Einleitung
"Ruten, roven, dat en is gheyn schande,
Dat doynt die besten van dem lande."
Der bloße Hinweis auf das Spätmittelalter genügt, und dieses Zitat evoziert ganz unwillkürlich einen schlagwortartigen Begriff: Raubritter. Ebenso schnell drängen sich bildhafte Assoziationen auf: verwahrloste Gestalten, die friedliche Kaufmannzüge überfallen; eine Paria verarmter Adeliger, die sich schadlos an ihren Bauern hält. Ohne an einen situativen Kontext gebunden zu sein, scheint das Wort an sich schon ein geschichtliches Phänomen zu beschreiben und - die Adjektive in der Beschreibung machen es deutlich - auch zu begründen: Demnach fallen unter diese Kategorie "Ritter, die infolge der gesellschaftlichen Wandlungen seit dem Spätmittelalter von sozialem Abstieg bedroht waren und sich Einnahmen durch Straßenraub und Lösegelderpressung zu verschaffen suchten."
Den Zeitzeugen der von uns so betitelten Adeligen war der Begriff freilich unbekannt. Macht man sich in mittelalterlichen Quellen auf die Suche nach "Raubrittern" und ihren Namensvettern, stößt man lediglich auf raptores, latrones oder spoliares, also Räuber im allgemeinen Sinne, nicht aber auf das Wort selbst - es ist ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts. Hinter ihm verbirgt sich ein Idealtypus der frühen Geschichtswissenschaft, mit dem das oben skizziertes Erklärungsmodell in Letter gegossen werden sollte. Ob die spätmittelalterlichen Verhältnisse ein solches tatsächlich rechtfertigten, stand lange gar nicht zur Debatte. Erst mit Beginn der 1940er Jahre wurden Zweifel an der all zu unkritischen Verwendung des Ausdrucks und seiner Derivate laut. Diese verspätete Kritik ist auf engste mit der Quellenlage verbunden. Die gängigen Erklärungsmuster waren nämlich samt und sonders schon in den zeitgenössischen Chroniken vorgezeichnet und wurden entsprechend unreflektiert übernommen. So etwa von der Liber de laude antiquae Saxoniae nunc Westphaliae dictae - kurz: dem Westfalenbuch Werner Rolevincks, eines Kartäusermönches, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte. Seine Ausführungen zu adeligen Gewalttaten, die unter anderem mit dem illustren Eingangszitat dieser Arbeit aufwarten, wurden breit rezipiert und immer wieder als Belege für das postulierte Bedingungsgefüge in Sachen Raubrittertums herangezogen.
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Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Raubritter im Westfalenbuch
- Hintergründe
- Erklärungsversuche
- Krisenphänomene beim Adel
- Wirtschaft auf Talfahrt?
- Alternativen im Erwerb
- Ursprung allen Übels? Die Fehde
- Perspektivität
- Mentalitäten im Wandel
- Standestypische Wahrnehmungen
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Phänomen des „Raubrittertums“ im Spiegel des Westfalenbuches von Werner Rolevinck. Sie hinterfragt die gängigen Erklärungsmuster und analysiert die Perspektivität des Autors im Kontext der zeitgenössischen Wahrnehmung des Adels.
- Kritik der historiographischen Konstruktion des „Raubritters“
- Analyse der Quellenlage und der Rolle des Westfalenbuches
- Untersuchung der Perspektivität Werner Rolevincks und der Herausforderungen des Adels im Spätmittelalter
- Rekonstruktion des historischen Kontextes und der Mentalitäten des 16. Jahrhunderts
- Bedeutung der Fehde als Ursprung von Gewalttaten des Adels
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung führt in die Thematik des „Raubrittertums“ ein und beleuchtet die Entstehungsgeschichte des Begriffs. Sie stellt Werner Rolevinck und sein Werk, das Westfalenbuch, als zentrale Quellen für die Analyse vor.
- Kapitel 2 betrachtet die Darstellung von Raubrittern im Westfalenbuch. Es beleuchtet die Hintergründe und Erklärungsversuche für das Phänomen des Raubrittertums, die Rolevinck liefert.
- Kapitel 3 untersucht die Krisenphänomene, denen der Adel im Spätmittelalter ausgesetzt war. Es analysiert die wirtschaftliche Situation und die Möglichkeiten, alternative Einkommensquellen zu erschließen.
- Kapitel 4 beleuchtet die Bedeutung der Fehde als Ursache für Gewalttaten des Adels.
- Kapitel 5 befasst sich mit der Perspektivität Werner Rolevincks. Es analysiert die Mentalitäten des 16. Jahrhunderts und die standestypische Wahrnehmung des Adels.
Schlüsselwörter
Raubritter, Westfalenbuch, Werner Rolevinck, Spätmittelalter, Adel, Fehde, Perspektivität, Mentalitäten, Quellenkritik, Historiographie, Historische Konstruktion.
- Arbeit zitieren
- Geoffrey Schöning (Autor:in), 2001, Raubrittertum im Spiegel des Westfalenbuches - Zeitgenössische Interpretation und moderne Kritik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4072