Sozialraumorientierung als Innovation in der Bewährungshilfe


Bachelorarbeit, 2015

68 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Innovation: das Fachkonzept Sozialraumorientierung
2.1. Die Entstehung des Fachkonzepts
2.1.1. Sozialraumorientierung in der Tradition der Gemeinwesenarbeit (GWA)
2.1.1. Institutionelle Inklusion
2.2. Das SONI- Schema: Die vier Ebenen von Sozialraumorientierung
2.2.1. Handlungsfeld Individuum
2.2.2. Handlungsfeld Netzwerk
2.2.3. Handlungsfeld Organisation
2.2.4. Handlungsfeld Sozialstruktur
2.2.5. Der Sozialraum
2.3. Die Prinzipien des Fachkonzepts
2.3.1. Konsequenter Orientierungspunkt: Wille der Betroffenen
2.3.2. Unterstützung von Eigeninitiative und Selbsthilfe
2.3.3. Der Fokus liegt auf den Ressourcen
2.3.4. Zielgruppen- und bereichsübergreifende Sichtweisen
2.3.5. Kooperation und Koordination

3. Die Bewährungshilfe: ambulante Straffälligenhilfe im Zeichen sozialer Kontrolle
3.1. Resozialisierung (Reso) und soziale Integration
3.2. Zwischen Hilfe und Kontrolle: das doppelte Mandat

4. Das Fachkonzept in Zeiten steigender Anforderungen
4.2. Motivation im Zwangskontext
4.2.1. Motivation als zu erarbeitender Prozess
4.2.2. Wie Motivation entsteht
4.2.3. Konsequenzen für sozialraumorientiertes Handeln
4.3. Standardisierung von Hilfe und Kontrolle
4.3.1. Case- Management (CM)
4.3.2. Der standardisierte Kontrollprozess nach Klug (2005/ 2007/ 2008)
4.3.3. Risikoorientierte Bewährungshilfe (ROB)
4.4. Übergangsmanagement
4.4.1. Integrierte Resozialisierung

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnis

Eigenständigkeitserklärung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Budde/ Früchtel 2010 12

Abbildung 2: Schubert 2008, S. 38 13

Abbildung 3: Moxley 1989 zit.n. Wendt 1995, S. 26 37

Abbildung 4: in Anlehnung an Klug 2005, S. 188 40

Abbildung 5: Maelicke 2010 47

1. Einleitung

Im Anbetracht immer komplexer werdender gesellschaftlicher, sozialer und infolgedessen gestiegener fachlicher Anforderungen und Entwicklungen, muss sich auch die Bewährungshilfe Änderungsprozessen stellen, die momentan für enorme Umbauprozesse in der gesamten Straffälligenhilfe sorgen (vgl. Kap. 3.f.).

Gegenstand der vorliegenden Ausarbeitung ist die Frage, ob das Fachkonzept der Sozialraumorientierung an genau diesem Punkt dem Anspruch einer fachlichen Innovation gerecht wird und in der Lage ist für grundlegende Verbesserung auf Seiten der Bewährungshilfe zu sorgen.

Die Straffälligenhilfe orientiert ihre Angebote bisher überwiegend an dem Hilfebedarf, der durch strafrechtliche Sanktionen entsteht. Sie wird aktiv, wenn das ‚Kind bereits in den Brunnen gefallen ist‘ und kooperiert eng mit der Justiz. Reichen diese Interventionsstrategien angesichts sich verschärfender sozialer Problemlagen in unserem Land noch aus, oder müssen die Konzepte der Straffälligenhilfe konsequenter als bisher an präventiven und gemeinwesenorientierten Gesichtspunkten ausgerichtet werden?[1] (Bakemeier 2012, S. 7).

Vor diesem Hintergrund wird zunächst das Fachkonzept in seiner gesamten Breite erläutert (vgl. Kap.2); es geht darum, dem Leser die Bedeutung und das Potential sozialraumorientierter Handlungsweisen und Grundsätze zu verdeutlichen. Erst im Kontext dieses Wissens erhält die vorangestellte Fragestellung ihre wissenschaftliche Bedeutung: ein derart ausdifferenzierter, vielschichtiger und menschlicher Ansatz gibt das Versprechen zukunftsorientiert und dauerhaft für Verbesserung in den Verhältnissen der Menschen zu sorgen und auf diejenigen Probleme bzw. Schwierigkeiten eine Lösung zu kennen, die die Fachdiskussionen innerhalb der Bewährungshilfe dominieren.

Ob die Sozialraumorientierung dieses Versprechen einlösen und sich darüber hinaus im Rahmen gesetzlicher Vorschriften bzw. rechtlicher Regelungen, die die Grundlage jeglicher Arbeit der Bewährungshilfe darstellen, behaupten kann, wird in den folgenden Ausführungen geprüft.

Dazu wird die Institution der Bewährungshilfe im Sinne eines groben Überblicks kurz in allen wichtigen Aspekten und sich vollziehenden Entwicklungen dargestellt (vgl. Kap. 3). Anschließend werden bereits bestehende Strategien und Lösungsansätze vorgestellt, die als Reaktion auf bestehende Belastungen und Schwierigkeiten entstanden sind. Eine solche Darstellung ist deshalb sinnvoll, weil sie dem Leser ein gewisses Grundverständnis für die üblichen Vorgehensweisen und Gedanken in der Bewährungshilfe erlaubt und die Möglichkeit bietet, nach etwaigen Verknüpfungspunkten zwischen aktuellen und möglichen sozialräumlichen Einsatzpunkten zu suchen (vgl. Kap. 4).

