Die Reform der Arbeitslosenversicherung in Frankreich unter dem Aspekt der "Aktivierung" - neue Qualität oder Schönheitskorrektur des alten Systems?


Hausarbeit, 2005

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Konzept des Paradigmenwechsels nach Peter Hall

3. Zwischen Liberalismus und Universalismus – Dänemark und Großbritannien als Modelle divergierender Aktivierungsstrategien

4. Die Reformprozesse der Arbeitslosenversicherung in Frankreich – Schönheitskorrektur oder Paradigmenwechsel?
4.1 Kontinuität und Wandel – die Arbeitslosenversicherung bis
4.2. Neue Wege in der Aktivierung – Reformprozesse unter der Regierung Jospin
4.3. Intensivierung der neuen Logik – aktuelle Maßnahmen unter der Regierung Raffarin
4.4 Frankreich Arbeitslosensicherung zwischen Kontinuität und Wandel –Paradigmenwechsel durch verstärkte Aktivierung?

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im Zuge der Globalisierung und des zunehmenden Anpassungsdrucks, dem die Systeme der Sozialen Sicherung im Prozess der Europäischen Integration ausgesetzt sind, wendet sich die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung verstärkt Fragen der Konvergenz und Divergenz innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft zu. In diesem Zusammenhang wird zunehmend eine „Aktivierung“ der Systeme der sozialen Sicherung bemerkt. Besonders im Bereich der Arbeitslosenversicherung dominieren normativ aufgeladene Schlagwörter, wie Eigenverantwortung, „Employability“, „workfare“ oder Slogans wie „make work pay“ den internationalen Diskurs.[1] Im Mittelpunkt dieser Aktivierungsdiskussion steht oft die Suche nach einer neuen Balance zwischen Rechten und Pflichten der arbeitslosen Leistungs-empfänger. In vielen Ländern fanden oder finden Reformen statt, bei denen die Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln und Sanktionen, die Absenkung der Leistungen, verstärkte Förder-maßnahmen oder eine verstärkte Konditionalität zwischen Leistungsempfang und Eingliederung in den Arbeitsmarkt im Vordergrund stehen. Zunehmend schwinden die Grenzen zwischen Beschäftigungs-, Sozial- und Steuerpolitik. Vielfach werden Wege fern der traditionellen Systemlogik betreten. So sind Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik oft zu einem Substitut oder wenigstens einer Bedingung für passive Leistungen geworden.

Diese Reformprozesse unterliegen einer im internationalen Vergleich gemeinsamen Dynamik, aber einer von Land zu Land variierenden Logik (Barbier 2002, 308). Dänemark und Großbritannien werden immer wieder als erfolgreiche Vorbilder divergierender Strategien im Bereich der Aktivierung präsentiert (Vgl. Tietz 2005, 32). Doch auch in unserem Nachbarland Frankreich fanden in den letzten Jahren Reformprozesse in der Arbeitslosenversicherung statt, die sich unter dem Gesichtspunkt der „Aktivierung“ betrachten lassen. Frankreich, welches vielfach als reformunfähig[2] und als der unbeweglichste unter den Wohlfahrtsstaaten eingestuft wird (Palier 2001, 52), wird von der vergleichenden Forschung aufgrund der Komplexität seines Systems als schwerzugänglicher Sonderfall oft vernachlässigt. Daher ist es besonders interessant, die dortigen Reformprozesse anhand analytischer Konzepte vergleichend einzuordnen. Hierbei stellt sich die Frage, wie einschneidend die Veränderungen der letzten Jahre sind und in welchem Ausmaß, im europäischen Vergleich, „Aktivierung“ eine Rolle spielte. Dies soll unter der Fragestellung, ob sich im Prozess der Reform der Arbeitslosenversicherung in Frankreich ein Paradigmenwechsel abzeichnet oder ob es sich nur um eine geringfügige Schönheitskorrektur handelt.

