Raubrittertum im Spiegel des Westfalenbuches - Zeitgenössische Interpretation und moderne Kritik


Seminararbeit, 2001

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Raubritter im Westfalenbuch
2.1. Hintergründe
2.2. Erklärungsversuche

3. Krisenphänomene beim Adel
3.1. Wirtschaft auf Talfahrt?
3.2. Alternativen im Erwerb

4. Ursprung allen Übels? Die Fehde

5. Perspektivität
5.1. Mentalitäten im Wandel
5.2. Standestypische Wahrnehmungen

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis
7.1. Quelle
7.2. Darstellungen

1. Einleitung

„Ruten, roven, dat en is gheyn schande,

Dat doynt die besten van dem lande.“

Der bloße Hinweis auf das Spätmittelalter genügt, und dieses Zitat evoziert ganz unwillkürlich einen schlagwortartigen Begriff: Raubritter. Ebenso schnell drängen sich bildhafte Assoziationen auf: verwahrloste Gestalten, die friedliche Kaufmannzüge überfallen; eine Paria verarmter Adeliger, die sich schadlos an ihren Bauern hält. Ohne an einen situativen Kontext gebunden zu sein, scheint das Wort an sich schon ein geschichtliches Phänomen zu beschreiben und – die Adjektive in der Beschreibung machen es deutlich – auch zu begründen: Demnach fallen unter diese Kategorie „Ritter, die infolge der gesellschaftlichen Wandlungen seit dem Spätmittelalter von sozialem Abstieg bedroht waren und sich Einnahmen durch Straßenraub und Lösegelderpressung zu verschaffen suchten.“[1]

Den Zeitzeugen der von uns so betitelten Adeligen war der Begriff freilich unbekannt. Macht man sich in mittelalterlichen Quellen auf die Suche nach „Raubrittern“ und ihren Namensvettern, stößt man lediglich auf raptores, latrones oder spoliares, also Räuber im allgemeinen Sinne, nicht aber auf das Wort selbst – es ist ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts.[2] Hinter ihm verbirgt sich ein Idealtypus der frühen Geschichtswissenschaft, mit dem das oben skizziertes Erklärungsmodell in Letter gegossen werden sollte. Ob die spätmittelalterlichen Verhältnisse ein solches tatsächlich rechtfertigten, stand lange gar nicht zur Debatte. Erst mit Beginn der 1940er Jahre wurden Zweifel an der all zu unkritischen Verwendung des Ausdrucks und seiner Derivate laut.[3] Diese verspätete Kritik ist auf engste mit der Quellenlage verbunden. Die gängigen Erklärungsmuster waren nämlich samt und sonders schon in den zeitgenössischen Chroniken vorgezeichnet und wurden entsprechend unreflektiert übernommen. So etwa von der Liber de laude antiquae Saxoniae nunc Westphaliae dictae – kurz: dem Westfalenbuch Werner Rolevincks, eines Kartäusermönches, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte.[4] Seine Ausführungen zu adeligen Gewalttaten, die unter anderem mit dem illustren Eingangszitat dieser Arbeit aufwarten, wurden breit rezipiert und immer wieder als Belege für das postulierte Bedingungsgefüge in Sachen Raubrittertums herangezogen.

Aber welches Bild entwirft der Kleriker wirklich über die raubenden Edleleute seiner Zeit? Inwiefern stimmen seine Beschreibungen mit der Realität überein, wo sind sie perspektivisch durchfärbt oder gar falsch? Diese Fragestellungen sollen vorliegender Arbeit als Leitgedanken dienen. Dabei ist es notwendig und sicher in der Logik des Aufbaus, auch auf die Entwicklung der spezifischen Forschung ausführlich einzugehen, ihre Fehlinterpretationen aufzuzeigen und sie gegebenenfalls zu revidieren. Das gilt natürlich besonders für die wissenschaftliche „Exegese“ des Westfalenbuches.

