Hinter dem Namen Hávamál (wörtl. des Hohen Lied) verbirgt sich eine Sammlung von belehrenden Sprüchen, Beispielen und Liedern, denen gemein ist, daß sie dem germanischen Gott für Zauber und Magie, Odin (isländisch auch: „Hávi” = der Hohe), in den Mund gelegt sind1. In der vorliegenden Arbeit habe ich versucht, die Entwicklung der Forschung in Hinblick auf die textkritische Auseinandersetzung mit der Hávamál in ihren Grundzügen und mit ihren wichtigsten Vertretern vorzustellen. Dabei erhebt diese Arbeit keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vieles wird ungenannt bleiben; nicht die gesamte zu diesem Thema verfügbare Literatur findet Eingang in diese Arbeit. Unter den Werken, die ich außen vorlassen werde, sind die Forschungen DAVID A. H. EVANS und FINNUR JÓNSSONS. Die erstgenannte war nicht aufzutreiben und letztgenannte blieb aufgrund der Sprachbarriere außen vor. Ich beginne meine Arbeit mit einer Schilderung der Umstände der Zusammenstellung und Überlieferung der Hávamál. Es folgt eine sich an MÜLLENHOFFS Einteilung des Strophenbestands in sechs Abschnitte orientierende grobe Inhaltsangabe. Daran schließt sich die textkritische Auseinandersetzung mit der Hávamál im 20. Jh. an. Den Schwerpunkt setze ich in der Darstellung der jeweiligen Verfahrensweise, mit der sich die Forscher dem Text genähert haben. Die in dieser Arbeit auftauchenden Strophennummern entsprechen denen der im Anhang abgedruckten Textgrundlage, welche der Reihenfolge der Überlieferung im Codex Regius folgt. Die Namen von Forschern werden in Kapitälchen, Werksnamen kursiv und Zitate aus dem Codex Regius in verkle inerter Schrift wiedergegeben. Im übrigen habe ich für Eigennamen, wo mir die deutsche Übertragung unpassend erschien, die neuisländische Schreibweise verwendet. 1 Beck, Heinrich: „Hávamál”. In: Kindler 1988-92 anonyma, S.703 – 704.
Inhalt
1. Einleitung
2. Überlieferung der Hávamál
3. Müllenhoff (1883) – Gliederung und Streichung
4.1. Heusler (1917) – Umstellung statt Streichung
4.2. Schneider (1948) – das Odrerirlied
4.3. Lindquist (1956) – die Urhávamál
4.4. von See (1972) – Regie im Großen
5. Schlußbemerkungen
6. Anhang
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Hinter dem Namen Hávamál (wörtl. des Hohen Lied) verbirgt sich eine Sammlung von belehrenden Sprüchen, Beispielen und Liedern, denen gemein ist, daß sie dem germanischen Gott für Zauber und Magie, Odin (isländisch auch: „ H ávi” = der Hohe), in den Mund gelegt sind[1].
In der vorliegenden Arbeit habe ich versucht, die Entwicklung der Forschung in Hinblick auf die textkritische Auseinandersetzung mit der Hávamál in ihren Grundzügen und mit ihren wichtigsten Vertretern vorzustellen. Dabei erhebt diese Arbeit keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vieles wird ungenannt bleiben; nicht die gesamte zu diesem Thema verfügbare Literatur findet Eingang in diese Arbeit. Unter den Werken, die ich außen vorlassen werde, sind die Forschungen David A. H. Evans und Finnur Jónssons. Die erstgenannte war nicht aufzutreiben und letztgenannte blieb aufgrund der Sprachbarriere außen vor.
Ich beginne meine Arbeit mit einer Schilderung der Umstände der Zusammenstellung und Überlieferung der Hávamál. Es folgt eine sich an Müllenhoffs Einteilung des Strophenbestands in sechs Abschnitte orientierende grobe Inhaltsangabe. Daran schließt sich die textkritische Auseinandersetzung mit der Hávamál im 20. Jh. an. Den Schwerpunkt setze ich in der Darstellung der jeweiligen Verfahrensweise, mit der sich die Forscher dem Text genähert haben. Die in dieser Arbeit auftauchenden Strophennummern entsprechen denen der im Anhang abgedruckten Textgrundlage, welche der Reihenfolge der Überlieferung im Codex Regius folgt. Die Namen von Forschern werden in Kapitälchen, Werksnamen kursiv und Zitate aus dem Codex Regius in verkleinerter Schrift wiedergegeben. Im übrigen habe ich für Eigennamen, wo mir die deutsche Übertragung unpassend erschien, die neuisländische Schreibweise verwendet.