Zur vergleichenden Bewertung des Grades der Neuerungen und der verfolgten Aktivierungs-strategie, werden zwei Konzepte herangezogen. Um den Begriff des Paradigmenwechsels sinnvoll anzuwenden wird das von Hall (1993) entwickelte Konzept des „policy change“ dargestellt. Im Anschluss wird mit dem Aktivierungsbegriff nach Barbier (2002, 2004) ein Konzept vorgestellt, welches eine vergleichende Einordnung Frankreichs in das Spektrum europäischer Trends der „Aktivierung“ ermöglicht. Dabei wird auf die zwei Repräsentanten des polaren Aktivierungsmodells Dänemark und Großbritannien eingegangen. Im dritten Teil werden beide Konzepte auf eine Analyse der aktuellen Reformen der Arbeitslosen-versicherung in Frankreich angewendet. Den Schwerpunkt der Betrachtung liefern, ausgehend vom Regierungswechsel 1997, die Entwicklungen im Zusammenhang mit der Reform der Arbeitslosenversicherung, welche im Jahr 2000 von den Sozialpartnern angestoßen wurde. Dabei wird auf mit diesen Prozessen verbundene Entwicklungen im Bereich Arbeitsmarkt-[3], Steuer- und Sozialpolitik sowie mögliche Erklärungen, die das Ausmaß der Reformen beeinflusst haben könnten, eingegangen.

2. Das Konzept des Paradigmenwechsels nach Peter Hall

Um die im Prozess der Reform der Arbeitslosenversicherung in Frankreich vorzu-findenden Veränderungen als signifikant einordnen zu können, sind klare Bewertungskriterien notwendig. Damit solche Bewertungen nicht allein auf der Basis quantitativer Indikatoren, wie der Veränderung von Leistungshöhen festgemacht werden müssen, helfen die Arbeiten von Peter Hall (1993) weiter. Sie liefern Kriterien, anhand derer sich der Grad von Politikwandel bewerten lässt.

Hall (1993, 278) charakterisiert ein Politikfeld anhand dreier Variablen: den übergreifenden Zielen, die die Politik in einem bestimmten Feld leiten, den angewendeten Instrumenten und Techniken um diese Ziele zu erreichen und deren konkreter Ausgestaltung. Anhand dieser drei Variablen unterscheidet Hall einfache Lernprozesse und tiefe Trans-formationen, indem er drei Intensitätsgrade des Politikwandels identifiziert. Wird nur die letzte Variable, also die Ausgestaltung der Instrumente verändert spricht Hall von einem Politikwandel erster Ordnung. Dabei handelt es sich um Phasen von „Normalpolitik“, in denen im Lichte von Erfahrung und neuen Informationen routinemäßige Politikanpassungen der Ausgestaltung der Instrumente stattfinden. Dieser Wandel findet im alltäglichen Prozess der Entscheidungsfindung statt und impliziert keine Infragestellung des bestehenden Paradigmas (Hall 1993, 279 ff.). Die Einführung neuer Instrumente, ohne die dahinterliegenden Ziele zu verändern, bezeichnet Hall als Politikwandel zweiter Ordnung. Dieser kann auftreten, wenn die Instrumente nur noch in unzureichendem Maße zur Erreichung der Ziele beitragen (Hall 1993, 278 f., 283). Wenn hingegen alle drei Variablen eines Politikfeldes, also auch die Hierarchie der übergreifenden Ziele, einer Veränderung unterliegen, stellt dies einen Politikwandel dritter Ordnung dar, den Hall auch als „paradigm shift“ bezeichnet (Hall 1993, 279, 284).[4]

