Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Allgemein
3. Angelica
4. Concetta
5. Maria Stella
6. Donna Bastiana
7. Die Familie des Paters Pirrone
8. Der Tod als Frau
9. Fazit
10. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In einem Roman, der zu einer Zeit spielt, in der die Gesellschaft durch die Männer geprägt wird, liegt die Vermutung nahe, dass der Autor sich bei seinen Beschreibungen auch hauptsächlich auf die Männer konzentriert. Wenn der Autor des Romans versucht, die Lebensverhältnisse im Italien des 19. Jahrhunderts wiederzuspiegeln und dann auch noch aus dem Blickwinkel der sozialen Schicht, der er selbst entstammt, zeigt das vor allem wie ausführlich er sich mit der Gesellschaft, all ihren sozialen Klassen und ihrem Miteinander auseinander gesetzt hat. Giuseppe Tomasi di Lampedusa ist es geglückt, mit seinem Roman „Il Gattopardo“ einen sozial kritischen Roman zu schreiben, der sich nicht nur mit den Männern beschäftigt, sondern sich auch mit dem Schicksal der Frauen zu der damaligen Zeit auseinander setzt.
Ich werde zunächst die Frauen, wie sie in „Il Gattopardo“ beschrieben werden, im Allgemeinen charakterisieren. Anschließend werde ich versuchen, den Kontrast zwischen Angelica und Concetta und dem, was diese beiden Frauen verkörpern sollen, herauszuarbeiten. Danach werde ich auf die Mütter der beiden, Maria Stella und Donna Bastiana, genauer eingehen, um ihre Stellung in der sizilianischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zu diskutieren. Anschließend werde ich auch die Frauenfiguren im Umfeld Pater Pirrones bearbeiten. Ziel meiner Hausarbeit ist es, die hier dargestellten Schicksale einzelner Frauen mit Blick auf ihre unterschiedliche soziale und gesellschaftliche Position zu untersuchen und ansatzweise darzustellen, in wie fern Giuseppe Tomasi di Lampedusa hier eigene Ansichten und Meinungen mit einfließen lässt.
2. Allgemein
Giuseppe Tomasi di Lampedusa versucht in „Il Gattopardo“, ein möglichst ehrliches und breit gefächertes Bild über die Situation von Frauen im Italien des 19. Jahrhunderts zu geben. Er beschönigt nichts und stellt klar, dass Frauen aller sozialen Schichten die gleiche Zukunft ereilte. Sie waren Sklaven ihrer männlichen Verwandten, ihrer Väter, Brüder und späteren Ehemänner und hatten weder in der Familie noch in der Gesellschaft eine Stimme. Er schildert also ähnliche Frauenschicksale nur eben in unterschiedlichen sozialen Situationen.
In seinem Roman achtet der Autor jedoch darauf, dass auch literarisch die Unterwürfigkeit der Frauen gegenüber ihren Männern deutlich wird. Alle auftretenden Frauen werden durch männliche Personen charakterisiert.[1] Klar erkennbar wird aber auch die Einstufung der Frauen in ein bestimmtes Konzept. Lampedusa bedient sich hier der Eva-Maria-Konstellation, die vor allem im Mittelmeerraum weit verbreitet ist.[2] Die Eva-Figur verkörpert dabei das Verführerische und Gefährliche. Ihr hängt etwas Sündhaftes an. Auch sexuelle Anziehungskraft spielt hier eine Rolle. Ganz im Gegensatz dazu steht die Maria-Figur. Sie ist in enger Verbindung zur Religion zu betrachten. Substantive wie Keuschheit und Frömmigkeit sind ihr zu zuordnen.
In dem vorliegenden Roman sind vor allem diese beiden Rollen klar verteilt. Concetta, Tochter des Fürsten Salina, übernimmt die Rolle der Maria. Sie ist sehr traditionell erzogen und streng religiös. Angelica, Tochter von Don Calogero, verkörpert die Eva-Figur und damit das verführerisch Anziehende und gleichzeitig Gefährliche. Darüber hinaus hat Lampedusa ihren Namen nicht ohne Grund gewählt. In ganz Italien waren damals Schausteller mit Marionettentheatern unterwegs, die mit eben diesen Marionetten Theaterstücke für das einfache Volk aufführten, die Opera dei Pupi.[3] Vor allem in Sizilien wurde die Eva-Figur durch die von den Wanderbühnen mehr und mehr verbreiteten Marionettenspiele zur Angelica. Auf diesem Weg entstand eine fast schon traditionelle Verbindung zwischen der historischen Eva und der Angelica des einfachen Volkes bzw. der aus dem vorliegenden Roman. Ich möchte nun auf die beiden weiblichen Hauptcharaktere genauer eingehen.
3. Angelica
Sie ist eine der beiden wichtigen Frauenfiguren in „Il Gattopardo“ und verkörpert die sinnliche und verführerische, gleichzeitig aber auch jungfräuliche Seite einer jungen Frau. Sie wird als groß und gut gewachsen bezeichnet[4] und hat dunkle, leicht gewellte Haare[5]. Sie hat zarte milchweiße Haut[6], einen kindlichen Mund und grüne Augen: „[...] gli occhi verdi albeggiavano, immoti come quelli delle statue e, com’essi, un po’ crudeli.“[7] An dieser Beschreibung ihrer Person wird bereits die Vielschichtigkeit Angelicas deutlich. Sie ist fast noch ein Kind, Männer sehen sie aber schon als Frau und erkennen ihre sexuellen Reize. Auch sie ist sich ihrer Reize schon bewusst und weiß, sie für ihre Zwecke zu nutzen. Wohl deshalb wird sie vom Autor als ein wenig grausam beschrieben. Angelica beflügelt erotische Männerphantasien, und auf sie werden männliche Begierden projiziert.[8] Sie ist die Verkörperung sizilianischer Sinnlichkeit und wird deshalb von Don Ciccio wie folgt beschrieben: „[...] le sue lenzuola devono avere il profumo del paradiso!“[9] Immer wieder benutzt der Autor jedoch die mehrdeutige Darstellungsweise und setzt als Gegensatz zu Angelicas lieblichem Aussehen ihre Gefährlichkeit und Bedrohlichkeit. Er vergleicht sie beispielsweise mit einem jungen Wolf: „Angelica, ancora appogiata, rideva, mostrando tutti i suoi denti di lupatta.“[10] Sie ist pericolosamente gradevole da guardare [11] und besitzt eine bedrohliche Schönheit, eine minacciosa bellezza[12].
