Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 Der Konflikt in Plateau und seiner Hauptstadt Jos – Ursachen und verschärfende Faktoren
3 Maßnahmen des Staates zur Konfliktbewältigung
4 Friedensinitiativen der Zivilgesellschaft. Die Arbeit der SFCG in Kooperation mit lokalen NROs
4.1 Aktivitäten der NROs in Jos im Bereich Konfliktmanagement und Friedensbildung
4.2 Die Arbeit der SFCG: das Projekt „Plateau will Arise!“
5 Der Schlüssel zum nachhaltigen Frieden in Plateau – Analyse und Fazit
6 Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Mit ca. 150 Millionen Einwohnern ist Nigeria nicht nur das bevölkerungsreichste Land Afrikas, sondern auch ein sehr komplexer, multiethnischer und multikultureller Staat mit vielen Religionen. Es beheimatet ca. 395 Volksgruppen, rund 514 Sprachen und Idiomen werden gesprochen. Einer Studie von 2003 zufolge sind 50,5 % der Nigerianer Muslime, 48,2% Christen und nur ein kleiner Bevölkerungsanteil bekennt sich zur traditionellen afrikanischen Religion. (Nigeria DHS 2003)
Seine Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft bekam Nigeria im Jahr 1960 ohne den für andere Kolonien erforderlichen blutigen Befreiungskampf und wechselte bis 1999 zwischen mehreren Militärdiktaturen und kurzen quasi-demokratischen Erneuerungsversuchen. Die 'vierte' Republik seit 1999 ist die längste demokratische Phase in Nigerias Geschichte als unabhängiger Staat. Volkswirtschaftlich ist das Land besser als viele andere Länder Afrikas gestellt, neben Südafrika ist es die größte Wirtschaftsmacht des Kontinents. Der wirtschaftliche Schwung ist hauptsächlich der Erdölförderung seit 1956 zu verdanken. (Jimo 2007, S. 78) Dennoch ist der erwünschte Wohlstand nur einer privilegierten Minderheit vorbehalten. Rund zwei Drittel der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze von einem US-Dollar am Tag und im Land herrscht hohe Arbeitslosigkeit wegen der Umstellung der Wirtschaft auf die Erdölförderung zuungunsten beschäftigungsintensiver Wirtschaftssektoren wie die Textilindustrie und die Landwirtschaft, die zusammengebrochen sind. (Mättig 2010, S. 2)
Neben der hohen Arbeitslosigkeit und der Armut gibt es viele andere Probleme in Nigeria wie z.B. eine allgegenwärtige Korruption in der Politik und Verwaltung auf zentraler wie lokaler Ebene, marode öffentliche Infrastruktur und dazu noch Gewaltkonflikte in verschiedenen Regionen des Landes – Middle Belt, Niger-delta und im Norden - mit zahlreichen Opfern und großer Zerstörungskraft. Beim Konflikt im Middle Belt, mit der Hauptstadt Jos des Bundesstaates Plateau als Epizentrum, geht es um den Kampf zwischen den indigenen Volksgruppen, den „Einheimischen“, die überwiegend christlich sind, und den zugezogenen, mehrheitlich moslemischen Volksgruppen, die als „Siedler“ gelten, um wirtschaftliche und politische Vormachtstellung (ICG 2012, S. 1) Die blutigen Auseinandersetzungen in Jos sind im großen Ausmaß erst m September 2001, nach vereinzelten Gewaltereignissen 1994 und 1998 mit wenigen Opfern, ausgebrochen und haben über 1000 Tote abverlangt. (ICG 2012, S. 11) Weitere Episoden der Massentötung mit Zerstörung von Kirchen und Moscheen, Priesterseminaren, Schulen, Geschäfte und Häuser einschließlich des Stadtmarktes ereigneten sich in den Jahren 2002, 2004, 2008 und 2010. Die Folge sind Tausende Tote, Hunderttausende Binnenvertriebene, eine Spaltung der Stadt nach ethnischen und religiösen Grenzen und ein Klima der Unsicherheit und Angst. Der blutige Konflikt in Jos hat sich auf andere Teile des Bundesstaates Plateau, bzw. die ländlichen Gebiete ausgebreitet. Massenmorde gab es in vielen Dörfern in der Umgebung von Jos insbesondere in den Jahren 2001-2002 und 2010. Hunderte von Menschen wurden auf ihren Feldern, beim Viehhütten auf der Weide und in den alten Bergbausiedlungen umgebracht. (Higazi 2011, S. 3)
