Jahrzehntelang musste ein Pharmaunternehmen nur Wirksamkeit, Qualität und Sicherheit eines neuen Arzneimittels belegen, um hierfür die Marktzulassung und die Kostenerstattung zu erhalten.
Diese Situation änderte sich 1993, als Australien erstmals ökonomische Evaluationen von neu zugelassenen Arzneimitteln verlangte, bevor sie in die Kostenerstattung aufgenommen wurden. Die so genannte vierte Hürde war geboren. In den Folgejahren führten weitere westliche Länder gesundheitsökonomische Evaluationen als Erstattungsvoraussetzung ein. Da die Preise für Arzneimittel die Zahlungs¬fähigkeit des Einzelnen oftmals übersteigen, ist die Kostenerstattung durch die Kostenträger unerlässlich für den Erfolg eines innovativen pharmazeutischen Produktes.
Dieser Entwicklung gingen stark steigende Gesundheitsausgaben voraus. Obwohl die Gesundheitskostenträger versucht haben, den Kostenanstieg durch verschiedene Maßnahmen wie Leistungseinschnitte oder höhere Patientenselbstbeteiligungen zu begrenzen, sind die Gesundheitsausgaben in der EU seit 1970 jährlich um 1,7 Prozentpunkte stärker gestiegen als das Wirtschaftswachstum. Dies ist allerdings kein EU-spezifisches Problem. Wurden damals im OECD-Durchschnitt etwas über 5 % des BIP für die Bereitstellung von Gesundheits¬leistungen ausgegeben, so sind es heutzutage fast 9 % - die USA als Ausgabenspitzenreiter wenden bereits heute über 15 % des BIP für Gesundheits¬ausgaben auf.
Die pharmazeutischen Unternehmen haben auf die veränderten Erstattungsbedingungen reagiert und beziehen heute den Nachweis des Produktmehrwerts in die Entwicklungsprogramme ein. Diese Informationen werden genutzt, um zu zeigen, dass ein Arzneimittel für das jeweilige Gesundheitssystem wirtschaftlich ist. Für die Schering AG und alle anderen pharmazeutischen Unternehmen, die der weltweiten Top 20 angehören, ist dieses Vorgehen heutzutage gängige Praxis.
Der Druck, mit den vorhandenen Ressourcen optimal zu haushalten, besteht nicht nur in westlichen Gesundheitssystemen. Die Nutzung von steigenden Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich der Gesundheitsökonomie hat dazu geführt, dass auch in Schwellenländern das Interesse an gesundheitsöko¬nomischen Evaluationen wächst.
Diese Entwicklung wirft allerdings auch eine Reihe von Problemen und Fragen auf. Gewonnene Erfahrungswerte, z. B. zur Zahlungsbereitschaft einer Gesellschaft für Gesundheitsleistungen, hängen immer auch mit der Wirtschaftskraft des jeweiligen Landes zusammen.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 1.1 Problemaufriss
- 1.2 Überblick
- 2. Hintergrund
- 2.1 Spannungsfeld zwischen Gesundheit und Ökonomie
- 2.2 Gesundheitsökonomie
- 2.2.1 Begriffsbestimmung
- 2.2.2 Schematische Übersicht der Betätigungsfelder
- 2.2.3 Aufgaben
- 2.2.4 Ursachen für die Notwendigkeit von Kostendämpfungsmaßnahmen
- 2.2.4.1 Stetiger Kostenanstieg im Gesundheitssystem
- 2.2.4.2 Öffentliche Hand als Hauptkostenträger
- 2.3 Begrenzung der Arzneimittelausgaben
- 2.3.1 Gründe
- 2.3.2 Bisherige Maßnahmen
- 2.4 Arzneimittelkostenerstattung
- 2.4.1 Bedeutung der Arzneimittelkostenerstattung für die Gesellschaft
- 2.4.2 Bisherige Hürden zur Erlangung der Arzneimittelkostenerstattung
- 2.5 Wirtschaftlichkeit - die vierte Hürde
- 2.5.1 Die vierte Hürde in der Diskussion
- 2.5.2 Gesundheitsökonomische Analyseverfahren
- 2.5.3 Methodische Aspekte gesundheitsökonomischer Bewertungen
- 2.5.3.1 Wahl der Perspektive
- 2.5.3.2 Kosten und Nutzen
- 2.5.3.3 Datenquellen
- 2.5.3.4 Wahl der Vergleichsintervention
- 2.5.3.5 Diskontierung
- 2.5.3.6 Sensitivitätsanalyse
- 2.5.4 Probleme bei der Übertragung internationaler Studienergebnisse auf nationale Fragestellungen
- 2.5.5 Health Technology Assessment
- 2.5.5.1 Health Technology Assessment Agentur
- 2.5.5.2 National Institute for Health and Clinical Excellence
- 2.5.5.3 Gesellschaftliche Zahlungsbereitschaft für Gesundheit
- 2.5.6 Pharmakoökonomische Richtlinien - Gemeinsamkeiten und Unterschiede
- 3. Pharmakoökonomische Evaluationen als Erstattungsvoraussetzung für Arzneimittel in Ungarn
