Gerhart Hauptmanns 1887 entstandene novellistische Studie über den „Bahnwärter Thiel“ behandelt das Schicksal eines Menschen, der sich zwischen einem traumhaften Innenleben und einer äußeren Wirklichkeit bewegt und schließlich an diesem Spannungsverhältnis, das er nicht in der Lage ist, aufzulösen, zerbricht. Diese beiden Welten sind von Hauptmann in eine Raumstruktur gebunden, die der „dinglichsinnlichen Außenwelt“ eine „psychische Innenwelt“ zum einen entgegensetzt, beide zum anderen aber im Verlauf des Textes ineinander verflechtet, was zum Aufsteigen der unterdrückten Teile der eigenen Psyche und damit zur letztendlichen Katastrophe, dem inneren Zusammenbruch des Bahnwärters führt.
Indem die Teilräume der dargestellten Welt festgestellt werden, kann man in einem zweiten Schritt die topografischen Räume mit nicht-räumlichen Merkmalen besetzen, also semantisieren. Hierbei werden die Merkmale oppositionell gesetzt, so dass Gegensatzpaare entstehen, die die Handlung, d.i. im eigentlichen Sinne eine spezifische Bewegung von einem semantischen Raum in einen anderen, erklärbar machen. Die Innenwelt des Bahnwärters Thiel bildet einen eigenen semantischen Raum, der aufgrund der nicht auszumachenden räumlichen Begrenzung und dem steten Wechsel des Bahnwärters zwischen den semantischen Räumen als abstrakt-semantisch zu bezeichnen ist. Es kommt in diesem Text im Hauptsächlichen zu verschiedenen Gegensatzpaaren, die jeweils die mechanisch-triebhafte, bzw. die spirituell-psychologische Komponente der Psyche Thiels repräsentieren. Der Wald wird dagegen je nach Gemütslage Thiels unterschiedlich semantisiert, er stellt insgesamt jedoch die gesamte dargestellte Wirklichkeit dar, innerhalb derer Thiel existiert.
Im Verlauf des Textes wird aber weiterhin deutlich, dass die Grenzen immer mehr verschwimmen und so der Bahnwärter aus seiner gewohnten, alltäglichen Lebensweise herausgerissen wird, was zwangsläufig zu einer Katastrophe führen muss. Im Folgenden soll untersucht werden, wie Gerhart Hauptmann die einzelnen semantischen Räume konzipiert, um die außersubjektive Wirklichkeit des Thiel einer mystisierten Traumwelt entgegenzusetzen, zwischen deren Grenzen Thiel sich bewegt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Außenwelt des Bahnwärter Thiel
- Haus/Dorf
- Lene
- Der Säugling
- Die Eisenbahn
- Die Innenwelt des Bahnwärter Thiel
- Das Bahnwärterhäuschen
- Minna
- Tobias
- Die Bahnschranken als Schutz vor der Realität
- Bahnwärter Thiel als „normaler Grenzgänger“
- Der Wald als Spiegel des Unterbewußtseins
- Grenzüberschreitungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text untersucht das Spannungsverhältnis zwischen der inneren und äußeren Welt des Bahnwärters Thiel. Dabei wird die Bedeutung des Raumes als strukturierendes Element und die Semantisierung der verschiedenen Räume im Text analysiert. Ziel ist es, die Entstehung und Entwicklung der Konflikte in Thiels Psyche durch die Analyse der räumlichen Dimensionen zu beleuchten.
- Die Bedeutung des Raumes in Gerhart Hauptmanns Werk „Bahnwärter Thiel“
- Die Semantisierung von Raum und ihre Verbindung zu psychologischen Prozessen
- Die Darstellung der inneren Welt des Bahnwärters durch die räumliche Struktur
- Das Spannungsverhältnis zwischen Innen- und Außenwelt und seine Auswirkungen auf den Protagonisten
- Die Rolle der Grenzüberschreitung in der Entwicklung der Ereignisse
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das Thema des Textes vor und erklärt die Bedeutung der räumlichen Struktur für die Analyse der Psyche des Bahnwärters. Kapitel 1 behandelt die Außenwelt des Bahnwärters, indem es die verschiedenen Orte und Figuren analysiert, die mit der sinnlichen und triebhaften Seite seiner Persönlichkeit verbunden sind. Kapitel 2 konzentriert sich auf die Innenwelt des Bahnwärters und seine räumliche Entsprechung in Form des Bahnwärterhäuschens, seiner Frau Minna und seinem Sohn Tobias.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter des Textes sind: Raumsemantik, Innenwelt, Außenwelt, Bahnwärter Thiel, Grenzüberschreitung, Traumwelt, Realität, Spannung, Konflikte, Psyche.
- Arbeit zitieren
- M.A. Christoph Fuksa (Autor:in), 2001, Die Semantisierung des Raumes in Gerhart Hauptmanns "Bahnwärter Thiel", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40705