Die Reaktion des nigerianischen Staates kam zunächst verspätet und dann mit Einsatz des Militärs, als es klar wurde, dass die Polizei nicht in der Lage war, allein die Gewalt zu stoppen und Ruhe und Ordnung in der Stadt wiederherzustellen. Zu lange wurde der Konflikt von der Bundesregierung unterschätzt und als „low intensity conflict“ betrachtet. Die staatlichen Maßnahmen umfassen den Einsatz einer Special Task Force aus Militär und Polizei, das Ernennen gerichtlicher Ermittlungsausschüsse zu den Ausschreitungen von 2001, 2008 und 2010 sowie die Schaffung von „Operation Rainbow“, ein Mechanismus zur Friedensbildung in Plateau durch eine Kooperation der Bundesregierung und der Regierung von Plateau. (ICG 2012)
Parallel zu diesen Maßnahmen gibt es jene von der Zivilgesellschaft, durch die zahlreichen NGOs, zur Linderung der Not von Opfern und Betroffenen sowie zur Wiederherstellung des Friedens durch Dialog und Vertrauensbildung zwischen den verfeindeten Ethnien und Glaubensgemeinden. In Jos sind sowohl lokale als auch internationale NGOs im Bereich Konfliktmanagement und Peacebuilding tätig, mit Projekten deren Reichweite weit über die Grenzen der Hauptstadt hinausgeht . (Chima/Alokpa 2015, Alao 2015) Eine davon ist die Organisation „Search for Common Ground“ (SFCG). Sie ist eine internationale NGO, die seit 2010 ihr Büro in Jos hat und mit ausländischer Finanzierung mehrere umfangreiche Projekte in Partnerschaft mit lokalen NGOs zur Bildung einer Friedensarchitektur im Bundesstaat Plateau durchgeführt hat. (https://www.sfcg.org/nigeria/)
Seit der Krise im Jahr 2011 hat sich die Lage in Plateau, insbesondere in Jos, deutlich verbessert. Mit Ausnahme der Bombenanschläge von Boko Haram gab es seit 2011 keine Gewaltausschreitungen mehr. Im Februar 2016 wurde in der LGA Jos-Süd mit Beteiligung von SFCG die Rückkehr des Friedens gefeiert. (Plateau News Online) Alle wünschen sich, dass es sich nicht um nur eine Ruhepause geht, sondern um einen langwährenden Frieden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Welchen Beitrag haben die NGOs allgemein und SFCG speziell zur Wiederkehr des friedlichen Zusammenlebens in Jos geleistet? Auf welchem Ansatz basiert ihre Arbeit und ist dieser der Schlüssel zur Lösung des ethnoreligiösen Konflikts in Plateau und im Middle Belt allgemein? Diese Frage stellt sich auch hinsichtlich der Tatsache, dass die vom Staat getroffenen Maßnahmen den wiederholten Ausbruch der Gewalt nicht verhindern konnten. Für eine fundierte Antwort darauf ist daher eine Gegenüberstellung der staatlichen Maßnahmen und der Arbeit der NGOs nötig. Gleichzeitig gilt es zu analysieren, ob und inwiefern die Handlungen der SFCG und deren Partner-NGOs die Konfliktursachen beseitigen konnten.
Die Arbeit wird folgendermaßen gegliedert sein: Im ersten Kapitel wird der Konflikt im Bundesstaat Plateau als Teil der Region Middle Belt sowie der Konflikt in der Hauptstadt Jos mit seinen Besonderheiten vorgestellt. Der zweite Kapitel wird sich den Maßnahmen der lokalen und zentralen Regierung zur Bewältigung des Konflikts und zum Stoppen der Gewaltausschreitungen widmen. Die Darstellung der Arbeit der NGOs in Jos und der Projekte der SFCG mit Fokus auf das Projekt „Plateu will arise!“ folgt im dritten Kapitel. Abschließend erfolgt eine Analyse der gesammelten Fakten zur Beantwortung der Fragestellung und das Fazit.
