Von der Güte Gottes und dem Leid in der Welt - das Theodizee-Problem im Unterricht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

36 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

3. Einleitung

4. Didaktische Zielsetzung

5. Von der Begriffsunruhe zur Begriffsklarheit

6. Vorbetrachtungen zur Thematik: Die Theodizee-Problematik in den Religionen
6.1. Theodizee- philosophische oder religiöse Problematik?
6.2. Der christliche Sündenfall
6.2.1. Die ethische Deutung des Sündenfalls
6.2.2. Weiterführende Gedanken

7. Die Theodizee -„Interpreten“
7.1. Hiob
7.1.1. Weiterführende Gedanken
7.2. Platon
7.3. Epikur
7.4. Augustinus
7.5. Leibniz
7.5.1. Die beste aller möglichen Welten
7.5.2. Die Arten des Übels
7.5.3. Weiterführende Gedanken
7.6. Der leidende Gott
7.6.1. Gnostizismus
7.6.2. Weiterführende Gedanken
7.7. Die Atheisten
7.7.1. Weiterführende Gedanken

8. Die Theodizee-Frage nach dem Holocaust
8.1. Weiterführende Gedanken

9. Die Umsetzung der Theodizee-Problematik im Unterricht

10. Schlussbetrachtung

11. Literaturverzeichnis

3. Einleitung

Erinnert man sich an die schreckliche Flutkatastrophe in Südasien, sieht man die furchtbaren Bilder der Ertrunkenen, die an den Strand gespült wurden, denkt man an die Erdbeben, die tausende von Menschenleben fordern oder führt man sich die Opfer vieler unheilbarer Krankheiten, wie Krebs oder Aids vor Augen, so fragt man sich immer wieder, wer an all diesem Leid Schuld trägt?

Anders als bei den Terroranschlägen in New York oder in Madrid, gibt es keine Täter die für das Leid verantwortlich sind. Niemand konnte diese Katastrophen verhindern. Die Menschen können sich die Gründe dafür nicht erklären.Damit werden unheilbare Krankheiten, Erdbeben oder Flutkatastrophen zu Fragen an unseren Glauben. Wie kann ein Gott, der die Welt und seine Menschen liebt, solch ein Unglück zulassen?

Man nennt diese Frage die Theodizee-Frage. Sie beschäftigt sich mit der Rechtfertigung Gottes im Angesicht der Übel, der Leiden und des Bösen in der Welt.

Der Begriff „Theodizee“ stammt von Gottfried Wilhelm Leibniz. Die Frage an sich ist viel älter und begegnet uns bereits in der Bibel und vor allem im Buch Hiob. Der Begriff „Theodizee“ wurde aus dem Griechischen (theos: Gott; dike: Recht, Gerechtigkeit), mit Bezug auf den Brief des Apostels Paulus an die Römer gebildet[1]:

„Wenn aber unsere Ungerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit dartut, was wollen wir dann sagen? Soll Gott ungerecht sein, wenn er sein Zorngericht verhängt? [...] Das sei ferne! Denn wie könnte dann Gott die Welt richten?“ (Röm 3, 5)

Von besonderer Bedeutung ist die Theodizee-Frage in der europäischen Philosophie seit dem verheerenden Erdbeben in Lissabon, dem im Jahr 1755 etwa 100000 Menschen zum Opfer fielen. Leibniz und viele andere Philosophen vor und nach ihm versuchten der Theodizee-Frage eine Lösung zu geben. Doch kann es überhaupt eine Lösung auf diese Frage geben? Ist es dem Menschen möglich, über „göttliche Belange“ zu entscheiden. Darf der Mensch Gott verurteilen, um einen Schuldigen für die Leiden in der Welt zu finden?

In der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Theodizee-Problematik zeigt sich die gesamte Bandbreite dieser Frage. Auf der einen Seite wird die Theodizee abgelehnt, weil diese Anklage und Verteidigung Gottes die Grenzen des menschlichen Verstandes und der menschlichen Vernunft übersteigt. Die Frage nach dem „warum“ wird lediglich als ein Zeichen eines mangelnden Glaubens, ja sogar als Zeichen der Gotteslästerung von einigen Theologen abgeschmettert. Für Atheisten ist diese Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Leids in der Welt ein konkreter Beweis dafür, dass Gott nicht existiert und man „ihn“ demzufolge auch nicht rechtfertigen kann.

