Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Sprachwandel
2.1 Bedeutungswandel
3 Sprachsteuerung
3.1 Sprachsteuerung im Nationalsozialismus
3.2 Bedeutungswandel und Konnotation in der Sprache des NS-Regimes
3.2.1 Beispiel 1: Wortfeld 'Fanatismus'
3.2.2 Beispiel 2: Wortfeld 'Helden'
3.2.3 Beispiel 3: 'Propaganda'
3.2.4 Fremd- und Lehnwörter im Nationalsozialismus
3.3 Entnazifizierung der Sprache
3.3.1 Aus dem Wörterbuch des Unmenschen
3.3.2 Das Wörterbuch der „Vergangenheitsbewältigung“
4 Zusammenfassung
5 Literaturverzeichnis
6 Quellenverzeichnis
1 Einleitung
Sprache befindet sich zu keiner Zeit in einem fertigem Zustand und ist durch verschie-denste Einflüsse ständiger Veränderung ausgeliefert. Das liegt zum einen natürlich dar-an, dass eine Sprachgemeinschaft aus vielen einzelnen Individuen besteht und diese ver-schiedene Einflüsse zu der jeweiligen Sprache beitragen, zum anderen liegt es daran,dass Sprache durch verschiedenste Trends und sich daraus entwickelnden Konventionenbeeinflusst wird. Solche Entwicklungen geschehen meist auf relativ natürliche und un-bewusste Art und Weise, doch es gibt immer wieder Versuche, Sprache gezielt zu beein-flussen. Es gibt beispielsweise immer wieder Institutionen und Vereine, die sich für eineVeränderung der Sprache einsetzen, zum Beispiel gegen die Verwendung von Anglizis-men im deutschen Sprachraum. Solch eine Beeinflussung von Sprache kann auch durch-aus politisch motiviert sein. Besonders in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutsch-land war Sprache ein wichtiges Mittel der Propaganda, um die Leute durch Propagandavon den Zielen der NSDAP zu überzeugen.
Das Ziel dieser Arbeit soll es sein, bestimmte Begriffe aus ebendieser Zeit, die einenkompletten Bedeutungswandel oder eine Bedeutungserweiterung erfahren haben zu un-tersuchen und die Frage zu klären, ob eine Rückkehr zur ursprünglichen Bedeutungstattgefunden hat. Dazu ist es zunächst wichtig, näher auf die Begriffe 'Sprachwandel'und 'Sprachsteuerung' einzugehen. Anschließend sollen auf allgemeiner Ebene Beson-derheiten der Sprache im Nationalsozialismus herausgearbeitet werden. Im Folgendensoll dann auf einige Beispiele näher eingegangen werden, es wird ein kleiner Überblicküber den historischen Wandel der Bedeutung gegeben, eine Erläuterung zur gezieltenSteuerung der Bedeutung im Nationalsozialismus und es soll die Frage geklärt werden,ob dieser veränderte Bedeutung bis heute bestehen konnte. Daraufhin soll auf die Ge-genbewegung zur Sprache es Nationalsozialismus eingegangen werden, es folgt eine Er-läuterung zu dem Versuch, die Sprache zu „Entnazifizieren“, also Begriffe, die durchden Nationalsozialismus geprägt wurden, aus dem Sprachgebrauch zu streichen. Dazuwerden beispielhaft zwei Wörterbücher, die genau zu diesem Zweck entstanden sind,vorgestellt und kurz diskutiert.
2 Sprachwandel
Bei der Betrachtung des Sprachwandels ist vor allem zu beachten, dass ein solcher Prozess von einer Unmenge an Faktoren beeinflusst wird. Dadurch wird es schwer, Voraussagen zu treffen, doch rückblickend lassen sich sprachliche Entwicklungen recht gut nachvollziehen und oft an gesellschaftlichen Einflüssen festmachen.
Der Wandel der Sprache vollzieht sich über große Zeiträume. So ist der Schritt vomMittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen nicht von einem Tag zum anderen vollzo-gen worden sondern hat sich langsam über Zeiträume hinweg vollzogen. Dabei ge-schieht so eine Entwicklung nicht einmal gezwungenermaßen bewusst oder ist zielge-richtet. Es sind sogenannte „Invisible-hand-Phänomene“ (Keller 2006, S. 338), die sicham Prozess des Sprachwandels beteiligen. Nach Keller sind diese Phänomene solche,die sich unbewusst, ungeplant und nicht zielgerichtet vollziehen: „Eine natürliche Spra-che ist zwar Ergebnis menschlicher Handlung, nicht aber Ziel menschlicher Planung“(Keller 2006, S. 338).
