Sein und Nichts in der Wissenschaft der Logik Hegels


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Der Anfang der Logik und die Entwicklung des reinen Seins
a) Status und Aufgaben der Logik
b) Methode, Anfang der Logik und Entwicklung des reinen Seins

2) Sein und Nichts als unbestimmt Bestimmte
a) Sein
b) Nichts
c) Der „Umschlag“ von Sein zu Nichts
d) Werden und Dasein

3) Die Struktur des immanenten Widerspruchs: Semantik vs. Pragmatik

Schluss

Bibliographie

Einleitung

Die vorliegende Arbeit möchte den Status, den die Kategorie des Nichts in der „Wissenschaft der Logik“[1] Hegels einnimmt, zu ermitteln versuchen. Dabei sollen, im Anschluss an die folgenden allgemeine Bemerkungen zu bestimmten Schwierigkeiten der Aufgabenstellung, drei Aspekte näher in Augenschein genommen werden: erstens wird in groben Zügen rekonstruiert, wie Hegel, unter Zugrundelegung der Ergebnisse der „Phänomenologie des Geistes“, dazu kommt, den Anfang der Logik überhaupt und, konkret, mit dem reinen Sein zu machen. Zweitens soll der Zusammenhang von Sein und Nichts, der im „Umschlag“ des einen in das andere gipfelt, analysiert werden. Abschließend soll die besondere Form des Widerspruchs, die dabei am Werke ist, verdeutlicht werden.

Aufgrund der dialektischen Natur des Hegelschen Systems der Philosophie kann allerdings jetzt schon gesagt werden, dass eine genuine „Theorie des Nichts“ oder „Nichtseins“ innerhalb dieses Systems nicht wird bestehen können. Dies ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass ein jeglicher, auch nicht-dialektischer Entwurf einer solchen Theorie es zwangsläufig erforderlich macht, eine ebensolche Theorie über das Sein zu entwerfen oder zumindest Profundes über das Sein aussagen zu können; unter dialektischer Hinsicht käme für einen solchen Theorieentwurf noch fatalerweise hinzu, dass das Nichts eine abhängige Kategorie ist, die nur innerhalb ihrer vielfältigen Verflechtungen mit anderen Kategorien angemessen darzustellen ist. Das heißt dann aber, dass das Ziel, eine originäre Theorie des Nichts zu formulieren, nicht zu realisieren ist.[2]

Damit ist bereits auf eine grundsätzliche Schwierigkeit hingewiesen, die sich ergibt, wenn versucht wird, Aspekte oder Momente des Hegelschen Systems zu isolieren und gewissermaßen in vitro zu untersuchen; denn aufgrund der besonderen (absoluten) Systemstruktur der Hegelschen Philosophie, in der nur das Ganze das Wahre bzw. das Wahre das Ganze sein kann, haben solche Versuche notwendig einen behelfsmäßigen und vorläufigen Charakter und sind eigentlich, will man Hegel wirklich gerecht werden, nicht gestattet – dies aber nicht bloß aufgrund einer eitlen Forderung des Denkers selbst, sondern bestimmter logischer und semantischer Strukturen innerhalb der jeweils in Frage stehenden Kategorie wegen, die auf dem Weg bis zur für die Logik abschließenden Kategorie der absoluten Idee stets über sich selbst hinausweist und das Denken zum Fortgang, zu ihrer Aufhebung nötigt.

1) Der Anfang der Logik und die Entwicklung des reinen Seins

a) Status und Aufgaben der Logik

Die „Wissenschaft der Logik“ ist das zentrale Werk in Hegels System und steht hinsichtlich ihrer Ziele, das Absolute[3] zu erkennen und angemessen darzustellen, mithin die Philosophie endgültig zu begründen, ganz im Zeichen des deutschen Idealismus. Doch zur Erfüllung dieser Aufgabe kann Hegel hier keinerlei Einschränkungen wie z.B. eine (Kantische) Limitierung des Erkenntnisvermögens, ja nicht einmal eine Trennung zwischen Methode und Gegenstand der Wissenschaft zulassen, da dies dem Begriff des Absoluten nicht gemäß und der damit einhergehenden Suche nach einer reflexiven Letztbegründung mehr als abträglich wäre. Aufgrund dieses Anspruchs folgt, dass es für die „Logik“ notwendig ist, neben der Entwicklung einer Transzendentalphilosophie und originär logischer Kategorien, Begriffs- und Urteilsformen auch gleichzeitig ontologische Bestimmungen zu generieren. Die „Logik“ hat also mehrere Aufgaben, deren Bewältigung unter Zugrundelegung desselben einheitlichen Ursprungs bewältigt werden muss. (L.35ff.)