Alle Überlegungen und Gedanken der verschiedenen Kapitel dienen der Bearbeitung der eben aufgestellten Fragestellung, die mithilfe eines abschließenden Fazits im fünften Kapitel beantwortet wird; neben einer kurzen Zusammenfassung bietet es ebenfalls einen Ausblick, der die sich stellenden Umsetzungsschwierigkeiten berücksichtigt.

Der besseren und einfacheren Lesbarkeit halber wird im Folgenden mit der männlichen Form der jeweiligen Nomen vorliebgenommen. Selbstverständlich sind stets beide Geschlechter gemeint.

2. Die Innovation: das Fachkonzept Sozialraumorientierung

Schon seit Anfang der 1990er Jahre sorgt das Fachkonzept Sozialraumorientierung für „frischen Wind“ und neue Impulse in den verschiedensten Arbeitsfeldern Sozialer Arbeit; nicht länger die pädagogische Absicht des Professionellen oder der Gebrauch eines spezialisierten „ Methodenarsenals “ (Budde/ Früchtel 2011, S. 845) zur gesellschaftlich- gewünschten und normgerechten Veränderung des Menschen sind von Bedeutung, sondern die Gestaltung von Lebenswelten, Arrangements und Verhältnissen, die auch in prekären Lebenssituationen selbstbestimmt leb- und meisterbar zu gestalten sind (vgl. ebd., S. 845f.)[2].

Das folgende Kapitel geht dabei näher auf diesen Zusammenhang ein, indem es über Entstehungshintergründe, Prinzipien und die diversen Ebenen, die bei einer sozialräumlichen Vorgehensweise von Bedeutung sind, informiert; Ziel ist der Aufbau eines Grundwissens, das dem Leser das Verständnis der nachfolgenden Ausführungen erleichtert.

2.1. Die Entstehung des Fachkonzepts

2.1.1. Sozialraumorientierung in der Tradition der Gemeinwesenarbeit (GWA)

Das Fachkonzept ‚Sozialraumorientierung‘ kann Impulse geben in jedem Arbeitsfeld Sozialer Arbeit und somit ähnelt es in seiner Anlage dem damaligen Arbeitsprinzip GWA “ (Hinte 2010, S. 86)

Die Gemeinwesenarbeit ist das Ergebnis der „ praktischen, theoretischen und sprachlichen Suchbewegungen “ (Hinte 2010, S. 86) in den 60er- bzw. 70er Jahren und beschreibt ein Konzept, das die defizitorientierte und medizinische Betrachtungsweise des Menschen zu Gunsten einer radikalen und zunächst leistungsunabhängigen Ressourcen- und Willensorientierung abgelöst hat. Nicht nur „ sozialarbeiterische sondern auch [damalige] gesellschaftspolitische Selbstverständlichkeiten [sind damit] grundlegend in Frage “ (Hinte/Treeß 2007, S.18) gestellt worden. Das innovative Potential der GWA ist indes wenig beachtet worden: negative Assoziationen, fehlende gesetzliche Grundlagen und mangelnde institutionelle sowie fachliche Anschlussfähigkeit haben die flächendeckende Nutzung der gemeinwesenorientierten Prinzipien und Diskussionslinien verhindert. Trotzdem zählt die Gemeinwesenarbeit heutzutage zu einem der drei klassischen methodischen Arbeitsfelder Sozialer Arbeit, die in ihrer Bedeutsamkeit in Form der „Sozialraumorientierten Sozialen Arbeit“ in den 80er Jahren am Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung (ISSAB) zu neuen Perspektiven und Handlungsspielräumen erweitert und ergänzt worden ist (vgl. Hinte 2007a, S. 8f./ebd. 2007, S. 100):

2.1.1. Institutionelle Inklusion

Die klassische Sozialarbeit, die auf der „ Leitdifferenz Norm (Konformität) und Abweichung (Devianz) “ (Kleve 2006, S. 108) aufbaut und dementsprechend individuelle und eigenartige Verhaltensweisen anzupassen und zu normalisieren versucht, ist seit jeher Teil eines desintegrierenden Systems: Defizite des Einzelnen werden entdeckt, Diagnosen gestellt, abweichende Merkmale zu einer Zielgruppe gebündelt und mit einer speziellen Methode bearbeitet.

In einer Zeit, in der der Mensch selbst zum Regisseur seines Lebens wird und in der unzählige Möglichkeiten von Lebensgemeinschaften denkbar sind, ist die Soziale Arbeit nicht mehr in der Lage zwischen „normal“ und „abweichend“ zu unterscheiden. Allgemeingültige Werte bzw. Normen und überlieferte Traditionen verlieren vor dem Hintergrund dieses gesellschaftlichen Wandels ihre Verbindlichkeit, sodass Professionelle immer weniger in der Lage sind zu beurteilen und zu wissen, was ihre Klient/innen wollen bzw. brauchen (vgl. ebd.).

Mit dem sozialraumorientierten Fachkonzept ist die Möglichkeit einer neuen Art von Kommunikation geschaffen, die den Klienten als Experte und Wissensquelle für die gemeinsame Lösungsfindung betrachtet. Hinte (2011) spricht in diesem Zusammenhang von der „institutionellen Inklusion“ (ebd., S. 101) – statt zielgruppen- und fallspezifisch zu etikettieren, verankert sich die Soziale Arbeit mit ihren Kompetenzen, Kenntnissen und Haltungen so in die verschiedenen gesellschaftlichen Felder (wie zum Beispiel Stadtteil, Arbeitswelt oder Gefängnis), dass sie Anschluss findet und/oder Bestandteil der institutionellen, juristischen bzw. bürokratischen Regelsysteme wird. Öffnet sie sich gegenüber den unterschiedlichen Regelsystemen und betrachtet sich als Teil eines Gesamtfeldes, verändert sich indes ihr professioneller Orientierungs- bzw. Bezugspunkt: Der Sozialraum und nicht länger das Defizit des „Falls“ bzw. die Benachteiligung der Spezialgruppe wird zum Ausgangspunkt der Arbeit.

