Beim Versuch, die Identität der drei 'Charaktere' (Erzähler, Volk, und Josefine) auszulegen, ist ein im Text auftauchender Widerspruch der Identität des Erzählers zuerst zu behandeln. Nachdem dieser Widerspruch weggeräumt und dies für vernünftig erklärt ist, kann derer Identität festgelegt werden.
Jedoch ist die Aufhebung des Widerspruches der erste Schritt dieser Arbeit und wird uns auf wesentliche Ergebnisse bringen. Falls dieser Widerspruch unerklärt verharrt, wird man bei der Festlegung der Identität irregeführt. Am Schluß der Geschichte schreibt der Erzähler, dass „wir keine Geschichte treiben“. Gesetzt, dass dies der Fall sei, wie ist diese Erzählung von Josefine und das Volk zu verstehen? Ist nicht das, was der Erzähler betreibt, Geschichte zu treiben?
Mit der zweifache Bedeutung des Wortes kann das Wort 'Geschichte' entweder historisch oder literarisch verstanden werden. Diese Erzählung lässt sogar beides zu. Der Erzähler nimmt die Geschichte (History) der Josefine auf und erzählt die Geschichte (Story) von Josefine und dem Volke. Es könnte argumentiert werden, dass die Erzählung eine Art Rede oder ein Stream of Consciousness a la Joyce sein könnte, und daher ergibt sich kein schriftlicher Nachlass. Jene Interpretation hieße, dass die Erzählung keine Geschichte wäre. Dennoch bleibt bei der Ablehnung jener Interpretation nichts anders übrig, als von einem Identitätsunterschied zwischen dem Wir und dem Erzähler auszugehen. Sonst gerät die Interpretation in Widerspruch. Jetzt wird die Frage nach der Bedeutung von Wir erhoben. Sicherlich befindet sich die erste Instanz von Wir nicht an jener Stelle der Erzählung. Diese Stelle ist sogar dessen letzte Erwähnung. Bei der ersten Überlegung scheint man Wir mit dem Volke gleichsetzen zu können. Dies zu behaupten wäre allerdings irreführend. In der Erzählung existieren zwei qualitativ verschiedene Völker, welche durch die Zeit und derer verschiedenen Unternehmungen getrennt sind. Es gibt ein ehemaliges Volk, welches Musik hatte und sie als Überlieferungen aufbewahrte, d.h. es gab ein musikalisches Volk, das Geschichte betrieb. Jedoch wird das aktuelle Volk vom Erzähler als unmusikalisch und keine Geschichte betreibend beschrieben. Nach sowohl seiner Meinung als auch der Meinung von Josefine ist das aktuelle Volk nicht fähig, Musik zu verstehen. Daher bezieht sich das Wir auf das zeitgenossiche unmusikalische Volk.
Inhaltsverzeichnis
- Abstract
- I Identität in Josefine oder das Volk der Mäuse: Erzähler, Volk, und Josefine
- II Verteidigung
- III Unterstützung
- IV Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Essay befasst sich mit der Stimme und Stimmung der Erzählung in Franz Kafkas Kurzgeschichte „Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse“. Unter Verwendung der Terminologie des französischen Literaturtheoretikers Gérard Genette und der Ästhetik des deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer wird die Identität des Erzählers untersucht. Der Essay argumentiert, dass der Erzähler nicht mit Aussagen über das Mäusevolk gleichzusetzen ist und auch nicht als eine Art dritter Charakter, wie z. B. ein Kunstkritiker, zu verstehen ist.
- Identität des Erzählers in „Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse“
- Bedeutung von „Geschichte“ in der Erzählung
- Analyse der Beziehung zwischen Erzähler, Josefine und dem Mäusevolk
- Schopenhauer's Ästhetik und die Bedeutung der Musik in der Geschichte
- Die Rolle der Kunst und der Anerkennung in der Erzählung
Zusammenfassung der Kapitel
I Identität in Josefine oder das Volk der Mäuse: Erzähler, Volk, und Josefine
Dieser Abschnitt behandelt den scheinbaren Widerspruch in der Identität des Erzählers, der behauptet, „wir treiben keine Geschichte“. Der Essay stellt die Frage, ob der Erzähler tatsächlich Geschichte betreibt, indem er die Geschichte (History) Josefines aufnimmt und die Geschichte (Story) von Josefine und dem Volk erzählt. Es wird argumentiert, dass der Erzähler nicht mit dem „Wir“, das sich auf das unmusikalische Volk bezieht, gleichzusetzen ist, da Josefine als Musikantin vom Volk nicht verstanden wird. Der Essay stellt fest, dass der Erzähler sowohl Musik als auch Geschichte betreibt und daher eine andere Identität als das Volk besitzt.
II Verteidigung
Dieser Abschnitt untersucht Stellen im Text, an denen Josefine und der Erzähler unterschiedlicher Meinung sind, um die Interpretation zu verteidigen, dass der Erzähler tatsächlich Josefine ist. Es werden Stellen im Text analysiert, die darauf hindeuten, dass die schriftliche Erzählung zum Wesen Josefines gehört.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes sind: Identität, Erzähler, Josefine, Volk der Mäuse, Geschichte, Musik, Kunst, Anerkennung, Schopenhauer, Genette, homo-diegetisch, extra-diegetisch, interne Fokalisierung.
- Quote paper
- John Dorsch (Author), 2013, Identität in Kafkas "Josefine die Sängerin oder Das Volk der Mäuse", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/412277