Das Ziel dieser Arbeit ist es, verschiedene Lösungsansätze zur Theodizee-Problematik aufzuzeigen und diese in Ansätzen zu diskutieren. Dabei wird es jedoch keine Beurteilung der Lösungen im Sinne von richtig und falsch geben können, weil die Beantwortung der Theodizee-Frage abhängig ist von eigenen Glaubensbildern, die im Laufe der Erziehung subjektiv entwickelt wurden.

Auf Vollständigkeit erhebt diese Arbeit keinen Anspruch, denn die Darstellung der unzähligen Lösungsvorschläge, die sich in all den Jahrhunderten der Menschheitsgeschichte angesammelt haben, würden den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ich habe einige der prägnantesten Vertreter der Theodizee-Thematik ausgewählt und ihre Ansichten, natürlich verkürzt, dargestellt. Zu jedem Lösungsansatz finden sich daher „weiterführende Gedanken“, die beispielsweise als Impulse im Unterricht eingebaut werden können, um eine Diskussion voranzutreiben.

4. Didaktische Zielsetzung

Diese Hausarbeit strebt nicht an, eine Unterrichtskonzeption für eine bestimmte Klassenstufe zu sein, sie ist vielmehr eine Sammlung und Diskussionsgrundlage einiger Argumente zur Problematik der Theodizee-Frage. Ich habe diese Thematik ausgewählt, weil sich die Frage nach Gott und nach der Schuld am Leid immer wieder in ethischen Sachverhalten stellt, sei es bei dem Thema „Umwelt und Natur“ (Naturkatastrophen), sei es bei der Thematik „Tod und Sterben“ (Warum werden wir krank, warum müssen wir sterben?) und natürlich besonders bei der Behandlung der Religionen, vor allem des Christentums, im Unterricht. Auch in anderen Fächern wird die Frage nach der Rechtfertigung Gottes immer wieder aufgeworfen, so zum Beispiel in Geschichte (bei der Holocaust-Thematik, warum lässt Gott Kriege zu ...) oder in Chemie (warum ist es den Menschen nicht möglich ein Mittel gegen Krebs zu entwickeln, warum will Gott, dass diese Krankheit unheilbar bleibt?)

Bereits kleine Kinder fragen, warum gerade ihre Lieblingsoma sterben musste, obwohl sie doch immer so lieb war. Warum verhindert der „liebe“ Gott nicht, dass die Menschen leiden müssen?

Ich habe es selbst erlebt, dass Lehrer diese wichtige und berechtigte Frage einfach übergehen, weil sie selbst keine Antwort darauf finden (konnten oder wollten) – „dass ist eben so und nicht so einfach zu erklären“ – entgegnen sie den Schülern. Es ist richtig, dass die Theodizee-Thematik nicht einfach zu erklären ist, weil es keine richtige Antwort auf diese Frage gibt. Doch die Antwort ist für mich nicht das Ziel. Wichtig ist, dass man die Kinder nicht allein lässt mit dieser fundamentalen Frage. Man muss als Lehrer versuchen, den Schülern verschiedene Wege zu ebnen, die sie jedoch dann mit ihrem bereits erworbenen Wissen und ihren Meinungen selbst beschreiten müssen. Mit dem Beschreiten meine ich das Nachdenken über verschiedene Sachverhalte, hier Lösungsansätze, über das jeder Schüler zu seiner eigenen „Antwort“ auf solch eine Frage kommt. Die Suche nach einer Lösung, die ich selbst vertreten kann, ist der Weg, der zum Ziel führt. Freilich ist die Suche bei dieser Problematik etwas schwieriger, weil es keine vorgefertigten Antworten und Definitionen gibt, die man sich ohne Nachdenken einfach erschließen könnte.