2 Der Konflikt in Plateau und seiner Hauptstadt Jos – Ursachen und verschärfende Faktoren
Der Bundesstaat Plateau liegt im Zentrum Nigerias und gehört mit anderen Staaten wie Nasarawa, Taraba, Adamawa und Niger zum sogenannten „Middle Belt“, eine in west-östlicher Richtung mitten durch das Land verlaufende Übergangszone, wie ein Gürtel, zwischen dem muslimisch geprägten Norden und dem christlich geprägten Süden. (Tanner 2016, S.215) Mit seinem Mosaik von mehr als fünfzig einheimischen und vielen aus anderen Landesteilen zugezogenen Volksgruppen - die immerhin fast die Hälfte der Einwohner ausmachen - und über vierzig gesprochenen Sprachen spiegelt Plateau die religiöse und ethnische Vielfalt Nigerias wider. Die größte einheimische ethnische Gruppe - und auch die wichtigste - ist jene der Berom, Afizere und Anaguta (BAA), die überwiegend christlich ist. Zu den wichtigsten zugezogenen Volksgruppen – den „Siedlern“ - gehören die Hausa-Fulani, die aus dem muslimischen Norden kommen, sowie die Igbo, Yoruba und Urhobo, die aus dem Süden und Südwesten Nigerias kommen und sowohl christlichen (Igbo, Yorubas) als auch moslemischen (Yoruba) und traditionellen Glaubens (Urhobo) sind. Viele Hausa-Fulani sind vor mehreren Generationen aus dem Norden Nigerias nach Plateau eingewandert und verstehen/sehen sich deshalb nicht mehr als „Siedler“ sondern als Begründer der Stadt Jos. Sie bezeichnen sich als „Jasawa“, was die „Leute von Jos“ bedeutet. (Krause 2011, S. 18)
Nigerias zwölft-größter Bundesstaat ist in 17 Lokalregierungsgebieten (LGAs) unterteilt. Drei davon, nämlich Jos Nord, Jos Süd und Jos Ost bilden den Großraum Jos. (Die Hauptstadt liegt eigentlich zwischen Jos Nord und Jos Süd. Jos selbst stellt einen Mikrokosmos, den ethnischen Schmelzpunkt Nigerias dar, insofern als viele Nigerianer aus dem ganzen Land und viele Europäer von den einst berühmten Zinn- und Kolumbitminen mit industriellem Maßstab angezogen waren und in die Stadt zum Arbeiten gekommen sind. Jos wurde so zu einem interkulturellen und kosmopolitischen Zentrum, das das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien und Religionen basierend auf einer Kultur der Toleranz und Freundschaft verkörperte. Bis zum Ausbruch der interethnischen Gewalt zwischen den Hausa-Fulani und BAA zuerst im Jahr 1994 und dann 2001 galt die Stadt Jos und ganz Plateau als das Haus des Friedens und Tourismus („the home of peace and tourism“). (ICG 2012, S. 1)
Auch wenn der Konflikt zwischen den ethnischen Gruppen beim ersten Blick einen religiösen Charakter zu haben scheint, so sprechen viele Fakten aus Untersuchungen und wissenschaftlichen Studien (Tanner 2016, S. 213/ ICG 2012/ Danfulani 2006) dafür, dass die wirklichen Ursachen weit tiefer als nur bei den Unterschieden im Glauben und in ethnischer Identität liegen. Die International Crisis Group in ihrem Bericht zu der Jos-Krise (ICG 2012) nennt den Kampf um Macht und Kontrolle zwischen den vorwiegend christlichen ethnischen Gruppen der Berom, Afizere und Anaguta und den muslimischen Gruppen der Hausa-Fulani als die Kernursache der Gewalt. Die BAA verstehen sich als Einheimische von Jos und sind meist im Besitz eines Indigenen-Zertifikates einer LGA des Bundesstaates Plateau. Ihnen gegenüber stehen die Hausa-Fulani, zwei historisch eng verbundene ethnische Gruppen, die sich auch als Einheimische von Jos und in ihrem Recht auf gleichberechtigte politische Mitbestimmung sehen, jedoch von den BAA als Siedler behandelt werden und kein Indigenen-Zertifikat besitzen. Sie sind in den politischen Strukturen von Jos und Plateau kaum vertreten und werfen den BAA Manipulation der Wahlen in den lokalen Rat und Vorsitz der LGA Jos Nord, wo Hausa-Fulani eigentlich die Mehrheit haben, seit 1999 vor. (ICG 2012, S. 16)
