Die Nationalbewegung der Ukrainer in Galizien und im Russischen Reich des 19. Jahrhunderts


Seminararbeit, 2003

17 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Vergleichende politische Vorraussetzungen und Aspekte der ukrainischen Nationalbewegung
1.1 Die Zersplitterung der Ukrainer auf zwei Großreiche
1.2 Die politische Mitbestimmung

2 Vergleichende soziale und kulturelle Vorraussetzungen und Aspekte der ukrainischen Nationalbewegung
2.1 Die Hauptträger der Nationalbewegung
2.2 Die Bauernbefreiung
2.3 Die Industrialisierung (Modernisierung)
2.4 Die sprachlich-kulturellen Entwicklungen

Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Das 19. Jahrhundert war besonders durch die Bildung nationalen Bewusstseins und nationaler Bewegung auch im östlichen Europa gekennzeichnet. Es ist eine Zeit, in der auch die sogenannten „kleinen Völker“[1] vor allem versuchten, sich von den ihnen übergeordneten Großreichen abzugrenzen, um eine politisch und kulturell eigene Nation zu bilden.

Meine Hausarbeit soll sich diesbezüglich mit den Ukrainern auseinandersetzen, dessen Geschichte nationaler Bewegung/nationalen Bewusstseins sich prinzipiell durch äußere Bedingungen, wie im Verlauf der Hausarbeit deutlich werden wird, von der anderer „kleiner Nationen“ unterscheidet.

Im ersten Teils wird der Frage nachgegangen, wie die politischen Vorraussetzungen für die Entwicklung eines ukrainischen Nationalbewusstseins/einer ukrainischen Nationalbewegung waren. Die Aufteilung der Ukrainer auf die zwei Großmächte der Habsburger Monarchie und des Russischen Reiches, die jeweilige Stellung der Ukrainer innerhalb dieser Reiche und ihre politische Mitbestimmung sollen hinterfragt werden.

Der zweite Teil meiner Arbeit beschäftigt sich mit dem Vergleich ausgewählter sozialer und kultureller Aspekte der Nationalbewegungen zwischen den Ukrainer in Galizien[2] und denen im Russischen Reich.

Ich werde den Fragen nachgehen, ob, in wiefern und warum sich die Nationalbewegungen in den Großreichen bezüglich dieser Aspekte unterschieden.

Weil in meiner Hausarbeit der Vergleich im Vordergrund steht, werden mehrere unterschiedliche Aspekte (s.o.) thematisiert, um einen möglichst umfassenden Einblick zu bekommen. Zur Wahl der Gliederung möchte ich bemerken, dass sich politische, kulturelle und soziale Aspekte einer Nationalbewegung natürlich immer gegenseitig bedingen, so hätten einige Aspekte durchaus auch unter anderen (Ober-) Punkten stehen können. Da ich jedoch entsprechende Aspekte vergleichen wollte, hielt ich es für sinnvoller und übersichtlicher, auch aufgrund des eingeschränkten Rahmens dieser Arbeit, die zu untersuchenden ausgewählten Aspekte möglichst isoliert gegenüber zu stellen. Außerdem werde ich mit den politischen Vorraussetzungen und Aspekten beginnen, weil diese doch von erheblicher Bedeutung waren und auch beträchtlichen Einfluss auf die weiteren sozialen und kulturellen Aspekte der ukrainischen Nationalbewegung hatten.

Zum Forschungsstand und zur Forschungsliteratur der Nationalbewegung der Ukrainer in Galizien lässt sich allgemein sagen, dass diese qualitativ und quantitativ deutlich vor der der Ukrainer Russlands liegt. Nach Andreas Kappelers Einschätzung liegt dies daran, weil das Thema für die sowjetische Forschung seit den 30er Jahren tabu ist, da weniger Quellen zur Verfügung stehen, aber auch durch den Gegenstand an sich, der seiner Auffassung nach im Vergleich zu Galizien undeutlichere Konturen aufzeigt[3].

1 Vergleichende politische Vorraussetzungen und Aspekte der ukrainischen Nationalbewegung

Unter diesem Punkt möchte ich die ganz individuelle politische Ausgangssituation der Ukrainer deutlich machen, mit der diese im 19. Jahrhundert konfrontiert waren. Es handelt sich hierbei um die Aufteilung der Ukrainer auf zwei Großreiche. Unter Punkt 1.2 werde ich dann die jeweilige Stellung und politische Mitbestimmung der Ukrainer innerhalb dieser Reiche thematisieren.

