„Pisagebeutelte Nation“ belegte Platz 3 bei der Wahl zum Wort des Jahres 2004 der Gesellschaft für deutsche Sprache. Nach gleich mehreren PISA- und IGLU-Schocks ist das deutsche Bildungswesen stark in den Blickpunkt der gesellschaftlichen Diskussion gerückt und durch die Offenlegung der Unterdurchschnittlichkeit der deutschen SchülerInnen ist auch das Thema Schulverweigerung und Schulabsentismus in den Fokus der Medien und der Wissenschaft geraten. Während sich bis vor einigen Jahren lediglich Sonderpädagogen und Kriminologen, die nach einer Korrelation von Schulabsentismus und abweichendem Verhalten suchten, für diese Thematik interessierten, blickt nun die breite Öffentlichkeit auf dieses Problem.
Da im globalisierten, ökonomischen Wettbewerb die westlichen Industrienationen in einer „Konkurrenz der Köpfe“ stehen, wie es in der Politik häufig geäußert wird, interessiert sich nun auch diese für die Gründe von Schulverdrossenheit. Aber vor allem die schulabsenten SchülerInnen selbst sind später die Leidtragenden ihrer Schulverweigerung, da ohne guten, oder gar ohne jeglichen Schulabschluss der Zugang zum hart umkämpften Arbeits- und Ausbildungsmarkt verwehrt bleibt und das Resultat einer gescheiterten Schullaufbahn meistens der soziale Abstieg ist.
„Die mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel verbundenen objektiven Entwicklungen führen zu ständig steigenden Qualifikationsanforderungen, die nicht ohne subjektive Folgen bleiben, denn im Wettlauf um höhere Abschlüsse gibt es „trotz aller schulischen Bemühungen immer auch Verlierer. Das sind vor allem jene Schülerinnen, die nach Vollendung der Schulpflicht die allgemein bildende Schule ohne Abschluss verlassen. Je höher das durchschnittliche formale Bildungsniveau der Bevölkerung steigt, desto mehr werden diese Schulversager zu einer stigmatisierten Gruppe" (Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 1994, S. 276)“
Sind Schulverweigerer nun einfach alles faule „Null-Bock Kandidaten“, oder gibt es differenzierte Gründe, warum junge Menschen die Schule meiden? Hat Schulverweigerung im Vergleich zu „früher“ in den letzten Jahren zugenommen, oder hat die mediale Berichterstattung das Thema hochstilisiert? Vor allem: Wie kann man präventiv vorbeugen, um junge Menschen vor Schulabsentismus zu bewahren?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zur Begrifflichkeit „Schulabsentismus“
3. Die Problematik der Erfassung von Schulabsentismus
4. Gründe für Schulabsentismus
4.1 Angst als Schulverweigerungsgrund
4.2 Schulische Ursachen als Schulverweigerungsgrund
4.3 Soziales Milieu und Schulverweigerung
4.4 Peergroup und Schulverweigerung
4.5 Familie und Schulverweigerung
5. Folgen von Schulabsentismus
6. Umgang mit und Prävention von Schulverweigerung
6.1 Repressive Maßnahmen
6.2 Schulverweigererprojekte
6.2.1 Das „Kidz3“ / Bremen
6.2.2. Projekt „Schulverweigerer“ / „Together e.V.“, Berlin
6.2.3. Projektklasse des Berufskollegs Fichtenhain / Krefeld
6.2.4. Zentrum für alternatives Lernen / "Rückenwind" e. V. ,Schönebeck
6.2.5. FLEX – Fernschulprojekt / Breisach
6.3 Prävention von Schulabsentismus in der Regelschule
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Pisagebeutelte Nation“ belegte Platz 3 bei der Wahl zum Wort des Jahres 2004 der Gesellschaft für deutsche Sprache. Nach gleich mehreren PISA- und IGLU-Schocks ist das deutsche Bildungswesen stark in den Blickpunkt der gesellschaftlichen Diskussion gerückt und durch die Offenlegung der Unterdurchschnittlichkeit der deutschen SchülerInnen ist auch das Thema Schulverweigerung und Schulabsentismus in den Fokus der Medien und der Wissenschaft geraten. Während sich bis vor einigen Jahren lediglich Sonderpädagogen und Kriminologen, die nach einer Korrelation von Schulabsentismus und abweichendem Verhalten suchten, für diese Thematik interessierten, blickt nun die breite Öffentlichkeit auf dieses Problem.
