Neben seiner Rolle bei der Durchführung wirtschaftlicher Reformen in der Volksrepublik China nach dem Ende der Kulturrevolution 1976/77 war Deng Xiaoping maßgeblich an der Einleitung erster Schritte zur Reform des chinesischen Kadersystems beteiligt. So stellte er in diversen Reden ab den späten 70er Jahren des 20. Jahrhunderts bereits seine Sicht zur Lage der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) und der für sie daraus erwachsenden Probleme aber auch konkrete Lösungswege vor.
Der Beginn der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik liegt nun mehr als ein Vierteljahrhundert zurück; Große Umwälzungen haben in diesem Zeitraum stattgefunden, ebenso Fort- und auch Rückschritte in den unterschiedlichsten Bereichen. Die große Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit im Westen gilt – nach dem (schnellen) Abflauen des Schocks aufgrund der Ereignisse vom 4. Juni 1989 – den Wirtschaftsreformen und dem damit verbundenen rasanten Wirtschaftswachstum der Volksrepublik China. Das Interesse an den politischen Reformen in der Volksrepublik China und ihrer Implikationen für die zukünftige Rolle der KPC sowie die Zukunft Chinas beschränkt sich demgegenüber auf einen eher akademischen Kreis.
In der vorliegenden Arbeit wird ein wichtiger Teilbereich der politischen Reformen behandelt: Die Reform des Kadersystems. Mit den Kadern und vor allem mit der Macht über die Kader und der Kontrolle des Kadersystems und der damit verbundenen Aufgaben wie Rekrutierung, Ernennung, Beförderung, Transfer und Abberufung von Kadern steht und fällt die Machtbasis der KPC.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Begriffsklärung und Forschungsstand
II.1 Kader ( 干部 ganbu) und Nomenklatura ( 职务名称表 zhiwu mingcheng biao)
II.2 Westlicher Forschungsstand
III. Die Binnenstruktur der KPC
IV. Der historische Kontext der Entwicklung der Reformen des Kadersystems und deren Inhalte
V. Gründe für die Reform des Kadersystems und Bewertung der Ergebnisse
VI. Zusammenfassung
VII. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Neben seiner Rolle bei der Durchführung wirtschaftlicher Reformen in der Volksrepublik China nach dem Ende der Kulturrevolution 1976/77 war Deng Xiaoping maßgeblich an der Einleitung erster Schritte zur Reform des chinesischen Kadersystems beteiligt. So stellte er in diversen Reden ab den späten 70er Jahren des 20. Jahrhunderts bereits seine Sicht zur Lage der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) und der für sie daraus erwachsenden Probleme aber auch konkrete Lösungswege vor.
Der Beginn der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik liegt nun mehr als ein Vierteljahrhundert zurück; Große Umwälzungen haben in diesem Zeitraum stattgefunden, ebenso Fort- und auch Rückschritte in den unterschiedlichsten Bereichen. Die große Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit im Westen gilt – nach dem (schnellen) Abflauen des Schocks aufgrund der Ereignisse vom 4. Juni 1989 – den Wirtschaftsreformen und dem damit verbundenen rasanten Wirtschaftswachstum der Volksrepublik China. Das Interesse an den politischen Reformen in der Volksrepublik China und ihrer Implikationen für die zukünftige Rolle der KPC sowie die Zukunft Chinas beschränkt sich demgegenüber auf einen eher akademischen Kreis.
In der vorliegenden Arbeit wird ein wichtiger Teilbereich der politischen Reformen behandelt: Die Reform des Kadersystems. Mit den Kadern und vor allem mit der Macht über die Kader und der Kontrolle des Kadersystems und der damit verbundenen Aufgaben wie Rekrutierung, Ernennung, Beförderung, Transfer und Abberufung von Kadern steht und fällt die Machtbasis der KPC.
Die Gliederung der Arbeit ergibt sich wie folgt: Unter II. werden zunächst einige Begriffe erläutert, darüber hinaus soll ein kurzer Überblick über den westlichen Forschungsstand gegeben werden. Die Darstellung der Binnenstruktur der KPC, insbesondere der Aufbau der Parteiführung, die hierarchische Struktur sowie eine Erläuterung der verschiedenen Parteigremien und ihrer Funktionen erfolgt in Teil III. Im vierten Teil möchte ich die historische Entwicklung der Reform des Kadersystems seit den 1980er Jahren vorstellen und die Inhalte der Reform eingehend erläutern.
