"Haremsnovellen, die ich Dir vorgestern schrieb...". Die Schilderung des Harems in den Orientalischen Briefen von Ida Hahn-Hahn


Hausarbeit, 2014

18 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Ida Hahn-Hahns Reisemotiv

3. Brief XIV: „Besuch im Harem von Rifát Pascha“

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

"Zu den Haremsnovellen, die ich Dir vorgestern schrieb, liebster Bruder, [...]“[1]

Dieses Zitat stammt von Ida Hahn-Hahn, nachdem sie ihrem Bruder Ferdinand Graf Hahn in einem ihrer Orientalischen Briefe von dem Harem Rifát Paschas aus Konstantinopel berichtete.

So stellt man sich anfangs bei einem Harem auf Vorstellungen aus 1001 Nacht oder Aladdin und die Wunderlampe ein. Diese Stereotype und Vorurteile des westlichen Blicks auf den Orient untersuchte 1979 Edward Said in seinem Orientalismus-Diskurs, allerdings aus männlicher Perspektive. So war seine Analyse auf die von Männern verfasste Texte und Bilder gestützt.[2] Daher folgt die Frage: Wie aber nehmen Frauen einen solchen Ort wahr?

Der Untersuchungsgegenstand dabei ist der Reisebrief XIV: „Besuch im Harem von Rifát Pascha“, aus dem Werk Orientalische Briefe Ida Hahn-Hahns, der im Folgenden auf verschiedene Aspekte hin mit verschiedenen Fragestellungen analysiert werden soll:

Einerseits ist gerade die Adressierung des Briefs von besonderem Interesse, da Ida Hahn-Hahn die Haremsschilderung auch ihrer Mutter oder Schwester gleichen Geschlechts hätte schreiben können. Dennoch wollte sie gerade ihrem Bruder über den Harem berichten.Zum anderen soll untersucht werden, weshalb Ida Hahn-Hahn den Brief wählte und weshalb sie mit der Intention schrieb, dass die Orientalischen Briefe publiziert und somit einem breiten Publikum zugängig gemacht werden. Das bedeutet, welches Bild vermittelt Ida Hahn-Hahn ihrem Leser über den Harem? Wie nimmt sie Fremderfahrungen wahr und inwieweit konstruiert dies ihre eigene Identität? Wie werden die Reiseerfahrungen ihrerseits manifestiert und wie wird Alterität aufgenommen?

Dabei stütze ich mich größtenteils auf die Forschungsliteratur „Der weibliche Blick auf den Orient. Reisebeschreibungen europäischer Frauen im Vergleich“ und auf die von Yomb May: „Der Orient ... im Auge einer Tochter des Okzidents …: Ida von Hahn-Hahn und die (De-)Konstruktion kultureller Alterität in den Orientalischen Briefen“, da dort die meisten meiner zu untersuchenden Aspekte ausführlich behandelt und analysiert werden und sie in meinem Inhaltsverzeichnis die neueste Forschungsliteratur zu diesem Thema darstellen.

2. Ida Hahn-Hahns Reisemotiv

Nach der Scheidung ihres Ehemannes Graf Friedrich von Hahn begab sich Ida Hahn-Hahn auf erste Reisen, um den Schmerz zu verarbeiten und sich von diesem zu distanzieren.[3] Ihre Reiseerlebnisse verarbeitete sie in verschriftlichter Form, in sowohl Briefen als auch Romanen. Im Anschluss an den großen Erfolg ihres ersten Romans behielt Ida Hahn-Hahn das Reisen und die Schriftstellerei bei, sodass sie sich ab 1836 selbständig finanzieren konnte[4] und zur beliebtesten Schriftstellerin des Vormärz entwickelte.[5]

Im August 1843 unternahm Ida Hahn-Hahn in einem Alter von 38 Jahren gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Graf[6] Adolf von Bystram eine neunmonatige Reise in den Orient und beendete diese im April 1844[7], angekommen in Dresden. Ihre Reiseroute verlief von Dresden nach Wien, um dann nach Konstantinopel zu gelangen. Von dort aus nach Smyrna, Beirut, Damaskus und als Ritt über Kamel nach Jerusalem. Schließlich kehrte sie über Kairo, Alexandrien, Athen, Ancona und Triest nach Dresden zurück.[8]