Es gibt zwar immer wieder Versuche, die Veränderung von Sprache zu planen, gerade in Bezug auf politische Intentionen, doch auch hierbei handelt es sich um Invisible-hand-Phänomene, da letztendlich nicht voraussagbar ist, in welche Richtung solche Versuche gehen und ob Vorschläge zur Sprache von der Sprachgemeinschaft akzeptiert werden und sich etablieren können.
Es ist erstaunlich, dass sich eine so große Sprachgemeinschaft, wie die des Deutschen (aktuell fast 100 Millionen Muttersprachler), untereinander verständigen und Entwicklungsschritte in der Sprache mehr oder weniger gemeinsam vollzogen werden. Keller spricht hierbei von einer Koordination ohne Koordinator und vergleicht die Entwicklung von Sprache mit der Entstehung eines Trampelpfades:
„Trampelpfade entstehen, weil sich Menschen koordiniert verhalten, obwohl es keinen Koordinator gibt. Dieses simple Beispiel macht deutlich, woher die quasi-koordinierende Kraft kommt: Das Bestreben der Menschen, bei ihren Bewegungen Energie zu sparen, führt sie unter bestimmten Rahmenbedingungen dazu, den kürzesten Weg zu wählen, und dies wiederum hat die kausale Folge, dass die Graspflanzen in dieser Spur absterben und keine neuen Pflanzen nachwachsen.“ (Keller 2006, S. 339-340) Und ähnlich verhält es sich mit der Sprache: Aufgrund ähnlicher Handlungsmaximen(bei dem Trampelpfadbeispiel z.B.: „Energie sparen!“) wird ähnlich gehandelt und be-stimmte Verhaltensweisen oder Sprachangewohnheiten etablieren sich im aktiven Sprachgebrauch: Einer hat eine tolle Idee und wählt ein innovatives sprachliches Mittel, und die anderen machen es nach (Keller 2006, S. 340).
Zusammengefasst sind es nach Keller drei Faktoren, die den Sprachwandel erklären:zum einen die Motive des Sprechers (z.B. nicht missverstanden zu werden), die sprach-lichen Mittel, mit der diese Motive umgesetzt werden (z.B. das Vermeiden von Hom-onymen) und letztendlich die Folgen, die eine solche Sprachhandlung auf der Ebene derLangue nach sich zieht (z.B.: eine grundsätzliche Homonymenflucht) (vgl. Keller 2006, S. 341).
2.1 Bedeutungswandel
Um näher auf den Begriff des Bedeutungswandels eingehen zu können ist es notwendig,zunächst zu verstehen, was Bedeutung ist. Da dies nicht so einfach ist, wird 'Bedeutung'von dem Begriff 'Sinn' abgegrenzt, denn beides ist notwendig, um eine sprachliche Äu-ßerung zu verstehen.
Den Sinn einer Äußerung zu verstehen, bedeutet, zu verstehen, was der Sprecher in demspezifischen Kontext gemeint hat, wir bewegen uns also auf der Ebene der Parole. Aberum das Gemeinte zu verstehen, ist es notwendig - neben der Kenntnis über die Syntax,je nach Äußerung dem Verfügen über Kontext- und Weltwissen und Wissen über denGesprächspartner - auch die Bedeutung der verwendeten Worte zu kennen (vgl. Keller2006, S. 346), also die konventionalisierten Regeln für den „kommunikativ adäquatenGebrauch in Sätzen bzw. Äußerungen“ (Fritz 1974, S. 6) dieser Worte. Um also das Ge-meinte auf der Ebene der Parole zu verstehen, ist es notwendig die Mittel auf der Ebeneder Langue zu kennen. Keller fasst dies präzise zusammen: „Wer die Bedeutung einesAusdrucks kennt, kennt ein Mitteilungsmittel, wer den Sinn einer Äußerung kennt,kennt ihren Mitteilungszweck.“ (Keller 2006, S. 346).