Doch gerade das Thema der Theodizee geht jeden von uns an und jeder hat sich diese Frage auch schon mindestens einmal gestellt, daher ist ein Zugang zu den Schülern schnell erschlossen und die Motivation ist das eigene Interesse an der Frage.

Außerdem vereinigt das Thema „Theodizee“ beispielhaft philosophische und theologische Frage- und Antwortstellungen in sich, so dass es auch für Kinder, die nicht an Gott glauben und besonders bei den religiösen Themen im Ethik-Unterricht kein Interesse zeigen, interessant ist, dennoch über religiöse Fragen nachzudenken, die sie sich selbst stellen.

Wichtig für mich ist, für Lehrer und für Schüler einen Zugang zu dieser Problematik aufzuzeigen (natürlich dann immer altersgemäß abgestimmt), in der jeder für sich eine Antwort auf die Frage nach dem „Leid“ in der Welt erfahren kann und auch andere dazubringen kann sich tiefgründiger mit der Theodizee-Frage zu beschäftigen.

5. Von der Begriffsunruhe zur Begriffsklarheit

Wichtig für die Schüler ist immer, Sicherheit in den Begrifflichkeiten zu erlangen. Doch diese Sicherheit erreicht man nur, wenn man sich Begriffe selbst erschlossen hat und sie demzufolge erst verstehen kann. Vor Beginn jeder Thematik, ist es daher bedeutsam, eine „Begriffsunruhe“ bei den Schülern zu erzeugen, um so durch die Diskussion und durch das gegenseitige Gespräch auf klare Begriffe zu stoßen. Die Subjektivität bei diesem Verfahren ist natürlich wesentlich höher als wenn man den Schülern einfach Definitionen vorlegt, und es ist dann auch schwieriger auf einen „gemeinsamen Nenner“ zu kommen, wenn viele verschiedene Ideen in einen Begriff eingebunden werden, aber das Ergebnis bringt den Lohn für diese Anstrengung, nämlich die persönliche Identifizierung jedes einzelnen Schülers mit dem Begriff. Jeder Schüler hat für sich Klarheit über den Begriff errungen. Es ist kein bloßes, stupides Auswendiglernen von vorgesetzten, bereits gedachten Gedanken, sondern ein Selbsterforschen, Selbsterkennen und Selbstverstehen.

Ein unbekannter Philosoph hat es so auf den Punkt gebracht: „Es gibt 2 Wege durchs Leben zu gehen, entweder man nimmt alles hin und glaubt es einfach, oder man streitet alles ab und bezweifelt es – beide Möglichkeiten halten uns davon ab, selbst zu denken.“ Genau das muss das Ziel in jedem Unterricht sein – die Schüler zum Denken zu animieren!

Die Begriffe, die in diesem Zusammenhang zur Diskussion stehen, sind im folgenden nur aufgezählt, um von dem, mir selbst verhängten Verbot, die Gedanken des Schülers mit Definitionen (fremden bereits gedachten Gedanken) „zuzukleistern“, nicht abzuweichen. Jeder sollte für sich allein darüber nachdenken, was die Begriffe für ihn bedeuten:

Das Böse, das Gute, das Leid, die Sünde.

6. Vorbetrachtungen zur Thematik:

Die Theodizee -Problematik in den Religionen

Zu jeder Thematik sind Vorbetrachtungen wichtig. Sie zeigen die Tragweite des Themas und grenzen bestimmte Bereiche ab. Sie bieten ein erweitertes und umfassendes Wissen zum eigentlichen Kontext. Die jüdische und christliche Theologie begründet die Ursache vom Bösen und vom Übel, aus dem freien Willen des Menschen zur Schuld, die durch den Sündenfall mitsamt den Folgen ihrer Leiden auf das gesamte Menschengeschlecht vererbt wird (Erbsünde). Das Theodizee-Problem stellt sich in dieser Weise vor allem einer monotheistischen Religion wie der jüdisch-christlichen: Der eine Gott als Weltschöpfer kann auch der einzige Urheben des Bösen und des Übels sein und als solcher zur Rechenschaft gezogen werden.