Worin besteht die Motivation der KPC, das Kadersystem reformieren, das Kaderrekrutierungssystem professionalisieren zu wollen? Welche Gründe machen solche Reformen notwendig? Wie lässt sich die Reform des Kadersystems in den Gesamtzusammenhang der politischen und wirtschaftlichen Reformen in der Volksrepublik China einordnen und wie sind das bisher Erreichte und die noch zu verwirklichenden Ziele und ungelösten Probleme zu bewerten? Einen Versuch der Beantwortung dieser Fragen möchte ich in Teil V wagen. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung in Kapitel VI ab.
II. Begriffsklärung und Forschungsstand
II.1 Kader ( 干部 ganbu) und Nomenklatura ( 职务名称表 zhiwu mingcheng biao
Die beiden häufigsten, bei der Beschäftigung mit dem Thema dieser Hausarbeit auftauchenden Begriffe sind die in der Überschrift für dieses Unterkapitel genannten: Kader und Nomenklatura. Zu beachten ist, dass der Begriff „Kader“ in weitere verfeinerte Subbegriffe unterteilt werden kann. Diese – für die weitere Betrachtung äußerst wichtigen – Begriffe sollen im Folgenden kurz erläutert werden.
Mit Kader werden in der Volksrepublik China im allgemeinen alle Personen bezeichnet, die von der KPC in Führungspositionen in Partei, Regierung, Verwaltung, Justiz, staatlichen Unternehmen, Dienstleistungsorganisationen und Verbänden eingesetzt sind. Auch auf Offiziere der Volksbefreiungsarmee (VBA) findet dieser Begriff Anwendung.[1]
Kjeld Erik Brodsgaard merkt an, dass „der Begriff ‚Kader’ zuerst während der Russischen Revolution entwickelt wurde und dann als ganbu ins Chinesische übersetzt wurde.“[2] In der ursprünglichen Bedeutung waren Kader die Anführer der Revolution und in Leninscher Diktion die Avantgarde der revolutionären Klasse.[3] Nach Heilmann handelte es sich bei dem Wort „cadre“ zunächst um einen französischen Begriff, welcher „durch die russischen Bolschewisten neu definiert und durch japanische Übersetzungen nach China vermittelt [wurde].“[4] Anders als im westlichen Sprachgebrauch handelt es sich beim chinesischen ganbu jedoch um die Bezeichnung individueller Personen, also nicht die kollektive Führung.[5]
In chinesischen Texten taucht der Begriff Kader häufig in Form von Erweiterungen auf. So zum Beispiel in den Formen „Führungskader“ (领导干部 lingdao ganbu), „Staatsbedienstete/Verwaltungsangestellte“ (机关干部 jiguan ganbu) und auch „Partei- und Regierungskader“ (党政干部 dangzheng ganbu). Dies entspricht zum einen der hierarchischen Unterscheidung nach Führungskadern und gewöhnlichen Kadern, zeigt zum anderen aber auch, wie weit der Begriff gefasst ist. So bezeichnete ihn ein Autor als einen „catch-all term“, der – mit wenigen Ausnahmen – fast alle Berufsgruppen in der Volksrepublik China umfasst.[6]
Bei dem Wort „Nomenklatura“ handelt es sich ebenfalls um einen sowjetisch-leninistischen Begriff. Er bezeichnet eine von der Kommunistischen Partei erstellte Liste mit Namen und korrespondierenden, zu besetzenden Positionen. Das Nomenklatura-System stellt somit das wichtigste Instrument in den Händen der KPC dar, durch welches sie die Kontrolle über die Auswahl und Ernennung des Führungspersonals in nahezu allen Institutionen und auf allen Ebenen besitzt.[7]
II.2 Westlicher Forschungsstand
Nach meinen Recherchen gibt es bis dato keine Veröffentlichungen in westlichen Sprachen, die sich explizit mit dem Thema der Professionalisierung des Kaderrekrutierungssystems in der VR China auseinandersetzen. Gleichwohl findet man eine relativ überschaubare Anzahl von Artikeln, Sammelbänden und Monographien, die sich mit den Reformen des Kadersystems beschäftigen. Einige ausgewählte Publikationen möchte ich an dieser Stelle kurz vorstellen.