Ihre Passion für den Orient wurde durch verschiedene Aspekte entfacht. So besaß Ida Hahn-Hahn schon von Kindheit an ein Erzähltalent, das ihr den Beinamen Sheherazade[9] verlieh, zum anderen schwärmte sie im Erwachsenenalter für George Byron, der ebenfalls eine Leidenschaft für den Orient hegte.[10] Außerdem regte der Ägyptenfeldzug Napoleons dazu an, dass seit Ende des 18. Jahrhunderts ein anhaltendes großes Interesse in Europa für diese Weltregion zustande kam.[11]

Als Orientalische Briefe wurden die Reiseberichte des Orients, die sie an ihre Mutter, Schwestern, Bruder und Freunde schrieb, 1844 akkumuliert und veröffentlicht. Hierbei ist zu erwähnen, dass Ida Hahn-Hahn die Briefe bewusst zur Veröffentlichung schrieb.[12] Je nach Adressat variierte sie die Inhalte und Themen der Briefe.[13] Die Orientalischen Briefe sind in drei Bände gefasst und gehören zu ihren erfolgreichsten und faszinierendsten Reiseberichten.[14]

Im Folgenden meiner Arbeit möchte ich mich auf ihr Reiseziel Konstantinopel beschränken, wo sie knapp vier Wochen verbrachte.[15] Den Besuch des Harems von Rifát Pascha hielt Ida Hahn-Hahn in einem Brief an ihren Bruder Graf Ferdinand Hahn fest, den ich im weiteren Verlauf auf die zuvor in der Einleitung genannten Aspekte analysieren möchte.

3. Brief XIV: „Besuch im Harem von Rifát Pascha“

Insgesamt verfasste Ida Hahn-Hahn sieben orientalische Briefe an ihren Bruder. Diese machen zwar im Gegensatz zum Gesamtwerk von 55 Briefen nur wenig aus, jedoch sind gerade die Themen, von denen sie ihrem Bruder schreibt, von besonderem Interesse. So beschreibt sie ihm unter anderem Bäder, Städte, Politik, Sklavenmärkte und den Harem, und richtet nicht von ungefähr ihre pikantesten Briefe an ihren Bruder.[16]

Den Brief beginnt Ida Hahn-Hahn mit der Adressierung „Lieber Bruder“ und leitet sofort weiter, dass es ihr eine „unglaubliche Satisfaction“ gebe, dass sie ihm heute mal von einem Ort erzählen könne, der ihm ansonsten vorenthalten werden würde (vgl. S. 260, Z. 1f)[17]. Schon der Anfang des Briefes ist programmatisch, denn sie versucht den Leser für die eingeschränkte Aussagekraft des Männerdiskurses zu sensibilisieren und ihn auf eine neue Sicht einzustellen.[18] Sie schließt dabei auf ein Thema, dass im 19. Jahrhundert in keinem Orientbericht fehlen durfte, nämlich dem Harem[19], welcher als Wohnbereich den Frauen und Kinder vorbehalten ist und nur vom Ehemann betreten werden darf.[20] Im Harem kommt ihr aufgrund ihres Geschlechts das Privileg zugute, aus diesem von zahlreichen männlichen Wunschprojektionen geprägten Raum authentisch berichten zu können, dass im Gegensatz zu den männlichen Reisenden verwehrt wurde[21], worauf die Autorin mit einer großen Genugtuung hinweist und sogar mit „Ma non le donne“[22] auf eine kleine Rache hinweist, da nämlich gerade den Frauen vieles vorenthalten werde (vgl. ebd., Z.4ff). Sie stellt ihr Erlebnis sogar noch über jene mit: „viel interessantere Geheimnisse[...], als auf jenen“ (ebd., Z. 6). In diesem Kontext zielt sie auf die Exklusivität und Authentizität ihres Berichts ab.[23] Außerdem greift die Reiseschriftstellerin hier auf das „Archiv des Wissens“[24] zurück, da sie in den Orient nicht unvoreingenommen aufbrach, sondern von vielfältigen Stereotypen und klischeehaften Vorstellungen geprägt war. Hier stellt der Harem vor allem einen exotischen, von vielen Wunschvorstellungen geprägten Raum dar, da sich diese Vorstellungen schon aus den Geschichten der Kindheit imaginieren lassen.[25] Prägend für diese Vorstellung ist jener fiktive Harem, der durch die Erzählungen aus 1001 Nacht vermittelt wurde.[26]

