Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Donald Trump
3. Protestmusik
4. Analyse und Interpretation
4.1 Million Dollar Loan
4.2 Trump Is on Your Side
4.3 Tiny Hands
5. Zusammenfassung
6. Literatur
7. Diskographie
Anhang
1. Einleitung
Donald Trump ist unter anderem als unbeliebtester frisch gewählter Präsident in die Geschichte der USA eingegangen. Geschichte geschrieben hat ebenfalls der Women’s March – nämlich als die jemals größte Demonstration in den USA. Im Zuge des Protests gegen Donald Trump und dessen Politik wurden bereits etliche Protestsongs geschrieben – ein musikalisches Genre, das von einigen Autoren[1] bereits totgeglaubt war (vgl. Lynskey 2011, paraphrasiert in Spiegel Online 2017).
Drei dieser Protestlieder möchte ich in dieser Arbeit analysieren und interpretieren und dabei folgende Frage beantworten: Mit welchen musikalischen Mitteln wird der Protest in den Songs ausgedrückt und wie unterscheiden sich die Songs diesbezüglich? Die Fragestellung ist theoretisch damit begründbar, dass Analyse „[…] immer von der Hypothese aus[geht], dass die Gestalt der Musik und mögliche Anschlusshandlungen erklärbar zusammenhängen, diese also nicht willkürlich erfolgen“ (Doehring & Von Appen 2014: 221).
Zunächst werde ich kurz theoretisches Hintergrundwissen zu Donald Trump und zu Protestsongs aufführen. Dies ist wichtig, da in einer Analyse immer auch der Kontext betrachtet werden muss (vgl. ebd.: 219, 221). Danach werde ich kurz auf die Analyse populärer Musik eingehen und dann nacheinander die drei Songs Million Dollar Loan, Trump Is on Your Side und Tiny Hands bezüglich ihrer Harmonik, Melodik, Rhythmik, Instrumentalisierung und Songtexte analysieren, wobei ich nicht immer auf alle Elemente eingehen werde. Dabei werde ich auch auf einige Unterschiede und Gemeinsamkeiten hinweisen. Die Analyse des Songtextes ist wichtig, da sie beim Interpretieren der musikalischen Strukturen helfen kann (vgl. Everett 2012: 157). In einem abschließenden Kapitel werde ich die Ergebnisse zusammenfassen und einen Ausblick über weitere mögliche Forschungsfragen geben.
2. Donald Trump
Donald Trump gewann am 8. November 2016 die Präsidentschaftswahl und ist seit dem 20. Januar 2017 der 45. Präsident der Vereinigten Staaten. Trump unterscheidet sich von seinen Vorgängern darin, dass er vor seiner Präsidentschaft weder als Politiker tätig war, noch einen hohen militärischen Rang besaß. Trump gewann die Wahl, obwohl er nicht die Mehrheit der Stimmen der Wähler erhielt, also das sogenannte Popular Vote verlor. Das für das Wahlergebnis entscheidende Electoral College, also das Wahlmännergremium, gewann er hingegen. Mit einer Zustimmungsrate der Bevölkerung von circa 44 bis 48% war er der unbeliebteste zukünftige Präsident und später unbeliebteste frisch gekürte Präsident der USA (vgl. Kirk 2017; Agiesta 2017).[2] Trump hat unter anderem negative Schlagzeilen gemacht durch frauenverachtende und rassistische Äußerungen, durch die Beleidigung von Politikern und Veteranen, sowie den Eltern eines gefallenen Soldaten, durch die Verhöhnung eines behinderten Journalisten, durch seine negative Einstellung gegenüber der Medien und durch gewagte Behauptungen, die er nicht mit Fakten belegen konnte. Ein Beispiel für letzteres ist ist zum Beispiel der jüngst erhobene Vorwurf, Obama hätte den Trump Tower während des Präsidentschaftswahlkampfes abhören lassen.
Bereits seit seinem Wahlkampf und verstärkt seit seinem Wahlsieg wird in den USA, aber auch in vielen anderen Ländern, immer wieder gegen Trump protestiert. So beteiligten sich an dem Women’s March in den gesamten USA insgesamt zwischen 3.3 und 4.6 Millionen Menschen, was die Protestveranstaltung zur größten Demonstration in der Geschichte der USA macht (vgl. Waddell 2017). Im Zuge des Protests gegen Trump wurden sehr viele Protestsongs geschrieben. Einige Autoren sprechen sogar von einem Revival eines totgeglaubten Liedgenres (vgl. Lynskey 2011, paraphrasiert in Spiegel Online 2017).