Im Buddhismus gibt es nicht den Glauben an einen Schöpfungsgott, so dass auch kein höheres Wesen für das Böse und das Leid verantwortlich gemacht werden kann. Die Frage nach der Ursache von Leid ist demzufolge nicht an einen Gott gebunden. Für Buddhisten bedeutet das Leben und die Widergeburt (Samsara) Leid, welchem sie nur durch gute Taten und durch ein Leben nach den Richtlinien des Buddha entkommen können. Führt ein Buddhist ein „schlechtes“ Leben, d.h. zum Beispiel, wenn er einen Diebstahl begeht oder zu viel Alkohol trinkt oder im schlimmsten Falle mordet, dann werden seine Leiden in seinem nächsten Leben vermehrt. Der buddhistische Mensch ist demzufolge selbst für Böses und Übel verantwortlich. Der Austritt aus Samsara und das Verlassen dieses Leidensweges ist das angestrebte Ziel der Buddhisten.

6.1. Theodizee – philosophische oder religiöse Problematik

Die Frage der Theodizee ist eine Frage, die an der Schnittstelle zwischen Philosophie und Religion gestellt wird.

„Sie ist eine religiöse Frage, weil die Güte und Strenge Gottes bedacht werden, sie ist eine philosophische Frage, weil das Verhältnis von Gott und Welt von der Vernunft und nicht von der Offenbarung her erklärt wird.“[2]

Gerade weil die Theodizee-Frage zwischen Theologie und Philosophie liegt, sind zwei Einwände schon gegen ihre bloße Formulierung möglich: „Der religiöse Standpunkt kann gegen das Unternehmen einer Theodizee einwenden, daß man ohne Glauben an die Güte Gottes und ohne vorgängiges Vertrauen in Gott nicht über die Güte und Strenge Gottes reden kann. Der rationalistische Theodizeist ist deshalb für den Glaubenden immer schon einer, der eigentlich nicht glaubt. Für den Theoretiker der Theodizee gilt, was Voltaire über die Religion Spinozas sagte. Spinoza müsse eigentlich zu Gott sagen: „Entre nous dit, je crois que vous n’ existez pas.“[3][4]

Der strenge Philosoph wird andererseits gegen die Theodizee einwenden, daß sie nicht philosophische Theorie, sondern Theologie sei, weil in ihr der Begriff Gottes als Schöpfer oder zumindest Urheber der Welt vorausgesetzt wird, ein Begriff, der durch die Philosophie gar nicht erreichbar sei. „Außerdem kann der Philosoph gegen das Unternehmen der Theodizee einwenden, dass die Theodizee einen Begriff von menschlicher Vernunftautonomie beinhaltet, den sie zugleich selbst widerlegt. Denn der Gottesbegriff schränkt die Vernunftautonomie ein.“[5] Theologisch betrachtet ist die Vernunft Gabe Gottes und kann nicht als Selbstermächtigung des Menschen benutzt werden, um Gott, ähnlich einem Richter, anzuklagen. Wenn Gott allmächtig ist, warum sollte er sich dann vor dem „Gerichtshof der Vernunft“ seines Untertanen, des Menschen, verantworten? Und umgekehrt: wie kann die menschliche Vernunft autonom Gott richten wollen, der doch die Vernunft geschaffen hat und sie übersteigt?

Koslowski bringt seine These auf den Punkt: „Die Theodizee ist nur möglich, wenn das Leiden Gottes für den Menschen in die philosophische Theorie oder christliche Philosophie miteinbezogen wird und erkannt wird, daß nur Gott Gott und die Welt zu rechtfertigen vermag.“ Das Theodizee-Problem zeigt, dass philosophische Theodizee nur möglich ist, wenn Philosophie zugleich religiös ist. Die Frage nach dem Ursprung und der Zulassung des Übels kann nur in einer Theorie der Gesamtwirklichkeit beantwortet werden, die zugleich Theologie und Philosophie ist.