Ein Paradigmenwechsel kann auftreten, wenn durch untaugliche Instrumente und das Verfehlen der Politikziele Inkonsistenzen entstehen, die im bestehenden Paradigma nicht mehr erklärt werden können und zu dessen Legitimitätsverlust beitragen. Nach Hall werden Regierungen beim Auftauchen von Anomalien bemüht sein, nur die Ausgestaltung der bekannten Instrumente zu ändern, um die zugrundeliegenden Ziele zu erhalten. Mehren sich Anomalien und lässt sich das Paradigma nicht unendlich ausdehnen ohne seine Kohärenz zu verlieren, reicht eine Anpassung der Instrumente nicht mehr aus und sie werden durch andere ersetzt.[5] Bringt auch die Einführung neuer Instrumente keine Besserung, werden die normalerweise verwendeten interpretativen Kategorien infrage gestellt. Steht ein alternatives Paradigma zur Verfügung, kann es zum Paradigmenwechsel kommen, wobei der Schritt von einem zum anderen Paradigma entscheidend von den Machtressourcen seiner Verfechter abhängt.[6] Finden Politikwandel erster und zweiter Ordnung eher im engeren Spektrum der Experten und Bürokraten statt, mobilisiert ein Prozess des Paradigmenwechsels große Teile der politischen Akteure, der Wählerschaft und der Medien (Hall 1993, 280 f., 287 f.).

Mit seinem Konzept betont Hall die ausschlaggebende Rolle von Ideen im Politikprozess. Ein Paradigma bezeichnet für Hall einen Rahmen von Ideen und Standards, welche die Ziele und die Auswahl der Instrumente sowie der als relevant angesehenen Probleme bestimmen. Es ist in der gesamten Terminologie eingebettet und wirkt wie ein Prisma, durch das die Welt in diesem Politikbereich betrachtet wird (Hall 1993, 279). Nach Hall enthält jedoch nicht jeder Politikbereich ausgebildete Paradigmen. Sie finden sich vor allem in Politikbereichen, die stark technisch geprägt sind, viel Spezialwissen erfordern und von Experten verwaltet werden, so dass das Paradigma in administrativen Routinen verankert ist (Hall 1993, 291). Damit lässt sich die von Hall entwickelte Unterscheidung durchaus zur Beurteilung des Wandels im französischen System der Arbeitslosenversicherung, mit seinem hohen Grad an Komplexität, heranziehen. Gerade dort ist es möglich, verschiedene Ziele und Instrumente sowie deren Wandel zu identifizieren.

3. Zwischen Liberalismus und Universalismus – Dänemark und Großbritannien als Modelle divergierender Aktivierungsstrategien

Der Begriff der „Aktivierung“, der in einer Vielzahl neuer Forschungsarbeiten zum Thema Sozialsysteme Verwendung findet, wird von den jeweiligen Autoren auf unterschied-lichste Art und Weise definiert und oft rein quantitativ gemessen.[7] Eine im europäischen Raum vergleichende Konzeption, die eine Einordnung der Reformprozesse in Frankreich ermöglicht, liefert Jean-Claude Barbier (2002, 2004).

Barbier verwendet den Begriff der Aktivierung für die sich wandelnde mehr oder weniger zwingende Beziehung zwischen verschiedensten sozialen Schutzmechanismen, Leistungs-bezug und Erwerbsarbeit (Barbier 2002, 308). Er definiert Aktivierung als „an increased and explicit dynamic linkage introduced into public policy between social, welfare, employment and labour market programmes, which entails the critical redesigning of previous income support, assistance and social protection policies in terms of efficiency and equity as well as the enhancing of various social functions of paid work and labour-force participation“ (Barbier 2004, 48). Im Spektrum der Aktivierungstendenzen in den verschiedensten Ländern identifiziert Barbier zwei dominante Pole, das liberale und das universalistisch-sozialdemokratische Aktivierungsregime, die man durch Betrachtung der sozialen Zusammenhänge und der gebotenen sozialen Dienstleistungen erkennen kann (Barbier 2004, 54 f.; 2002, 314 f.). Durch Analyse des Zusammenspiels zwischen passiven Leistungen, aktiver Arbeitsmarktpolitik sowie Maßnahmen im Bereich zwischen Steuer- und Sozialpolitik kennzeichnet Barbier Großbritannien und Dänemark als Stellvertreter für seine Idealtypen.