Vor dem Hintergrund einer sozialräumlichen Ausrichtung Sozialer Arbeit können fachliche Standards in das professionelle Handeln implementiert werden, die den Blick stets auf die Umwelt bzw. das Umfeld der Menschen legen, in denen sie sich „ mit ihren Interessen und Lebensentwürfen “ (ebd., S. 102) bewegen. Im Zuge einer ganzheitlichen und „zusammenhängenden“ Betrachtung des Einzelfalls besteht das Ziel indes nicht länger in der Einebnung von Differenz, sondern in der Stärkung der individuellen Selbstständig- und Eigenverantwortlichkeit innerhalb einer bürgernahen und nachbarschaftlichen kommunalen Infrastruktur. Es geht also nicht darum, die „ 137. moderne stationäre Einrichtung [zu] konzipieren “ (ebd., S. 105); wenn Soziale Arbeit funktionieren will, braucht es zielgruppen- und zuständigkeitsübergreifende alltagsweltliche Bezüge und keine Sondersysteme. Auch Budde und Früchtel (2005) fassen zusammen: „ Integrieren können aber keine Spezialsettings der Sozialen Arbeit, sondern nur Regelsysteme “ (ebd., S. 4). Voraussetzung für eine solche ganzheitliche Betrachtung von Sozialraum und Klient ist der Aufbau von Netzen und die Erkundung, Förderung und Nutzung von Ressourcen, die als „Schätze“ im Stadtteil zu finden sind und in ihrer Verbindung zueinander die optimale Hilfestellung ermöglichen (vgl. ebd./ Hinte 2011, S. 100ff./ Budde/ Früchtel 2011, S. 845)[3].

Erst mit der Anschlussfähigkeit an die im Sozialraum befindlichen Regelsysteme können die sozialen Dienste ihren intermediären Auftrag erfüllen, indem sie zwischen dem Lebenswelt- System und den Systemen der Institutionen kommunizieren, vermitteln und die innersystemischen Ressourcen organisieren und nutzbar machen. Mit anderen Worten: die Soziale Arbeit wird zu einer Profession, „ die Brücken schlägt sowohl innerhalb der sozialräumlichen Lebenswelt als auch zwischen der Lebenswelt und der Bürokratie “ (Hinte 2011, S. 104).

2.2. Das SONI- Schema: Die vier Ebenen von Sozialraumorientierung

Wolfgang Budde und Frank Früchtel (2010) differenzieren den oben beschriebenen Auftrag indes für eine sozialraumorientierte Soziale Arbeit: auf einer individuellen bzw. netzwerkbezogenen Ebene geht es um die „ sozial verantwortliche[…] Autonomie durch ent- pathologisierende [sic] Perspektiven, durch Sozialkapitalbildung und eine ausgeprägte Stärken- und Ressourcenperspektive im Einzelfall “ (ebd., S. 155). Voraussetzung dafür ist die aktive Gestaltung der Ebenen „Organisation“ und „Sozialstruktur“: die aktive Mitwirkung im politischen bzw. kommunalen Raum wird zur Aufgabe Sozialer Arbeit, um im Sinne „ sozialer Kommunalpolitik “ (ebd., S. 156) die Ziele und Interessen der gesellschaftlich Benachteiligten zu wahren.

Das Fachkonzept Sozialraumorientierung als transdisziplinärer und mehrschichtiger Ansatz, der die klassische Versäulung verschiedenster Arbeitsbereiche Sozialer Arbeit überwindet, zeigt an dieser Stelle sein innovatives Potential: neben der Verknüpfung der oben beschriebenen Ebenen, schafft es sodann die Möglichkeit, die Verhältnisse der im Stadtteil lebenden Menschen gewinnbringend und nachhaltig zu verbessern. Das sogenannte SONI- Schema (z.B. in Budde/ Cyprian/ Früchtel 2010) verdeutlicht den oben beschriebenen Sachverhalt in Form eines Ebenen- Modells:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Budde/ Früchtel 2010

2.2.1. Handlungsfeld Individuum

Auf der individuellen Handlungsebene geht es um die Bemächtigung und Aktivierung von benachteiligten Menschen, wobei Grundlage jeglicher Arbeit der Wille sowie die vorhandenen Stärken und Ressourcen der Betroffenen ist. So finden sich in diesem Handlungsfeld alle Tätigkeiten wieder, die sich ausschließlich auf den Einzelfall beziehen (vgl. Hinte 2000, S. 99f.).

Das von Budde und Früchtel (2005) entwickelte Stärkemodell schafft in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der konsequenten Fokussierung von Kompetenzen in deren Folge „Hilfebedürftige“ zu mündigen und „sich selbst helfenden“ Individuen aufsteigen. Auch Hinte (2011) fordert, dass der professionelle Blick nicht auf zugeschriebenen Defiziten hängen bleiben darf; den Adressaten Sozialer Arbeit muss eine Handlungsfähigkeit ermöglicht werden, die vor allem die Bewältigung eines Alltags in benachteiligenden Lebensbedingungen ermöglicht. Folglich besteht das fachliche Ziel auf dieser Ebene in der Gewährleistung einer alltagsnahen Unterstützung, die für das Entdecken und Nutzen eigener Vorzüge und Kräfte der Klienten steht (vgl. Budde/ Früchtel 2006, S. 219/ Hinte 2000, S. 99f./ ebd. 2011, S. 103).

