Bildungsgutscheine sind mittlerweile auch in Deutschland in aller Munde: Sie sollen Eltern und Kinder in die Lage versetzen, ihre Schulen nach selbstgewählten Kriterien selbst auszusuchen, anstatt sich durch die staatliche Bildungsbürokratie (z.B. über Einzugsgebiete) bevormunden zu lassen. Besonders attraktiv erscheint ein solches Vorgehen natürlich in Gebieten, in denen die Qualität der Schulen zu wünschen übrig lässt. In den USA werden Schulwahlfreiheit und Bildungsgutscheine (school vouchers) als Instrumente zur Reform der Strukturdefizite des öffentlichen Schulwesens seit Jahren höchst kontrovers diskutiert: Was die einen als Königsweg aus der katastrophalen Schulsituation insbesondere der innenstädtischen Ghettos sehen, verteufeln die anderen als Ausverkauf aller egalitär-demokratischen Ideale der "public education."
Zu den Befürwortern einer solchen Liberalisierung und Privatisierung des Schulsystems gehören in den USA traditionell viele Republikaner und Marktliberale; die schärfsten Gegner finden sich bei den Demokraten, Lehrergewerkschaften und afroamerikanischen Bürgerrechtsorganisationen wie der NAACP. Die schwarze Basis in den Großstadtghettos sieht das jedoch vielerorts ganz anders als ihre linksliberalen Repräsentanten und befürwortet die Einführung von Bildungsgutscheinen, um ihre Kinder aus einem bankrotten Schulsystem herausholen zu können, das sie schulisch und seelisch verkümmern lässt. So kommt es um das Thema Schulreform in einzelnen Bundesstaaten sogar zu ungewöhnlichen Allianzen zwischen schwarzen Aktivisten und weißen Konservativen, deren politische Agenda für Afroamerikaner ansonsten bislang wenig attraktiv war.
Die Studie von Carsten Bösel bietet eine Bestandsaufnahme der desolaten schulischen Situation in Amerikas Innenstädten und skizziert Ursprünge und Argumentationslinien der Bildungsgutschein-Bewegung in den USA. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf einer Diskursanalyse der Argumentation insbesondere der afroamerikanischen Befürworter von Bildungsgutscheinen: Argumentieren sie genauso wie die marktliberalen und konservativen Befürworter oder eignen sie sich diesen ursprünglich weißen Diskurs an und beziehen ihn auf einen genuin afroamerikanischen Erfahrungshintergrund? Im Schlusskapitel werden die vorgebrachten Argumentate kritisch beleuchtet und erste empirische Erkenntnisse aus bereits umgesetzten Gutscheinprogrammen diskutiert.
Inhaltsverzeichnis
- I. EINLEITUNG
- II. STILL SEPARATE, STILL UNEQUAL: AFRO-AMERIKANISCHE SCHÜLER IN DEN INNENSTÄDTEN DER USA
- 1. Lokale Schulverwaltung und – finanzierung: Strukturelle Ungleichheit im amerikanischen Schulwesen
- 2. Schulische und residenzielle (Re-)Segregation
- 3. Die schwarz-weiße Wissenskluft: Testergebnisse und Dropouts
- 4. Soziopolitische Reformhindernisse im innenstädtischen Milieu
- III. SCHOOL CHOICE UND SCHOOL VOUCHERS: GENEALOGIE UND PRAXIS EINER REFORMBEWEGUNG
- 1. School Choice: Begrifflichkeit, Einordnung und Abgrenzung
- 2. Kernelemente des Diskurses um Bildungsgutscheine: Marktdiskurs, Wertediskurs, Gerechtigkeitsdiskurs
- 3. Bildungsgutscheinprogramme in den USA
- IV. "THE CONTINUING STRUGGLE AGAINST UNEQUAL OPPORTUNITY": DIE AFRO-AMERIKANISCHE DEBATTE UM BILDUNGSGUTSCHEINE
- 1. Schwarze Gegner und Befürworter der Schulwahlfreiheit: Überblick und Vorstellung der verwendeten Quellen
- 2. Schwarze Kritik an den staatlichen Schulen: Ungleichheit, Vernachlässigung, Inkompetenz, Rassismus
- 3. Qualität vor Integration: Schwarze Kritik am Brown-Urteil und der Desegregationspolitik
- 4. School Choice als Befreiungskampf: Selbstbestimmung, Afrozentrismus und Black Power
- 5. Zusammenfassung: Chancengleichheit aus afro-amerikanischer Sicht
- V. CHANCENGLEICHHEIT DURCH SCHULWAHLFREIHEIT? DISKUSSION UND KRITIK
- 1. Das Problem der Nichtbewerber
- 2. Das Problem von Angebot und Nachfrage
- 3. Das Problem der Messbarkeit der Auswirkungen
- VI. FAZIT UND AUSBLICK
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Magisterarbeit untersucht die Debatte um staatliche Bildungsgutscheine für einkommensschwache afro-amerikanische Familien in den USA. Der Fokus liegt auf den Chancen und Risiken, die die Reform der staatlichen Schulfinanzierung für die Bildungsgleichheit von Minderheiten darstellt. Die Arbeit setzt sich kritisch mit den Argumenten der „School Choice“-Bewegung auseinander, insbesondere hinsichtlich der Frage, inwiefern die Einführung von Bildungsgutscheinen zu einer Verbesserung der Bildungsgerechtigkeit beitragen kann.
