Die Fragestellung dieser Arbeit ist dem Bereich der Narratologie, also der Erzählforschung, zuzurechnen. Spätestens seit der von Wolfgang Iser in den 1960er Jahren begründeten ′Rezeptionsästhetik′ ist die Schnittstelle zwischen Leser und Erzähler noch interessanter geworden. Obwohl der Begriff des ′Erzählers′ in der letzten Zeit stärker kritisiert wird1 möchte ich ihn hier der Vereinfachung halber verwenden.2 Dieser kann in Texten „[…] nur als Vorstellungsobjekt aufgrund mehr oder weniger deutlicher Spuren im Text rekonstruiert werden […]“3. Zu diesen Spuren gehören auch die hier untersuchten ′Kontaktaufnahmen mit dem Leser′. Diese Bezeichnung ist eine eigens für die vorliegende Arbeit definierte, da nach meinen Recherchen etwas Ähnliches bisher als eigenes Thema so nicht berücksichtigt worden ist, weshalb folgende Arbeit als Forschungsarbeit zu betrachten ist. Das Thema ist meines Erachtens allerdings grundlegend für einen Diskurs über den Erzähler-Leser Bezug, da hier sehr gut nachgewiesen werden kann, dass der Erzähler den Bezug zum Leser explizit aufnimmt um ihn mit in die Erzählung einzubeziehen. Das geschieht vor allem indem eine gemeinsame Ebene für Leser und Erzähler geschaffen wird, in dem beide einen gemeinsamen sozusagen virtuellen ′Raum′ zur Verfügung haben. Hier wird über gemeinsame ′Kontexte′ gesprochen die sich zumeist aus der Erzählung ergeben aber auch darüber hinaus wie hier im ′Agathon′ auch aus dem gemeinsam Menschlichen. Am ehesten fällt einem zu diesem Thema dabei sicherlich ein direktes Anreden des Lesers ein, durch Verwendung der 2.Person Singular oder Plural. Diese bilden aber im Agathon eine kleine Minderheit und das Thema nur darauf zu beschränken wäre auch eine sehr oberflächliche Betrachtung des Problems. Folgende Merkmale definieren die ′Kontaktaufnahme mit dem Leser′, wobei eins mindestens erfüllt sein muss:
1. Der Erzähler gibt sich im Text mehr oder weniger zu erkennen (vor allem bei den Kapiteln 1.1; 1.3; 1.4; 2.1; 2.2; 2.3; 2.4)
2. es ist ein deutlicher Einschnitt in der Handlungsebene erkennbar, die den Leser auf eine meist, erste, reflektierende Ebene versetzt (bei fast allen Formen, am wenigsten bei Kapitel 1.2)
3. der Erzähler fingiert eine ′Mündlichkeit′ im Erzählen (vor allem Teil 2)
4. der Leser wird in irgendeiner Form beim Erzählen miteinbezogen (vor allem 1.1; 1.2)
1 Vgl. Fludernik, Monika: The Fictions of Language and the Languages of Fictions. Reprint. London 1999.
2 Auch der Begriff ′Handlungsebene′ wird hier der Einfachheit halber unkritisch nach Vogt, Jochen: Einladung zur Literaturwissenschaft. 2., durchg. und akt. Aufl. München 2001. angewandt.
3 Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie: Ansätze – Personen – Grundbegriffe. 2., überarb. und erw. Aufl. hrsg. von Ansgar Nünning. Stuttgart; Weimar 2001.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Verschiedene Formen der Kontaktaufnahme und deren Funktion
- Indirekte Kontaktaufnahmen
- Pluralis Majestatis/Modestiae
- Das Indefinitivpronomen 'man'
- Klammerparenthesen
- Ohne Kommentar des Erzählers
- Mit Kommentar des Erzählers
- Verteilung
- Angekündigte Zusammenfassungen des Erzählers
- Kapitelüberschriften
- Benennung von Lesern oder einzelnen Gruppen
- Direkt: fingierte Mündlichkeit
- Scheinbare Ausrufe des Erzählers
- Rhetorische Fragen
- Fiktiver Leser-Erzähler Dialog
- Direkte Anrede an den Leser
- Gesamtverteilung der verschiedenen Formen
- Indirekte Kontaktaufnahmen
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Kontaktaufnahme zwischen Erzähler und Leser in literarischen Texten, speziell im "Agathon" von Wieland. Sie analysiert verschiedene Formen dieser Kontaktaufnahme, differenziert zwischen indirekten und direkten Ansprachen und beleuchtet deren Funktion im Kontext der Erzählgestaltung und Leserlenkung. Die Arbeit trägt somit zur Narratologie bei und erweitert das Verständnis des Erzähler-Leser-Bezugs.
- Analyse verschiedener Formen der Kontaktaufnahme zwischen Erzähler und Leser
- Unterscheidung zwischen indirekten und direkten Ansprachen
- Funktion der Kontaktaufnahme im Kontext der Erzählgestaltung
- Wirkung der Kontaktaufnahme auf die Leserlenkung
- Beitrag zur Narratologie und zum Verständnis des Erzähler-Leser-Bezugs
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Fragestellung der Arbeit ein, die sich mit der Kontaktaufnahme zwischen Erzähler und Leser im Kontext der Narratologie beschäftigt. Sie betont die Bedeutung der Rezeptionsästhetik und den umstrittenen Begriff des Erzählers, der als Vorstellungsobjekt aufgrund von Spuren im Text rekonstruiert werden kann. Die Arbeit definiert den Begriff "Kontaktaufnahme mit dem Leser" und begründet ihre Notwendigkeit als Forschungsarbeit, da dieses Thema bisher nicht umfassend behandelt wurde. Sie beschreibt die Bedeutung dieser Kontaktaufnahmen für den Diskurs über den Erzähler-Leser-Bezug und skizziert die wichtigsten Kriterien zur Identifizierung solcher Kontaktaufnahmen.