Schwächen sind immer auch Stärken, je nachdem, in welchem Rahmen Verhalten beschrieben und interpretiert wird. […] Den Willen sieht das Stärkemodell [dabei] als Kraftwerk, das die Energie zur Tat liefert, die Widerstände überwinden und mitunter Berge versetzen kann “ (Budde/Früchtel 2005, S.3f.).

2.2.2. Handlungsfeld Netzwerk

Auf dieser Ebene gelangen die Ressourcen des sozialen Umfelds in den Blick, die bei der „Bearbeitung“ und Unterstützung des Einzelfalls nützlich sind oder sein könnten „– also […] organisierende, koordinierende und vernetzende Funktionen […] “ (Hinte 2000, S. 100). Wie unterschiedlich solche Netzwerke sein können, verdeutlicht die folgende Abbildung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Schubert 2008, S. 38

In der Sozialraumorientierung haben dabei grundsätzlich die natürlichen Vernetzungen Vorrang, da sie den Sozialraum als solchen ausmachen und damit für die alltagsnahe Unterstützung unabdingbar sind. Mit Blick auf den Sozialraum und das Potential, das in seinen Ressourcen steckt, erweitern sich die auf den Einzelfall konzentrierten Hilfsmöglichkeiten zu einer ganzheitlichen, nachhaltigen (und nachrangigen) professionellen Hilfe: „ Wenn wir diese Zusammenhänge wegfiltern bleibt ein hilfebedürftiges, saft- und kraftlos anmutendes Etwas namens Klient übrig, umfeldentwurzelt und ins Treibhaus wohlmeinender Einzelfallhilfe umgetopft “ (Budde/ Früchtel 2006, S. 202). Unterschieden wird derweil zwischen zwei Arten des Arbeitens:

Fallübergreifende Arbeit

Ausgangspunkt der Ressourcensuche ist hier der konkrete Einzelfall; es geht darum, seine natürlichen (meist belasteten) Netzwerke und Beziehungen aufrechtzuerhalten und zu unterstützen. Wichtig ist an dieser Stelle die richtige Balance zwischen professioneller und ehrenamtlicher Tätigkeit, die dann in ihrer Kombination bedarfsgerecht und zuverlässig zur Verfügung steht. Eine solche Vorgehensweise gewährleistet neben der sozialen Integration in das Gemeinwesen auch den Erhalt „ lebensweltlicher Auffangnetze “ (Hinte 2000, S. 87) bzw. bürgerschaftlicher Unterstützungsmöglichkeiten. Gesellschaftlich und sozial benachteiligte Menschen lernen auf diese Weise, dass Hilfe nicht immer von „außen“ kommen muss, sondern auch in den Ressourcen der Nachbarschaft zu finden ist – und manchmal auch in einem selbst (vgl. Franz 2011, S. 95-97/ Hinte 2000, S. 96f.).

Fallunspezifische Arbeit

Die sozialräumliche Ressourcensuche bezieht sich an dieser Stelle auf die Aneignung von Kenntnissen und Wissen über potentielle sozialräumliche Ressourcen: „ Hierzu zählen insbesondere […] die Einbindung in das Netz der Fachkräfte im Wohnquartier, der Aufbau von Kontakten zu Institutionen außerhalb des sozialen Bereichs, zu Vereinen, Bürgergruppen usw. “ (Hinte 2000, S. 100). Sozialarbeiter schaffen demnach im Rahmen fallunspezifischer Arbeit soziales Kapital[4], Gelegenheiten des Austausches, der Kooperation und des Vertrauens „ zwischen Nachbarn, Bewohnern, Gewerbebesitzern, Vereinsfunktionären oder Betroffenen “ (Budde/ Früchtel 2011, S. 846). Diese Menschen und Institutionen gilt es unabhängig von einem bestimmten Fall zu entdecken und zu pflegen, um im Bedarfsfall darauf zurückgreifen zu können. Trotz der Ungewissheit hinsichtlich der in Frage kommenden Einsatzmöglichkeiten dieser Ressourcen wirken die auf diese Weise geschaffenen Gelegenheiten stets auf solidarische Weise helfend und bemächtigend auf den benachteiligten Menschen (vgl. ebd./ Bestmann 2010).

Um sich ein solches „ Ressourcen-Lager “ (Budde/ Früchtel 2006, S. 206) aufzubauen und die in ihnen steckenden Gelegenheiten in der Erwartung sammeln zu können, dass sie Einfluss auf die Zielbestimmung und Lösung zukünftiger Fälle nehmen, ist es von großer Bedeutung die Gegebenheiten der Lebenswelten in ihrer Ausgangsform zu belassen. Die Verbesserung von Lebensverhältnissen und Bedingungen der Menschen bedeutet nicht, sie aus ihren Normalsystemen zu verdrängen; das sozialraumorientierte Fachkonzept verfolgt vielmehr integrierende und aktivierende Unterstützungsmöglichkeiten, die zur Schaffung eines inklusiven Gemeinwesens beitragen (vgl. ebd./ ebd. 2011, S. 846/ ebd. 2004, S. 39).

2.2.3. Handlungsfeld Organisation

An diesem Punkt spielt die Flexibilisierung derjenigen Organisationen und Verwaltungen eine zentrale Rolle, die nicht in der Lage sind, in Kooperation mit anderen sozialen Diensten für jeden Bedarf passgenaue bzw. maßgeschneiderte Hilfearrangements zu gestalten. Budde und Früchtel (2011) sprechen in diesem Zusammenhang von einer übergeordneten „ sozialraumbezogene[n], fachdienstübergreifende[n] Aufbauorganisation “ (ebd., S. 846), die das Inklusionspotential der Regelsysteme im Sozialraum steigert, anstatt die verschiedensten Spezialeinrichtungen auszusondern und somit das gesamte sozialräumliche Feld zu zergliedern[5].