Der Kampf um die Kontrolle über Jos wird von der in Nigeria geführten Bürgerschaftspolitik gefeuert, welche die Kluft zwischen Einheimischen und Siedlern (sog. „indigene-settler divide“) noch größer macht. Die Bürgerschaftspolitik beruht auf dem Indigenitäts-Prinzip und hat den Schutz der ethnischen Minderheiten vor deren Dominieren oder Auflösung durch die größeren ethnischen Gruppen des Landes zum Ziel. Sie ist in der Verfassung Nigerias verankert. (Tanner 2016, S. 221 / Krause 2011, S. 25) Im Plateau bevorzugt diese Politik die indigenen BAA-Gruppen durch die Verteilung von Indigenen-Zertifikate. Diese bedeuten die Anerkennung des Bürgerstatus und geben somit das Recht auf Teilnahme am öffentlich-politischen Leben. Angehörigen der Hausa-Fulani und anderen Siedler-Ethnien werden diese Zertifikate von den zuständigen lokalen Behörden, in denen Mitglieder der indigenen Gruppen sitzen (in Jos sind es Angehörige des Berom Clans) verweigert und damit viele Rechte wie z.B. das Erwerben vom Land, der Besuch von Schulen und Universitäten, das Kandidieren für politische und öffentliche Ämter. Weil es keine objektiven Kriterien oder Leitlinien für die Beamten der LGAs zur Feststellung gibt, ob eine Person einheimisch oder angesiedelt ist, wird die Verteilung der Zertifikate meistens anfällig für Willkür, Korruption und Klientelismus. (Tanner 2016, S. 222) Genau diese durch Indigenen-Zertifikate zugesprochenen Rechte und Privilegien für die als einheimisch geltenden ethnischen Gruppen sind Gegenstand des Konfliktes in Jos. Vor allem von den Hausa-Fulani werden die Privilegien und insgesamt die Legitimität der Regierung stark in Frage gestellt. Denn nur wer die politische Macht hat, kann über die Zuteilung der Privilegien und damit von finanziellen Mitteln, Infrastrukturprojekten, Ressourcen und politischen Ämtern entscheiden. Und in Plateau und Jos hat der Berom-Clan die politische Macht fest im Griff auch in LGAs, wo sie die Mehrheit bilden, wie z.B. Jos Nord. (Tanner 2016/ ICG 2012)
Weitere Konfliktgegenstände sind wirtschaftliche Faktoren wie z.B. der wirtschaftliche Erfolg von Hausa-Fulani und ihre Kontrolle des Markts sowie der Zugang zum Land in der Umgebung von Jos. (Sha 2005, S. 45ff.).Die Hausa-Fulani haben vor langer Zeit Land von BAA gekauft und bestehen heute darauf, die ursprünglichen Siedler zu sein. In den Gebieten um die Stadt Jos gibt es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den umherziehenden Hausa-Fulani Bauern, die Viehzucht betreiben und den Angehörigen der einheimischen Gruppen um die Landnutzung. Das Vieh der HF Bauern dringt manchmal auf die Felder der einheimischen Bauerk vor, frisst ihre Pflanzungen und verursacht Schäden und somit Ernteausfälle und Einkommensverluste. Die Angehörigen einheimischer Ethnien reagieren mit Viehdiebstählen und Angriffen auf Fulani-Communities. Diese wiederum rächen sich indem sie Dörfer oder Kirchen der Einheimischen angreifen. (Krause 2011, S. 27)
Der Konflikt in Jos und ländlichen Gebieten von Plateau wird noch durch das Zusammenspiel vieler anderer Faktoren verstärkt, die im politischen, wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Bereich zu finden sind. Die grassierende Korruption in der lokalen Verwaltung, den Sicherheitsinstitutionen sowie im Justizapparat ist ein prominenter Faktor. Begleitet wird dieser von der Inkompetenz und Parteilichkeit ihres Personals. Im wirtschaftlich-sozialen Bereich wird der Konflikt durch die stetig wachsende Bevölkerung und die ungleiche Verteilung von Arbeitsmöglichkeiten verschärft. Armut, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit verleiten junge Männer zum Konsum von Drogen und erhöhen die Gewaltbereitschaft und Kriminalität. (Tanner 2016, S. 226f)
Der religiöse bzw. politisch-religiöse Faktor besteht in der Radikalisierung der Mitglieder muslimischer sowie christlicher Gemeinden und in den Forderungen etlicher konservativer HF- Muslime nach Einführung der Scharia im Bundesstaat Plateau, was von den christlichen BAA sowie den anderen christlichen Siedler-Gruppen u.a. auch aus Angst vor erneuter Verfolgung und Unterwerfung vehement abgelehnt wird und dazu führt, dass die muslimischen „Siedler“ als Bedrohung wahrgenommen werden. Die religiöse Dimension des Konflikts ist im Laufe der Jahre dazugekommen und hat an Bedeutung gewonnen, weil die religiöse Zugehörigkeit für viele ethnische Gruppen - auch im Plateau - das wichtigste Identitätsmerkmal vor der nationalen und ethnischen Identität, geworden ist. (Fukshiwe 2010, S. 62) Dies nicht zuletzt auch weil die Glaubensgemeinden durch die Hilfe an Bedürftige und ihre Präsenz in schweren Zeiten die Lücke füllen, die der Staat durch fehlende Wohlfahrtsinstitutionen und sozialen Programme hinterlässt. Die Religion wird in Plateau sowie in ganz Nigeria nicht nur von religiösen sondern auch und vor allem von politischen Akteuren für ihre meistens irreligiösen Ziele instrumentalisiert, um sich in der Bevölkerung Gefolgschaft zu verschaffen.
