Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Was ist Wahrnehmung?
3 Wahrnehmungsfehler
4 Wie kann die Polizei Wahrnehmungsfehler bei der Vernehmung entgegenwirken?
5 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Ein lauter Knall, ein dumpfes Geräusch, ein Auto fährt mit quietschenden Reifen davon. Nun ist es ganz still, sie drehen sich um und nehmen einen am Boden liegenden Mann wahr, der stark aus dem Brustkorb blutet.
Natürlich wissen Sie, was geschehen ist.
Stimmt es, dass der Mann die Straße passieren wollte und von einem Auto erwischt wurde, welches nun Fahrerflucht begeht? Ihre Antwort ist sicher: Ja!
Sie greifen zum Hörer und informieren die Polizei und bieten sich als Zeuge dieser Straftat an, die sie beobachtet haben.
Doch was haben sie tatsächlich gesehen?
Ein Knallzeuge ist eine natürliche Person, die Angaben zu einem bestimmten Vorfall macht, der außerhalb ihres Sichtbereiches lag. Dieser gibt an, den Vorfall tatsächlich gesehen zu haben, obwohl er erst durch die Geräuschentwicklung oder dem Visuellen eines Geschehnisses auf diesen aufmerksam wurde und hingesehen hat. Ab diesem Moment nimmt der Knallzeuge das Geschehen erst wirklich wahr. Aufgrund der Situation, seiner Erfahrung, der Beurteilung der sich darbietenden Lage schmiegt der Knallzeuge diese zu einem Gesamtbild, -geschehen zusammen. Man ist deshalb im eigentlichen Sinne kein Zeuge des Geschehnisses, sondern nur Zeuge der Vollendung der Tat, wie sie sich im Einzelfall darstellt.
Bis der Zeuge vernommen wird, festigt sich seine wahrgenommene Situation und das daraus hergeleitete Geschehen im Gedächtnis. Einige Unklarheiten oder Unstimmigkeiten im Ablauf werden neu überarbeitet und somit zu einem schlüssigen Gesamtgeschehen zusammengefügt. Bei der Vernehmung wird dieser Hergang des Geschehnisses dem vernehmenden Beamten als Wahrheit verkauft.
Das ist eine von mehreren Fehlerquellen der Wahrnehmung von Zeugen bei der Vernehmung. Zeugen sind natürliche Personen, die Angaben zu einem kriminalistisch relevanten Sachverhalt machen können, die den Ermittlungspersonen zur Aufklärung der Straftat dienen. Diese Angaben sollten Wahrheitsgemäß sein, um den „Richtigen“ der Strafverfolgung zuführen zu können. Daraus folgt, dass Wahrnehmungsfehler im Widerspruch zur Wahrheitsfindung im Polizeiberuf stehen.
Da die Vernehmung von Zeugen elementar für meinen zukünftigen Beruf ist, möchte ich mich in meiner folgenden Hausarbeit mit dem Thema der Wahrnehmung, speziell mit Wahrnehmungsfehlern von Zeugen befassen. Es ist meiner Meinung nach wichtig zu wissen, dass Menschen nicht frei von Mängeln sind und nicht alle Aussagen zu hundert Prozent der Wahrheit entsprechen. Deshalb habe ich mir die Frage gestellt, welche Faktoren die Wahrnehmung von Zeugen beeinflussen. Um diese Frage zu beantworten werde ich zunächst die Wahrnehmung im Allgemeinen erläutern, um im Anschluss auf mögliche Wahrnehmungsfehler einzugehen und diese auf meinen Polizeiberuf zu beziehen. Zum Abschluss versuche ich mögliche Lösungsstrategien herauszuarbeiten, wie am besten mit Wahrnehmungsfehlern von Zeugen umzugehen ist und wie diese gegebenenfalls vorzubeugen sind, um so viele wahrheitsgemäße Aussagen wie möglich erlangen zu können.
2 Was ist Wahrnehmung?
Klube (2017) definiert Wahrnehmung „als ein bio-psycho-sozialer Vorgang, durch den der Mensch Informationen aus seiner Umwelt (äußere Wahrnehmung) und aus seiner emotional-psychischen Welt (innere Wahrnehmung, Gefühlswelt) erhält und sich daraus seine individuelle Wirklichkeit gestaltet (Welt-Sicht)“ (S. 113). Wahrnehmung ist ein Prozess, durch den der Mensch sich selbst und vor allem sein Umfeld erfährt (Murch & Woodworth, 1977). Sie kann als Informationsaufnahme beschrieben werden, die erfolgt, wenn mit der Umwelt in Beziehung getreten wird (Füllgrabe, Hornthal, Meier-Welser, Ploch & Trum, 1983). Im speziellen ist darunter die Aufnahme von Reizen und Eindrücke aus der Umwelt zu verstehen, die im Gehirn verarbeitet werden.