Der Rahmen dieser Hausarbeit gebietet es, wo möglich bereits auf die Ergebnisse von Einzeluntersuchungen zurückzugreifen, von eigenen heuristischen Anstrengungen, insofern sie sich auf kleinräumige Detailstudien adeliger Verbrechen beziehen würden, aber abzusehen. Besonders die Arbeit Regina Görners – die erste Monographie zum Thema – muss in diesem Zusammenhang genannt werden.[5] Mit ihren außerordentlich fein strukturierten Quellenanalyse für den Bereich Westfalens hat sie Pionierarbeit geleistet und wird hier entsprechend oft Erwähnung finden. Von ihr ist auch die Definition übernommen, die den semantischen Rahmen des bis dato so unreflektiert verwendeten Begriffs „Raubritter“ für diese Arbeit umgrenzt. Von ihnen soll „immer dann die Rede sein, wenn Angehörige des niederen Adels an Gewaltmaßnahmen beteiligt sind, die nicht als Ausfluss kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Territorien erkennbar sind“[6].

2. Raubritter im Westfalenbuch

2.1. Hintergründe

Die literarische Tätigkeit Werner Rolevincks erschöpfte sich längst nicht in der Edition des Westfalenbuches. Seiner Umwelt war der Kartäusermönch vielmehr durch seinen zahlreichen anderen Werke bekannt. So etwa durch den Fasciculus Temporum, einer nach heutigen Maßstäben recht oberflächlich fabrizierten Weltgeschichte, die wohl gerade aus diesem Grunde eine breite Leserschaft fand und noch heute den Namen „Ploetz des 15. und 16. Jahrhunderts“[7] trägt.

Überhaupt stand das Leben Rolevincks ganz im Zeichen schriftstellerischen Schaffens. Nicht zuletzt der frühe Eintritt in die Kölner Kartäuserklause St. Barbara mag dazu beigetragen haben. Galt der Orden des heiligen Bruno doch schon zur damaligen Zeit als Hort reicher literarischer Produktion.[8] Die damit einhergehende Gelehrsamkeit klerikaler Prägung macht sich besonders im Westfalenbuch bemerkbar. Vor allem die beiden ersten Teile des Buches – Ursprünge des Landes und Sachsenmission Kaiser Karls des Großen – sind in ihrer Erzählstruktur streng am christlichen Heilsplan orientiert, spiegeln also das klassische mittelalterliche Welt- und Geschichtsbild wieder.[9] Nichtsdestotrotz lässt die Liste der Autoren, die Rolevinck als Quellen und Belege anführt, humanistische Einflüsse erkennen. Neben biblischen Größen und mittelalterlichen Chronisten, Gregor von Tours und Heinrich von Herford zum Beispiel, sind dort antike Philosophen und Schriftsteller zu finden: Cicero, Horaz, ja sogar Platon.[10] Zweifellos rechtfertigt dieser Umstand nicht, den Kartäuser als erklärten Humanisten zu bezeichnen[11] ; es tritt aber deutlich zu Tage, dass sich Rolevinck mit seinem Werk im Spannungsfeld zwischen Mittelalter und Neuzeit, zwischen Historia magistra vitae und autonomem Bildungsanspruch bewegt. Gerade der letzte Teil seines Buches macht diese Zwitterstellung sichtbar. Bei der Schilderung Westfalens aus zeitgenössischer Perspektive verlässt sich Rolevinck gegenüber den voran gegangenen Kapiteln ausschließlich auf eigene Erfahrungen und Erinnerungen – und eben hier liegt die Originalität des Westfalenbuches, jene Mischung aus naiver Beobachtung und analytischer Interpretation, die das „älteste und schönste deutsche Heimatbuch“[12] berühmt gemacht hat – ebenso wie sie die teils kritiklose Rezeption im Diskurs um das Phänomen „Raubrittertum“ inaugurierte. Unter dem Eindruck authentisch-unbefangener Erzählung verleiten die Erklärungsversuche Rolevincks nämlich schnell zu vorbehaltloser Zustimmung.