3 Maßnahmen des Staates zur Konfliktbewältigung
Die Bundesregierung Nigerias zusammen mit der Regierung von Plateau haben mit unterschiedlichen Maßnahmen auf den Gewaltkonflikt reagiert. Diese beinhalten sowohl zivile, auf Konfliktbearbeitung basierende Maßnahmen mit Blick auf eine langfristige Lösung, als auch militärische, durch den Einsatz einer spezialen Einsatztruppe, der „Special Task Force“ (STF).
Als Erstes war der Einsatz des Militärs in den Ausschreitungen von September 2001 erforderlich, eine Woche nach Massentötungen von beiden Konfliktparteien mit über 1000 Opfern. Die Polizei war vom Ausmaß der Gewalt, die kein Ende zu nehmen schien, völlig überfordert. Das Militär konnte zwar die Situation unter Kontrolle bringen und die Ausschreitungen stoppen, dennoch nicht ohne selbst viele unschuldige Opfer durch das willkürliche Erschießen von Menschen zu verursachen. Nach diesen Unruhen wurde in Jos die „Special Task Force“ stationiert, eine gemeinsame Operation von Polizei und Armee, die für Sicherheit und Ordnung v.a. bei Unruhen sorgen sollte. (ICG 2012, S. 21) Die Einwohner aus beiden Konfliktparteien waren anfangs optimistisch und bereit sich zu engagieren um der Operation zum Erfolg zu verhelfen. Doch es hat sich bald herausgestellt, dass die STF ihre Mission nicht erfüllen kann und dazu noch Teil des Problems geworden ist. Mit Ausnahme von wenigen Fällen, wo die Intervention der STF in einigen Gebieten die Spannung abgebaut hat, sind die Einwohner eher unzufrieden mit ihrer Präsenz gewesen. Die BAA haben darüber geklagt, dass Offiziere der STF mit den Hausa-Fulani konspirieren würden v.a. Viehzüchtern bei Angriffen an einheimischen Bauern helfen. Soldaten würden ihre Waffen für Autos und Luxusgüter verkaufen und ihre Pässe und Ausweise würden in Krisengebieten gefunden. Aufgrund ihrer Parteilichkeit und Inkompetenz ist die Zahl der Angriffe und Todesfälle sogar bis 2010 angestiegen. Nur die Proteste der Frauen gegen STF im Jahr 2010 konnten eine Verbesserung bewirken, indem sie die Bundesregierung dazu bewegt haben, das nahezu ganze Kontingent mit 850 neuen Soldaten auszutauschen. Heutzutage ist die STF mehr bemüht, das Vertrauen der Einwohner zu gewinnen und in ihren Aufgaben besser abzuschneiden.