Im Anschluss auf ihre Exklusivität des Berichts, was sie mit den Worten „lebensgefährliche Expedition“ (ebd., Z. 12) unterstützt und somit nochmals zum Ausdruck bringt, dass der Ort nicht nur auf bestimmte Personenkreise begrenzt ist, sondern auch nur unter großen Schwierigkeiten zu erlangen ist[27], kommt Ida Hahn-Hahn auf den Ort zu sprechen, von dem sie ihrem Bruder berichten möchte: „Ich war heute im Harem von Rifát Pascha“ (ebd., Z.8f). Dazu muss man aber bemerken, dass es für damalige Verhältnisse schon ungewöhnlich und gefährlich war, als Frau an einen solchen Ort zu reisen.[28] Die Gefährlichkeit ihrer Reise veranschaulicht sie mit einem Vergleich:

Denn aus dem venetianischen Palast nach Rifát Paschas Wohnung am andern Ende von Konstantinopel zu gelangen, ist schwieriger als in Berlin die Friedrichstraße hinab, vom Oranienburger bis zum Halleschen Thor zu fahren:[...] (ebd., Z. 15-20).

In diesem Vergleich versucht sie das (orientalische) Fremde dem Eigenen anzupassen, wodurch die eigene Identität konstruiert wird und das in vielerlei Hinsicht.[29] So kann die Fremdheit auf Reisen für EuropäerInnen nicht nur als Basis zur Konstruktion des Eigenen im Hinblick auf kulturelle und nationale Identität fungieren, sonder auch zur Konstruktion des (weiblichen) „Selbst“, was letztendlich der Individualisierung dient.[30] Vor der Beschreibung der Anreise zum Harem legt Ida Hahn-Hahn noch ihr besonderes Privileg nieder, als Europäerin hinter die Kulissen des Harems schauen zu können und somit die Phantasien der Männerberichte durch Authentizität zu ersetzen:[31]

[...] denn mein lieber Bruder, so reizend Du Dir einen Harem vorstellen mögest,- ich muss Dir aufrichtig sagen: hat man zwei besucht, so sehnt man sich nicht nach dem dritten, und nur den ersten betritt man mit jenem Interesse, das auf der Unbekanntschaft beruht (ebd., Z. 10-15).

Ab hier wird klar, dass Ida Hahn-Hahn mit dem Anspruch auftritt, das überkommene, in den zeitgenössischen Reiseberichten konfigurierte und zum Teil spekulative Haremsbild der Männer zu relativieren.[32]

Darauf beschreibt sie, wie sie um 10 Uhr morgens aufbrachen, da die Türken frühe Stunden lieben würden (vgl. ebd., Z. 19f) und sich ihr durch den Unfall, den sie unterwegs hatten, das Gefühl der Schuldigkeit für diese Unfälle schuldig zu seien, einschleiche (vgl. S. 262, Z. 1ff.). Bei der Wohnung des Paschas angelangt, umschreibt sie die Einfahrt, die „aufs Allerkünstlichste“ bewerkstelligt werden musste und die Treppen, die mit „feinsten Matten“ geschmückt waren (vgl. ebd., Z. 8-11). Hier sickern die Bilder des märchenhaft verkleideten Orients durch, die mit Anspielungen auf den Reichtum und Pracht verdeutlicht werden.[33] Zudem schildert sie, dass viele Diener anwesend gewesen seien, „natürlich lauter Eunuchen“ (vgl. ebd., Z. 10). Auch hier lässt sich feststellen, dass Ida Hahn-Hahn nicht unvoreingenommen in den Harem aufbrach.[34] Es finden Begrüßungen mit der Schwester und der Frau des Rifát Paschas statt und sie schildert den Salon, welcher „ganz türkisch“ war (ebd., Z. 23), gibt ein paar negative Bewertungen dazu ab, wie Stühle von „unmodischer Form“ und „grell bemalte Wände“, um diese dann mit dem Kiosk des Großherrn bei den süßen Wassern zu vergleichen (vgl. S. 263, Z. 7-12). Hier trägt sie den europäischen Überlegenheitsanspruch mit sich und wertet hierarchisierend zwischen Fremden und Eigenem.[35] Sie geht darauf ein, dass nun der ganze Salon voller Frauen gewesen sei und die Sklavinnen den Dienst verrichteten, die Gäste zu versorgen. Dazu reichten die Sklavinnen die „bekannten kleinen bunten Porzellantässchen“ herum (ebd., Z. 22). Sie bemerkt, dass „man nur die Augen aufschlagen“ brauche (S. 264, Z. 5) und gleich eine Sklavin herbeigeeilt käme, um das kleine Geschirr sicher fortzutragen. Bei dem Prozedere hätten gerade die Nichte und die zwölfjährige Schwiegertochter des Paschas tätig mitgeholfen (vgl. ebd., Z. 12ff): „[...] aber nicht aufdringlich und ungeschickt – wie das oft der Fall bei unsern Kindern ist – sondern mit dem ruhigen Takt der Sklavinnen; denn das gehört zu ihrer Erziehung“ (ebd., Z. 15-18). Was zuerst wie ein Lob erscheint, sollte nicht irreführend sein. Denn auch hier tritt der „Überlegenheitsanspruch“[36] hervor, da sie gerade am Schluss des Briefes preisgibt, dass man Kinder nicht ihrer Kindheit berauben solle (vgl. S. 276). Sie beschreibt, dass nur Muchdar-Beys Mutter geraucht habe und der Rest wohl aus Rücksicht auf sie verzichtet hätte (vgl. S. 264, Z. 20f).

