitig das Kind, das ich einmal war, jetzt aber nicht mehr bin und das ist wesentlich für den Erwachsenen, der ich bin. Somit bin ich letztendlich aus einem Prozess von Vernichtung hervorgegangen als der, der ich heute existiere. Wir brauchen also zu dem Begriff des Seins als Grenzbegriff den Begriff des Nichts. Das Nichts ist für uns allerdings nicht leicht zu fassen, es ist ein schwieriges Konzept, sogar so schwierig, dass wir uns eigentlich gar nicht nichts vorstellen können. Bei dem Gedanken an Nichts verfällt man schnell in die Vorstellung eines „falschen“ Nichts, man assoziiert damit also Dinge, die trotzdem etwas sind, wie beispielsweise etwa die Farbqualität Schwarz, denn Schwarz ist eine Wahrnehmung, die im Nichts nicht existieren würde. Auch könnte man sich vorstellen, was außerhalb unseres Universums existiert, denn außerhalb der Grenzen von Raum und Zeit müsste doch nichts sein. Aber selbst in dieser Realität gibt es doch irgendwo mitten in diesem vermeintlichen Nichts unser Universum und damit also definitiv etwas. Wahres, echtes Nichts kann man sich schlicht nicht vorstellen, weder optisch, akustisch noch in einer anderen sinnlichen Form, beziehungsweise die uns mögliche Vorstellung davon trifft es nicht. Die Imagination eines absoluten Nichts ist uns also nicht möglich, sie entgleitet uns immer wieder.

III. Das Nichts in Anselms Beweisführungen

Auch Anselm greift das Nichts in seiner Argumentation zur Existenz und Bestimmung der höchsten Wesenheit auf, da es eine mögliche Gefährdung seiner rein durch die Vernunft erlangten Schlüsse darstellt.

III.1. Grundlegende Erschließung der höchsten Wesenheit

Seinen Beweisgang, der die Existenz der höchsten Natur begründen soll, führt Anselm im ersten Kapitel des Monologions aus und bezieht sich dabei auf die Güte von Dingen, um ein höchstes Gut herleiten zu können. Kurz zusammengefasst geht er hierbei davon aus, dass in der Welt Dinge existieren, die gut sind. Wenn es nun verschiedene Dinge in unserer Welt gibt, die man als gut bezeichnen kann, muss es etwas Gemeinsames in diesen Dingen geben, das ihr Gutsein ausmacht, das uns erlaubt, sie als gut zu definieren. Nach Anselm ist es also notwendig, dass alle endlich seienden Dinge durch etwas anderes gut sind. Dadurch lässt sich auf ein durch sich selbst Gutes schließen, durch das die endlichen Dinge durch Teilhabe an seiner Güte selbst Aspekte des Gutseins erlangen.[4]Kurz gesagt: Die in unserer Welt existierenden guten Dinge sind Abbilder eines ursprünglichen und durch sich selbst Guten und da die Existenz von Abbildern die Dimension eines Urbildes voraussetzt, kann es nur ein höchstes Gut (summum bonum) und somit nur eine höchste Wesenheit geben.[5]

Da dadurch für Anselm die Existenz einer höchsten Wesenheit logisch bewiesen ist, stellt sich nun die Frage nach ihrem Ursprung und ihrer Beschaffenheit. Von Anfang an setzt Anselm dabei die Frage nach der höchsten Wesenheit mit der nach ihrem Verhältnis zu den von ihr geschaffenen Entitäten in Verbindung.[6]So erschließt Anselm zunächst, auf welche Weise die seienden Dinge aus der höchsten Wesenheit hervorgegangen sind, ob sieausihr geschaffen sind, sie also die gleiche Stofflichkeit besitzen, sodass die höchste Wesenheit als Urelement auszufassen ist, oder ob die Dingedurchsie geschaffen sind, wodurch die höchste Wesenheit das Urprinzip, die Wirkursache der Dinge darstellt. Den materiellen Bezug der höchsten Wesenheit im Sinne eines Urelementes zu den von ihr geschaffenen Dingen versucht Anselm nun zu widerlegen. Wären die Dinge nämlich Teil einer göttlichen Materie, würde das Wesen der höchsten Wesenheit abgeschwächt werden, da ihre Substanz dadurch einen zerlegbaren Charakter annehmen würde.