6.2. Der christliche Sündenfall-Begriff

Das Theodizee-Problem in der jüdischen und der christlichen Glaubenstradition stellt sich im Hinblick auf die Schöpfungs- und Sündenfallgeschichte der Genesis[6]: Nach Vollendung seines Schöpfungswerkes, so berichtet die Genesis, sah Gott, „dass es gut war.“ Den Menschen hatte er nach seinem Ebenbild geschaffen.

„Die Schlange aber war listiger als alle Tiere, die Gott, der Herr, gemacht hatte“[7]. Sie verführte Eva, die ihrerseits Adam zur Übertretung des einzigen Gebotes Gottes verleitete, nämlich nicht die Früchte vom „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“[8] zu essen. „Das ewige Wesen, Gott, befahl dem Menschen und sprach: Von jedem Baum des Gartens kannst du essen. Nur vom Erkenntnisbaum des Guten und Bösen sollst du nicht essen! Denn sobald du davon isst, bist du des Todes.“[9] Daraufhin vertrieb Gott Adam und Eva aus dem Paradies.

Die mythische Erzählung um die Menschen im Garten Eden und ihre Vertreibung daraus, zeigt auf, wie die Menschen die Erkenntnis und Vernunft erhalten, durch den Genuss einer Frucht des verbotenen Baumes der Erkenntnis, welcher in der Mitte des „Gan Eden“ neben dem Baum des ewigen Lebens steht. Durch die Vertreibung aus dem Paradies ist es den Menschen verwehrt vom Baum des ewigen Lebens zu kosten, so dass sie ihre Sterblichkeit von Gott als Strafe erhalten. Es ist zu bemerken, dass die ersten Menschen also nicht die Frucht vom Baum des ewigen Lebens wählten, sondern die Frucht des Erkenntnisbaumens. Diese Wahl machte die Menschen zu dem, was sie heute noch sind: sie sind sterblich und haben Erkenntnis davon. Gott verhängte seine Strafe jedoch nicht nur auf die Stammeltern der Menschen, sondern als Erblast ihrer Schuld auch auf ihre gesamte Nachkommenschaft: Fortan sollte die Erde Dornen und Disteln tragen, die Frau in Schmerzen gebären, der Mann sich sein Leben lang mit Mühsal nähren und am Ende sterben.

„In den Dialogen zwischen Gott, dem Menschenpaar und der Versuchergestalt der Schlange kommen die seelischen Grundkonflikte der Abhängigkeit vom Versorger, der Entdeckung der Freiheit gerade durch das Verbot, des durch die Verbotsübertretung erst entstehenden Gewissens, Bewusstseins, der Schuld und Schuldabwälzung, sowie der Scham (Nacktheit und Bekleidung) unübertrefflich zum Ausdruck.“[10]

Die christliche Theologie wertet den „Fall“ Adams und Evas aus dem paradiesischen Garten in eine „gottlose“, gottferne Welt, als wirkliche Erbschuld, die auf alle Menschen übergeht. Die von Geburt an bereits vorzufindende Erbschuld, auch Erbsünde, wird durch die Bekundung des rechten Glaubens an Jesus, der christlichen Tradition nach ein „Augenblick der Verantwortungsübernahme“[11], zur eigenen Schuld und Sünde gemacht.

Zugleich erkennen die christlichen Gläubigen im Sündenfall die „Voraussetzung der Erlösung durch den Mensch gewordenen Gottessohn Jesus Christus“[12], der nicht nur das verlorene Paradies wieder eröffnet, sondern eine grenzenlose göttliche Liebe und Selbstentäußerung offenbart. Daher prägten schon die Theologen der frühen Kirche den Ausdruck „felix culpa“ – „glückselige Schuld“.