Eine der frühesten Publikationen ist A. Doak Barnetts „Cadres, Bureaucracy, and Political Power in Communist China“ aus dem Jahre 1967.[8] Seine Untersuchung besteht aus Interviews mit ehemaligen Kadern, die sich nach Hongkong abgesetzt hatten. Aus den auf diese Weise gewonnenen Informationen entwickelt er eine umfassende Darstellung der Organisations-, Führungs- und Kontrollstrukturen in einem zentralen Ministerium M. Desweiteren beleuchtet er die Einbettung eines Kreises X (县 xian) in das Verwaltungssystem, sowie die Rolle und Organisation der Partei und der Regierung innerhalb dieses Kreises. An zwei weiteren Fallbeispielen zu einer Kommune C und einer Produktionsbrigade B stellt er die Verhältnisse auf der Dorfebene dar.
Mit der einsetzenden Reform- und Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping ab Ende der 1970er Jahre und der damit aufkommenden Debatte über eine Reformierung des Kadersystems nahm auch die Zahl von Artikeln zu, die sich mit diesem Feld auseinandersetzten. In den frühen 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erschienen relativ viele Veröffentlichungen in Issues & Studies, einer englischsprachigen in Taiwan erscheinenden Zeitschrift. In den meisten dieser Artikel wurden die Probleme des Kadersystems analysiert und die Maßnahmen der kommunistischen Führung diskutiert.
Eine westliche Forscherin, die sich ebenfalls sehr früh mit den Entwicklungen im Bereich des Kadersystems auseinandergesetzt hat, ist Melanie Manion. Bereits 1984 erschien eine von ihr herausgegebene Ausgabe von Chinese Law & Government mit Übersetzungen von Dokumenten die Rekrutierung und Verwaltung von Kadern betreffend.[9] Ein Jahr später, 1985, veröffentlichte sie einen Artikel, in dem sie auf der Basis eines 1983 vom Forschungs- und Organisationsbüros der Organisationsabteilung des Zentralkomitees (ZK) der KPC herausgegebenen Handbuchs zur Parteiorganisation sowie zahlreicher Zeitungsartikel aus dem Zeitraum 1980 bis 1982 die formalen Regeln des Kaderverwaltungssystems untersucht.[10]
Die Messung der Effektivität des Systems zur Bewertung von Kadern ist Kernthema der Arbeiten von King W. Chow aus den Jahren 1987 bzw. 1988. In allen drei mir vorliegenden Artikeln bedient er sich Interviews mit Beijinger Kadern und Bürgern, wobei letztere in Industriebetrieben oder Forschungseinrichtungen beschäftigt waren und bewertet anhand der dadurch gewonnenen Aussagen das Kaderbewertungssystem. Die Datenbasis für die ersten beiden der aufgeführten Artikel stammt aus derselben Interviewreihe aus den Jahren 1983 und 1984, die Interviews für den dritten Aufsatz stammen aus dem Jahr 1987.[11]
John P. Burns ist ein weiterer Wissenschaftler, der sich in den 80er und 90er Jahren mit dem Kadersystem beschäftigt hat. Zu seinen Werken zählt das bereits oben erwähnte The Chinese Nomenklatura System,[12] sowie eine Arbeit zum System der Kaderakten.[13]
Zwei neuere Veröffentlichungen stammen von Maria Edin. In ihrer Dissertation aus dem Jahr 2000 untersucht sie die Anreize, die lokale Kader haben, um wirtschaftliches Wachstum voranzutreiben. Grundlage ihrer Untersuchung sind umfangreiche Feldforschungen bestehend aus insgesamt 153 Interviews mit lokalen Kadern und Unternehmen, die sie in einem Gesamtzeitraum von sieben Monaten in ländlichen Gebieten auf Kreisebene und darunter in den Provinzen Jiangsu, Shandong, Zhejiang und Shanxi, sowie einem ländlichen Kreis in der regierungsunmittelbaren Stadt Beijing durchführte.[14] Ein 2003 zum selben Thema erschienener Artikel stützt sich ebenfalls auf die zwischen 1996 und 1999 gewonnenen Daten der bereits oben genannten Feldstudie.[15]
Neben den angesprochenen Veröffentlichungen gibt es selbstverständlich noch weitere wichtige Veröffentlichungen. Diese finden an geeigneter Stelle Erwähnung. Die obige Auswahl soll lediglich einen kurzen Überblick über die Unterschiede hinsichtlich der zeitlichen Streuung und der methodischen Ansätze bieten. Auch chinesischsprachige Veröffentlichungen werden an den jeweils passenden Stellen zum Einsatz kommen – insbesondere Parteidokumente und neuere Sekundärliteratur.