III.2. Ursprung der höchsten Wesenheit – „durch sich selbst“ Sein

In Bezug auf die Ursache der höchsten Wesenheit selbst, wird eine Beschreibung durch diese Kategorien jedoch problematisch, denn sie kann „weder von sich noch von einem andern gemacht“[7]worden sein. Wäre sie von sich selbst gemacht worden, so hätte sie als schaffende wie auch elementare Substanz zeitlich vor sich selbst existieren müssen, um aus sich hervorgehen zu können, was einen logischen Widerspruch darstellt. Ebenso wenig kann jedoch ein anderes als ihr Ursprung gedient haben, da dieses andere dadurch der höchsten Wesenheit übergeordnet wäre und somit ihren Rang vermindern würde. Um aber nun die höchste Wesenheit als etwas, das nicht durch eine Ursache entstanden ist, erklären zu können, gibt es für Anselm nur drei Möglichkeiten: Die höchste Natur ist entweder nichts, oder wenn sie etwas ist, ist sie entweder durch nichts oder aus nichts hervorgegangen. Die erste Hypothese ist absurd, denn etwas, was ist, kann nicht gleichzeitig auch nicht sein, Nichts und Sein widersprechen sich gegenseitig. Die zweite Annahme, die höchste Natur sei durch nichts, ist ebenso widersinnig, denn wie Anselm schon im dritten Kapitel des Monologions erklärt, „lässt sich […] nicht einmal denken, daß etwas nicht durch etwas sei[,] [a]lles, was ist, ist durch etwas“.[8]Die letzte Hypothese, die höchste Natur sei aus nichts, lässt sich nun wiederum in drei Annahmen aufteilen: Entweder ist sie aus nichts durch sich, was nicht möglich ist, da sie ihrer eigenen Existenz vorausgehen müsste, um durch sich selbst entstehen zu können. Zweitens könnte sie aus nichts durch ein anderes sein, was jedoch ebenfalls widersprüchlich ist, da sie dadurch diesem anderen untergeordnet und somit nicht mehr die höchste Natur wäre. Die letzte Option wäre, dass sie aus nichts durch nichts ist, doch da etwas, was ist, nicht durch nichts sein kann, wird diese Hypothese auch widerlegt. Somit führt Anselm alle zuvor aufgestellten Annahmen ad absurdum, sodass er nun auf negative Weise bewiesen hat, dass die einzig denkbare Möglichkeit des Ursprungs der höchsten Wesenheit ist, dass sie durch sich selbst und aus sich selbst ist. Sie ist das Subjekt ihres eigenen Seinsaktes und ist somit mit diesem identisch, weshalb der Begriff der Ursache in ihrem Fall fehl am Platz ist.[9]Indem Anselm all diese sogleich durch ihn negierten Hypothesen überhaupt aufführt, wird deutlich, dass denkbare Einwände von ihm erkannt und vollständig widerlegt werden, um möglicher Kritik direkt vorbeugen zu können.[10]

