Die Schwierigkeit der Klärung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Schreibtischtätern besteht darin, dass sie nicht eigenhändig am Verbrechen mitwirken. Allerdings leisten sie durch Organisation, Planung und Anordnung von verbrecherischeren Handlungen meistens einen großen Beitrag zur Tatausführung. Aus diesem Grund kann die Verantwortlichkeit von Schreibtischtätern für Verbrechen nicht verneint werden. Vielmehr ist in Hinblick auf strafrechtliche Funktionen die genaue Bestimmung der Form der Beteiligung von Schreibtischtätern von herausgehobener Bedeutung. Die Frage, ob ein Schreibtischtäter als Täter oder Teilnehmer zu bestrafen ist, lässt sich allerdings nicht ohne weiteres beantworten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die Gerichtspraxis mit der Aburteilung der durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft begangenen Verbrechen beschäftigen. Die Besonderheit dieser Verbrechen bestand darin, dass neben der Schuldklärung von unmittelbar ausführenden Personen, die Frage zu klären war, wie sich Personen strafbar gemacht haben, die zwar selbst an der unmittelbaren Tathandlung in keiner Weise mitgewirkt, allerdings die Tatausführung organisiert, geplant und mitgesteuert haben. Es ging somit um die Aburteilung von sogenannten „Schreibtischtätern“.
Das Problem der Aburteilung von Schreibtischtätern kommt allerdings nicht nur in Bezug auf die Bewältigung von nationalsozialistischen Verbrechen, sondern auch innerhalb anderer totalitären bzw. autoritären Systemen vor. So zum Beispiel haben die Mitglieder des Verteidigungsrates in der ehemaligen DDR die Tötung von Flüchtlingen an der deutschen Innengrenze durch die Mauerschützer ermöglicht. Auch während der Militärdiktatur in Argentinien unter Jorge Rafael Videla und der Präsidentschaft Alberto Fujimoris in Peru wurden zahlreiche Menschen durch staatliche Geheimdienste entführt, gefoltert und ermordet. Mit der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag ist das Problem der Verantwortlichkeit von mittelbar handelnden Machtinhabern auch für seine Rechtsprechung relevant geworden.
Inhaltsverzeichnis
- A. EINLEITUNG
- B. THEORETISCHE GRUNDLAGE
- I. Einheitslehre versus dualistisches Beteiligungssystem
- II. Abgrenzung Täterschaft und Teilnahme
- 1. Subjektive Teilnahmelehre
- 2. Objektive Teilnahmelehren
- 3. Tatherrschaftslehre
- 4. Formen der mittelbaren Täterschaft und das Problem der Zuordnung von Schreibtischtätern als mittelbare Täter
- a) Roxin: Willensherrschaft im Rahmen organisatorischer Machapparate
- b) Kritik an der Roxinischen Lehre
- aa)Schroeder: Die Beteiligung an Straftaten durch Mitarbeit in Organisationen
- bb)Schreibtischtäter als Mittäter
- cc)Schreibtischtäter als Anstifter
- C. GERICHTSPRAXIS
- I. Eichmann-Urteil
- 1. Zur Person und Tätigkeit während der NS-Herrschaft
- 2. Rechtliche Grundlage und Urteil
- 3. Diskussion zum Urteil vor dem Hintergrund der Roxinischen Theorie und kritischen Ansätzen
- a) Eichmann als mittelbarer Täter
- b) Eichmann als Mittäter
- c) Eichmann als Anstifter
- d) Zwischenergebnis
- II. Mauerschützen
- 1. BGHSt 40, 218-240: NVR-Mitglieder
- a) Urteilsbegründung
- b) Diskussion zum Urteil
- aa)Mitglieder des NVR als mittelbare Täter
- bb)Mitglieder des NVR als Anstifter oder Mittäter
- cc)Zwischenergebnis
- 2. BGHSt. 42, 65-71: Kommandeur
- a) Urteilsbegründung
- b) Diskussion
- c) Zwischenergebnis
- III. Rechtsprechung in Bezug auf die Verfolgung von Schreibtischtätern in Argentinien und Peru
- 1. Argentinien: Oberbefehlsinhaber der Militärjunta
- 2. Peru: Alberto Fujimori
- 3. Diskussion zu Urteilen
- D. VÖLKERSTRAFRECHT
- I. Beteiligungsformen im IStGH-Statut
- II. Übernahme der Lehre der Tatherrschaft
- 1. Die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft am Beispiel der Katanga/Ngudjolo-Rechtsprechung
- 2. Kritik an der Rechtsprechung des IStGH und Diskussion
- E. AUSBLICK UND DISKUSSION
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Seminararbeit befasst sich mit der mittelbaren Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate als Grundlage für die Verfolgung von „Schreibtischtätern". Die Arbeit untersucht die theoretischen Grundlagen der mittelbaren Täterschaft, insbesondere die Rolle der Willensherrschaft in organisatorischen Strukturen. Sie analysiert die Rechtsprechung in verschiedenen Gerichtsbarkeiten, einschließlich des Eichmann-Urteils, der Mauerschützen-Prozesse und der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). Ziel ist es, die Herausforderungen und Möglichkeiten der Strafverfolgung von „Schreibtischtätern" im Kontext der Organisationstäterschaft zu beleuchten.
- Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme im Strafrecht
- Die Rolle der Willensherrschaft und der Organisationsherrschaft bei der Strafbarkeit von „Schreibtischtätern"
- Die Rechtsprechung zur Verfolgung von Schreibtischtätern in verschiedenen Gerichtsbarkeiten
- Die Herausforderungen und Möglichkeiten der Strafverfolgung von „Schreibtischtätern" im Völkerstrafrecht
- Die Anwendung der Tatherrschaftslehre im Kontext von Organisationsherrschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das Thema der Arbeit vor und gibt einen Überblick über die Thematik der mittelbaren Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate. Kapitel B beleuchtet die theoretischen Grundlagen der Täterschaft und Teilnahme im Strafrecht, einschließlich der Tatherrschaftslehre und der unterschiedlichen Lehren zur mittelbaren Täterschaft. Kapitel C analysiert die Rechtsprechung in verschiedenen Gerichtsbarkeiten, wie dem Eichmann-Urteil und der Rechtsprechung zur Verfolgung von Mauerschützen. Kapitel D untersucht die Beteiligungformen im Völkerstrafrecht und die Anwendung der Tatherrschaftslehre im IStGH. Der Ausblick fasst die Ergebnisse zusammen und diskutiert die Herausforderungen und Möglichkeiten der Verfolgung von „Schreibtischtätern" im Kontext von Organisationsherrschaft.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Themen mittelbare Täterschaft, Schreibtischtäter, Organisationsherrschaft, Tatherrschaftslehre, Willensherrschaft, Strafbarkeit, Eichmann-Urteil, Mauerschützen, Völkerstrafrecht, IStGH, Strafverfolgung, und Rechtsprechung. Die Arbeit befasst sich mit der Anwendung von Strafrechtstheorien auf komplexe Organisationen und die Verfolgung von Straftaten in deren Rahmen.
- Arbeit zitieren
- Inga Abramova (Autor:in), 2017, Die mittelbare Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate zur Verfolgung von "Schreibtischtätern", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/414069