Nicht mehr institutionelle bzw. bürokratische Sichtweisen spielen bei der Fallbearbeitung eine Rolle, sondern die Verbindung der individuellen und sozialräumlichen Ressourcen, die dann in ihrer Verknüpfung „ Einzigartige (und allein passende) Such- und Lösungsprozesse “ (ebd. 2004, S. 93) in Gang setzen. Erfolgreich flexibilisierte Organisationen zeichnen sich demnach durch interne Veränderungs- und Anpassungsprozesse aus; im Zuge jedes Generierungsprozesses von einzelfallzugeschnittenen Lösungen findet innerhalb der institutionellen Strukturen ein Umbau statt, dessen Funktionalität und Effizienz vom Einzelfall abhängig gemacht wird. Ziel ist dabei eine lern- und wandlungsfähige Organisation, deren Tun von den Lebenserfahrungen, Ressourcen und dem Willen benachteiligter Menschen dominiert wird. Entlang des Prinzips „ form follows function “ (ebd. 2005, S. 9) wird somit im Zuge gemeinsamer Aushandlungsprozesse der Komplexität der Lebenswelten Aufmerksamkeit geschenkt und Zugänge zu derselben erarbeitet. Eine auf diese Weise organisierte Institution kann sich schließlich an die unterschiedlichen „ Vor- Ort- Bedingungen und Kontexte anschmieg[en] “ (Reutlinger/ Schreier 2013, S. 5), Ansichten bzw. Präferenzen der Betroffenen zum Ausgangspunkt nehmen und im Zuge der Öffnung zum Sozialraum Transparenz und Kooperation zwischen den Institutionen des Stadtteils erfahren (vgl. Budde/ Früchtel 2004, S. 93/ebd. 2006b, S. 37- 39/ Hinte 2008, S. 16f.).

Hinte ergänzt: eine solche organisatorische sozialräumliche Arbeitsweise kann nur gelingen, wenn sie „ die Poren einer Institution durchdring[t], so dass – bei aller Individualität bei der Erledigung der Aufgaben – das Handeln der jeweiligen Fachkräfte in einer Institution auf allen Ebenen ‚aus einem Guss‘ geschieht “ (Hinte 2007, S. 109) – und das, obwohl zahlreiche, über viele Jahre hinweg entwickelte Abläufe und Rituale im Anblick der Unberechenbarkeit des Wohngebiets durcheinander geraten (vgl. ebd. 2008, S. 16f.).

2.2.4. Handlungsfeld Sozialstruktur

Auch die Thematisierung ungleicher Lebensbedingungen sowie die ungleiche Verteilung von Einfluss, Besitz und Entwicklungschancen spielen in der Sozialraumorientierung eine wichtige Rolle. Ausgangspunkt solcher Gedanken ist die Annahme, dass Probleme und Auffälligkeiten das Ergebnis institutioneller Präferenzen sind, die aufgrund ihrer Verrechtlichung die Lebenschancen der Adressaten Sozialer Arbeit insgesamt beeinflussen; der soziale Raum ist demnach geprägt von ungleichen Verfügungs- bzw. politischen Einflussmöglichkeiten, die es nicht nur sichtbar zu machen gilt, sondern mithilfe der entsprechenden Institutionen abzubauen gilt.

Eine sozialraumorientierte Soziale Arbeit braucht dementsprechend Strukturarbeit, infolgedessen benachteiligte Menschen über die strukturelle Ungleichverteilung aufgeklärt und bemächtigt werden, die Kontrolle über vorhandene und mögliche Ressourcen zu gewinnen. Sie unterteilt sich in drei Arbeitsformen (vgl. Budde/ Früchtel 2010, S. 156ff.):

Empirisch - normative Arbeit an der Wissensbasis der Gesellschaft

Die gesellschaftlich verursachten und gleichzeitig gesellschaftlich lösbaren Probleme (z.B. Stigmatisierung oder soziale Ächtung) werden im öffentlichen bzw. politischen Raum zum Thema gemacht.

Einmischende Arbeit am professionellen System

Soziale Systeme werden in den Bereichen Verwaltung, Wirtschaft, Bildung und Gesundheit in die Verantwortung genommen, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln an der Lösung von multikausalen Problemen mitzuwirken. „ Hier überschreitet Soziale Arbeit bewusst Ressortgrenzen […]. Sie nutzt aber auch ihre Handlungsspielräume in den sozialen Feldern, indem sie die Umsetzung von Aufträgen, Gesetzen und Richtlinien im Sinne sozialräumlicher Maximen beeinflusst […] “ (ebd., S. 157).

Aktivierende Arbeit im Stadtteil

Aktivierung auf sozialstruktureller Ebene bedeutet die nachhaltige und erfolgsversprechende Befähigung der Bürger im Sinne einer gestiegenen Einflussnahme auf kommunale Planungs- und Ressourcenverteilungsabsichten, um diejenigen Themen in den politischen Diskurs einzubringen, die sie selbst als wichtig und dringend erachten. Die sonst strukturell benachteiligten Bürgergruppen erzielen in der Folge auf individuelle Weise gewünschte, einzigartig passende und funktionierende Veränderungen in den infrastrukturellen Lebensbedingungen des Stadtteils; Strukturarbeit gewährleistet somit „ eine Aktivierung, die es ermöglicht, die [politischen bzw. kommunalen] Regeln selbst in Frage zu stellen und zu verändern “ (ebd., S. 182).

Fachkräfte Sozialer Arbeit stehen schließlich vor der Aufgabe in der Einzelfallarbeit Organisations- und Sozialstrukturfaktoren zu berücksichtigen und die Inklusionschancen Sozialer Arbeit durch den Wechsel vom Fall zum Feld zu steigern (vgl. ebd. 2011, S. 846).

