„Dieser Mann [...] ist im Londoner Exil zum Symbol des tschechischen Kampfes gegen den Nationalsozialismus und unserer demokratischen Tradition geworden; zu dem, was De Gaulle für die Franzosen und Königin Wilhelmine für die Niederländer oder auch Churchill für die Briten war.“ So beschrieb Václav Havel 1992 den tschechoslowakischen Politiker Edvard Beneš.
Diese Beschreibung lässt aufhorchen, ist der Name Beneš doch aufs Engste mit der tragischen Vertreibung Hunderttausender Sudetendeutscher verknüpft; sudetendeutschen Vertriebenenverbänden gilt er gar als der „Austreiber-Präsident“.
In der vorliegenden Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, wie es zu der brutalen Vertreibung einer ganzen Bevölkerungsgruppe aus ihrer Heimat kommen konnte. Dabei soll auch nach der Rolle Edvard Beneš` gefragt werden. Wie konnte ein, nach Havels Ansicht, so überzeugter Demokrat zu einem Befürworter radikaler Bevölkerungstransfers werden?
Bei genauerer Betrachtung der Vertreibungsproblematik kommt man zu dem Ergebnis, dass die These von Beneš als dem Hauptverantwortlichen und „Vater des Vertreibungsgedankens“ nicht haltbar ist. Vielmehr muss eine ganze Anzahl von Faktoren Beachtung finden: Die Idee der Konfliktprävention durch Aussiedlung ethnischer Minderheiten stammt nicht von Beneš, sondern geht einher mit dem Aufstieg des modernen Nationalismus. Dieser Themenkomplex soll im ersten Teil der Arbeit thematisiert werden.
Die Rolle der sudetendeutschen Minderheit während der ersten tschechoslowakischen Republik steht im Mittelpunkt der anschließenden Betrachtungen. Wie kam man darauf, dass die Sudetendeutschen eine Bedrohung darstellten?
Der dritte Teil beschäftigt sich mit den konkreten Planungen zur Vertreibung der Deutschen. Dabei kann man sich nicht auf die Pläne der tschechischen Exil-Regierung unter Beneš beschränken. Auch die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition sahen Bevölkerungstransfers als Notwendigkeit an, zudem wäre ohne ihre Zustimmung eine Vertreibung niemals möglich gewesen.
Im letzten Abschnitt soll auf die Gründe für eine gegen Kriegsende einsetzende Dynamisierung des Vertreibungsgedankens eingegangen werden, die schließlich bis hin zur unkontrollierten „wilden Vertreibung“ Tausender Deutscher aus dem Sudetengebiet führte.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I Nationalismus und Nationalitätenkonflikte
- II Die Sudetendeutsche Minderheit in der Tschechoslowakei
- III Die Entwicklung der Pläne zum Transfer der Sudetendeutschen
- 1. Die Planungen der tschechoslowakischen Exilregierung
- 2. Die Positionen der Alliierten
- 3. Die Haltung der KPTsch
- IV Die Dynamisierung bis zur Potsdamer Konferenz
- V Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei, wobei sie sich insbesondere auf die Frage konzentriert, wie es zu diesem brutalen Akt kommen konnte und welche Rolle Edvard Beneš dabei spielte. Die Arbeit widerlegt die These, dass Beneš allein für die Vertreibung verantwortlich sei, und zeigt, dass mehrere Faktoren zusammenspielten.
- Der Aufstieg des modernen Nationalismus als Grundlage für die Idee der Konfliktprävention durch ethnische Aussiedlung
- Die Rolle der sudetendeutschen Minderheit während der ersten tschechoslowakischen Republik
- Die konkreten Planungen zur Vertreibung der Deutschen durch die tschechoslowakische Exilregierung, die Alliierten und die KPTsch
- Die Dynamisierung des Vertreibungsgedankens bis zur Potsdamer Konferenz und die anschließende „wilde Vertreibung“
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet den Aufstieg des modernen Nationalismus im 19. Jahrhundert und die daraus resultierende ethnische Definition von Nation. Dieser Ansatz führte zur Ausgrenzung und Diskriminierung ethnischer Minderheiten und ebnete den Weg für gewaltsame Konflikte.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Rolle der sudetendeutschen Minderheit in der ersten tschechoslowakischen Republik. Die Arbeit untersucht, wie die sudetendeutschen Minderheit als Bedrohung wahrgenommen wurde und welche Spannungen zwischen den beiden Volksgruppen entstanden.
Das dritte Kapitel beleuchtet die konkreten Planungen zur Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei. Es analysiert die Pläne der tschechoslowakischen Exilregierung unter Beneš, die Positionen der Alliierten und die Haltung der KPTsch. Die Analyse zeigt, dass die Vertreibung nicht nur ein tschechoslowakisches Vorhaben, sondern auch Teil der Pläne der Alliierten war.
Das vierte Kapitel untersucht die Dynamisierung des Vertreibungsgedankens gegen Kriegsende. Es beleuchtet die Faktoren, die zu einer zunehmenden Eskalation der Situation führten und schließlich zur „wilden Vertreibung“ Tausender Deutscher aus dem Sudetengebiet führten.
Schlüsselwörter
Nationalismus, Nationalitätenkonflikte, Sudetendeutsche, Vertreibung, Bevölkerungstransfer, Tschechoslowakei, Edvard Beneš, Alliierte, KPTsch, Konfliktprävention, ethnische Säuberung.
- Arbeit zitieren
- Sven Hacker (Autor:in), 2004, Zur Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40785