Da die Bedeutung von Worten auf Konventionen beruht, wird damit schon impliziert,dass sie Veränderungen unterliegt, ob diese nun bewusst oder unbewusst vor sich gehen.Wichtig jedoch ist, dass solche Veränderungen der Gebrauchsregeln von Worten sichüber eine ganze Sprechergemeinschaft erstrecken. Dabei werden die Veränderungen je-doch auf der Ebene der Parole initiiert, Worte haben ihre Funktion im aktiven Sprachge-brauch in dem jeweils aktuellen Kontext und erst daraus hinaus können sich neue Be-deutungs- und Gebrauchskonzepte etablieren. Hier lässt sich wieder Kellers Trampel- pfadbeispiel anbringen: Verwendet ein Sprecher Worte in einem neuen oder leicht abge- änderten Bedeutungszusammenhang und ein Hörer nimmt dies wahr, erkennt es vielleicht als nützlicher oder praktischer an, so kann es dazu kommen dass der Hörer diesen Bedeutungszusammenhang ebenfalls verwendet.
3 Sprachsteuerung
Unter Sprachsteuerung oder -lenkung werden gezielte Maßnahmen zur Beeinflussungdes öffentlichen Sprachgebrauchs, die durch (oft staatliche) Institutionen initiiert wer-den. Solche Maßnahmen erstrecken sich von singulären Bedeutungsregelungen (die Re-gelung er Bezeichnung von Dingen, z.B. 'Zone', 'Mitteldeutschland' für die DDR bis indie 1960er Jahre), über die Festlegung der Bedeutung von Begriffen (Beispiele folgenweiter unten) bis hin zum Verbot der Verwendung bestimmter Begriffe (in bestimmtenKontexten). Solche Maßnahmen können zu einer meist temporären Änderung einesSprachsystems führen.
Bei der Sprachsteuerung bzw. -lenkung lassen sich verschiedene Prinzipien unterteilen. Zum einen gibt es die Sprachpflege, die meist eine beratende Bemühungen zur Verbesserung des Sprachgebrauchs an den Tag legt. Sie beruht auf der wissenschaftlichen Sprachkritik und folgt funktionalen, strukturellen, sozialen, historischen, sowie ästhetischen, kulturkritischen oder politischen Kriterien.
Die sogenannte Sprachregelung ist meist politisch motiviert. Es wird (staatlich) in den Sprachgebrauch eingegriffen, um Gebrauchsalternativen durchzusetzen oder den Gebrauchsrahmen einzugrenzen oder zu unterdrücken. Ebenfalls politisch motiviert ist die Sprachplanung, in der mithilfe von soziolinguistischen oder politischen Maßnahmen Kommunikationsprobleme gelöst werden sollen.
Mit solchen Eingriffen in den Sprachgebrauch geht häufig direkte oder indirekteSprachkritik einher. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Wertung häufig problematisch,da populärwissenschaftlich betriebene Sprachkritik oft im Widerspruch zu sprachwis-senschaftlichen Grundhaltungen steht. Dennoch gibt es eine Tendenz zu dem Versuch,Sprachkritik ohne die Aufgabe grundlegende sprachwissenschaftliche Erkenntnisse zubetreiben (vgl. Dodd 2011).
3.1 Sprachsteuerung im Nationalsozialismus
Sprache als wichtigstes Kommunikationsmittel der Menschen diente zu Propaganda-zwecken des NS-Regimes. Mit einer verbindlichen und einheitlichen Parteisprache soll-te nicht nur die Zugehörigkeit signalisiert werden, sondern die Bevölkerung sollte vonnationalsozialistischen Zielen überzeugt werden. Dies wurde aber nicht durch logische Argumentation vollzogen, sondern meist durch den besonderen Stil der Sprache:
„Man muß nur festhalten, daß sowohl eine Tendenz nach Knappheit und Eindringlichkeitvorhanden ist, als auch eine entgegengesetzte, die nach Verschleierung, Einnebelung etc.strebt und der bekannten Intellektfeindschaft entspricht.“ (Klemperer 1947, S. VIII)
Für die Vereinheitlichung der Sprache wurde zum Beispiel Unterricht für Gymnasiasten eingerichtet, der neben der NS-Ideologie auch die regierungsoffizielle Terminologie vermitteln sollte.