Zu den zivilen Maßnahmen gehört die Einrichtung von gerichtlichen Untersuchungsausschüssen sowie das Organisieren von Friedenskonferenzen auf Bundesstaatsebene nach den all den bekannten Gewaltepisoden von 2001, 2004, 2008 und 2010. Das Ziel war, die fernen und unmittelbaren Ursachen der Krise zu ermitteln und durch den Dialog zwischen den Vertretern ethnischer Gruppen und Religionsgemeinden die Grundlagen für die Rückkehr des Friedens zu schaffen. Die wichtigsten darunter sind der Gerichtliche Ermittlungsausschuss von Richter Niki Tobi zu der Krise von 2001, der Ermittlungsausschuss von Richter Bola Ajibola zu den Unruhen von 2008, die Präsidiale Friedenskommission zum Bundesstaat Plateau im Mai 2004 und die nachfolgende Friedenskonferenz von Plateau im selben Jahr sowie der präsidiale Beratungsausschuss zu der Jos-Krise März-April 2010. (ICG 2012, S. 20) In ihren Berichten haben die Ermittlungsausschüsse die Untersuchungsergebnisse veröffentlicht und dort Gründe und Verantwortliche der Unruhen namentlich genannt. Darüber hinaus haben sie Empfehlungen geschrieben, wie man die ereigneten Ausschreitungen zukünftig verhindern kann. Leider wurden diesen Empfehlungen weder von der Bundesregierung noch von der Regierung Plateaus richtig Folge geleistet trotz der scharfen politischen Rhetorik und auch die dort genannten Verantwortlichen für die Gewalteskalation wurden nicht zur Verantwortung gezogen. Ähnlich ist es auch mit den Friedenskonferenzen verlaufen, trotz des zum Teil großen Organisationsaufwandes. So war die von der Bundesregierung organisierte 1-monatige Friedenskonferenz von Plateau im Jahr 2004 während des Ausnahmezustandes, eine ziemlich große und teure Veranstaltung. Ihre Ergebnisse waren dennoch nicht weitreichend genug und es gab auch keine Nachfolgekonferenzen. (ICG 2012, S. 20)
Nachdem der Einsatz der „Special Task Force“ (STF) nicht die erwünschten Ergebnisse im Konfliktmanagement lieferte und sogar den Konflikt durch Parteiergreifung und falsches Verhalten einiger Soldaten und Offiziere noch verschärfte, richtete die Regierung von Plateau, unter der Führung des ehemaligen Gouverneurs Jang und mit Unterstützung der Bundesregierung Nigerias durch eine Sondererlaubnis für eine neue Sicherheitstruppe, im Juni 2010 Operation Regenbogen (Operation Rainbow) ein, welches ein Friedensbildungs- und Sicherheitserhaltungssystem für Plateau zu sein beansprucht. (Haruna/Bekuma/Elias 2017, S. 33f) Das vorrangige Ziel der OR ist Frieden zu schaffen, um den Bundesstaat wieder zu einem sicheren Ort für die Wiederbelebung der Wirtschaft und des Dialogs zwischen den Ethnien zu machen. In ihrer Konzeption ist OR eine Mischung aus militärischen und zivilen Sicherheitsmaßnahmen und beinhaltet die Zusammenarbeit aller lokaler und föderaler Sicherheitsbehörden einschließlich der Nigerianischen Polizei, der Nigerianischen Arme, dem Staatssicherheitsdienst, der Immigrationsbehörde, dem Nationalen Amt für Strafvollzug und Drogenbekämpfung etc. (ICG 2012, S. 22) In diesem Sinne sollen vierteljährliche Treffen mit Interessenvertretern und dem Gouverneur gehalten werden sowie viele Workshops zur Konfliktüberwachung, Frühwarnung und frühzeitiger Reaktion.
Das Besondere an OR ist die Schaffung der zivilen Sicherheitstruppe Nachbarschaftswache 2012 und der Synergie zwischen ihr und dem formellen Sicherheitssektor. (Ogbozor 2016, S. 6) Durch die Nachbarschaftswache werden Angehörige verschiedener ethnischen Gruppen, vor allem der indigenen Volksgruppen in der gemeinnützigen Arbeit einbezogen und das Vertrauen der Bevölkerung an Sicherheitskräften wieder aufgebaut. Dafür wurden bereits Mitte 2012 ca. 4000 aus allen Bezirken Plateaus rekrutierte junge Leute als Anwärter vom OR-Team in Zivilverteidigung, Informationssammlung und gemeinschaftlichen Schutzmaßnahmen ausgebildet und zurück in ihren Gemeinden als Mitglieder der zivilen Polizeitruppe eingesetzt. Vor Ort sind sie für Aufgaben wie das Sammeln von Informationen zur Sicherheitslage, unterstützende Sicherheitswache einschließlich den Schutz der Gemeinde vor Terroristen durch die gewaltfreie Entwaffnung im Rahmen der Selbstverteidigung zuständig. (ICG 2012, S. 22)