2.2.5. Der Sozialraum

Die vorigen Ausführungen zeigen, dass der Sozialraum zum zentralen Bezugspunkt und Steuerungsgröße professioneller Tätigkeit geworden ist. Ursache ist die gestiegene Bedeutung subjektiver Wahrnehmungs- und Bedeutungszusammenhänge der Klienten innerhalb des sozialen Raums; es geht um die Aneignungsprozesse der dort lebenden Menschen, darum wie sie den Sozialraum definieren, gestalten und nutzen, aber auch wie sie mit Einschränkungen und Benachteiligung umgehen. Im Sinne des intermediären Auftrags Sozialer Arbeit kommt dem Sozialraum demnach eine enorme Wichtigkeit zu, weil das Wissen über die individuellen Wahrnehmungen von Bedingungen und Ereignissen – „ und ihrer definierten Bedeutungen im jeweiligen Feldzusammenhang “ (ebd. 2006, S. 73) den notwendigen Zugang zur Lebenswelt und den sozialräumlichen Ressourcen und damit alltagsnahe Unterstützungsmöglichkeiten zulassen.

Menschen handeln und deuten demnach, um Räume zu verändern oder zu schaffen und unter Einfluss kommunikativer und sozialräumlicher Bedingungen. Für das sozialraumorientierte Fachkonzept ergibt sich daraus die leitende Idee, nicht das bunte und vielfältige Wesen der Menschen zu ändern, sondern gemeinsam mit ihnen an den im Stadtteil vorherrschenden Lebensbedingungen zu arbeiten, um innerhalb bürgergetragener Verhältnisse Integration zu schaffen (vgl. Hinte/Treeß 2007, S. 34f./ Budde/ Früchtel 2006, S. 1/ vgl. Hinte 2007, S.105).

2.3. Die Prinzipien des Fachkonzepts

Fünf Prinzipien, die entlang unterschiedlichster Blickrichtungen und Ideen immerfort ergänzt, neu gedacht und weiter entwickelt werden, bilden den formenden und leitenden Charakter des Fachkonzepts Sozialraumorientierung (vgl. Hinte 2008a, S. 22/ ebd. 2009, S. 23):

2.3.1. Konsequenter Orientierungspunkt: Wille der Betroffenen

Dieses vorangestellte Prinzip dient als Fundament jeglichen professionellen Handelns und ist grundlegende Voraussetzung der übrigen vier Prinzipien. Der Kerngedanke besteht darin, den Klienten von vorneherein und bedingungslos als den eigentlichen Experten für sich selbst und für das eigene Leben anzuerkennen. Der Professionelle gewinnt auf diese Weise eine Haltung, die Gleichberechtigung und Akzeptanz, aber auch präventive und aktivierende Aspekte in sich integriert: Die strikte Orientierung am Willen des Menschen meint „ präventiv zu agieren, Menschen zu aktivieren, dass sie ihr soziales Umfeld aktiv gestalten, solidarisch miteinander umgehen, bevor sie zu Einzelfällen werden “ (Kleve 2008, S. 87).

Darüber hinaus ist es an dieser Stelle besonders wichtig, zwischen dem Willen und den Wünschen der Betroffenen zu unterscheiden. Während ein Wunsch etwas ist, das man sich von anderen wünscht, weil es nicht aus eigener Kraft und mit den eigenen Methoden bzw. Mitteln erreichbar scheint, bringt der Wille des Menschen Entschlossenheit, Aktivität und Energie für sein weiteres Tun. Soziale Arbeit kann demnach erst vermitteln und unterstützen, wenn sie den Willen und die Handlungsbereitschaft ihrer Klienten kennt (vgl. Hinte 2007, S. 106/ ebd. 2011, S. 102).

Franz (2011, S. 91ff.) geht indes einen Schritt weiter und fordert, dass neben der konsequenten Berücksichtigung des Klientenwillens, ebenso das soziale Umfeld, d.h. die sozialen Bezüge, Netze und Zusammenhänge der Betroffenen in den Blick genommen werden müssen, damit Soziale Arbeit wirksam helfen kann. Damit trifft er den Grundsatz des nachfolgenden Prinzips, das sich die Aktivierung und Bemächtigung der Menschen für die selbstbestimmte und erfolgreiche Lebensbewältigung zum Ziel gemacht hat:

2.3.2. Unterstützung von Eigeninitiative und Selbsthilfe

Übereilte sozialarbeiterische Aktivität, allzu mitleidvolles Engagement, die zupackende Erledigung bestimmter Aufgaben oder auch die von den betroffenen Menschen oft geforderte und anschließend mit Dank belohnte souveräne Ressourcenerschließung (‚Können Sie das Formular nicht für mich ausfüllen?‘) verhindern in zahlreichen Fallverläufen die […] Eigenaktivität der Betroffenen “ (Hinte 2008, S. 4).

Sozialräumliche Kompetenz zeichnet sich demnach, auf Grundlage des Wissens um Ziele und den Willen des Betroffenen, in der gemeinsamen und respektvollen Entwicklung eines Planes bzw. Kontraktes aus, der es wiederum ermöglicht, dass alle Beteiligten auf ihre Kosten kommen. Mit Bezug auf das erste Prinzip des Fachkonzepts kann ein solches Aushandeln schließlich nur gelingen, wenn der Professionelle das Selbstverständnis des überlegenen Experten aufgibt, der alleinverantwortlich die anstehenden und zu bearbeitenden Aufgaben übernimmt: „ Denn man nimmt durch undifferenziert eingesetzte eigene Aktivität den Menschen die Möglichkeit, selbst die Erfahrung zu machen, ‚dass ich es ja kann ‘“ (ebd.). Daraus lässt sich schließen, dass rechtlich vorgesehene wie auch individuell in der konkreten Interaktion auszuhandelnde Unterstützungsleistungen nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie an die individuellen Ressourcen der Betroffenen anschlussfähig sind und sozialpädagogisch mit statt für den Klienten gearbeitet wird; auf diese Weise erfahren die Menschen Würde und ein Selbstbewusstsein, das sie auch prekäre Lebenssituationen meistern lässt (vgl. ebd., S. 4f.).