III.3. Creatio ex nihilo

Hier nun kommt Anselm wiederum auf die Art des Schaffens der seienden Dinge durch die höchste Wesenheit zurück, es soll genauer bestimmt werden, auf welche Weise sie die Dingedurchsich hervorbringt. Maßgeblich ist hierbei das Merkmal des Schöpfungsgedankens, dass die höchste Wesenheit die Dinge aus nichts schafft (creatio ex nihilo), also keinerlei Materie für ihre Schöpfung bedarf. Wenn sie jedoch die Dinge allein durch sich aus nichts hervorgebracht hat, dann wäre das Nichts mitwirkend an der Erschaffung der Dinge und schränke somit die alles verursachende höchste Wesenheit in ihrer Rolle ein. „Wenn also etwas aus nichts gemacht wurde, dann war dieses Nichts Ursache dessen, was aus ihm gemacht wurde. Aber wie half das, was kein Sein hatte, einem Etwas, daß es zum Sein gelangte?“[11]Ausgehend von dieser Überlegung untersucht Anselm die Bedeutung des Wortes „Nichts“, ob es als Entität aufgefasst werden kann oder es kein Etwas darstellt. Hierbei kommt er zu der Behauptung, wenn das Nichts etwas sei, dann wäre alles, was aus diesem Nichts entstanden ist, aus einem Etwas hervorgegangen.[12]Dementsprechend lautet die zweite Annahme, dass, wenn es sich bei dem Nichts eben gerade nicht um eine Entität handle, aus diesem Nichts auch nichts entstehen könne, da es logisch nicht denkbar sei, dass aus etwas nicht Existentem etwas Seiendes hervorgehen könne.[13]Aus diesen beiden Hypothesen scheint sich darum der Schluss zu ergeben, „daß alles, was geworden ist, aus etwas geworden ist.“[14]Dieses Ergebnis steht jedoch allem, was Anselm zuvor vernünftig hergeleitet hatte, entgegen, denn so hieße das unter Berücksichtigung dercreatio ex nihilo, dass das Nichts tatsächlich als Etwas zu denken wäre, wodurch alles zuvor über die höchste Wesenheit geschlossene, ungültig würde. Um dieses Problem zu erschließen, führt Anselm nun drei Auslegungsarten der Behauptung auf, etwas sei aus nichts gemacht. Die ersten beiden Arten, diese Behauptung aufzufassen, sind für Anselm beide widersinnig; sie bestehen einerseits darin, dass, wenn ein Ding aus nichts gemacht ist, dieses Ding überhaupt nicht gemacht wurde, also keinerlei Existenz hat. Andererseits ist die zweite Art der Auslegung die, dass das Nichts als etwas Existierendes behandelt wird, was jedoch stets einen Widerspruch in sich bedeutet. Somit bleibt nur die dritte und letzte Möglichkeit als logische Auslegungsart übrig. Sie besagt, dass das Nichts nicht als etwas gedacht werden kann und dass die existierenden Dinge zwar gemacht wurden, aber das, woraus sie gemacht wurden, nicht existiert. Um diesen abstrakten Gedankengang zugänglicher zu gestalten, führt Anselm ein Beispiel an, anhand dessen deutlich gemacht werden soll, dass das Nichts keineswegs als Ursache verstanden werden kann: Wenn ein Armer zu Reichtum gelangt, bedeutet das, dass er nun etwas ist, was er vorher nicht war, nämlich reich, und somit wird „dieser, der früher gleichsam für nichts erachtet wurde, […] jetzt […] wirklich für etwas gehalten“, „was früher nichts war, ist jetzt etwas.“[15]Auf diese Weise wird deutlich, dass das Nichts immer nur in Bezug auf etwas Konkretes gedacht werden kann, wie hier also das Nichtsein von Armut oder Reichtum; als eigenständige Entität ohne etwas Bestimmtes, worauf es sich beruft, kann das Nichts nicht gedacht werden, somit markiert es den Wechsel von Umständen oder Eigenschaften von deren Nichtexistenz zu ihrem Vorhandensein.[16]Das Nichts wird also als das Nichtsein von etwas gedacht, das geworden ist, und dient als Unterscheidung zum Sein dessen, was geworden ist. Auf diese Weise kommt die Dimension der Zeit zum Tragen, denn ein Wechsel von Umständen impliziert dieses Gewordensein der Dinge, eine Entwicklung, die erkannt wird, ohne die das Nichts nicht denkbar wäre.