2. Überlieferung der Hávamál
Überliefert ist die Hávamál im wesentlichen als zweites Lied der älteren Edda im Codex Regius (GKS 2365 4°). Diese Aufzeichnung stammt etwa aus dem Jahre 1270. Daneben werden lediglich einzelne Strophen in anderen altisländischen Handschriften zitiert, z.B. in der Snorra Edda und in der Fostbræðra saga.) Wichtig ist der Umstand, daß es keine zweite Handschrift der Hávamál gibt, mit der die im Codex Regius aufgezeichnete Überlieferung verglichen werden könnte. Daher können sich die von Müllenhoff und Heusler durchgeführten Auslassungen und Umstellungen, das von Schneider rekonstruierte Odrerirlied, sowie Lindquists Synthetisierung einer Urhávamál nicht auf literarische Quellen berufen, sondern stellen lediglich Versuche dar, sich den formalen und inhaltlichen Brüchen der Überlieferung durch textimmanente Vorgehensweisen zu nähern. Hierauf fußt von Sees Kritik an seinen Vorgängern (siehe 4.5.).
Wie alle Lieder des Codex Regius weist auch die Hávamál keinen Verfasser aus, sondern zählt zu den Anonyma. Sie ist mit ihren 164 Strophen das mit Abstand längste Gedicht der älteren Edda. In der Überlieferung des Codex Regius sind die Strophen bis auf eine einzige Zäsur vor §138, mit der ein Abschnitt beginnt, der weithin als Runatal bezeichnet wird, ohne Gliederung hintereinandergesetzt. Diese Struktur, die einem Konglomerat ähnelt, wurde bis zum Beginn der textkritischen Hávamálforschung im 20. Jh. akzeptiert.
3. Müllenhoff (1883) – Gliederung und Streichung
Die erste systematische textkritische Untersuchung der Hávamál leistete Karl Müllenhoff im Rahmen seines umfangreichen Werks Deutsche Altertumskunde. Er gliedert das Gedicht in sechs Abschnitte:
I. Gastregeln (§1 - §78) [auch: altes Sittengedicht],
II. Erzählung von dem Billingsmädchen (§96 - §102) [auch: erstes Odinbeispiel],
III. zweites Odinbeispiel (§103 - §110) [auch: Gunnlöð-Episode],
IV. Loddfáfnismál (§111 - §137) [auch: Reden an Loddfáfnir],
V. das dreiteilige Runatal (§138 - §141) / (§142 u. §143) / (§144) [auch Rúnaþattr Óðins] und
VI. Lioðatal (§146 - §164) [auch: Zauberlieder].[2]
Müllenhoff hält vieles an der Hávamál für später hinzugefügt und verwendet die Streichung von Strophen als gewissermaßen inverses Verfahren, um den Text zu einer vermeintlich ursprünglicheren Form zurückzuführen. Dabei streicht er etwa ein Drittel der 164 Strophen ersatzlos weg. Außerdem stellt er zwei Strophen um.
*
Der erste Teil der Hávamál, die Gastregeln (auch: das altes Sittengedicht), ist im ernsten Ton des Sprichworts gehalten. Im Gegensatz zu der Loddfáfnismál sind die Ratschläge hier irdisch, real und alltäglich: Man sei mißtrauisch gegenüber seinen Mitmenschen, insbesondere (als Mann) gegenüber den Frauen, halte Maß mit Speise und Trank, behalte seine Meinung zuweilen für sich, pflege seine Freundschaften und erarbeite sich eigenen – wenn auch nur bescheidenden – Besitz anstatt sich auf die Wohltätigkeit anderer verlassen zu müssen und betteln zu gehen. Kuhn hebt darüber hinaus folgende Werte hervor: Leben und Gesundheit, Leistung statt Genuß, Blutsverwandschaft steht höher als Freundschaft (mit Ausnahme der Schwurbrüderschaft), freie Selbstbestimmung und postumer Ruhm.[3] Nach Kuhn spiegelt das alte Sittengedicht das Leben des freien germanischen Bauerns, der von der Viehzucht lebt und seinen Hof selbst verteidigt, wider. Bemerkenswert ist, daß wesentliche gesellschaftliche Themen aus dem Leben der Nordgermanen, wie die Seefahrt im Allgemeinen und die Wikingerzüge im Besonderen, oder auch das Staatswesen, im alten Sittengedicht unerwähnt bleiben.[4]
An I schließen sich eine Reihe von Strophen an, die, bezogen auf den Inhalt, keine innere Geschlossenheit aufweisen. Stattdessen werden zunächst fragmentarisch in einer Strophengruppe (§81 - §84) normative Ratschläge zu unterschiedlichen Themen gegeben, die von einer Reihe abergläubischer Wortpaare (§85 - §88) abgelöst werden. Stophe §89 steht hier vereinzelt da, und hebt sich sowohl inhaltlich als auch formal von den sie umgebenden Versen ab. Die Strophen §90 - §95 enthalten eine allgemeine Betrachtung zum ambivalenten Charakter von Liebe und Betrug, der dann in II durch eine Episode Odins konkretisiert wird: Odin verabredet sich mit Billings Tochter zu einem Tête-á-tête. Als es ihm nach langem Warten endlich gelingt, an der Wache vorbei zum vereinbarten Stelldichein zu kommen, findet er statt Billings Tochter nur ihren Hund im Bett vor.