3. Protestmusik
Stuhlfelder (2016: 294) bietet eine gute Definition des Begriffes der Protestmusik:
Protestmusik kann als der Teil von politischer Musik begriffen werden, bei dem Textautor, Komponist oder Interpret durch musikalisches Wirken bewusst auf politisch-soziale Missstände hinweisen beziehungsweise gesellschaftliche Veränderungen in Gang bringen wollen.“.
Das öffentliche Singen von Liedern diente schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Protestbekundung (vgl. ebd.: 293). Noch heute spielt Protestmusik bei politischen Bewegungen eine Rolle (ebd.) und hat das Ziel der Verstärkung und Verbreitung von Botschaften und Stellungnahmen bzw. Bildung der Menschen, aber auch der Aufforderung bzw. Motivation zur Teilnahme und der Rekrutierung neuer Teilnehmer (vgl. ebd.: 294; Manabe 2015: 12f., 28). Laut Widmaier (2005: 703) gehören zum Oberbegriff der politischen Lieder aber „[…] im weiteren prinzipiell auch unpolitische Lieder, die in bestimmten historischen Situationen politisch wirksam werden“.
Dem kollektiven (Mit)Singen und -Spielen des Publikums kann dabei eine wichtige Funktion zukommen, da dadurch zum Beispiel die Gruppenidentität, die Verbundenheit und der Mut gestärkt werden und den Mitsingenden Trost und Aufmunterung gespendet wird (vgl. Manabe 2015: 33; Stuhlfelder 2016: 295; Vandagriff 2016: 333, 335). Da allein das kollektive Singen des Protestsongs ein politisches Handeln ist (vgl. Stuhlfelder 2016: 303), wird dadurch vielen Menschen leicht ermöglicht, am Protest teilzunehmen (sei es auch nur durch Klatschen); auch wenn sie von diesem bisher nichts mitbekommen haben und nicht aktiv waren (vgl. Manabe 2015: 11, 33).
Neben der eben aufgeführten teilnehmenden Aufführung von Musik, gibt es auch präsentierende Aufführungen (vgl. Manabe 2015: 13).[3] In sozialen Bewegungen sind häufig beide der Aufführungsformen vorzufinden (ebd.). Viele der aufgezählten Effekte und Funktionen gelten auch für Protestmusik an sich, ohne, dass diese kollektiv gesungen wird.[4] So kann diese unter anderem auch dem Protest eine Emotionalität verleihen, die kollektive Identität stärken (vgl. Stuhlfelder 2016: 293) und die Protestierenden und deren Mitmenschen motivieren (vgl. Manabe 2015: 12).
Der Grad der Direktheit des Protests in den Songs kann stark variieren (vgl. Stuhlfelder 2016: 294) und hängt zum Beispiel davon ab, wo die Musiker die Songs aufführen, ob das Publikum für den Auftritt bezahlt hat (vgl. Manabe 2015: 23-27) und ob sich die Musiker dadurch im politischen System in Gefahr begeben. Robb (vgl. 2016: 229) berichtet, dass die Protestmusik, die der Popmusik zuzuordnen ist, tendenziell eher Slogans enthält, anstatt intellektuelle Argumente vorzustellen. In den USA macht Protestmusik nur einen kleinen Teil der kommerziellen Aufnahmen aus (vgl. Manabe 2015: 4). Dies gilt sicherlich auch für Deutschland.
4. Analyse und Interpretation
In diesem Kapitel werde ich drei kürzlich veröffentlichte Protestsongs daraufhin analysieren und interpretieren, mit welchen musikalischen Mitteln in ihnen der Protest ausgedrückt wird. Alle drei Lieder und Songtexte sind unmittelbar verfügbar und mussten nicht erst von mir erhoben werde, was sie zu nonreaktiven Daten macht (vgl. Parzer 2014: 241). Lediglich die Melodie des Refrains von Million Dollar Loan und die Harmonik in Trump Is on Your Side musste herausgehört werden. Für letzteres suchte ich mir Unterstützung durch einen Kommilitonen.
Alle drei Protestsongs sind der populären Musik zuzuordnen, welche weder Kunst- noch Volksmusik ist (vgl. Rösing 2012: 258) und „[…] die repräsentative Musik unserer Gegenwart“ darstellt (vgl. Appen et. al 2014: 7). Für die Analyse dieser Musik fehlen laut Doehring (vgl. 2012: 26) umfassende Handreichungen. Ich werde mich an einer von Doehring & von Appen (siehe 2014: 225ff.) beispielhaft vorgeführten Analyse orientieren.[5] Ich werde allerdings nur auf die Elemente eingehen, die mir für die Untersuchung meiner Fragestellung relevant erscheinen. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass meine Interpretation subjektiv ist und nur eine mögliche Interpretation darstellen kann, die möglicherweise von der Intention der Komponisten abweicht. Doehring und Von Appen (2014: 220) weisen ohnehin darauf hin, dass „[…] Musik nicht eine feststehende Bedeutung hat, die es zu erkennen gilt […]“. Ich werde mich in der Analyse der ersten beiden Songs auf die in den Musikvideos erklingende Musik beziehen, da diese frei zugänglich ist. Auf die Videos werde ich nur in wenigen eingehen, diese aber nicht analysieren. Dies würde den Rahmen der Arbeit sprengen.