Sie gehört zu den Grundbedürfnissen eines jeden Menschen, denn durch Wahrnehmung werden diese Bedürfnisse gestillt. So befriedigt die Wahrnehmung zum Beispiel das Bedürfnis eines Menschen, sich in der Welt zurecht zu finden, indem dieser Informationen aus seinem Umfeld aufnimmt, um diese zu verarbeiten und auf seine konkrete Situation anzuwenden (Scheler & Haselow, 1994). Auf Grundlage der Wahrnehmung und die daraus resultierenden Denkprozesse werden Handlungsmuster entwickelt und gebildet, um in jeder erdenklichen Situation handlungsfähig zu sein. Im Umkehrschluss lässt sich sagen, dass das Handeln darauf aufbaut, wie der Mensch die Umwelt, sich selbst und sein Gegenüber wahrnimmt.
Im Wahrnehmungsprozess geht es darum, Informationen und Reize aus der Umwelt zu gewinnen und im Nervensystem zu verarbeiten. Zu den Reizen aus der Umwelt gesellen sich die eigenen Empfindungen und Erfahrungen, die im Laufe des Lebens unbewusst abgespeichert werden. Das Zusammenspiel von äußeren und inneren Erfahrungen wird Perzept genannt, welches der bewusste Wahrnehmungsinhalt ist (Murch & Woodworth, 1977).
Der Mensch ist darauf programmiert, seine Wahrnehmung zu nutzen, um sein Umfeld als konstante Realität anzusehen. Die Wirklichkeit, wie sie angenommen wird, findet ihren Ursprung in der Wahrnehmung, die abhängig von den Sinnesorganen ist. Durch sie werden die Reize aus der Umwelt aufgenommen, an das Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet. Die Sinnessysteme sind in fünf Abschnitten unterteilt. Einmal das visuelle System, welches mittels des Auges durch Sehen wahrnimmt. Dann gibt es das akustische System, welches sich auf die Ohren bezieht, mit denen der Mensch hört und die chemischen Systeme, wie das Riechen und Schmecken. Als vierten Sinn den Gleichgewichtssinn und die Haut, als letzten Sinn, mit der man fühlen kann und Wärmeempfindungen wahrnimmt (Murch & Woodworth, 1977).
Mit all diesen Sinnen wird das Umfeld wahrgenommen und eine Selektion wird durchgeführt. Aus der Flut unzähliger Sinneseindrücke wird herausgefiltert, was einem gerade wichtig erscheint. Einige Informationen werden bewusst und andere unbewusst wahrgenommen. Ebenso werden zahlreiche Informationen eher und andere weniger bevorzugt wahrgenommen. Auf der einen Seite ist das wichtig, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, auf der anderen Seite entgehen so viele Reize der Wahrnehmung, wodurch sie beschränkt wird. Demzufolge wird ein Großteil der Reizinformationen erst gar nicht von den Sinnesorganen wahrgenommen, geschweige denn abgespeichert (Scheler & Haselow, 1994). Die wahrgenommenen Reize werden im Gehirn mit bereits vorhandenen Informationen abgeglichen und mit Hilfe der Vorstellungskraft wird eine eigene Realität geformt, die für jedes Individuum plausibel scheint und die objektive Realität wiederspiegeln soll, obwohl sie rein subjektiv ist.
3 Wahrnehmungsfehler
Irren ist menschlich’ – eine Lebensweisheit, die auch auf (...) Zeugen (...) zutrifft. Im Gegensatz zum Lügner ist der Irrende nicht in der Lage, die Wahrheit zu sagen. Er hat nicht die Absicht zu lügen, er irrt einfach in der Wahrnehmung, in der Erinnerung oder bedingt durch ein Missverständnis. (Habschick, 2012, S. 370)
Menschen neigen dazu ihre erlebte Welt als objektive Realität anzusehen, obwohl sie ein reines Produkt ihres subjektiven Empfindens und ihrer Wahrnehmung, mit all ihren Fehlern, ist (Sticher, 2007). Sie streben danach handlungssicher zu sein, in jeder erdenklichen Situation, wodurch ungewisse und oft auch mehrdeutige Informationen als eindeutig, klar wahrgenommen und abgespeichert werden. Eine falsche Wahrnehmung einer objektiven Realität ist dann gegeben, indem die Wahrnehmungen komprimiert und vereinfacht werden (Sticher, 2007).