2.2. Erklärungsversuche

Der Titel des Abschnitts, in dem sich Rolevinck des Raubrittertums annimmt, ist symptomatisch: „Eine Entschuldigung für unser Heimatland“[13]. Im Stile einer Verteidigungsrede, die Vorwürfe und Schmähungen seiner Mitwelt zurückweisend, versucht er, das Bild des angeblich so ruchlosen Westfalens zurecht zu rücken. Interessanterweise schließt sein Schutz die eigentlichen Urheber von rapina und dolosita – vornehmlich „Leute ritterbürtiger Herkunft“ (S. 203) mit ein. Nicht blinde Wut oder gar Adelshass bestimmen seine Argumentation, ganz im Gegenteil: Die adeligen raptores sind seiner Beschreibung nach „stattliche, kraftstrotzende Gestalten, unternehmungslustig und dabei von Natur aus eigentlich gutmütig. Sie sind ehrgeizig und unter ihresgleichen unbedingt zuverlässig.“(S. 205) Der Grund für ihre Vergehen ist demnach nicht in ihrem Charakter zu suchen. „Nur aus Not sind sie so gewalttätig geworden [...] Die große Armut hat diese Junker zu ihren vielen Schandtaten verleitet [...] Ihr ganzes Sinnen und Trachten geht nur darauf hin, ihren Lebensunterhalt zu gewinnen.“ (Ebd.) Wenn Verbrechen begangen werden, so als Folge wirtschaftlicher Missstände. Die Rädelsführer sind also beklagenswerte Opfer äußerer Faktoren: ihrer eigenen Ländereien, die „ohne ihre Wohnungen [...] Ödland [wären]“ (Ebd.) , ihrer Erziehung, die einem „Martyrium“(S. 205[14] ) gleicht und schließlich auch Opfer der Geschichte. Sind doch gerade die ärmsten unter ihnen Abkömmlinge fränkischer Adeliger, die im Verteilungskampf um das geschlagene Westfalen unterlagen und so gezwungen waren, in die unfruchtbarsten Gebiete abzuwandern. Um dennoch ihr Auskommen zu finden, „setzten [sie] dort ihre Raubzüge fort bis auf unsere Tage, als wenn sie Rache nehmen wollten für das alte Unrecht“ (S. 211).

Bei aller mystischen Geschichtsdeutung, die diesem Argument zu Grunde liegen scheint, so lässt sich Rolevincks These zu den Ursprüngen des Raubrittertums doch recht prägnant zusammenfassen: Schlicht Armut treibt die Ritterbürtigen zu ihren Vergehen; nicht zuletzt der auch von Rolevinck angebrachte Begriff raptores weist auf diesen zweckorientierten Hintergrund.

Stellt sich nun die Frage, ob dieses eher eindimensionale, mechanische Deutungsmuster realiter beweisbar ist. Dazu soll ein Blick auf die einschlägige Forschung zum Oberaspekt „Adelskrise“ geworfen werden, denn letztlich lassen sich ja Raub und Armut in diese Kategorie einordnen.[15]

[...]


[1] Repräsentativ für die gängige Auffassung: Artikel „Raubritter“, in: Bertelsmann Lexikon Geschichte, hrsg. vom Lexikon-Institut Bertelsmann, Gütersloh 1991, S. 645.

[2] Nach neusten Erkenntnissen erstmals im Titel des Romans „ Der Raubritter mit dem Stahlarme, oder der Sternenkranz, eine Geistergeschichte“, 1799 o.O./o.Verf. erwähnt; Kurt Andermann: „Raubritter- Raubfürsten- Raubbürger? Zur Kritik eines untauglichen Begriffes“, in: „Raubritter“ oder „Rechtschaffene vom Adel“? Aspekte von Politik, Friede und Recht im späten Mittelalter (Oberrheinische Studien/Arbeitsgemeinschaft für Geschichtliche Landeskunde am Oberrhein 14), hrsg. v. Kurt Andermann, Sigmaringen 1997, S. 9-29, hier: S. 9.