1.1 Die Zersplitterung der Ukrainer auf zwei Großreiche

Auf der einen Seite gab es die im österreichischen Kronland Galizien lebenden Ukrainer, die sogenannten Ruthenen. Galizien ging im Jahr 1772 infolge der ersten polnischen Teilung an das Habsburger Reich über und blieb österreichisches Kronland bis 1918. Ebenfalls zum Habsburger Reich zugehörig waren das österreichische Kronland Bukowina und die ungarische Karpatenukraine, in der etwa ein Fünftel der Ruthenen lebten[4].

Auf der anderen Seite lebte, ebenfalls aufgrund der polnischen Teilungen, die weitaus größere Anzahl an Ukrainer unter russischer Herrschaft, wo auch die ukrainische Nationalbewegung ihren Anfang nahm. Zum russischen Reich gehörten die linksufrige[5] Ukraine, das Gebiet des bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts autonomen ehemaligen Hetmanats der Dnjepr-Kosaken. Des Weiteren die stark polnisch geprägte

rechtsufrige Ukraine und die Süd-Ukraine[6] nördliches des Schwarzen Meeres, welche seit dem Endes des 18. Jahrhunderts erschlossen wurde.

Im Folgenden wird meine Hausarbeit aufzeigen, dass vor allem diese Zersplitterung des ukrainischen Volkes dazu führte, dass sich die Nationalbewegungen in Galizien und im Russischen Reich doch erheblich voneinander unterschieden. Unter Punkt 1.2 werde ich diese Divergenz auf politischer Ebene deutlich machen.

1.2 Die politische Mitbestimmung

[7] Die ukrainische Nationalbewegung in Galizien nahm während der österreichischen Revolution einen beträchtlichen Aufschwung. Dadurch, dass Kaiser Ferdinand I. den einzelnen österreichischen Völkern konstitutionelle Freiheiten zusprach, forderten die Polen Selbstverwaltung bzw. Autonomie und schlossen dabei auch die ukrainischen Gebiete mit ein. Dem entgegen trat eine ukrainische Opposition mit einem klar formulierten nationalen Programm. Der Lemberger „Hauptrat der Ruthenen“, welcher aus Vertretern der ukrainischen Bevölkerung bestand, verwendeten den Begriff der Gesamtnation, also der Einheit von West- und Ostukraine, und machten sich die nationale Erweckung des Volkes und die Sicherung seiner Rechte zur Aufgabe im Rahmen der österreichischen Konstitution. Auch in der Provinz wurden, nach Vorbild des Hauptrates, ähnliche lokale Institutionen geschaffen, so dass ein endgültiger Schnitt zum Polentum gezogen wurde. Die Polen reagierten, um ein Gegengewicht zu schaffen, mit dem sogenannten „Ruthenischen Sobor“. Politischen Einfluss erhielten die Ukrainer Galiziens auch durch das neueröffnete österreichische Parlament, in welchem sie mit 37 Abgeordneten aus Ostgalizien und der Bukowina vertreten waren. Erste und wichtigste Hauptforderung, der Abgeordneten und des ruthenischen Hauptrates, nach Befreiung der Ukrainer aus polnischer Vormundschaft, war die Teilung Galiziens. Der mit Ukrainern bevölkerte Teil sollte mit Lemberg als Zentrum ausgesondert werden. Durch fehlende Stimmenmehrheit im Parlament und schließlich durch Auflösung desselben ließ sich die Forderung nicht verwirklichen. Die österreichische Regierung kehrte nach Niederschlagung der Revolution und nach Auflösung des Parlamentes wieder zum alten System (zentral-bürokratisch) zurück. Von 1850-1860 wurden nationale Bewegungen unterdrückt und ukrainische Wünsche wurden nicht weiter berücksichtigt , obwohl die Ukrainer bei der Bekämpfung des ungarischen Aufstandes mithalfen. 1851 wurden der Hauptrat in Lemberg und die lokalen Institutionen in der Provinz aufgelöst, jede weitere nationalen Betätigungen wurden verhindert. Die 1860-1861 neu eingeführte österreichische Konstitution verhalf Galizien und den anderen Kronländern Österreichs zu bürgerlichen Grundrechten und zur Autonomie mit eigenem Landtag. Als Grundlage wurde das ständische Prinzip genommen, die Wahl nach Kurialsystem verhalf dem polnischen Adel zur Macht. Im ersten galizischen Landtag 1861 fiel die absolute Mehrheit den Polen zu, sie beherrschten ebenfalls die behördlichen Institutionen im gesamten Gebiet Galiziens. Es folgte ein erbitterter Nationalkampf, jedes Zugeständnis seitens der Ukrainer musste hart erkämpft werden. Aufgrund der polnischen Vorherrschaft und der Vernachlässigung der galizischen Ukrainer durch Österreich entstand eine moskophile Bewegung, welche aus russophilen konservativen Altruthenen bestand. Ende 1866, nach der Niederlage Österreichs gegen Preußen, wurde sogar die Besonderheit und Einheit der ukrainischen Nation entschieden verneint, welche noch 1848 noch vom ruthenischen Hauptrat verkündet wurde.