Dieses strenge Vorgehen ist dem Charakter der logischen Wissenschaft selbst geschuldet. Da sie als Wissenschaft des Beweisens den Anspruch erhebt, die innere Notwendigkeit gültiger Denk- und Schlussverfahren zu erweisen, muss sie auch und gerade ihre eigenen Grundlagen a priori legitimieren können. Dafür ist es aber erforderlich, dass diese Denkformen nicht bloß induktiv aufgegriffen und angewendet, sondern ihre innere Zwangsläufigkeit a priori selbst erwiesen wird.[4] Der Anfang der Logik kann daher aus nichts als aus sich selbst heraus schöpfen, und zwar sowohl was ihren Gehalt als auch was ihre Verfahrensweise angeht.

b) Methode, Anfang der Logik und Entwicklung des reinen Seins

Hegel will und muss deshalb voraussetzungslos philosophieren und führt insofern das Projekt des deutschen Idealismus, die Philosophie wesentlich auf ein selbstreflexives Bewusstsein ohne Hinzuziehung irgendwelcher nicht aus diesem selbst gewonnenen Methoden und Inhalte zu stützen, als einziger der Idealisten wirklich konsequent durch. Das bedeutet, wie gesagt, dass die Logik den Anfang der Philosophie sowohl material als auch methodisch selbst zu begründen respektive zu generieren hat.[5] Dies ist aber nur möglich, wenn Inhalt und Methode gleich ursprünglich sind, also aus derselben Quelle geschöpft werden und außerdem in ihrer weiteren Entwicklung notwendig synchron verlaufen, denn dies ist die einzige Gewähr ihrer Adäquanz, die über bloße Versicherungen hinausgeht.[6]

Womit muß nun der Anfang der Logik konkret gemacht werden? – Hegel stellt hier mit Recht fest, dass jede nicht-spekulative Antwort[7] auf diese Frage zwangsläufig in Aporien führt: denn da ein Anfang der Entwicklung des Absoluten – worin die Logik ja letztlich kulminieren soll – nur unbestimmt sein kann, d.h. weder unmittelbar (durch Voraussetzung eines unbewiesenen gerade Vorgefundenen, was dem Anfangscharakter des Anfangs widerspräche) noch vermittelt (wegen der begrifflichen Differenz, in der ein solcher Anfang zu sich selbst als erstem Anfang stünde) sein kann, beide Extrema also zwar keine möglichen Optionen sind, außer ihnen aber auch keine dritte denkbar ist, die philosophischen Ansprüchen genügte, heißt das, daß der Anfang eine vermittelnde Rolle zwischen beiden Positionen darstellen muß.[8] (L.66) Dies leistet das in der „Phänomenologie des Geistes“ entwickelte sogenannte „reine Wissen“, das das Ergebnis des in diesem Werk nachgezeichneten Entwicklungsgangs des natürlichen Bewusstseins ist. Dieses hat, auf dem Weg seiner Herausbildung, alle konkreten empirischen Bewusstseins- und Wissensformen durchschritten und sich in seiner „Wahrheit“, wie Hegel sich ausdrückt, also in seiner finalen Gestalt als weder rein subjektives noch rein objektives, sondern beides in sich vereinigendes Prinzip erkannt, als formales, unbestimmtes Wissen, Wissen überhaupt.[9] Dieses ist die Übereinstimmung von Subjekt und Objekt im Erkenntnisakt, der es selber qua seines selbstreflexiven Bewusstseinscharakters ist. (L.67) Methodisch ist dies für die Logik auch aus einem anderen Grund der einzig mögliche Anfang: denn reines Wissen ist ein transzendentales Prinzip, das nur sich selbst zum Gegenstand hat und somit nicht mehr mit Äußerlichem, ihm Fremden, sondern nur noch mit sich selbst vermittelt ist. Das reine Wissen steht mithin nur noch in einer einzigen Beziehung, der Identitätsbeziehung „A=A“ zu sich selbst.[10] Allerdings liegt hier immer noch eine Identitäts beziehung vor – ein Sachverhalt, der schnell aus den Augen zu verlieren ist –, und die Selbstwidersprüchlichkeit dieses Ausdrucks ist bereits ein Hinweis darauf, dass beim reinen Wissen nicht wird stehen geblieben werden können.[11]

[...]