„Dabei sollten parteiorganisatorische Bezeichnungen bekannt gemacht, und - als ideologi-sches Ziel - festgelegte Interpretationen, Definitionen und Wertungen in der öffentlichenSprache und schließlich in der Allgemeinsprache überhaupt durchgesetzt werden.“(Schmitz-Berning 2010)
Doch um in allen Bereichen die Bevölkerung mit der Sprache des Nationalsozialismuszu erreichen (und zu überzeugen) musste diese auch in die Schriftlichkeit eingehen. Eswurden also sämtliche Medien der Nachrichtenvermittlung unter die Kontrolle des NS-Regimes gebracht, „mit dem Ziel der totalen propagandistischen Durchdringung der Be-völkerung“ (Schmitz-Berning 2010). Es wurden alle neu veröffentlichten Wörterbücherund Enzyklopädien überarbeitet und der Sprache der NS-Ideologie angepasst, Neuauf-lagen wurden ebenfalls entsprechend des Reglements der Sprache angepasst und mitBegriffen ergänzt. So nennt Schmitz-Berning in ihrem Aufsatz die steigende Anzahl vonNS- Vokabeln in den Auflagen des Duden von 1933, 1934 und 1941. In der Auflage von1934 findet man 180 ergänzte Vokabeln, in der Auflage von 1941 schon 883. Dass diebewusste Verbreitung von NS-Vokabular auf diesem Wege ein wichtiges Element in derPropaganda des Regimes waren, zeigt auch die Tatsache, dass Joseph Goebbels, derReichspropagandaleiter zu der NS-Zeit war, plante, derartig überarbeitete Wörterbücherin besetzten Gebieten zu verbreiten.
Für die Lenkung der Sprache vor allem auch in Zeitschriften war nicht nur eine Überarbeitung der Texte auf NS-Vokabular hin notwendig, es wurden bestimmte zensierende Vorschriften geltend gemacht, die unter anderem den Gebrauch bestimmter Begriffe auf einen Kontext eingrenzten. So sollten zum Beispiel nur deutsche Soldaten als „tapfer“ bezeichnet werden (vgl. Schmitz-Berning 2010).
Auf rhetorischer Ebene lassen sich nach Seidel/Seidel-Slotty drei Tendenzen der natio-nalsozialistischen Rede bestimmen. Zum einen wird bei Reden danach gestrebt, Aus-drücke zu steigern. Gleichzeitig sollen Ausdrücke knapp formuliert sein, um so eine Un-bestimmtheit des eigentlich Gemeinten zu bewirken, wie auch Klemperer es bereits er- wähnte. Die Rede soll den Hörer nicht rational überzeugen, doch durch seine 'einhäm- mernde' Wirkung soll „eventuelle Kritik und Ablehnung des Hörers durch den eindringlichen Schwall der Worte überrannt werden.“ (Seidel/Seidel-Slotty 1961, S. 1) Durch die Verwendung von Wörtern mit ideologischem Klang, die werthaft erscheinen und nationalsozialistische Tugenden und Ideale bezeichnen soll eine bestimmte, mitreißende Stimmung erzeugt werden, die die Hörer überzeugt, es soll nicht ein Gedanke verdeutlicht werden, der durch logische Argumentation überzeugt.
Schmitz-Berning widerspricht diesen Tendenzen darin, dass die Ideologie ihren Aus-druck letztendlich über den Wortschatz und nicht über „die Summe der rhetorische, sti-listischen Eigentümlichkeiten wie „Schwulst und Militarismus“, „Steigerung des Aus-drucks“, „Knappheit und Unbestimmtheit des Ausdrucks““ erlange (Schmitz-Berning1998, S. V). Solche rhetorischen Mittel kämen auch in anderen Formen von überzeu-genden Reden vor.
Zwar unterstreicht die Vortragsweise durchaus den Zweck propagandistischer Redenund auch die geänderter Bedeutung einzelner Wörter, doch ist deutlich geworden, dassauf den Versuch, nationalsozialistischen Wortschatz zu entwickeln und verbreiten, sehrgroßen Wert gelegt worden ist und durch den ideologische Werte vermittelt werden soll-ten. Wie auch Schmitz-Berning feststellt, wird der ideologische Wert des nationalsozia-listischen Wortschatzes „aus dem Kontext von Texten und Verwendungssituationen, ausKontrastwörtern und terminologischen Systemen“ (Schmitz-Berning 1998, S. V) deut-lich.
3.2 Bedeutungswandel und Konnotation in der Sprache des NS-Regi- mes
Durch eine Anhäufung bestimmter Wörter in bestimmten Kontexten in der nationalso-zialistischen Propaganda wurde ein Bedeutungswandel ebendieser Wörter bewirkt. Eswurden Modewörter geschaffen, die bestenfalls einen ideologischen Klang hatten. Innationalsozialistischen Propagandareden ist die Verwendung von werthaft erscheinen-den Wörtern, die die nationalsozialistischen Tugenden und Ideale bezeichneten zu be-merken. Dadurch sollte eine mitreißende Stimmung geschaffen werden und nicht be-stimmte Gedanken verdeutlicht werden, die die Menschen überzeugen. So flossen zumBeispiel militärische Begriffe in alle Bereiche der Sprache über,
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