Grundlegend für den liberalen Typ der Aktivierung ist nach Barbier (2004, 56, 58 f.; 2002, 315 f.), dass die Hauptverantwortung für eine Arbeitsmarkteingliederung beim Individuum liegt. Die liberale Aktivierungsstrategie mit ihrem sanktionierenden Charakter geht davon aus, dass die Beziehungen des Individuums zum Arbeitsmarkt per se soziale Gleichheit und Effizienz erreichen. Der Schwerpunkt der Aktivierungsstrategie liegt auf Information, Beratung und Vermittlung durch die Arbeitsverwaltung, die Anreize zur Arbeitsaufnahme gewähren und ein schnelles „matching“ zwischen Arbeitsstellen und Individuen erleichtern soll. Da die gewährten Ersatzleistungen relativ gering und kurzfristig sind, steigt der Druck zur Arbeitsaufnahme. Zusätzlich können Leistungen bei Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung beibehalten werden (in-work benefits). Die Individuen, die sich auf dem Markt nicht integrieren können, erhalten unterstützende Hilfe vom Sozialstaat. Unter dieser „work-first“-Ideologie spielen langfristige Bildungsmaßnahmen nur eine geringe Rolle. Die aktivierenden Programme sind stark zielgruppenspezifisch ausgelegt und richten sich an die am weitesten vom Arbeitsmarkt entfernten Gruppen. Um die Verbindung zwischen sozialer Unterstützung und Arbeitsinitiative zu gewährleisten, kommt Sanktionen eine entscheidende Rolle zu.[8] Als Grundsatz dieses Typus kann gelten: «L’emploi sur le marché ordinaire a vocation à remplacer l’assistance» (Barbier 2002, 315).

Großbritanniens Aktivierungsdynamik entspricht diesem „welfare to work“-Typ (Barbier 2002, 322). 1996 wurde mit der Job-Seeker’s-Allowance eine Arbeitslosenleistung eingeführt, die nach einen halben Jahr durch eine bedürftigkeitsgeprüfte, an aktive Arbeitssuche geknüpfte Leistung ersetzt wird (Freyssinet 2002, 17 f.). Im britischen Modell gibt es verpflichtende Arbeitssuchverträge (Jobseeker’s Agreement), die die Bedingungen der staatlichen Unterstützung verdeutlichen sollen. Die Verpflichtungen für die Leistungsgewährung beginnen bei der Einschreibung. Wie auch die Zumutbarkeitskriterien steigen sie mit der Dauer der Arbeitslosigkeit an.[9] Der Schwerpunkt der Arbeitsverwaltung liegt auf Information und Beratung zur Hilfe bei der schnellen Arbeitssuche.[10] Für weit vom Arbeitsmarkt entfernte Zielgruppen gibt es weitere Programme. Kennzeichnend für diese liberalen Aktivierungs-maßnahmen ist das Programm „New Deal for the Young“, welches für Jugendliche nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit verpflichtend ist (Barbier 2002, 322).[11] Das Programm wurde in ähnlicher Form auf weitere Zielgruppen, wie Langzeitarbeitslose, alleinstehende Mütter und Behinderte ausgedehnt (Klammer/Leiber, 516; Blundell u.a. 2003, 20 f.). Nur für diese Gruppen ist subventionierte Beschäftigung vorgesehen (Kröger/van Suntum 1999, 98). Der Staat lehnt eine Rolle als Arbeitgeber überwiegend ab. Darüber hinaus soll die Einführung negativer Steuern, nach Vorbild des amerikanischen Employment-Income-Tax-Credit Anreize zur Arbeitsaufnahme im Niedriglohnsektor liefern (Barbier 2004, 66; 2002, 323; Clasen/Clegg 2003, 370). Vermittlung, Zielgruppenorientierung, Sanktionen und finanzielle Anreize für Erwerbsarbeit stehen in Großbritannien im Vordergrund.