[1] Im folgenden wird der erste Band der „Wissenschaft der Logik“, aus dem hier allein zitiert wird, mit „L.“ und der jeweiligen Seitenzahl zitiert. Zitierte Ausgabe: Hegel, G.W.F.: Wissenschaft der Logik, Band 1. Frankfurt a.M. 2000

[2] Dasselbe gilt natürlich vice versa auch für eine Theorie des Seins.

[3] „Das Absolute“ ist bei Hegel hier zunächst im Wortsinne, als „Nicht-Relatives“, zu verstehen und könnte daher auch „Wahrheit“ oder „Erkenntnis“ genannt werden, da jene zwar ihrem Gegenstand, nie aber ihrer Qualität nach relativ sein können. Daraus läßt sich bereits folgern, dass es sich bei dem in Frage stehenden Absoluten nicht um ein materiales Prinzip, eine Substanz o.ä., mithin um keinen Einzelgegenstand handeln kann.

[4] Siehe dazu Hegels Kritik an der klassischen Ontologie, die zwischen Gehalt und Methode der Logik trennt – L.50f.

[5] Selbst wenn die Kategorien und Schlussformen der formalen Logik selbst für Hegels Vorgehen geeignet und anwendbar wären, würde er sie in Frage stellen, da ihre Legitimität, d.h. notwendige Geltung nicht an ihnen selbst erwiesen wäre, sondern sie nur „aufgerafft“ wären.

[6] Diese Forderung wird vielleicht einleuchtender, wenn sie in epistemologischer Hinsicht interpretiert wird: im strikten Sinne des Wortes erkannt ist nur dasjenige, von dem auch angebbar ist, wie es erkannt wurde. Zur endgültigen Erkenntnis im Hegelschen Sinne gehört auf jeder Stufe also nicht bloß eine „Dass-“ und „Was-Gewißheit“, sondern auch eine „Wie-Gewißheit“. Mit der Forderung danach ist übrigens auch eine weitere Scheidelinie zwischen wissenschaftlichem und natürlichem Bewusstsein bzw., innerhalb der Wissenschaften, zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften markiert.

[7] Das bedeutet in diesem Zusammenhang: eine Antwort, die die Form „Mit x (und mit nichts anderem)“ hat.

[8] Erhellend hierzu ist die Parmenides-Kritik, L.98

[9] Siehe zu diesem Ausdruck Fußnote 16.

[10] Dies läßt sich aufgrund des Rahmens dieser Arbeit nur ex negativo und skizzenhaft zeigen: wäre das reine Wissen schlicht „A“ bzw. interpretierte man die Beziehung „A=A“ nicht als eine solche, sondern nur als Feststellung, dass A, dann wäre man unter der Hand in die Einseitigkeit (d.h. Identität) einer der schon überwundenen Bestimmungen Subjektivität oder Objektivität zurückgefallen. Hier könnte nicht mehr von einer Aufhebung dieser Differenz (im doppelten Wortsinne), sondern nur noch von ihrer Zurückweisung oder ähnlichem die Rede sein, hingegen aber nicht einmal mehr vom klassischen „nicht reinen“ Wissensbegriff – am Ende der Phänomenologie bliebe so nur noch Quietismus.

[11] Eine hervorragende Analyse der logischen Struktur der Voraussetzung bei Hegel findet sich in R. Bubners Aufsatz „Die „Sache selbst“ bei Hegel“, in: Horstmann, R.-P. (Hrsg.): Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels. Frankfurt a.M. 1978, 101ff.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Sein und Nichts in der Wissenschaft der Logik Hegels
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Theorien des Nichtseins
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
14
Katalognummer
V39284
ISBN (eBook)
9783638380966
Dateigröße
579 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine knappe Darstellung der Dialektik zwischen Sein und Nichts am Anfang der "großen" Logik Hegels und eine Erläuterung der spezifischen Art des Widerspruchs, der zwischen beiden Kategorien besteht (Semantik vs. Pragmatik).
Schlagworte
Sein, Nichts, Wissenschaft, Logik, Hegels, Theorien, Nichtseins
Arbeit zitieren
Frank Lachmann (Autor:in), 2005, Sein und Nichts in der Wissenschaft der Logik Hegels, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39284

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