[8] Bis in die achtziger Jahre hinein hielt sich diese moskophile Bewegung, verlor dann aber zusehends Boden gegenüber den liberal-ukrainophilen Jungruthenen oder Nationalen Populisten[9].

1868 kam es zum Ausgleich Wiens mit den Polen Galiziens, welcher die Stellung der Ukrainer verschlechterte. Trotzdem hatte der Ausgleich den Effekt, dass die Ukrainer erneut für die national-politische Auseinandersetzung mit den Polen mobilisiert wurden.

Im Jahre 1890 wurde von jungen Intellektuellen die erste ukrainische politische Partei, die Ruthenisch-Ukrainische Radikale Partei, gegründet. Im Verlaufe der neunziger Jahre konnte dann schließlich die Entwicklung der Nationalbewegung zu einer Massenbewegung erreicht werden. Bei einem beträchtlichen Teil der ukrainischen Bauern wurde ein Nationalbewusstsein geweckt, sie wurden für die nationale Sache mobilisiert und traten nationalen Organisationen bei. Schließlich differenzierten sich die politischen Parteien weiter und ab 1900 intensivierten die Ukrainer Galiziens die politische Autonomiebewegung.

Bis zum ersten Weltkrieg wurden vehemente Forderungen nach Gleichberechtigung mit den Polen und Verbesserung der Wirtschaftslage vorgebracht. Die Ruthenen hielten, trotz ausgeprägtem Zusammengehörigkeitsgefühl zu den Ukrainern im Russischen Reich, an ihrer Loyalität zur Habsburger Monarchie fest. 1914 kam es nach endlosen Verhandlungen zu einer Vereinbarung der Regierung mit den Polen und Ruthenen, welche durch den Krieg jedoch nicht mehr zur Anwendung kam. Die Wahlordnung wurde nur leicht zugunsten der Ruthenen geändert, das Kurienwahlrecht wurde nicht abgeschafft[10].

[...]


[1] Vgl. Hroch, Miroslav: Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas. Eine vergleichende Analyse zur gesellschaftlichen Schichtung der patriotischen Gruppen, Praha 1968.

[2] Hier und im weiteren Verlauf der Hausarbeit, wenn von Galizien die Rede ist, ist der östlichen Teil, der überwiegend von Ukrainern bewohnt war, gemeint. Im Gegensatz zum hauptsächlich polnisch bevölkerten Westgalizien.

[3] Vgl. Kappeler, Andreas: Die ukrainische Nationalbewegung im Russischen Reich und in Galizien: Ein Vergleich, in: Timmermann, Heiner (Hg.): Entwicklung der Nationalbewegungen in Europa 1850-1914, Berlin 1998 (Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen. 84), S. 177f.

[4] Auf diese beiden Teilregionen werden ich im weiteren Verlauf aufgrund des eingeschränkten Rahmens nicht weiter eingehen.

[5] Die Begriffe „Linksufrig und „Rechtsufrig“ beziehen sich auf den Fluss Dnjepr.

[6] Auch „Neurussland“ genannt.

[7] Im folgenden nach Krupnyckyj, Boris: Geschichte der Ukraine. Von den Anfängen bis zum Jahre 1917, Wiesbaden 31963, S. 251-256.

[8] Im folgenden nach Kappeler, Ein Vergleich, S. 181f.

[9] Weitere Ausführungen über Träger der Nationalbewegungen folgen im zweiten Hauptteil meiner Arbeit.

[10] Vgl. Jobst, Kerstin S.: Die ukrainische Nationalbewegung bis 1917, in: Golczewski, Frank (Hg.): Geschichte der Ukraine, Göttingen 1993, S.166.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Nationalbewegung der Ukrainer in Galizien und im Russischen Reich des 19. Jahrhunderts
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
2
Autor
Jahr
2003
Seiten
17
Katalognummer
V39539
ISBN (eBook)
9783638382786
ISBN (Buch)
9783638790475
Dateigröße
455 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nationalbewegung, Ukrainer, Galizien, Russischen, Reich, Jahrhunderts, Ukraine, Galizier
Arbeit zitieren
Gunnar Norda (Autor:in), 2003, Die Nationalbewegung der Ukrainer in Galizien und im Russischen Reich des 19. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39539

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