Die ersten zwei Songs wurden im Rahmen des 30 Days, 30 Songs Projektes veröffentlicht (siehe 1000 Days, 1000 Songs). Innerhalb der 30 Tage vor der Präsidentschaftswahl am 10. Oktober 2016 wurde täglich ein Lied veröffentlicht, das Donald Trump und/oder seine Politik kritisiert oder allgemein die politische Lage in den USA thematisiert.[6]
4.1 Million Dollar Loan
Million Dollar Loan von Death Cab for Cutie war das erste Lied, das im Rahmen des 30 Days, 30 Songs Projektes veröffentlicht wurde. Dies macht es für die Analyse interessant, da ich vermute, dass die Projektleiter das erste Stück sehr bewusst ausgewählt haben, da es als repräsentativ für das Projekt gesehen werden könnte. Im Musikvideo ist ein als Donald Trump verkleideter Mann zu sehen, um den im Verlaufe des Videos eine Mauer gebaut wird.
Der Aufbau des Songs lässt sich folgendermaßen veranschaulichen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nach der zweiten Strophe wird der Hörer von den Refrain-Wiederholungen regelrecht erschlagen. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die dritte Strophe, da diese nur halb so lang ist wie die anderen Strophen. Ich vermute, dass die Wiederholungen des Refrains nicht nur eine ästhetische Funktion haben – schließlich würde ich diesen Teil als Ohrwurm bezeichnen – sondern ich glaube, dass die Wiederholungen auch die Kernaussage des Songs unterstreichen sollen: dass Donald Trump eben nicht nur einen „kleinen Kredit“ aufnahm, sondern eine Million Dollar von seinem Vater erhielt.
Auch in der Harmonik befinden sich nennenswerte Besonderheiten. Eine hervor-zuhebende Stelle des Songs ist der Übergang von der ersten Strophe hin zum Refrain. Bis zu dieser Stelle ist dem Hörer noch nicht bekannt, worum es in dem Song geht. Bisher wurde nur verraten, dass der Protagonist des Songs seiner Aussage nach sein Vermögen auf die „altmodische“ (nicht im negativ besetzten Sinne) Art und Weise gemacht habe und dass man dafür nur eine Sache benötige. Schließlich wird enthüllt, dass es sich dabei um einen Kredit in Höhe von einer Million Dollar handelt. Die Strophe endet in D-Moll und der Refrain beginnt in Bb-Dur, der Mediante von D-Moll und der Dominante von F-Dur. Meiner Meinung nach wird diese ‚Enthüllung‘ mit dem Wechsel auf die Mediante klanglich, als auch funktionsharmonisch, musikalisch geschickt unterstrichen und somit der Textzeile „A million dollar loan“ eine stärkere Ausdruckskraft verliehen.
Im Refrain bleibt D-Moll allerdings weiterhin in der Akkordfolge erhalten. Dies trägt zum eher melancholischen und nachdenklichen Klang des Songs bei.
Im letzten Abschnitt habe ich bereits das Ohrwurm-Potenzial des Refrains erwähnt. Diesen Aspekt der Melodik möchte ich nun genauer untersuchen. Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Wie in meiner (rhythmisch stark vereinfachten) Transkription zu sehen ist, sind alle wichtigen Melodietöne (b, d und f) Dreiklangstöne von Bb-Dur und stehen somit in Terzabständen.[7] Darüber hinaus befinden sich alle Töne innerhalb eines relativ kleinen Intervalls einer großen Sexte. Diese zwei Aspekte in Kombination mit der Tatsache, dass der Refrain auf dem gleichen Ton endet und startet, ermöglichen es, das Lied leicht nachzusingen und somit im Ohr zu behalten. Dass die Kernaussage des Protestsongs im Ohr bleibt, liegt sicherlich im Sinne der Komponisten.
Ich vermute, dass die Melodik und Rhythmik der Phrase „A million dollar loan“ nicht zufällig gewählt wurde. Der Anstieg der Tonhöhe beim letzten Wort erinnert an die Intonation, die Personen häufig verwenden, wenn ihre Aussagen dem Hörer völlig klar sein müssten. Aussagen, bei denen der Sprecher sich „ist doch klar“ denkt und seine Schultern nach oben zieht. Demnach könnten die Komponisten vielleicht der Meinung sein, dass es als keine Überraschung erscheint, dass Trump sein Vermögen nicht von selbst aufgebaut hat.