Da im globalisierten, ökonomischen Wettbewerb die westlichen Industrienationen in einer „Konkurrenz der Köpfe“ stehen, wie es in der Politik häufig geäußert wird, interessiert sich nun auch diese für die Gründe von Schulverdrossenheit. Aber vor allem die schulabsenten SchülerInnen selbst sind später die Leidtragenden ihrer Schulverweigerung, da ohne guten, oder gar ohne jeglichen Schulabschluss der Zugang zum hart umkämpften Arbeits- und Ausbildungsmarkt verwehrt bleibt und das Resultat einer gescheiterten Schullaufbahn meistens der soziale Abstieg ist.
„Die mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel verbundenen objektiven Entwicklungen führen zu ständig steigenden Qualifikationsanforderungen, die nicht ohne subjektive Folgen bleiben, denn im Wettlauf um höhere Abschlüsse gibt es „trotz aller schulischen Bemühungen immer auch Verlierer. Das sind vor allem jene Schülerinnen, die nach Vollendung der Schulpflicht die allgemein bildende Schule ohne Abschluss verlassen. Je höher das durchschnittliche formale Bildungsniveau der Bevölkerung steigt, desto mehr werden diese Schulversager zu einer stigmatisierten Gruppe" (Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 1994, S. 276)“[1]
Sind Schulverweigerer nun einfach alles faule „Null-Bock Kandidaten“, oder gibt es differenzierte Gründe, warum junge Menschen die Schule meiden? Hat Schulverweigerung im Vergleich zu „früher“ in den letzten Jahren zugenommen, oder hat die mediale Berichterstattung das Thema hochstilisiert? Vor allem: Wie kann man präventiv vorbeugen, um junge Menschen vor Schulabsentismus zu bewahren?
In dieser Hausarbeit werde ich all diese Fragen bearbeiten.
2. Zur Begrifflichkeit „Schulabsentismus“
Momentan gibt es keine konsenzfähige Definition der Begrifflichkeit „Schulabsentismus“. Dieses Phänomen wird mit Schwänzen, Schulverweigerung, Schulbummelei, Schulverdrossenheit, unregelmäßi-ger Schulbesuch, Schulphobie, oder Schulangst und Schulpflichtver-säumnis umschrieben. So wird dieser Begriff in der Wissenschaft unterschiedlich gefüllt. Alle Definitionen beinhalten jedoch drei Merkmale:
„1. die „Ungesetzlichkeit (des Grundes)"
2. die „Eigeninitiative des Kindes"
3. die „fehlende Kenntnis bzw. fehlende Erlaubnis der Eltern" (Neukäter / Ricking, 1997, S. 51).“[2]
Beim Schulabsentismus bleiben SchülerInnen zeitweilig, oder für längere Perioden der Schule fern. Schulabsentismus kann aber auch eine innere Emigration der SchülerInnen bedeuten, die zwar physisch dem Unterricht beiwohnen, jedoch diesem nicht folgen und die Mitarbeit offen, oder heimlich verweigern. Die extremste Form des Schulabsentismus stellt der völlige Schulausstieg dar.
Es kann also zwischen einem aktiven Absentismus (Fernbleiben vom Unterricht) und einem passiven Absentismus (inneres Ausklinken vom Unterrichtsgeschehen bei Anwesenheit) unterschieden werden.
Dr. Karlheinz Thimm gibt folgende Definition dieser Phänomene:
„1.„Agierte, offene Unterrichtsverweigerung als Mitarbeits-, als Leistungs-verweigerung mit schweren Regelverstößen, zu denen auch Schwänzen gehört. Unterrichtsausschluss und Schulwechsel sind in der Zuspitzung nicht selten.
2. Vermeidende Schulverweigerung (Absentismus) mit den Steigerungs-stufen: a. Gelegenheitsschwänzen mit Verspätungen und punktuellem Schwänzen; b. Regelschwänzen, das auch tageweises Fernbleiben umfasst; c. Massiv- oder Intensivschwänzen als stillschweigende Ausschulung. Ab wann der Terminus Schulverweigerung verwendbar ist – etwa bei 5 oder bei 10% Abwesenheit im Schuljahr -, wird immer umstreitbar und willkürlich bleiben. Differenzierend könnte man noch Unterrichts- und Schulabsentismus unterscheiden.
3. Schulausstieg / Schulabbruch als kalkulierte, eher affektarme Entscheidung der Älteren, einen öden, sinnlos gewordenen Ort nicht mehr zu besuchen.“[3]
3. Die Problematik der Erfassung von Schulabsentismus
Es wurde bereits eine Vielzahl von empirischen Untersuchungen zu dieser Problematik durchgeführt. Schulabsentismus zu messen stellt die empirische Sozialforschung jedoch vor schier unlösbare Probleme. Es stellt sich hier die Definitionsfrage (s. 2.). Es ist nicht genau zu definieren, ab wann ein Schüler als absent anzusehen ist. Des Weiteren ist es nicht möglich die genaue Anzahl der absenten SchülerInnen zu erfassen. Dies gilt besonders bei der passiven Schulverweigerung. Die Einstufung der anwesenden SchülerInnen in „am Unterrichtsgeschehen teilnehmend“, oder „nicht am Unterrichtsgeschehen teilnehmend – passiv schulver-weigernd“ ist nicht möglich. Derartige Einstufungen liegen meistens im subjektiven Empfinden der LehrerInnen, oder der beobachtenden WissenschaftlerInnen und können nicht als valide, empirische Daten angesehen werden.