[...]


[1] Hahn-Hahn (1844), S. 278, Z. 4f.

[2] Vgl. Der weibliche Blick auf den Orient (2011), S. 7f.

[3] Vgl. Schaching (1903), S. 12.

[4] Vgl. Marquart (1995), S. 62.

[5] Vgl. Schmid-Jürgens (1933), S. 18.

[6] Vgl. dagegen Brisson (2009), sie betitelt den Lebensgefährten Ida Hahn-Hahns mit „Baron“, S. 245.

[7] Vgl. May (2010), S. 43. / Brisson (2009), S. 245. Marquart (1995) datierte die Reise hingegen bis Juni 1844, S. 58.

[8] Vgl. Marquart (1995), S. 58.

[9] Erzählerin der orientalischen Märchen aus 1001 Nacht.

[10] Vgl. Marquart (1995), S. 60f.

[11] Vgl. Habinger (2011), S. 31.

[12] Vgl. May (2010), S. 43.

[13] Vgl. Marquart (1995), S. 59.

[14] Vgl. Marquart (1995), S. 63.

[15] Vgl. ebd.

[16] Vgl. Schulzki-Haddouti (1995), S. 125.

[17] Im Folgenden beziehe ich mich mit den Zitaten auf Hahn-Hahn (1844): Orientalische Briefe, Band 2, S. 260-278.

[18] Vgl. May (2010), S. 47.

[19] Schulzki-Haddouti (1995), a rab. Haram = verboten.

[20] Vgl. ebd., S. 116.

[21] Vgl. Habinger (2011), S. 46.

[22] Italienisch: „Aber nicht die Frauen“.

[23] Vgl. Habinger (2011), S. 46.

[24] Said (1998), S. 74.

[25] Vgl. Habinger(2011), S. 37.

[26] Vgl. Stamm (2010), S. 283.

[27] Vgl. Schulzki-Haddouti (1995), S. 118.

[28] Vgl. May (2010), S. 42.

[29] Vgl. Habinger (2011), S. 33.

[30] Vgl. ebd., S. 36.

[31] Vgl. May (2010), S. 47.

[32] Vgl. May (2010), S. 44.

[33] Vgl. Habinger (2011), S. 36.

[34] Vgl. ebd., S. 37.

[35] Vgl. ebd., S. 32.

[36] Habinger (2011), S. 32.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
"Haremsnovellen, die ich Dir vorgestern schrieb...". Die Schilderung des Harems in den Orientalischen Briefen von Ida Hahn-Hahn
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Philosophie und Philologie)
Note
1,7
Jahr
2014
Seiten
18
Katalognummer
V412556
ISBN (eBook)
9783668639034
ISBN (Buch)
9783668639041
Dateigröße
558 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
haremsnovellen, schilderung, harems, orientalischen, briefen, hahn-hahn
Arbeit zitieren
Anonym, 2014, "Haremsnovellen, die ich Dir vorgestern schrieb...". Die Schilderung des Harems in den Orientalischen Briefen von Ida Hahn-Hahn, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/412556

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