Dem steht der universalistische Typ der Aktivierung gegenüber (Barbier 2004, 56, 58 f.; 2002, 315 ff.), der sich bemüht die Wirkungen des Marktes zu relativieren und die legitimen Forderungen der Gesellschaft und der Individuen auszubalancieren. Daher sind die Aktivierungs- und Qualifizierungsmaßnahmen universell allen Bürgern zugänglich, unabhängig von deren Status im Bezug auf Erwerbsarbeit.[12] Da die Sozialpolitik auf das Wohlergehen und die Wahlfreiheit des Individuums hin orientiert ist, liegen die Leistungs-niveaus nah am Mindestlohn, wobei Leistungshöhe und Dauer wesentlich höher sind als beim liberalen Typus. Der Zugang zu auch längerfristigen Förder- und Weiterbildungsmaßnahmen wird über einen individuellen Vertrag geregelt, in dem Arbeitsanreize und Sanktionen sowie Maßnahmen und Leistungen verankert und ausgeglichen werden. Statt einem rein strafenden Ansatz, liegt ein fördernder Ansatz gegenseitigen Engagements von Individuum und öffentlicher Arbeitsverwaltung im Rahmen des geschlossenen Vertrages vor. Der Staat bietet sich als Arbeitgeber an, wenn der Markt Arbeitsplätze nicht in ausreichender Zahl bereitstellt. Neben einer dezentralisierten Gestaltung, die lokale Akteure mit einbezieht, spielen die Sozialpartner eine wesentlich größere Rolle als im liberalen Typus. Als Leitsatz des universalistischen Aktivierungsregimes kann gelten: «La société pleinement active aménage l’emploi en fonction des possibilités individuelles» (Barbier 2002, 317).

Als Beispiel für den universalistischen Aktivierungstyp zieht Barbier Dänemark heran. Die mit der Reform der Arbeitslosensicherung seit 1993 verfolgte Strategie der Aktivierung schaffte eine neue Kombination von Rechten und Pflichten, Fordern und Fördern.[13] Die Reform war gekennzeichnet von einer Verschärfung der Zugangsbedingungen[14] und der Zumutbarkeitskriterien sowie Reduzierung der Bezugsdauer, wobei die im europäischen Vergleich relativ großzügigen Leistungen beibehalten wurden (Barbier 2004, 75; 2002, 321 f.). Das Recht auf Aktivierung wird von einer Verpflichtung zur Annahme der angebotenen Maßnahmen, unter Gefahr des Leistungsverlustes, begleitet (Freyssinet 2002, 14; Barbier 2002, 321).[15] Die Vielfalt der gebotenen Leistungen und der Ausgleich zwischen Rechten und Pflichten unterschieden den dänischen deutlich vom britischen Fall (Barbier 2004, 73; 2002, 321). Jeder Arbeitslose und Hilfeempfänger hat das Recht auf Erstellung eines individuellen „handlingsplan“, in dem die gegenseitigen Verpflichtungen von Arbeitsverwaltung und Arbeitslosem verankert werden (Barbier 2002, 321; 2004, 74). Der Schwerpunkt liegt auf der Eingliederung in tarifvertraglich geschützte Normalarbeitsverhältnisse (Freyssinet 2002, 21). Daneben dominieren generelle Ausbildung, Training und Qualifizierung für Erwachsene in langfristigen Maßnahmen.[16] Auch die Anstellung im öffentlichen Sektor bleibt bedeutend, verfolgt jedoch verstärkt den Zweck einer generellen und präventiven Kompetenzentwicklung (Barbier 2004, 73, 75 f.; Klammer/Leiber 2004, 516; Kröger/van Suntum 1999, 154 f.).[17]

[...]


[1] Diese Schlagwörter und eine allgemeine Aktivierungslogik wurden vielfach von den Internationalen Organisationen in den Diskurs eingebracht. Auf dem Rat der EU von Madrid 1995 wurde empfohlen, Sozialsysteme nicht zum negativen Anreiz für Arbeitssuche werden zu lassen. Im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS) und der Einführung der Nationalen Aktionspläne, sowie des europäischen „benchmarkings“ im Bereich der Beschäftigungs-politik seit Amsterdam 1997 wurden Schlagworte wie „employability“ geprägt. EU und OECD empfahlen vielfach den Abschluss individualisierter Pläne mit den Arbeitssuchenden (Hvinden u.a. 2001, 170-176).