Anders in III: Hier geht Odin als Sieger aus der Begegnung mit Gunnlöð hervor. Er betört sie, um sich des Skaldenmets, den ihr Vater Suttungr bewahrte, zu bemächtigen und fliegt anschließend in Gestalt eines Adlers davon.
Mit IV verändert sich sowohl die Sichtweise als auch der Ton der Verse. Richtete sich das Gastgedicht an mehrere Zuhörer, so wird hier ein Monolog von Odin an einen Unbekannten gehalten, der mit dem Spottnamen Loddfáfnir (dt. etwa: Taugenichts) angesprochen wird. Nach dem eher spielerischen und lockeren Charakter der Odinsbeispiele wird jetzt ein feierlicher Tenor angeschlagen, auf den zwei Dinge hinweisen: Zum einen die Wiederholung des Verses
Ráðomc þér, Loddfáfnir, at þú ráð nemir, nióta mundo, ef þú nemr, þér muno góð, ef þú getr:
zu Beginn beinah aller Strophen dieses Abschnitts, und zum anderen die einleitende Strophe §111, die als Ort der Verkündung die Halle Odins nennt. Im Gegensatz zu diesem feierlichen Rahmen beginnen die Ratschläge mit einem völlig profanen Inhalt, nämlich damit, daß man nachts nicht aufstehen solle, es sei denn, man sei auf Reisen oder müsse mal austreten (§112). Die Absicht hinter dieser komisch wirkenden Konstruktion kann wohl nicht befriedigend erklärt werden. De Vries vermutet, die feierliche Einleitung sei von einem Spruchdichter aus einem anderen Zusammenhang entlehnt worden, als er die älteren Loddfáfnir-Strophen bearbeitet habe.[5] Desweiteren finden sich hier eine Reihe von Verhaltensmaßregeln, die sich nicht auf Irdisches beschränken, sondern auch Übersinnliches, wie einen Heilspruch (§120) und Runen (§137) mit einbeziehen. Letztere bereiten inhaltlich auf das sich unmittelbar anschließende Runatal (V) vor.
In diesem Abschnitt erzählt Odin, wie er durch ein Selbstopfer in Besitz der Runen kam: Er hängt neun Tage lang verwundet und in Askese an einem Baum, wahrscheinlich der Weltesche Yggdrasil, fällt dann zur Erde und wird von seinem Großvater Bölþor in das Geheimnis der Runen eingeweiht. Interessant ist Strophe §144 wegen ihrer auffälligen Form: Alle Halbverse beginnen mit der Formel Veiztu, hvé worauf eine Aufzählung von kultischen Ritualen folgt, die de Vries für Priesterqualifikationen hält[6]. Auch die folgende Strophe §145 fällt, wenn auch nicht inhaltlich sondern aufgrund ihres Versmaßes, aus dem Zusammenhang: Sie ist die einzige Strophe in der gesamten Hávamál, die im Versmaß Fornyrðislag abgefaßt ist.
VI ist der letzte Themenkomplex der Hávamál. Hier werden die Einsatzgebiete von insgesamt 18 Zauberformeln aufgezählt. Darunter sind Heilzauber, Schutzzauber und Kampfzauber. Wenn auch der Wortlaut der Zauberformeln ungenannt bleibt, wird man doch bei Strophe §149, die einen Zauber zum Lösen von Fesseln nennt, unwillkürlich an den Ersten Merseburger Zauberspruch erinnert.
Die Schlußstrophe (§164) greift noch einmal das Motiv der „Halle des Hohen“ auf und liefert – noch deutlicher als §111 – den Hinweis auf den Namen der vorangehenden Gedichtsammlung:
[...]
[1] Beck, Heinrich: „Hávamál”. In: Kindler 1988-92 anonyma, S.703 – 704.
[2] vgl. Müllenhoff 1908, S. 250 - 276
[3] Kuhn 1971, passim
[4] Kuhn 1971, S. 266-268
[5] de Vries 1941, S. 160
[6] vgl. de Vries 1941, S.162
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