Verschiedene Formen der Kontaktaufnahme und deren Funktion: Dieses Kapitel untersucht verschiedene Formen der Kontaktaufnahme zwischen Erzähler und Leser. Es unterscheidet zwischen indirekten und direkten Methoden und präsentiert ausgewählte Beispiele, um die Erkennbarkeit und die Wirkung dieser Techniken zu belegen. Die Kapitel analysiert verschiedene indirekte Methoden wie den Pluralis Majestatis/Modestiae, das Indefinitpronomen "man", Klammerparenthesen, angekündigte Zusammenfassungen, Kapitelüberschriften und die Benennung von Lesergruppe. Die Kapitel analysiert auch verschiedene direkte Methoden wie scheinbare Ausrufe, rhetorische Fragen und direkte Anreden an den Leser. Die Grenzen zwischen direkter und indirekter Ansprache werden als fließend beschrieben.
Resümee: (Dieses Kapitel wird aufgrund der Anweisungen nicht zusammengefasst.)
Schlüsselwörter
Narratologie, Erzählforschung, Rezeptionsästhetik, Erzähler-Leser-Bezug, Kontaktaufnahme, indirekte Ansprache, direkte Ansprache, Pluralis Majestatis, Pluralis Modestiae, fingierte Mündlichkeit, Leserlenkung, "Agathon", Wieland.
Häufig gestellte Fragen zum Text "Agathon" - Analyse der Erzähler-Leser-Kontaktaufnahme
Was ist der Gegenstand der Analyse in diesem Text?
Die Analyse konzentriert sich auf die Kontaktaufnahme zwischen Erzähler und Leser im literarischen Text "Agathon" von Wieland. Es wird untersucht, wie der Erzähler verschiedene Formen der Ansprache verwendet, um mit dem Leser zu interagieren und ihn zu lenken.
Welche Arten der Kontaktaufnahme werden unterschieden?
Die Analyse unterscheidet zwischen indirekten und direkten Formen der Kontaktaufnahme. Indirekte Methoden beinhalten beispielsweise den Pluralis Majestatis/Modestiae, das Indefinitpronomen "man", Klammerparenthesen, angekündigte Zusammenfassungen, Kapitelüberschriften und die Benennung von Lesergruppe. Direkte Methoden umfassen scheinbare Ausrufe des Erzählers, rhetorische Fragen, einen fiktiven Dialog zwischen Leser und Erzähler und direkte Anreden an den Leser. Die Übergänge zwischen diesen Formen werden als fließend beschrieben.
Welche Ziele verfolgt die Analyse?
Die Arbeit zielt darauf ab, verschiedene Formen der Erzähler-Leser-Kontaktaufnahme zu analysieren, die Unterschiede zwischen indirekten und direkten Ansprachen zu verdeutlichen und deren Funktion im Kontext der Erzählgestaltung und Leserlenkung zu beleuchten. Letztendlich soll die Analyse einen Beitrag zur Narratologie und zum Verständnis des Erzähler-Leser-Bezugs leisten.
Welche Kapitel umfasst der Text und was behandeln diese?
Der Text gliedert sich in eine Einleitung, ein Hauptkapitel ("Verschiedene Formen der Kontaktaufnahme und deren Funktion"), welches verschiedene Formen der Kontaktaufnahme detailliert beschreibt und analysiert, und ein Resümee. Die Einleitung führt in die Fragestellung ein und definiert den Begriff "Kontaktaufnahme mit dem Leser". Das Hauptkapitel analysiert sowohl indirekte als auch direkte Ansprachen mit zahlreichen Beispielen. Das Resümee wird im vorliegenden Auszug nicht zusammengefasst.
Welche Schlüsselbegriffe sind für das Verständnis der Analyse wichtig?
Wichtige Schlüsselbegriffe sind Narratologie, Erzählforschung, Rezeptionsästhetik, Erzähler-Leser-Bezug, Kontaktaufnahme, indirekte Ansprache, direkte Ansprache, Pluralis Majestatis, Pluralis Modestiae, fingierte Mündlichkeit, Leserlenkung, "Agathon" und Wieland.
Wie trägt die Analyse zur Narratologie bei?
Die Analyse erweitert das Verständnis des Erzähler-Leser-Bezugs innerhalb der Narratologie. Durch die detaillierte Untersuchung verschiedener Kontaktaufnahme-Methoden und deren Wirkung auf den Leser liefert sie wichtige Erkenntnisse zur Interaktion zwischen Erzähler und Rezipient und deren Einfluss auf die Gestaltung der Erzählung.
- Arbeit zitieren
- Tanja Kasper (Autor:in), 2004, Formen der Kontaktaufnahme des Erzählers mit dem Leser und deren Funktion in Ch. M. Wielands "Agathon", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40761