Das OR-Programm geht noch über die bereits genannten Maßnahmen in der Dimension der physischen Sicherheit (physical security) hinaus. Es enthält auch Schulungen und Ausbildungskurse für Frauen und Jugendliche im Rahmen der Armutsbekämpfung wie z.B. der 3-monatige Kurs in Nähen, Stricken und Gastronomie, an dem Frauen aus den Krisenherden und in ethnisch-religiös gemischter Konstellation teilnehmen, oder die Berufsausbildung in der Landwirtschaft. Solche Maßnahmen realisiert OR nicht allein, sondern in enger Zusammenarbeit mit den NROs vor Ort. Finanziert wird sie hauptsächlich von der Regierung Plateaus, einzelne Projekte können dennoch mit Finanzierung aus bestimmten internationalen Organisationen wie die UNDP ermöglicht werden. (ICG 2012, S. 23)
4 Friedensinitiativen der Zivilgesellschaft. Die Arbeit der SFCG in Kooperation mit lokalen NROs
4.1 Aktivitäten der NROs in Jos im Bereich Konfliktmanagement und Friedensbildung
Angesichts der komplizierten Natur des ethno-religiösen Konflikts und des Ausmaßes an Gewalt sowohl in der Hauptstadt Jos als auch im ganzen Bundesstaat, des Scheiterns nigerianischen Regierungen den Konflikt mit Polizei- und Militäreinsatz zu deeskalieren und nachhaltig zu stoppen, sind zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen (CSOs) eingeschritten. Das sind lokale und internationale Nichtregierungsorganisationen (NROs), religiöse, kulturelle und Basisorganisationen, die sich mit ihren zahlreichen Aktionen nicht nur für die Linderung des Leidens bei den betroffenen Bevölkerungsgruppen, sondern auch für die Beendigung des Konflikts und die Rückkehr zum friedlichen Zusammenleben bemühen. Für das letzte ist unter anderen die (Wieder-)Herstellung der Kommunikation und des Vertrauens zwischen den Konfliktparteien nötig. (Auwal 2014, S. 147) Daher besteht die Arbeit der vor Ort im Bereich der „peace-building“ tätigen NROs in Aktivitäten und Projekten, welche auf Versöhnung, Toleranz, Schaffung des Bewusstseins über die wahren Gründe des Konflikts sowie des gegenseitigen Verständnisses abzielen.
Insgesamt umfasst der Einsatz der NROs in Plateau – die meisten mit Sitz in der Hauptstadt Jos – eine breite Palette an Maßnahmen, die von der Verteilung von Hilfsgütern und Bereitstellung medizinischer Hilfe für Betroffene bis zur Bildung von Friedensteams und Organisation von Friedenskonferenzen reichen. Zusammengefasst können diese in zwei große Bereiche eingeordnet werden:
Leistung humanitärer Hilfe während der Gewaltepisoden oder danach
Viele religiöse NROs, des christlichen und muslimischen Glaubens, wie z.B. die Christliche Vereinigung Nigerias (Christian Association of Nigeria, CAN), die muslimische Dachorganisation „Gesellschaft für die Unterstützung des Islams“ (Jama’atul Nasril Islam, JNI), das interreligiöse und interethnische Komitee (JDPC) der Katholischen Kirche geführt vom Erzbishop Kaigama, die Gemeinschaft der Kirchen Kristi in Nigeria (TEKAN) aber auch andere, nicht religiöse wie die NRO Interfaith Mediation Centre (IMC) haben Hilfsgüter - Nahrung, Kleidung, Sanitätsmaterialien und Medikamente – an die Opfer der Gewaltausschreitungen und in den Flüchtlingslagern für die Binnenvertriebenen verteilt. Das nigerianische Rote Kreuz zusammen mit der Nationalen Agentur für Krisenmanagement (NEMA) und UN-Agenturen haben medizinische und logistische Unterstützung für die Flüchtlingslager zur Verfügung gestellt. Aus der Zusammenarbeit der internationalen NRO Ärzte ohne Grenzen (MSF) mit der nigerianischen CEPAN ist eine Klinik (Yelwa) entstanden, in der Opfer für ein Jahr kostenlos behandelt werden konnten. Die Ärzte der MSF bildeten auch Einheimische in Erste-Hilfe-Versorgung aus, während das Internationale Zentrum für Versöhnung (ICR) vor Ort Beratung zur Traumabewältigung bereitstellte. (Chima/Alokpa 2015, S. 65f) Die hier dargestellten Aktivitäten der NROs in humanitärer Hilfeleistung sind nur ein Teil von Aktivitäten dieser Art, welche in Plateau stattgefunden haben und gehören zu Maßnahmen im Rahmen des Konfliktmanagements.