Auch die genaue, scheinbar einfache Erfassung der aktiven SchulverweigerInnen stellt die Wissenschaft vor große Probleme, da auch hier die Dunkelziffer beträchtlich groß sein mag. Viele Eltern schreiben aus unterschiedlichen Gründen ihren Kindern eine Entschuldigung, obwohl sie nicht krank sind, SchülerInnen stellen sich vor den Eltern krank, oder SchülerInnen legen ein ärztliches Attest vor, obwohl sie nicht krank waren (es ist als bekannt anzusehen, dass es allerorts die sog. „Doc Holidays“ gibt, die SchülerInnen krankschreiben, ohne dass sie es sind). SchülerInnen fälschen sogar Atteste und Entschuldigungen. Eine weitere Problematik ist darin auszumachen, dass es häufig für die SozialforscherInnen schwer ist, an die SchulvereigerInnen überhaupt heran zu kommen, da sie sich nun mal nicht, oder selten im schulischen Umfeld bewegen.
Des Weiteren hängen die Ergebnisse einer Untersuchung vom methodischen Zugang ab. Einige Studien werten lediglich die Klassenbucheinträge der LehrerInnen aus, andere lassen Fragebögen an die SchülerInnen austeilen, dritte führen persönliche Interviews mit den SchülerInnen durch. Die meisten Studien bedienen sich mehrerer methodischer Zugänge.
„Weitere Meßprobleme ergeben sich aus der Tatsache, daß Definitionen bezüglich der Frage, ab wann es sich um einen Schulschwänzer handelt, stark variieren. So bezeichnet Hildeschmidt einen Schulschwänzer als jemanden, der aus „der Sicht der Lehrer [...] häufig unentschuldigt vom Unterricht fernbleibt" (Neukäter / Ricking, 1997, S. 55). Schon hieraus wird deutlich, daß sowohl die Lehrersicht als auch das zeitliche Ausmaß „häufig" in verschiedener Weise zu interpretieren ist. Demgegenüber versteht Levanto unter Schulabsentismus sogar „alle Schulversäumnisse" (Neukäter / Ricking, 1997, S. 56). Ganz im Gegensatz dazu legen Kandel et al. dies mit „Abwesenheit an zwei gesetzten Tagen im Frühjahr und im Herbst" (ebd.) fest. Daher sind Ergebnisse verschiedener Untersuchungen, die auf unterschiedliche methodischen Zugänge zurückgehen, meist nicht miteinander vergleichbar. Es bedarf also festgelegter Maßstäbe (vgl. Neukäter / Ricking, 1997, S. 55/ 56).“[4]
So können keine generellen Aussagen über das Ausmaß an Schulabsentismus in Deutschland gemacht und erst recht keine Prozentzahlen genannt werden. Öffentlichkeitswirksame Statements wie „20 % aller deutschen Schüler schwänzen täglich die Schule!“, die leider häufig in diversen Zeitungen auftauchen haben keinerlei wissenschaftliche Fundierung. So ist es ebenfalls kaum möglich internationale Vergleiche zu ziehen.
Durch Untersuchungen können jedoch zumindest die Gründe der SchulverweigerInnen beleuchtet und Tendenzen ausgemacht werden, ohne genaue quantitative Aussagen treffen zu können.
4. Gründe für Schulabsentismus
Die Gründe für das Fernbleiben von der Schule sind weit gestreut. Schulabsentismus kann auf bloßer Lustlosigkeit, aufgrund von langweiligen Unterricht, Erziehungsmängeln, psychischen Ursachen, dem sozialen Umfeld (Peergroup, Familie), oder Disziplinproblemen beruhen. SchulschwänzerInnen müssen nicht unbedingt schlechte Schulleistungen und Schulangst aufweisen. Das Spektrum der Beweggründe reicht hier von dem Verlangen sich „mal einen schönen Tag zu machen“, bis hin zur massiven Angst vor dem Schulbesuch. Es gibt somit keinen typischen „Schulverweigerertypus“, der an spezifischen Merkmalen auszumachen ist.