Werden Stimulationen der Sinnesorgane wahrgenommen, werden diese unbewusst abgespeichert. Jedoch erfolgt der Speicherungsprozess nicht wie bei einer Filmkamera. Das Gehirn speichert Teilinformationen, die wichtig erscheinen oder die unabhängig von ihrem Ursprung sehr auffällig sind ab. So erinnert man sich an bestimmte Momente, kann diese jedoch in keinem Zusammenhang mit dem was davor oder danach geschehen ist erzählen. Zudem gesellt sich, dass diese abgespeicherten Informationen im Laufe der Zeit verändert werden oder das Gehirn Teile der Information löscht oder unbewusst Lücken auffüllt. Der Mensch speichert keine Realität ab, sondern nimmt die Welt so wahr, wie sie sich für ihn darbietet und bildet daraufhin eine eigene Wahrheit. Diese Information gelangen in das limbische System des Gehirns und von dort aus in den Hippocampus. An dieser Stelle entscheidet sich, ob es in das Langzeit-, oder Kurzzeitgedächtnis abgespeichert wird. Über Nacht werden alle Informationen im Gehirn verarbeitet und mit bereits bekannten Erlebnissen in Verbindung gebracht (Artkämper & Schilling, 2014).
Eine Wahrnehmung ist immer konstruktiv. Das bedeutet, dass eine objektive Wirklichkeit wahrgenommen wird, welche während der Verarbeitung und Abspeicherung im Gehirn an Bedeutung gewinnt. Dazu gesellen sich die Erfahrungen und Informationen, die als Konstante abgespeichert wurden, um sie zu nutzen, um Lücken im Erlebtem plausibel aufzufüllen. Aus der objektiven Realität wird so eine individuelle Wahrnehmung, die als existierende, objektive Realität weitergegeben wird (Stadler, 1997).
Wahrnehmungsfehler können bei der Kenntnisnahme einer Information entstehen oder aber im weiteren Prozess, bei der Verschlüsselung dieser wahrgenommenen Information. Der Prozess ist damit jedoch nicht abgeschlossen, denn anbei folgt die Speicherung und so dann die Wiedergabe. All diese Zwischenstationen sind anfällig für Fehler (Artkämper & Schilling, 2014).
Dinge werden erst dann wahrgenommen, nach dem ein Auslösereiz erfolgt. Demzufolge muss etwas die Aufmerksamkeit erlangt haben, sodass diese Information wahrgenommen wird und im Nachhinein abgespeichert werden kann. Aber es gibt Grenzen in der Wahrnehmung. Es kann nicht alles und jedes kleinste Detail abgespeichert werden. Alles hängt von der Wahrnehmungsdauer, der eigenen Aufmerksamkeit und dem Sachzusammenhang ab (Artkämper & Schilling, 2014). Es werden nur die Dinge wahrgenommen, die einem von Bedeutung sind und die Aufmerksamkeit erregen durch Veränderung, Größe, Intensität, Wiederholung, Motivation und dem eigenen Interesse (Füllgrabe et al., 1983).
Als Erklärung für diesen bestimmten Vorgang lässt sich anführen, dass ein Opfer, welches von einem Täter mit einer Waffe angegriffen wird, später kaum eine Personenbeschreibung abgeben kann. In einem solchen Moment gibt es ganz viele Reize, die auf die betroffenen Personen einwirken. All diese Reize abzuspeichern wäre unmöglich und würde dazu führen nicht handlungssicher zu sein und vor allem nicht handlungsbereit.
Stress beeinflusst die Wahrnehmung ebenfalls, denn in einer solchen Situation arbeitet das Gehirn auf Hochtouren, um jederzeit bereit zu sein, sich zu wehren. Deshalb wird nur die Waffe und ihr Lauf wahrgenommen. Ein Tunnelblick entwickelt sich, welcher alles Irrelevante der Situation ausblendet. Wird nun eine Aussage vom Zeugen erwartet, wird es ihm schwerfallen, die Waffe korrekt zu beschreiben, weil die Wahrnehmung minimiert und konzentriert auf die Bedrohungsgefahr verengt wurde (Artkämper & Schilling, 2014).
Wahrnehmungsfehler entstehen aber auch durch die kognitiven Beschränkungen, die auf Erkenntnisprozessen beruhen. Zentralnervöse Faktoren sind die Aufmerksamkeit, die Motivation und die Abwehrmechanismen eines jeden Menschen (Krauthan, 2013). Die Psychologie versteht unter dem Einfluss der Aufmerksamkeit die selektive Wahrnehmung. Wenn fünf Menschen eine Straße passieren, jeder jedoch mit verschiedenen Dingen beschäftigt ist, folglich für verschiedene Aspekte der Umgebung ansprechbar ist, werden alle fünf Personen eine ähnliche, aber doch völlig unterschiedliche Straße wiedergeben (Krauthan, 2013). Dementsprechend wird nur ein Teil der vorhandenen Informationen wahrgenommen, wobei das Gefühl bei dem Betroffenen entsteht, die ganze Straße zu kennen und sie richtig wiedergeben zu können. Leicht geschieht es, dass im Nachhinein von Objekten geredet wird, die niemals Vorort gewesen sind. Sie wurden in der Zusammensetzung mit bereits bekannten vermischt. So werden aus drei Hunden, die eine Straße passieren, ein Hund und eine in Rot gekleidete Dame.
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