„Zu sehen ist, dass die Innovation der christlichen Umdeutung der hebräischen Erzählung zur Quelle der Erbsünde mit der Innovation der Vorstellung des blutigen Menschenopfers Jesu, ein Gott, der sich als Gott und Mensch opferte, um seine Strafe für die Menschen wieder zurücknehmen zu können um wieder mit seinen menschlichen Geschöpfen seiner Schöpfung versöhnt werden zu können, einhergeht. Ursache und Wirkung sind so vertauschbar.“[13]

6.2.1. Die ethische Deutung des Sündenfalls

Durch das Essen der Frucht vom „Baum des Wissens um Gut und Böse“, wird der Mensch zu einem Wesen mit moralischer Urteilskraft. Er ist durch diesen Akt zur Erkenntnis gelangt und ist nun in der Lage zu sündigen, denn er kann wählen zwischen gut und böse und entscheidet sich für eines von beiden.

Bereist hier kann der Gläubige die Schuld allen Leids und Übels allein beim Menschen ausmachen. Gott hat dem Menschen verboten vom Baum der Erkenntnis zu essen, um seine Schöpfung vor dem Bösen zu bewahren. Adam und Eva haben jedoch selbst entschieden das Verbot zu umgehen und den angedrohten Tod als Preis für ihre Freiheit in Kauf zu nehmen.

6.2.2. Weiterführende Gedanken

Für die Menschen ist es schwer, sich mit den erbsündenbelasteten ersten Menschen Adam und Eva zu identifizieren. Der Mensch kann nicht verstehen, weshalb er schuldig sein muss für eine „Sache“, die andere vor vielen tausend Jahren begangen haben. Vielleicht hätte er ja in dieser Situation ganz anders reagiert? Er will sich nicht abfinden mit etwas, wofür er keine Schuld trägt. Aus diesem Grunde beginnt der Mensch sich selbst zu rechtfertigen – für Martin Luther fasst schon Gotteslästerung: „Wenn der Mensch sich selbst rechtfertigt, dann verdammt er Gott.“ Luther rät den Menschen beherzt: „Wenn sich dagegen der Mensch verdammt, dann rechtfertigt er Gott.“[14]

Wenn der Mensch die Erbsünde leugnet und sich für gerechtfertigt hält, schiebt er Gott die Schuld am Übel in der Welt zu. Wenn der Mensch hingegen seine Schuld einsieht, sich für einen Sünder hält und sich selbst verdammt, rechtfertigt er Gott und spricht ihn von der Verantwortung für das Übel in der Welt frei.

[...]


[1] Vgl.: Smitmans-Vejda, Barbara: Religion und Weltanschauungen. Reihe Abitur Wissen Ethik. Freising: Stark Verlag, 2000. S. 138.

[2] Koslowski, Peter In: Theodizee-Gott vor Gericht? Hrsg. von: Willi Oelmüller. München: Fink, 1990. S. 33.

[3] Übs.: „Unter uns gesagt, glaube ich nicht, dass Sie (Gott) existieren.“

[4] Koslowski. In: Oelmüller. S. 33.

[5] Ebd. S. 34.

[6] Griech.: Entstehung, Ursprung. Der Name bezieht sich auf die Entstehung der Welt, „Urgeschichte“. Sie ist das erste der „Fünf Bücher Mose“ und enthält u.a. die Schöpfungs- und Sündenfallgeschichte in 1. Mose/Genesis 2,4b – 3, 24.

[7] Gen. 3,1.

[8] Gen. 2, 17.

[9] Gen. 2, 16; 17.

[10] Zitiert aus: www.wikipedia.de/wiki/sündenfall Stand: 24.02.05

[11] Ebd.

[12] Ebd.

[13] Ebd.

[14] Luther, Martin: Dictata super Psalterium (1513-1516) (Psalmenvorlesung), Psalmus L. In: Martin Luther: Werke. Weimarer Ausgabe. Bd. 3. Weimar 1885. S. 289.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Von der Güte Gottes und dem Leid in der Welt - das Theodizee-Problem im Unterricht
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
36
Katalognummer
V40714
ISBN (eBook)
9783638391665
Dateigröße
543 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Breiter Seitenrand [bei der Preisfindung berücksichtigt]
Schlagworte
Güte, Gottes, Leid, Welt, Theodizee-Problem, Unterricht
Arbeit zitieren
Sandra Geithner (Autor:in), 2005, Von der Güte Gottes und dem Leid in der Welt - das Theodizee-Problem im Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40714

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