„ Peacebuilding“-Aktivitäten
Laut einer Definition vom ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, Boutros Boutros-Ghali bezeichnet Peacebuilding – auf deutsch meistens Friedenskonsolidierung/Friedensförderung übersetzt - jene „Handlungen zur Identifizierung und Förderung von Strukturen, die geeignet sind, den Frieden zu stärken und zu konsolidieren, um einen Rückfall in den Konflikt zu vermeiden." (Boutros-Ghali, VN 1992). Hierzu gehören demnach alle Aktivitäten der NROs in Plateau, die der Wiederherstellung und Förderung des Friedens gewidmet sind. Zu Peacebuilding gibt es mehrere Definitionen, welche die Bandbreite der Handlungen unterschiedlich festlegen. Auf dem gemeinsamen Nenner jedoch umfassen diese Handlungen Aktivitäten zur Friedenserziehung (peace education), Mediation, Förderung von „good governance“, Errichtung von Frühwarnsystemen bis zur Beseitigung von Konfliktursachen.
Sowohl lokale als auch internationale NROs arbeiten in Plateau unermüdlich für einen nachhaltigen Frieden seitdem der Konflikt ausgebrochen ist. Wichtige nigerianische NROs im Bereich des Peacebuilding sind das interreligiöse und interethnische Komitee (JDPC) Jos der Katholischen Kirche geführt vom Erzbishop Kaigama, das Zentrum für Friedensförderung in Nigeria (CEPAN), YACPIF sowie die religiösen Organisationen Christliche Vereinigung Nigerias (Christian Association of Nigeria, CAN), die Gemeinschaft der Kirchen Kristi in Nigeria (TEKAN) und die muslimische Dachorganisation „Gesellschaft für die Unterstützung des Islams“( JNI). Ihre Aktivitäten sind Friedenskonferenzen, Seminare und Workshops in Friedenserziehung, Frühwarnung und Konfliktvermittlung. So organisierte JDPC Jos u.a. ein Ausbildungsseminar in Friedensförderung für 102 Gymnasiallehrer aus allen 17 LGAs im Jahr 2016 (Pulse News Agency, 19.11.2016) während YACPIF im Februar 2012 ein Forum für Dialog und Friedensförderung und Konfliktvermittlung mit breiter Teilnahme von Religionsführern, kommunalen Führungspersonen und Vertretern der NROs in Jos sponserte und noch einen Fußballturnier mit Mannschaften aus den verfeindeten Gemeinden in acht Veranstaltungsorten, die als 'No-go-area' galten, organisierte. (Daily Trust, 9.2.2012) Die NRO Interfaith Mediation Centre (IMC) für den Dialog zwischen Muslimen und Christen hat u.a. Selbstverwirklichungsprogramme für die ehemalige Jugendmiliz sowie Ausbildung für junge Leute in Frühwarn- und Frühreaktionsmechanismen in Jos angeboten. Außerdem wurde durch ihre Mitwirkung in Yelwa die Ausarbeitung und Unterschreibung einer Friedenserklärung erreicht. (Auwal 2014, S. 134)
Zu den wichtigsten internationalen NROs zählen das Henri-Dunant-Zentrum für humanitären Dialog (HD Centre) , das Zentrum für Friedensinitiativen und Entwicklung (CEPID), Apurimac Onlus, das Internationale Zentrum für Versöhnung (ICR) sowie Search for Common Ground (SFCG). Die Arbeit der Apurimac Onlus besteht in der wirtschaftlichen Stärkung der Frauen und jungen Leute durch die Förderung in ihren Berufsbildungszentren, die in verschiedenen Gebieten des Plateau Staates verteilt sind. Das HD-Zentrum betreibt Versöhnungsarbeit, Vermittlung und Dialog zwischen den ethnischen Gruppen in den LGAs Jos Nord und Jos Süd und deren südlichen Umkreis. Am 19. August startete sie ihren interkommunalen Dialogprozess, der auf Toleranz, religiösen und kulturellen Respekt sowie „good Governance“ baut und vertrauensbildende Maßnahmen erzielen soll, die von den Gemeinden selbst entwickelt und umgesetzt werden. (Alao 2015: Daily Trust) ICR hat in Yelwa Beratung zur Traumabewältigung angeboten und ein Friedenszentrum mit einem Friedenskomitee in Yelwa eingerichtet, wo u.a. über die Aktivitäten zur Friedenskonsolidierung in jeder Gemeinde jede 6 Monaten ausgetauscht wird. Die NRO SFCG arbeitet in Plateau in den schwierigsten LGAs mit verschiedenen umfangreichen Projekten zur Erreichung eines nachhaltigen Friedens. Ihr breit gefächertes Projekt „Plateau will Arise!“ wird im folgenden Abschnitt ausführlich dargestellt, um einen tieferen Einblick in die Friedensarbeit einer zivilgesellschaftlichen Organisation zu gewinnen.
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