[3] Vgl. Kapitel 4.

[4] Werner Rolevinck: Ein Buch zum Lobe Westfalens des alten Sachsenlandes. Der Text der lateinischen Erstausgabe vom Jahre 1474 mit deutscher Übersetzung, hrsg. v. Hermann Bücker, Münster (Westfalen) 1953; Zitat auf Seite 206.

[5] Regina Görner: Raubritter. Untersuchung zur Lage des spätmittelalterlichen Niederadels, besonders im südlichen Westfalen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 22: 18), Münster (Westfalen) 1987, [Diss. Bochum 1984].

[6] Ebd., S. 15.

[7]. Ellen Widder: „Westfalen und die Welt. Anmerkungen zu Werner Rolevinck“, in: Westfälische Zeitschrift 141 (1991), S. 93-122, hier: S. 94; zu den berühmteren Werken Rolevincks zählt auch der erstmals 1472 veröffentlichte Bauerspiegel „De regimine rusticorum“, im Übrigen der einzige seiner Art für den Bereich Deutschlands, vgl. Volker Henn: „Der Bauernspiegel des Werner Rolevinck „De regimine rusticorum“ und die soziale Lage westfälischer Bauern im späten Mittelalter“, in: Westfälische Zeitschrift 128 (1978), S. 289-313.

[8] Vgl. Hermann Bücker: Werner Rolevinck: 1425-1502. Leben und Persönlichkeit im Spiegel des Westfalenbuches (Geschichte und Kultur 4), Münster 1953, S. 24; auch: Widder: Westfalen und die Welt, S. 94.

[9] Ebd., S. 118.

[10] Bücker: Rolevinck, S. 42-51.

[11] Ganz im Gegenteil – Rolevinck war sicher ein betont konservativer Geist wie Kapitel 5.1. zeigt!

[12] Luise von Winterfeld: „Ruten und roven. Ein Beitrag zur Geschichte des Fehdewesens und Straßenraubes in Westfalen“, in: Dortmunder Beiträge 46 (1940), S. 69-109, hier: S. 69.

[13] Hermann Bücker: „Vorwort“, in: Rolevinck: Westfalenbuch, S. 203; im Folgenden aus Kapitel 10 (S. 204/5-13/14) zitiert.

[14] Rolevinck spricht hier von „Märtyrertum“.

[15] Eine derartige Öffnung der Perspektive lohnt, da – wie in der Einleitung bereits angeklungen – von einem geschichtswissenschaftlichen Diskurs zum Thema „Raubritter“ erst ab den 40er Jahren vergangenen Jahrhunderts gesprochen werden kann, die eigentliche spezifische Forschungsarbeit sogar erst in den Achtzigern einsetzte. Ohnehin wurde dem Raubrittertum in Monographien über allgemeine Krisenphänomene gebührend Raum gezollt.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Raubrittertum im Spiegel des Westfalenbuches - Zeitgenössische Interpretation und moderne Kritik
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Historisches Seminar - Abteilung Landeskunde)
Veranstaltung
Proseminar: Soziale Mobilität im Mittelalter
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
18
Katalognummer
V4072
ISBN (eBook)
9783638125239
Dateigröße
591 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Raubrittertum, Spiegel, Westfalenbuches, Zeitgenössische, Interpretation, Kritik, Proseminar, Soziale, Mobilität, Mittelalter
Arbeit zitieren
Geoffrey Schöning (Autor:in), 2001, Raubrittertum im Spiegel des Westfalenbuches - Zeitgenössische Interpretation und moderne Kritik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4072

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