- Die strukturelle Ungleichheit im amerikanischen Schulwesen und ihre Auswirkungen auf afro-amerikanische Schüler
- Die Rolle der Schulwahlfreiheit in der Debatte um Chancengleichheit
- Die Kritik an staatlichen Schulen aus afro-amerikanischer Perspektive
- Die Chancen und Risiken von Bildungsgutscheinen für die Bildungsgleichheit von Minderheiten
- Die Auseinandersetzung mit den Argumenten der „School Choice“-Bewegung
Zusammenfassung der Kapitel
Im zweiten Kapitel werden die strukturellen Probleme des amerikanischen Schulwesens beleuchtet. Es wird die historische Entwicklung der schulischen und residenziellen Segregation sowie ihre Auswirkungen auf die Bildungsergebnisse von afro-amerikanischen Schülern dargestellt. Die Arbeit analysiert die Ursachen für die Bildungslücke zwischen schwarzen und weißen Schülern und beleuchtet die soziopolitischen Hindernisse für Reformen in den Innenstädten.
Kapitel drei widmet sich der „School Choice“-Bewegung, deren Ursprung, Ziele und Argumente beleuchtet werden. Die Debatte um Bildungsgutscheine wird in ihrer historischen Entwicklung und ihren zentralen Argumenten dargestellt, unterteilt in Markt-, Wert- und Gerechtigkeitsdiskurs. Anhand von Beispielen wird die praktische Umsetzung von Bildungsgutscheinprogrammen in den USA erläutert.
Das vierte Kapitel befasst sich mit der afro-amerikanischen Perspektive auf die Debatte um Bildungsgutscheine. Die Arbeit stellt verschiedene schwarze Stimmen in der Debatte vor, die sowohl kritische Positionen gegen „School Choice“ als auch Befürworter der Schulwahlfreiheit vertreten. Die Kritik an den staatlichen Schulen und der Desegregationspolitik wird in ihrer Komplexität analysiert, sowie die Vision von „School Choice“ als Befreiungskampf aus afro-amerikanischer Sicht.
Kapitel fünf befasst sich mit den kritischen Argumenten gegen die Schulwahlfreiheit, die vor allem die Problematik der Nichtbewerber, der Ungleichheit von Angebot und Nachfrage sowie die Messbarkeit der Auswirkungen von Bildungsgutscheinen auf die Bildungsqualität thematisieren.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen Schulwahlfreiheit, Bildungsgutscheine, Chancengleichheit, Rassismus, Desegregation, Afro-amerikanische Bildung, strukturelle Ungleichheit, „School Choice“ und staatliche Schulfinanzierung. Die Arbeit basiert auf einer umfangreichen Analyse verschiedener Forschungsarbeiten und politischen Debatten, die die amerikanischen Bildungslandschaft und die Rolle der staatlichen Schulen in der Debatte um Chancengleichheit beleuchten.
- Quote paper
- Carsten Bösel (Author), 2005, "School Choice" und Chancengleichheit: Die Debatte um staatliche Bildungsgutscheine für einkommensschwache afro-amerikanische Familien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39260