2.3.3. Der Fokus liegt auf den Ressourcen

Wie bereits erwähnt geht der sozialraumorientierte Ansatz davon aus, dass soziale Hilfe nur dann wirksam wird, wenn sie an die Ressourcen und Stärken des Einzelnen anschlussfähig ist; eine solche Annahme steht ganz im Zeichen des dritten Prinzips: im Gegensatz zum oftmals defizitorientierten Alltags der Professionellen wird die stetige Berücksichtigung und konsequente Einbeziehung des gesamten Spektrums an Ressourcen, die der Einzelne bzw. der Sozialraum „zu bieten hat“ zum neuen Auftrag Sozialer Arbeit.

Dabei wird zunächst zwischen den individuellen Stärken, Fähigkeiten und Potentialen und den Hilfequellen des Sozialraums [6] unterschieden, um diese im Anschluss bedarfsgerecht und qualifiziert miteinander zu verknüpfen, zu kombinieren und zu einer alltagsnahen und nachhaltigen sozialen Unterstützungsleistung zu ergänzen. Auch Seifert (2009, S. 3) konstatiert, dass die Beschränkung auf personenbezogene bzw. einzelfallspezifische Hilfemöglichkeiten nicht länger ausreicht; im Zusammenhang eines integrierenden Gemeinwesens sind die Erhaltung, Schaffung und Nutzung sozialer Netzwerke – den „Schätzen“ des Sozialraums, unabdingbar. Mithilfe der Erschließung dieser sozialräumlichen Ressourcen baut die Soziale Arbeit im Sinne ihres intermediären Auftrags einen Weg direkt in den Sozialraum, der benachteiligten Menschen Teilhabe und Wohlfahrt ermöglicht.

Eine solche Vorgehensweise stellt indes eine enorme fachliche Herausforderung dar: das stete Einbeziehen des sozialen Umfelds in die Einzelfallbearbeitung setzt gewisse Sozialraumkenntnisse voraus, die nicht ohne weiteres vorhanden oder aus der Einzelfallarbeit erschließbar sind. Vor diesem Hintergrund gewinnt die fallunspezifische Arbeit (Kap. 2.2.2.) ihre Bedeutung, da erst in einer vorherigen fallunabhängigen Arbeitsphase die wichtigen Kenntnisse über sozialräumliche Ressourcen angeeignet und vertieft werden, um im Bedarfsfall unaufwendig zur Verfügung zu stehen (vgl. Hinte 2006a, S. 30/ ebd. 2008, S. 6).

2.3.4. Zielgruppen- und bereichsübergreifende Sichtweisen

In manchen Fällen reicht die Ressourcensuche im Stadtteil allein jedoch nicht aus, um Einfluss auf die materielle Wirklichkeit der Lebenswelten der Menschen zu nehmen. Aus diesem Grund wird ebenso außerhalb des Wohngebiets nach politischen und wirtschaftlichen Einflussgrößen (z.B. lokale Unternehmen, kommunale Ämter und Vereine) gesucht, die gestaltend und unterstützend auf die Lebensverhältnisse der Menschen Einfluss nehmen. Eine solche Vorgehensweise braucht indes einen fachlichen Blick, der den gesamten Zusammenhang berücksichtigt. Das vierte Prinzip baut auf diesem Gedanken auf: „ Auch wenn durch Gesetze, bürokratische Vorgaben und parzellierte Verwaltungsbereiche die komplexen Problemlagen in Wohngebiete zergliedert werden, müssen die dortigen Ressourcen immer wieder am konkreten Fall bzw. im konkreten Wohngebiet zusammengeführt werden “ (Hinte 2008, S. 11)

Ein solcher übergreifender Blick, der den gesamten Kontext und damit alle Bereiche und Dimensionen des Wohngebiets umfasst, vermeidet ferner die Begrenztheit der professionellen Aufmerksamkeit auf vorab definierte Zielgruppen und die innerinstitutionelle Beschränkung auf bestimmte Zuständigkeitsbereiche. Auf diese Weise kann sich die Institution dem Wohngebiet nähern und sozialraumorientiert arbeiten. Neben dem Sammeln von sozialräumlichen Kenntnissen, braucht es ebenfalls das Wissen um bestimmte Kristallisationspunkte von gebietsbezogenen Aktivitäten, die von vielen der dort ansässigen Bewohnern gestaltet und organisiert werden. Erst mithilfe solcher Einblicke wird die bornierte und eingeschränkte Arbeit an der Zielgruppe verhindert und der Überblick über übergeordnete Zusammenhänge gewährleistet (vgl. ebd., S. 8ff.).

2.3.5. Kooperation und Koordination

Unter dem Begriff Vernetzung versteht Hinte (2008) die notwendige gebietsbezogene Kooperation aller Akteure des Sozialraums: „ Planerisch- administrative Maßnahmen zur infrastrukturellen Verbesserung werden mit systematischer Mobilisierung von Selbsthilfepotentialen der Bewohner/innen verbunden. Folglich lebt dieses Konzept geradezu von der Bereitschaft, mit allen Akteur/innen zu kooperieren bzw. sie zur Kooperation anzuregen “ (ebd., S. 11).