Eine weitere Stelle, an der die Melodie den Text unterstützt, befindet sich gleich am Anfang der ersten Strophe. Dort wird davon gesungen, dass der Protagonist nachts von einem hohen Punkt aus auf seine Stadt guckt. Dabei steigt die Melodie zu einem hohen Punkt bei „great height“ und fällt ab „looking down“ stets ab, so wie auch der Protagonist von oben auf die Stadt (herab) guckt.
Der generelle Sound des Stückes – ganz besonders aber das Klavier-Solo in der Break – ist eher melancholisch und nachdenklich, was mich beim ersten Hören überraschte.
Auf der Ebene der Rhythmik verfügt das Stück über keine Besonderheiten, die für die Analyse relevant sind. Die rhythmische Begleitung durch das Schlagzeug ist fast das gesamte Stück über gleichbleibend; ab 1:36min wird der Schlag auf der Zählzeit 3 stärker betont. Die Rhythmusverteilung des Textes ist nah an der gesprochenen Sprache gehalten und daher – trotz einiger Synkopen – leicht nachsingbar. Ich vermute, dass ein Grund dafür, dass Rhythmik und Harmonik des Liedes relativ einfach gehalten sind, sein könnte, dass die Komponisten möchten, dass der Hörer den Text versteht und sich auf diesen konzentriert.
Der stärkste Aspekt des Protests in dem Song ist nämlich eindeutig der Songtext. Neben den eindeutigen Benennung des Kredites und dessen Ursprungs („Call your father on the phone and get that Million dollar loan“) befinden sich im Text viele Metaphern, zweideutige Stellen und Anspielungen. Ich werde an dieser Stelle nicht auf alle eingehen können und möchte nur ein paar Beispiele aufführen. So ist gleich am Anfang mit „From a great height“ vermutlich der Trump Tower gemeint. Dies könnte aber auch noch metaphorischer gesehen werden und für Trumps große soziale Distanz zu seinen Wählern als Milliardär stehen. Ähnlich zweideutig ist der Satz „He's looking down on his city at night“. To look down on somebody bedeutet im Englisch nämlich nicht nur, physikalisch von einem erhöhten Punkt auf jemanden zu gucken, sondern auch, auf eine Person herabzublicken. Der vergoldete Raum („gilded room“) könnte außerdem metaphorisch für Trumps Reichtum stehen. Im Refrain singen Death Cab for Cutie „To cast the first stone, you'll need a million dollar loan“. Dies ist eindeutig eine Anspielung auf den Bibel-Vers „He that is without sin among you, let him first cast a stone at her“ (BibleHub). Was man also laut Death Cab for Cutie benötigt, um einen Stein auf andere zu werfen, also andere Menschen (auch mündlich) anzugreifen, ist nicht wie in der Bibel ein reines Gewissen ohne begangene Sünden, sondern ein großes finanzielles Vermögen – wie im Fall Donald Trump. Diese Kritik ist also ironisch ausgedrückt.
[...]
[1] Hier und auch in der gesamten Arbeit sind stets alle Geschlechter gemeint. Aus Gründen der Leserfreundlichkeit erlaube ich mir jedoch, im Text nur eine Form zu verwenden. Damit ist keine Wertung verbunden.
[2] Die Rate am Tag der Abgabe dieser Hausarbeit betrug 39%. Die aktuelle Rate kann auf der Internetseite Gallup nachgesehen werden.
[3] Im Originaltext von einem presentational style of performance und einem participatory style of performance.
[4] Vandagriff (vgl. 2016: 337) weist allerdings kritisch darauf hin, dass protest art, also der künstliche Ausdruck des Protests, oft getrennt sei von dem eigentlichen Akt des Protestierends.
[5] Doehring und Von Appen (siehe 2014: 225ff.) schlagen eine Analyse des formalen Aufbaus, der Harmonik, Melodik und Rhythmik, des Sounds und der Produktion, sowie des Songtextes vor.
[6] Aufgrund der großen Resonanz entschlossen sich die Projektleiter, das Projekt auf 50 Songs auszuweiten (QUELLE). Nach dem Wahlsieg Trumps beschlossen sie, das Projekt während der gesamten Amtsphase weiterzuführen und demnach in 1000 Days, 1000 Songs umzubenennen.
[7] An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, dass einige Autoren wie z.B. Peter Wicke „[…] die im Analyseprozess entstehende Notation von populärer Musik als ‘überaus problematisch‘ […]“ ansehen (vgl. Doehring 2012: 25).