[2] Dabei ist kaum verständlich, wie Frankreich bei seiner starken Exekutive und seinen Mehrheitsregierungen Schwierigkeiten bei der Durchsetzung drängender Reformen haben soll (Palier 2001, 57).

[3] Unter Arbeitsmarktpolitik werden hier im weitesten Sinne mikroökonomische Maßnahmen zur Regelung der Beziehungen zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt (aktive Arbeitsmarktpolitik) und der Gewährung von Ersatzleistungen bei Verlust der Arbeit (passive Arbeitsmarktpolitik) verstanden.

[4] Eine solch tiefe Transformation des öffentlichen Handelns ist nach Hall nur relativ selten. Als Beispiel wählt Hall den Wandel vom keynesianischen zum monetaristischen Paradigma in der makroökonomischen Politikgestaltung Großbritanniens in den 80er Jahren. Dabei stellt Hall fest, dass Politikwandel erster und zweiter Ordnung nicht automatisch auch zu Paradigmenwechseln führen müssen (Hall 1993, 279 f.).

[5] Hier spielen Prozesse des Experimentierens und des Politikversagens eine zentrale Rolle. Versuche auf Anomalien einzugehen können zu Prozessen des Experimentierens bei der Alternativensuche führen, welche jedoch Politikversagen nach sich ziehen können, wenn das Paradigma schon zu stark ins Wanken geraten ist (Hall 1993, 280, 291).

[6] Daher geht einem Paradigmenwechsel nach Hall häufig eine Verschiebung im „locus of authority over policy“ voraus, der den Verfechtern des neuen Paradigmas die Autorität gibt es zu institutionalisieren und durchzusetzen (Hall 1993, 280).

[7] Ein Beispiel für rein quantitative Messung über einen verstärkten Anteil aktiver Ausgaben am Bruttosozialprodukt liefern Hvinden u.a. (2001, 177). Damit wird übersehen, dass Aktivierung sich nicht nur in der Verlagerung von Finanzmitteln zeigt, sondern auch durch nicht in Geldeinheiten messbaren, verstärkten Druck zur Arbeitsaufnahme, Sanktionen, Mobilitätsanforderungen oder Meldepflichten gekennzeichnet sein kann (Freyssinet 2002, 26).

[8] Geschlechterungleichheiten, Differenzen zwischen Teilzeit- und Vollzeitarbeitenden, die Inaktivität einzelner Gruppen sowie das Auftreten von „working-poor“ sind in Ländern mit liberalem Aktivierungsansatz ebenfalls häufig. Charakteristisch für das liberale Modell sind weiterhin eine zentralistische Verwaltung und eine untergeordnete Rolle der Sozialpartner (Barbier 2004, 59).

[9] So müssen die Arbeitssuchenden alle 14 Tage im Arbeitsamt erscheinen. Bestimmte Zeitabschnitte mit als obligatorisch institutionalisierten Gesprächen stehen für eine Verschärfung der Zumutbarkeit und einen Zugang zu weiteren Maßnahmen (Einstellung auf Probe, garantiertes Vorstellungsgespräch). Ab dem 13-Wochen Gespräch dürfen Suchaktivitäten nicht mehr nur auf das gewohnte Berufsfeld und die gewohnte Bezahlung entfallen. Nach 26 Wochen dürfen keine Einschränkungen der Arbeitssuche im Bezug auf den Lohn gemacht werden, was im Restart-Gespräch festgelegt wird (Kröger/van Suntum 1999, 87-98; Freyssinet 2002, 19).

[10] Zur einfacheren Gestaltung von Leistungsauszahlung und Vermittlung wurden Arbeitsämter und Sozialämter zum „Jobcentre Plus“ zusammengelegt.