- 3.1 Situation in Mittelosteuropa
- 3.1.1 Gesundheit und Gesundheitssysteme
- 3.1.2 Pharmakoökonomische Bestrebungen
- 3.2 Ungarn
- 3.2.1 Gesundheitssystem Ungarns
- 3.2.2 Preisfestsetzung und Kostenerstattung von Arzneimitteln in Ungarn vor der Einführung der vierten Hürde
- 3.2.2.1 Ablauf der Verhandlungen über die Preisfestsetzung und die Kostenerstattung
- 3.2.2.2 Kategorien der Kostenerstattung
- 3.2.3 Prozess zur Erlangung der Kostenerstattung von Arzneimitteln in Ungarn seit der Einführung der vierten Hürde
- 3.2.3.1 Ablauf des Verfahrens zur Erlangung der Kostenerstattung
- 3.2.3.2 Ungarische Richtlinien zur ökonomischen Bewertung von Gesundheitstechnologien und ihre Anwendbarkeit in der Praxis
- 3.2.3.3 Besonderheiten im Zusammenhang mit der vierten Hürde in Ungarn
- 3.1 Situation in Mittelosteuropa
- 4. Bedeutung der vierten Hürde in Ungarn für die pharmazeutische Industrie
- 4.1 Auswirkungen des gegenwärtigen Erstattungsverfahrens
- 4.2 Auswirkungen möglicher Entwicklungen im Zusammenhang mit der vierten Hürde
- 4.3 Sonderregelung im Zusammenhang mit der vierten Hürde
- 4.4 Generelle Handlungsempfehlung
- 5. Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Diplomarbeit analysiert die Bedeutung pharmakoökonomischer Evaluationen als Erstattungsvoraussetzung für Arzneimittel in Mittelosteuropa am Beispiel von Ungarn. Sie beleuchtet die Herausforderungen, die sich aus der Einführung der „vierten Hürde“ für die pharmazeutische Industrie ergeben, und untersucht die Implikationen für die zukünftige Entwicklung der Arzneimittelversorgung in Ungarn.
- Spannungsfeld zwischen Gesundheit und Ökonomie
- Gesundheitsökonomische Analyseverfahren und ihre Anwendung in der Praxis
- Pharmakoökonomische Evaluationen als Erstattungsvoraussetzung für Arzneimittel in Ungarn
- Auswirkungen der vierten Hürde auf die pharmazeutische Industrie
- Mögliche Lösungsansätze und Handlungsempfehlungen
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel 1: Einleitung: Dieses Kapitel stellt die Thematik der pharmakoökonomischen Evaluationen als Erstattungsvoraussetzung für Arzneimittel in Ungarn vor und liefert einen Überblick über die Relevanz dieser Thematik für die pharmazeutische Industrie.
- Kapitel 2: Hintergrund: In diesem Kapitel werden die grundlegenden Konzepte der Gesundheitsökonomie erläutert und das Spannungsfeld zwischen Gesundheit und Ökonomie beleuchtet. Es werden die Ursachen für die Notwendigkeit von Kostendämpfungsmaßnahmen im Gesundheitswesen und die Bedeutung der Arzneimittelkostenerstattung für die Gesellschaft dargestellt. Zudem werden die bisherigen Hürden zur Erlangung der Arzneimittelkostenerstattung und die Einführung der „vierten Hürde“ als Kriterium der Wirtschaftlichkeit diskutiert.
- Kapitel 3: Pharmakoökonomische Evaluationen als Erstattungsvoraussetzung für Arzneimittel in Ungarn: In diesem Kapitel werden die Situation in Mittelosteuropa und die gesundheitsökonomischen Entwicklungen in Ungarn beleuchtet. Der Schwerpunkt liegt auf dem ungarischen Gesundheitssystem, der Preisfestsetzung und Kostenerstattung von Arzneimitteln sowie dem Prozess zur Erlangung der Kostenerstattung seit der Einführung der vierten Hürde.
- Kapitel 4: Bedeutung der vierten Hürde in Ungarn für die pharmazeutische Industrie: In diesem Kapitel werden die Auswirkungen des gegenwärtigen Erstattungsverfahrens und möglicher zukünftiger Entwicklungen im Zusammenhang mit der vierten Hürde auf die pharmazeutische Industrie analysiert. Es werden Handlungsempfehlungen für die pharmazeutische Industrie in Bezug auf die Anpassung an die neuen Anforderungen im Rahmen des Erstattungsverfahrens in Ungarn gegeben.
Schlüsselwörter
Pharmakoökonomie, Gesundheitsökonomie, Arzneimittelkostenerstattung, Wirtschaftlichkeit, vierte Hürde, Health Technology Assessment (HTA), Mittelosteuropa, Ungarn, pharmazeutische Industrie.
- Arbeit zitieren
- René Schüler (Autor:in), 2005, Spannungsfeld Gesundheit und Ökonomie. Das Gesundheitssystem in Mittelosteuropa und sein Vorreiter Ungarn, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41237