Angelica erkennt ihre Chance für den sozialen Aufstieg und nutzt diese sofort. Als Alleinerbin von Don Calogeros Vermögen, das er sich unter anderem durch verzinste Darlehen verdient hat,[13] setzt sie sich als Ziel, in den Adel einzuheiraten. Sie ist sich dabei durchaus bewusst, dass ihr ihr Aussehen, vor allem aber ihr Geld von großem Nutzen sein werden. Für sie zählt besonders die Herkunft eines Mannes, erst danach kommt die Liebe.
Obwohl sie sich aber ihrer Reize bewusst ist und diese auch für sich nutzt, kann sie ihrem Dasein als Frau im Italien in der Mitte des 19. Jahrhundert nicht entfliehen. Sie ist dazu erzogen worden, ihrem Vater, dem Bürgermeister Don Calogero, den sozialen Aufstieg in eine alte sizilianische Adelsfamilie zu ermöglichen. Dies gelingt durch die Heirat mit Tancredi. Selbst wenn sie nicht in ihn verliebt wäre, hätte sie keine Wahl. Denn traditionell wird eine Heirat im damaligen Italien zwischen den Vätern von Bräutigam und Braut entschieden. Auch die Hochzeit von Angelica und Tancredi wird einem Geschäft ähnlich ausgehandelt. Ihr Vater Don Calogero muss an den Fürsten eine hohe Summe an Geld zahlen, damit dieser einwilligt. Dem Fürsten selbst erscheint Angelica als Engel, der ihn und seine Familie durch die Heirat mit Tancredi vor dem finanziellen Ruin retten kann.[14] Dass er dafür zwei Mitglieder der unteren Schicht, nämlich Angelica und Don Calogero, in seine Adelskreise aufnehmen muss, ist für ihn das kleinere Übel. Angelica wird also ähnlich wie Vieh an ihren zukünftigen Ehemann und dessen Familie verkauft. Da sie sich aber in einer höheren sozialen Schicht bewegt, erscheint das auf den ersten Blick nicht so. Auch wenn sie oberflächlich betrachtet als relativ selbständig, stolz und ehrgeizig beschrieben wird, bemüht sich der Autor doch immer, gleichzeitig klar zu stellen, dass sie eben doch dem typischen Bild einer sizilianischen Frau entspricht, die in den Traditionen der sie umgebenden Gesellschaft gefangen ist. Sie war zwar beispielsweise auf einem Internat in Florenz und genießt damit im Gegensatz zu vielen anderen Italienerinnen einen entscheidenden Vorteil.[15] Dass sie diese Bildungseinrichtung besuchen durfte, heißt aber nicht, dass sie eine umfassende Bildung genossen hat, wie sie die männlichen Nachkommen damals bekamen. Angelica ist trotzdem relativ dumm: „[...], da quella bella canaglia che era, […]”. [16] Ihr Internatsaufenthalt ist also vielmehr als Zeichen dafür zu werten, dass ihre Eltern über ausreichend Geld verfügen, ihr einen Internatsaufenthalt zu bezahlen und sie damit als „gute Partie“ gilt. Sie ist jedoch nur so gut ausgebildet, wie es eine Frau eben sein darf und nimmt die traditionelle Rolle einer (Ehe-) Frau an.
[...]
[1] Helga Reimann: Das Bild der sizilianischen Frau im Gattopardo, in: Birgit Tappert (Hrsg.): Vom Bestseller zum Klassiker der Moderne: Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman „Il Gattopardo“, Tübingen, 2001, S. 127 – 133, S. 135
[2] Ebenda, S. 129
[3] Ebenda, S. 129
[4] Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Il Gattopardo, Universale Economica Feltrinelli, Milano, 8. Auflage, 2003, S. 79
[5] Ebenda, S. 79
[6] Ebenda, S. 80
[7] Ebenda, S. 79
[8] Helga Reimann: Das Bild der sizilianischen Frau im Gattopardo, in: Birgit Tappert (Hrsg.): Vom Bestseller zum Klassiker der Moderne: Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman „Il Gattopardo“, Tübingen 2001, S. 127 – 133, S. 130
[9] Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Il Gattopardo, Universale Economica Feltrinelli, Milano, 8. Auflage, 2003, S. 116
[10] Ebenda, S. 84
[11] Ebenda, S. 83
[12] Ebenda, S. 85
[13] Ebenda, S. 70
[14] Helga Reimann: Das Bild der sizilianischen Frau im Gattopardo, in: Birgit Tappert (Hrsg.): Vom Bestseller zum Klassiker der Moderne: Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman „Il Gattopardo“, Tübingen 2001, S. 127 – 133, S. 130
[15] Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Il Gattopardo, Universale Economica Feltrinelli, Milano, 8. Auflage, 2003, S. 116
[16] Ebenda, S. 149