Die vorherigen Ausführungen verdeutlichen das erfolgsversprechende Potential, das mit der Übernahme sozialraumorientierter Handlungslinien und Vorgehensweisen in den Arbeitsalltag verbunden ist. Ob und inwiefern das Fachkonzept ebenso einen fachlichen Beitrag in den Schwierigkeiten und Gegebenheiten der Bewährungshilfe leisten kann, werden die folgenden Kapitel zeigen.

3. Die Bewährungshilfe – ambulante Straffälligenhilfe im Zeichen sozialer Kontrolle

Das [deutsche] Strafrechtssystem, in dem abweichendes Verhalten mit staatlichen Strafen[7] geahndet wird, ist ein Teilgebiet des umfangreicheren Bereichs sozialer Kontrolle, mit dem unsere Gesellschaft die Einhaltung der von ihr gesetzten Normen durchsetzt “ (Kleinöder 2006, S. 8).

Die Begrifflichkeit „Soziale Kontrolle“ meint somit diejenigen Funktionen, derer sich die Gesellschaft aus Selbstschutz- und Herrschaftsgründen bedient, indem sie gebrochene Regeln bzw. Normen sanktioniert. Neben den Kirchen und Glaubensgemeinschaften, der Öffentlichkeit und den staatlichen Apparaten gehört sodann auch die Justiz zu den Formen sozialer Kontrolle, die aus ihrer Machtposition heraus festlegen was zum normabweichenden bzw. „erwünschten“ Verhalten zählt (vgl. ebd./ Pock 2015, S. 15f.).

[...]


[1] Alle Zitate werden in den folgenden Ausführungen mit kursiver Schriftform gekennzeichnet.

[2] Mit einer solchen Haltung steht das Fachkonzept in der Tradition erziehungskritischer Ansätze, die davon ausgehen, dass das Selbstkräftepotential eines jeden Menschen nur durch einen selbstbestimmten Lernprozess entfaltet werden kann. In Folge dessen wird der Professionelle nicht mehr als „Wissensvermittler“ betrachtet, sondern als derjenige, der bedarfsgerechtes Lernen ermöglicht: „ Und das ist die Aufgabe von Pädagogik: […] schafft eine Atmosphäre, die Kommunikation zulässt, personalen Kontakt ermöglicht und zu gemeinsamer Reflexion ermutigt[!] “ (Hinte 2007b, S. 53).

[3] Im Zusammenhang der oben skizzierten gesellschaftlichen Veränderungen ist überdies „ aufgrund von sozialpolitischen und rechtlichen Kontextänderungen eine verschärfte, ökonomisch relevante Akzentuierung ausfindig zu machen “ (Biesel 2007, S. 4). Angesichts knapper werdender Haushaltsmittel „ und eines Sozialstaats, der sich mittlerweile als aktivierend und ermöglichend disponiert hat “ (ebd.) sieht die Soziale Arbeit sich in die Lage versetzt, ökonomisch zu denken und gleichzeitig möglichst effizient zu handeln. Die Sozialraumorientierung fungiert demnach als ökonomische sowie strukturelle Steuerungsinstanz, die vor dem Hintergrund eines Kostenbewusstseins darauf bedacht ist, die Qualität der Leistungen zu gewährleisten (vgl. Budde/Früchtel 2006b, S. 40).

[4] Unter diesem Begriff werden alle bereits vorhandenen und potentiellen Ressourcen zusammengefasst, „ die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind “ (Bourdieu 1983, S. 191). Demnach geht die für die Sozialraumorientierung wichtige Theorie des „Sozialen Kapitals“ von der Annahme aus, dass sich aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe größere Handlungsspielräume, Möglichkeiten und Ressourcen für den Einzelnen eröffnen.

[5] Aus finanzierungstechnischer bzw. wirtschaftlicher Sicht wird das Konzept der Sozialraumorientierung erst dann sinnvoll, wenn Systeme installiert werden, „ die die Fachkräfte bei einer die Ressourcen des Sozialraums nutzenden Einzelfallarbeit unterstützen und gleichzeitig anregen, tragende Strukturen personeller und materieller Art für eine quartiernahe Unterstützung von hilfesuchenden Menschen aufzubauen “ (Hinte 2006a, S. 28).

[6] Zum Beispiel nachbarschaftliche Netze, ehrenamtliche Bürger, Sportvereine oder die Kirchengemeinde (vgl. Hinte 2006a, S. 30).

[7] Im Sinne des Strafrechts bedeutet staatliches Strafen „ Übelzufügung und Tatvergeltung “ (Cornel 2014, S. 31). Die Strafe als solche wird indes in einen gesellschaftlichen Zusammenhang gebracht; indem die Gesellschaft über abweichendes und normverletzendes Verhaltens urteilt, bestimmt sie das Strafmaß. Vor diesem Hintergrund unterscheidet man im deutschen Strafrechtssystem zwischen Geld- und Freiheitsstrafen, die jedoch nur dann verhängt werden dürfen, „ wenn schuldhaftes Verhalten festgestellt […] und die Prinzipien der Menschenwürde und der Verhältnismäßigkeit gewahrt sind “ (ebd., S. 32).

Ende der Leseprobe aus 68 Seiten

Details

Titel
Sozialraumorientierung als Innovation in der Bewährungshilfe
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
68
Katalognummer
V389040
ISBN (eBook)
9783668629455
ISBN (Buch)
9783668629462
Dateigröße
1232 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sozialraumorientierung, innovation, bewährungshilfe
Arbeit zitieren
Annkristin Plaggenborg (Autor:in), 2015, Sozialraumorientierung als Innovation in der Bewährungshilfe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/389040

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