[11] Es beginnt mit einer maximal viermonatigen „Gateway“-Periode, in der unter intensiver Betreuung durch einen „personal adviser“ die Jobsuche intensiviert wird. Sind die Jugendlichen dann noch nicht vermittelt, stehen ihnen im New Deal Ausbildungsmaßnahmen, Arbeit im Umweltschutz, Beschäftigung im gemeinnützigen Bereich oder subventionierte Jobs von jeweils sechs Monaten zur Verfügung. Wird ein Angebot abgelehnt, kommt es zu Sanktionen. 1999 waren ca. 150.000 Jugendliche in solchen Maßnahmen integriert, deren Erfolg unterschiedlich beurteilt wird. (Blundell u.a. 2003, 17-30).

[12] Der universelle Zugang fördert höhere Beschäftigungsraten und gleichere Chancen für Männer und Frauen auf dem Arbeitsmarkt als der liberale Typus (Barbier 2004, 59).

[13] Seitdem gelten für Arbeitslose, wie auch Sozialhilfeempfänger, welche von den Gemeinden betreut werden, die gleichen Aktivierungsmethoden (Freyssinet 2002, 15; Kröger/van Suntum 1999, 161 f.).

[14] So werden seit der Reform, um „Drehtüreffekte“ zu vermeiden, Rechte auf Versicherungsleistungen der Arbeitslosen-versicherung nicht mehr durch die Teilnahme an aktiven Maßnahmen erworben (Barbier 2004, 73; 2002, 321; Klammer/Leiber 2004, 515).

[15] Die Gewährung von Ersatzleistungen ist in zwei Phasen geteilt: In Phase eins kann der Erwerbslose in Eigenverantwortung eine Arbeitssuche vornehmen. In Phase zwei hat er ein Recht auf und ist verpflichtet die von der Arbeitsverwaltung angebotenen Maßnahmen anzunehmen. Diese Pflicht zu Aktivierung begann 1994 erst nach vier Jahren Leistungsempfang, wobei sie heute bereits nach einen und für Jugendliche bereits nach einen halben Jahr beginnt (Klammer/Leiber 2004, 515 f.; Freyssinet 2002, 14).

[16] Ein großer Teil der aktiven Bevölkerung ist konstant in solchen Weiterbildungs- und Beschäftigungsprogrammen involviert. Für unter 25-Jährige Arbeitslose ohne anerkannte Ausbildung ist nach sechsmonatiger Arbeitslosigkeit die Aufnahme einer 18-monatigen Bildungsmaßnahme verpflichtend (Kröger/van Suntum 1999, 149). Einen Überblick über die weiteren Maßnahmen liefern Kröger und van Suntum (1999, 157-162).

[17] Begleitet wurde dieser Prozess von einer umfassenden Dezentralisierung der Verantwortlichkeit und ihrer Übertragung an Sozialpartner und Kommunen. Kennzeichnend ist weiterhin eine flexible Einstellungs- und Entlassungspraxis, sowie hohe Mobilität auf dem Arbeitsmarkt (Barbier 2002, 322; Kröger/van Suntum 1999, 146, 163). Die Flexibilität des Arbeitsmarktes und die erforderte Mobilität wird in der dänischen Logik mit der Großzügigkeit der Ersatzleistungen gerechtfertigt (Freyssinet 2002, 15).

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Reform der Arbeitslosenversicherung in Frankreich unter dem Aspekt der "Aktivierung" - neue Qualität oder Schönheitskorrektur des alten Systems?
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V41449
ISBN (eBook)
9783638397070
Dateigröße
584 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Reform, Arbeitslosenversicherung, Frankreich, Aspekt, Aktivierung, Qualität, Schönheitskorrektur, Systems
Arbeit zitieren
Madeleine Koalick (Autor:in), 2005, Die Reform der Arbeitslosenversicherung in Frankreich unter dem Aspekt der "Aktivierung" - neue Qualität oder Schönheitskorrektur des alten Systems?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41449

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