Einen für das weitere Verständnis wichtigen Punkt stellt die Binnenstruktur der KPC dar. Im folgenden Kapitel möchte ich versuchen, die wichtigsten Institutionen der Parteizentrale vorzustellen.
[...]
[1] Vgl.: Heilmann, Sebastian (2004). Das politische System der Volksrepublik China. S. 114.
[2] Brodsgaard, Kjeld Erik (2003). „China’s Cadres and Cadre Management System“. In: Wang Gungwu, Zheng Yongnian (eds.). Damage Control: The Chinese Communist Party in the Jiang Zemin Era. S. 209.
[3] Ebd.
[4] Heilmann (2004). S. 114.
[5] Ebd.
[6] Siehe: Song, Bing (1992). „The Reform of Mainland China’s Cadre System – Establishing a Civil Service“. In: Issues & Studies: A Journal of Chinese Studies and International Affairs. Vol. 28 No. 10 (Oct. 1992): S. 23.
[7] Für ausführlichere Darstellungen des chinesischen Nomenklatura-Systems vgl.: Burns, John P. (ed.) (1989). The Chinese Communist Party’s Nomenklatura System: A Documentary Study of Party Control of Leadership Selection, 1979-1984. Armonk, New York: M.E. Sharpe; Hon S. Chan (2004). „Cadre Personnel Management in China: The Nomenklatura System, 1990-1998“. In: The China Quarterly: an international journal for the study of China. Vol. 179: S. 703-734.
[8] Barnett, A. Doak (1967). Cadres, Bureaucracy, and Political Power in Communist China. New York and London: Columbia University Press.
[9] Manion, Melanie (Hg.) (1984). „Cadre Recruitment and Management in the People’s Republic of China“. In: Chinese Law & Government: A Journal of Translations. 17 No. 3: S. 3-128.
[10] Manion, Melanie (1985). „The Cadre Management System, Post-Mao: The Appointment, Promotion, Transfer and Removal of Party and State Leaders“. In: The China Quarterly: an international journal for the study of China. No. 102, Jun. 1985: S. 203-233.
[11] Chow, King W. (1987). „Political Succession in the People’s Republic of China: Politics and Implication of Cadre Assessment (1949-1984)“. In: Asian Profile, Vol. 15 No. 5, Oct. 1987: S. 395-405; ders. (1988a). „La gestion des ressources de cadre en Chine: politique d’évaluation de la performance (1949-1984)“. In: Revue Internationale des Sciences Administratives, Vol. LIV No. 3: S. 401-424; ders. (1988b). „The Management of Cadre Ressources in Mainland China: The Problems of Job Evaluation and Position Classification, 1949-1987“. In: Issues & Studies: A Journal of Chinese Studies and International Affairs, Vol. 24 No. 8, Aug. 1988: S. 11-33.
[12] Siehe Fußnote 7.
[13] Burns, John P. (ed.) (1994). „Renshi dang’an: China’s Cadre Dossier System“. In: Chinese Law & Government: A Journal of Translations. 27 No. 2, March-April 1994.
[14] Edin, Maria (2000). Market Forces and Communist Power: Local Political Institutions and Economic Development in China. Department Of Government, Uppsala University. (Diss.).
[15] Edin, Maria (2003). „State Capacity and Local Agent Control in China: CCP Cadre Management from a Township Perspective“. In: The China Quarterly: an international journal for the study of China. Vol. 173, March 2003: S. 35-52.
- Arbeit zitieren
- Steffen Dyck (Autor:in), 2005, Die Reform des Kadersystems in der Volksrepublik China, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39476
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