III.4. Raum und Zeit als Begrenzung der höchsten Wesenheit

Unter Betrachtung des Zeitaspekts in Bezug auf die höchste Wesenheit stellt das Nichts jedoch wiederum einen problematischen Faktor dar. Denn wenn die höchste Wesenheit in einer zeitlichen Dimension gedacht wird, so ist es aufgrund der bisherigen Erkenntnisse notwendig, zu schließen, dass weder vor noch nach der höchsten Wesenheit etwas existiert haben kann; würde dies nämlich der Fall sein, so würde dieses Etwas, was vor oder nach ihr existieren würde, über die Existenzdauer der höchsten Wesenheit selbst hinausgehen, wodurch dieser der Rang der höchsten Wesenheit abhandenkommen würde. Aus diesem Grund kann vor der höchsten Wesenheit nichts gewesen sein, genauso wie auch nach ihr nichts sein wird.[17]Dadurch bedroht nun allerdings wiederum das Nichts die Geltung von allem bisher über die höchste Wesenheit vernünftig Erschlossenem, denn wenn vor und nach der höchsten Wesenheit nichts war und sein wird, war sie demnach nicht, als das Nichts war „und wenn das Nichts sein wird, wird sie nicht sein.“[18]Diese zeitliche Nebenordnung von Nichts und Sein gelingt es Anselm wieder anhand eines Beispiels aufzubrechen, durch das er den doppelten Sinn der Aussage, dass vor der höchsten Wesenheit nichts war, erschließt. Zum einen kann diese These nämlich in dem Sinne aufgefasst werden, dass es eine Zeit gab, bevor die höchste Wesenheit war, zu der das Nichts war, während die andere Art der Auffassung wäre, dass es vor der höchsten Wesenheit nicht irgendetwas gab. Als dafür entsprechendes Beispiel führt Anselm das Erlernen des Fliegens an, denn wenn ein Mensch den Satz äußert „nichts hat mich fliegen gelehrt“, so ist dieser Ausspruch analog zu den beiden zuvor erläuterten Auffassungsarten zum einen so zu verstehen, dass das Nichts selbst als Entität dem Sprecher das Fliegen gelehrt hat, zum anderen auf die Weise, dass nicht etwas dem Sprecher das Fliegen lehrte, er somit des Fliegens nicht mächtig ist, weil er es nicht erlernt hat.[19]Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass die Annahme, vor der höchsten Wesenheit sei nichts gewesen, nur widersinnig ist, wenn man sie entsprechend der ersten Auslegungsart deutet. Somit kann für Anselm „aufs wahrste geschlossen [werden], daß weder etwas noch nichts der höchsten Wesenheit vorausgegangen ist noch ihr folgen wird“ und dass dennoch „die Festigkeit des bereits Aufgebauten durch keine Nichtigkeit des Nichts erschüttert [wird].“[20]

[...]


[1]Anselm von Canterbury: Monologion. Lat-dt. Ausg. Von Franciscus Salesius Schmitt. Stuttgart 1964, S. 41.

[2]Vgl. Hansjürgen Verweyen: Anselm von Canterbury. 1033-1109. Denker, Beter, Erzbischof. Regensburg 2009, S. 45.

[3]Anzuführen wäre zu dieser Thematik vor allem die Schrift „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ von Rudolf Carnap.

[4]Anselm von Canterbury: Monologion, S. 43ff.

[5]Vgl. Christian Tapp: The Uniqueness of God in Anselm'sMonologion. In: Theory and practice of logical reconstruction. Anselm as a model case. Gasthrsg.: Friedrich Reinmuth, Geo Siegwart, Christian Tapp. Reihe: Logical Analysis and History of Philosophy. Bd. 17. Münster 2014, S. 73.

[6]Vgl. Verweyen: Anselm von Canterbury, S. 47.

[7]Anselm von Canterbury: Monologion, S. 53.

[8]Ebd., S. 45.

[9]Vgl. Chung-Mi HwangBo: Urteilskraft und Gotteserkenntnis: Zur Argumentationsstruktur imMonologiondes Anselm von Canterbury. Bonn 2007, S. 72.

[10]Vgl. Ebd., S. 71.

[11]Anselm von Canterbury: Monologion, S. 63.

[12]Vgl. Ebd., S. 63.

[13]Vgl. Ebd., S. 63.

[14]Vgl. Ebd., S. 63.

[15]Ebd., S. 67.

[16]Vgl. HwangBo: Urteilskraft und Gotteserkenntnis, S. 84.

[17]Vgl. Anselm von Canterbury: Monologion, S. 93.

[18]Ebd., S. 93.

[19]Vgl. Ebd., S. 93ff. Vgl. ebenfalls HwangBo: Urteilskraft und Gotteserkenntnis, S. 225.

[20]Anselm von Canterbury: Monologion, S. 94.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Das Konzept des Nichts in Anselm von Canterburys Monologion
Untertitel
Welche Bedeutung nimmt das Nichts in Anselms Argumentationsstruktur ein und wie gestaltet sich sein Verhältnis zum Sein?
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
1,3
Jahr
2017
Seiten
13
Katalognummer
V388697
ISBN (eBook)
9783668627796
ISBN (Buch)
9783668627802
Dateigröße
487 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konzept Nichts, Anselm von Canterbury, Philosophien, Glauben, Gott
Arbeit zitieren
Anonym, 2017, Das Konzept des Nichts in Anselm von Canterburys Monologion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/388697

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