„Kein Schulverweigerer ist wie der andere, hinsichtlich der Hintergründe und Motive, der Faktorenmischungen, der Verläufe, des Selbsterlebens, der Zugänglichkeit. Mit Abstand betrachtet ist Schulverweigerung meist Ergebnis eines langen Prozesses des Hineinschlitterns mit möglichen Wendepunkten, an dessen Zustandekommen mehrere Systeme beteiligt sind.“[5]
4.1 Angst als Schulverweigerungsgrund
Schulverweigerung beruht nicht selten auf psychischen Problemen und hat oft konkrete Ursachen, die eine lange Vorgeschichte haben. Ängste vor dem Schulbesuch haben unterschiedliche Hintergründe:
- „ Angst vor Lehrerinnen,
- Angst vor den Eltern,
- Angst vor Leistungsversagen,
- Angst vor Mitschülerinnen (Mobbing),
- Angst vor rivalisierenden Gruppen (vgl. DJI 2000).“[6]
Ängste sind nicht selten ein Grund des Fernbleibens von der Schule, wobei Angst als ein Schulverweigerungsgrund von vielen dasteht, jedoch dieser nicht als dominierender, oder einziger Grund anzusehen ist, was häufig behauptet wird.
Angst als Hauptgrund der Schulverweigerung ist vermehrt bei den SchülerInnen zu beobachten die allein schwänzen, aufgrund von Konflikten mit MitschülerInnen und dem Lehrpersonal. Diese SchülerInnen haben häufig eine Außenseiterrolle und Ihre Verweigerung ist als Flucht vor dem für sie bedrohlichen Schulalltag zu sehen.
SchülerInnen hingegen, die in Gruppen schwänzen tun dies vorwiegend aus Lustlosigkeit, oder wollen für Sie attraktivere Angebote im außerschulischen Bereich nutzen (Aufenthalt in Eisdielen, Kaufhäusern etc.). „GruppenschwänzerInnen“ sind meistens in der Klasse integriert und haben aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Peergroup einen Schutz vor Bedrohungen durch andere MitschülerInnen.
„Insgesamt wird ein Muster deutlich, nach dem es eine Gruppe von Schulverweigerern gibt, die stark in Gleichaltrigengruppen integriert waren, die eher nach außen gerichtete Aktivitäten anstelle des Unterrichts unternahmen und die einen niedrigen Angstwert aufwiesen. Diese Gruppe ist eher männlich dominiert. Das Gegenstück bildet die Gruppe von Schulverweigerern, die häufig Ärger mit Mitschülern als Ursache für das Schwänzen angaben, beim Schwänzen alleine blieben und höhere Angstwerte bezüglich schulischer Aspekte aufwiesen.“[7]
[...]
[1] Christe, Gerhard / Fülbier, Paul: Schulverweigerlnnen und Ausbildungsabbrecherlnnen. (http://www.bagjaw.de/files/kap05-christe_fuelbier-schulverweigerinnen.pdf) Rev. 2005/03/03, S.2
[2] Hansens, Julia: Schulabsentismus - mögliche Ursachen und Gegenmaßnahmen. Universität Potsdam: Institut für Psychologie, Hauptseminararbeit zur Lehrveranstaltung „Lern- und Verhaltensstörungen“ (2002), S. 4
[3] Thimm, Karlheinz: Schulverweigerung. Ist unsere Schule noch kinder- und jugendgerecht? (http://www.ganztagsschulverband.de/Download/SchulverweigerungThimm.doc)
Rev. 2005/03/04, S. 3
[4] Hansens, Julia: Schulabsentismus - mögliche Ursachen und Gegenmaßnahmen. Universität Potsdam: Institut für Psychologie, Hauptseminararbeit zur Lehrveranstaltung „Lern- und Verhaltensstörungen“ (2002), S. 10
[5] Thimm, Karlheinz: Schulverweigerung. Ist unsere Schule noch kinder- und jugendgerecht? (http://www.ganztagsschulverband.de/Download/SchulverweigerungThimm.doc)
Rev. 2005/03/04, S. 4
[6] Christe, Gerhard / Fülbier, Paul: Schulverweigerlnnen und Ausbildungsabbrecherlnnen. (http://www.bagjaw.de/files/kap05-christe_fuelbier-schulverweigerinnen.pdf) Rev. 2005/03/03, S.5
[7] Reißig, Birgit (2001): Schulverweigerung: "Präventives Arbeiten könnte den Prozess durchaus aufhalten". (http://www.news.jugendsozialarbeit.de/011001Reissig.htm) Rev. 2005/03/03, S. 3
- Arbeit zitieren
- Marjan Rosetz (Autor:in), 2005, Schulverweigerung und Schulabsentismus. Ursachen und Möglichkeiten zur Prävention, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40518